das magazin für die donauländer
connects danube

FASZINATION DONAUREGION
Reisen durch Geschichte, Natur und Kultur

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DANUBE CONFLUENCE –WO EIN FLUSS JUGENDLICHE
MITEINANDER VERBINDET
Jugendcamps in der Natur.....................4
MILA 23: „IVANS DELTA“ IST MEHR ALS NUR EIN KONZEPT
Das Museum zum Gedenken an Ivan Patzaichin........................ 9

DAS LEBEN DER FISCHER IN TUTRAKAN 18
MAGISCHES DONAUDELTA

KOMMUNALER MOTOR IM DONAURAUM Das Donaubüro in Ulm/Neu-Ulm........18

30 JAHRE NACH DEM BOSNIENKRIEG: Amica engagiert sich für Frauen in Bosnien..........................21
AUF DEN PFADEN DER DRACHEN 16
EINE TRACHT SAGT
MEHR ALS TAUSEND WORTE

Ausstellung im DZM..............................12
AUSGEZEICHNETE ARCHITEKTUR UND BEDEUTENDE SAMMLUNGEN: Das Ethnografische Museum in Budapest.........................................14
AUFARBEITUNG DER VERTREIBUNG DER UNGARNDEUTSCHEN Das Theaterstück: Bündeltanz...........15
LEAP STEP - AUSSTELLUNG
Gemeinsam gegen Energiearmut in Europa 15
MIT DRACHENLEGENDEN
ZURÜCK ZUR NATUR Wandern in Bosnien-Herzegowina.........................16 IMPRESSUM 20
10 JAHRE
DANUBE BOOKS VERLAGErinnerung an Admiral Mahi´c..............22
SULTANSTRAIL IN KROATIEN Von königlichem Wein und Mammuttal.....................................23
FIT FÜRS (ARBEITS-)LEBEN: Life skills für Jugendliche in Bosnien-Herzegowina..........................24

Liebe Leserinnen und Leser,
Im letzten Sommer konnten wir ein spannendes Donau Medien Camp mit Jugendlichen aus drei Donauländern durchführen. Jeder Teilnehmer war eine Bereicherung und alle waren hochmotiviert.
Wir erkundeten das Leben und die Traditionen der Fischer in Tutrakan in Bulgarien und lernten viel über die Fischerei.

Die Jugendlichen fotografierten, führten Interviews und waren genauso wie wir von der faszinierenden Natur und den Vögeln im Donaudelta, unserer zweiten Station der Reise, begeistert. Wenn man im Delta bei einer Bootsfahrt den Motor abstellt, um dem Gesang der Vögel zu lauschen, ist es ein besonderes Erlebnis.
Mit unserer neuen Ausgabe wollen wir noch mehr Menschen auf die Donauländer und den gesamten Donauraum neugierig machen.
Deshalb widmen wir Bosnien und Herzegowina gleich mehrere Artikel. Und das aus gutem Grund: Das junge europäische Land in Herzform hat 2025 den Vorsitz für die EU Donauraumstrategie übernommen!
Neben zivilgesellschaftlichen Themen und einer Literaturlesung gibt es auch eine mystische Reisereportage. Meine Kollegin Mirella war in den Dinarischen Alpen zwischen zwei alten Bergdörfern unterwegs, um alte Drachensagen aufzuspüren. Und was haben sie ihr erzählt? Bewahrt die Natur und wir bleiben zahm!
Die Natur und auch die Kultur in den Ländern zu erhalten, ist wichtig, gerade auch für junge Menschen. Reisen erweitert den Horizont und nachhaltiges Reisen sollte mehr Zukunft haben!
Sabine Geller, Chefredaktion und Initiatorin, danube connects
danube connects gibt's auch auf Facebook Twitter & Instagram
Wir bieten täglich mehrsprachige aktuelle Nachrichten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Tourismus aus den Donauländern. Zudem informieren wir über Projekte der EU-Donauraumstrategie und geben Hinweise auf Veranstaltungen entlang der Donau. Am besten, Sie schauen gleich mal vorbei!



Sie haben interessante Infos über den Donauraum?
Schicken Sie den Link einfach an info@danube-connects.eu.

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Tutrakan

Danube Confluence
Zehn Jugendliche entdecken das Leben der Fischer






Vier Länder, vier aufregende Camps – und ein gemeinsames Abenteuer entlang der Donau! In diesem einzigartigen Projekt erkundeten Jugendliche den zweitlängsten Fluss Europas auf kreative Weise und tauchten in seine faszinierende Natur und Kultur ein. Den Auftakt machte Friends of the Danube in Belgrad, gefolgt von einem Besuch im malerischen Fischerdorf Tutrakan in Bulgarien und einer Erkundungstour durch das Naturparadies Donau-Delta in Rumänien. Begeistert von der Schönheit der Landschaft und den Traditionen der Fischer, hielten die Teilnehmer ihre Erlebnisse in fesselnden Interviews und tollen Fotos fest – ein Storytelling-Projekt, das die Magie der Donau lebendig werden lässt!


Das Delta

Jugend-Mediencamp „Spotlight
on the Fishermen“ – Eine Reise zur Donau
Am 2. Juni 2024 verließ ich Rumänien für eine besondere Erfahrung: das Jugend-Mediencamp „Danube Confluence: Spotlight on the Fishermen“, organisiert von Agapedia und danube connects.
Das Camp brachte Jugendliche aus Rumänien, Bulgarien und der Ukraine zusammen, um die Donau, ihre Fischertraditionen und das Ökosystem zu erforschen und ihre Eindrücke medial festzuhalten.
Meine Reise begann in der bulgarischen Stadt Tutrakan, wo wir uns mit der Fischerei und dem natürlichen Ökosystem der Donau befassten. Der Aufenthalt dort war interkulturell und bot Gelegenheit, traditionelle Speisen, Kleidung und Tänze kennenzulernen. Anschließend reisten wir zur rumänischen Stadt Crișan im Donaudelta, nahe
Faszinierende Natur mit Magie
dem Schwarzen Meer. Die Ankunft war abenteuerlich: mit viel Gepäck auf einem kleinen Boot, umgeben von Dunkelheit, Mücken und ungewohnten Geräuschen der Natur. Doch der Anblick des Sonnenuntergangs, der Pelikane, Kormorane und das harmonische Zusammenspiel der Tiere entschädigten uns für die Anstrengungen.
Tagsüber erlebten wir die intensive Hitze und Feuchtigkeit des Deltas, während die Abende eine magische Ruhe boten – ein Lebensraum, in dem Tiere und Pflanzen dominieren. Die Einheimischen leben in Einklang
mit der Natur und respektieren ihre Umgebung. Unsere Tage waren gefüllt mit Kajaktouren, Vogelbeobachtungen, Interviews mit Fischern und Fotoshootings. Wir erfuhren, wie sich das Leben an der Donau im Laufe der Jahre verändert hat und wie wichtig es ist, Traditionen und Natur zu bewahren.
Was dieses Camp besonders machte, war die Verbindung zwischen den Teilnehmern. Anfangs Fremde, wuchsen wir durch das gemeinsame Erleben und den Austausch über unsere Kulturen eng zusammen. Uns wurde bewusst, dass die Donau nicht nur ein Fluss ist, sondern eine historische, kulturelle und ökologische Lebensader.




Trotz der logistischen Herausforderungen, Sonnenhitze und Mückenstiche war das Camp ein voller Erfolg. Es zeigte, dass der Erhalt der Donau nur durch Zusammenarbeit möglich ist. Jugendcamps wie dieses bieten die beste Gelegenheit, junge Menschen zu sensibilisieren, dass sie gemeinsam an einer nachhaltigen Zukunft arbeiten. Ich bin dankbar, ein Teil davon gewesen zu sein, und hoffe, dass dieses einzigartige Ökosystem bewahrt bleibt – für die Tiere, die Natur und die Menschen, die es respektieren.
Kamilla Halaszy, Cluj-Napoca




Tutrakan und die Fischer der Donau –Eine Geschichte, die nie endet

Die Donau ist nicht nur ein Fluss, sondern eine Lebensader, die seit Jahrhunderten Menschen, Kulturen und Geschichten verbindet. Einst eine Grenze des Römischen Reiches, heute eine Quelle des Lebens für zehn europäische Länder, bewahrt die Donau eine tief verwurzelte Geschichte der Fischerei, der damit verbundenen Kulinarik und eines Lebensstils, der weit älter ist, als wir es uns vorstellen können.
Tutrakan, eine Stadt am bulgarischen Ufer der Donau, ist ein Ort voller Historie – gezeichnet von Kriegen, Besetzungen, Naturkatastrophen, aber auch von Tradition und Beständigkeit. Heute zieht die Stadt Touristen an, die die authentische Fischerei und Küche der Donau erleben möchten. Hier leben Menschen, deren Vorfahren über Jahrtausende das gleiche getan haben: Fisch fangen, um ihn zu verkaufen, am Ufer gemeinsam essen und sich dem Rhythmus der Natur hingeben.
Früher waren die Fischer von Tutrakan wahre Legenden der Donau. Nach dem Winter verbrachten sie bis zu neun Monate auf dem Fluss, fuhren hunderte Kilometer entlang der bulgarischen Grenze, fischten, verkauften ihre Ware und lebten in Lagern am Ufer entlang. Der Winter bedeutete nicht Stillstand –die Donau war oft zugefroren, sodass man Löcher ins Eis bohrte, um Fische zu fangen. Die Fischerei war nicht nur ein Beruf, sondern eine Lebensweise, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde.
Heute sind diese Fischer nicht in Vergessenheit geraten. Junge Menschen wie Tisho, ein Schüler aus Tutrakan,
sehen ihre Zukunft in der Fortführung dieser Tradition. Während andere Jugendliche vielleicht von Karrieren in Technik oder Wissenschaft träumen, steht für ihn fest: Die Donau, die Fischerei und das Leben auf dem Wasser sind seine Bestimmung.
Und während Städte schrumpfen und Menschen in große Metropolen ziehen, wächst die Sehnsucht vieler nach einer „Rückkehr zur Natur“. Doch was bedeutet das eigentlich? Ein Ausflug aufs Land, ein paar Fotos und ein frisch gegrillter Fisch? Die Natur braucht uns nicht – wir brauchen sie! Unsere Vorfahren verstanden die Zeichen des Himmels, berechneten ihr Essen bis aufs letzte Korn und ertrugen Entbehrungen, die für uns unvorstellbar wären.
office@tutrakan-tourism.eu
www.tutrakan-tourism.eu
www.danube-adventure.com

Es ist an der Zeit, nicht nur über uns selbst zu sprechen, wenn wir von Naturverbundenheit reden. Die Fischer von Tutrakan sind nicht nur Figuren aus der Vergangenheit – sie sind da, leben, arbeiten und bewahren ihre uralten Traditionen. Ja, ihre Augen sind müde vom ständigen Blick aufs Wasser, ihre Hände rau von der täglichen Arbeit. Die wahre Verbindung zur Natur entsteht nicht durch gelegentliche Ausflüge, sondern durch das Leben mit ihr – Tag für Tag, Generation für Generation.
Martin Krastev, Sofia

NÄCHSTER YOUTH BOOTCAMP STOP _ Bosnien und Herzegowina '25
Das herzförmige Land Europas übernimmt in diesem Jahr nicht nur den Vorsitz für die EU Donauraumstrategie, sondern macht sich auch stark als Gastgeber für die Jugend. Im Rahmen des Danube Confluence Projektes und des Danube Youth Organization Network (DYON) ist ein Jugendtreffen geplant. Die Teilnehmer werden an einem Filmfestival in Srebrenica teilnehmen und anschließend die einzigartige und wilde Natur beim Rafting und Wandern erkunden. Bleiben Sie gespannt!
Mila 23
„Ivans Delta“ ist mehr als nur ein Konzept

Auf den Spuren des Spitzenkanuten Ivan Patzaichin im Donaudelta
Das Abenteuer beginnt am 9. Juni 2024 tief im Herzen des Donaudeltas, im Osten Rumäniens. Das Donaudelta ist eines der letzten unberührten Naturparadiese Europas – noch!
Mit einem Motorboot startet die Reise in Crisan. Der Weg nach Mila 23, einem abgeschiedenen Dorf, das wie eine Insel in einem Labyrinth aus Wasserwegen liegt, ist ein Erlebnis für die Sinne. Ein schmaler Kanal führt dorthin.


Der Motor verstummt, und plötzlich ist nur noch die Natur da: ein Chor aus Vogelstimmen, das sanfte Plätschern des Wassers und das Rascheln des Schilfs. Über den Reisenden spannen sich Schwärme von Kormoranen und Reihern, während Seerosen die Wasseroberfläche schmücken. 320 Vogelarten soll es hier geben. Es ist, als ob die Zeit hier eine andere Geschwindigkeit hat – sie fließt langsamer, fühlt sich intensiver an. Das Donaudelta ist eine Welt für sich, die darauf wartet, entdeckt zu werden. Langsam, sorgfältig, respektvoll.
In Mila 23 angekommen, stoßen die Reisenden auf das im Mai 2024 eröffnete Museum Ivan Patzaichin. Das Gebäude, modern und doch harmonisch in die Umgebung eingefügt, strahlt eine warme Ehrfurcht aus. Leider ist das Museum geschlossen, doch aus purem Glück kommen die Reisenden doch
„Der Ausdruck ‚Ivans Delta’ ist zu einem Konzept geworden, das darauf abzielt, diese Werte an zukünftige Generationen weiterzugeben.“

noch hinein. Der Bootsführer Ionut Ca lin spricht über den Zaun hinweg mit einem Mann, der sich als Teodor Frolu vorstellt.
Teodor Frolu, Architekt des Museums und ein guter Freund des rumänischen Kanuten Ivan Patzaichin, lässt die Besucher hinein. Er erzählt Geschichten über den Spitzenkanuten, der aus diesem kleinen Dorf stammt und die Welt mit seinen besonderen Leistungen beeindruckt hat. Ivan Patzaichin war ein Mann, der nicht nur durch seine vier olympischen Goldmedaillen und sieben Weltmeistertitel glänzte, sondern auch durch seine Bescheidenheit und seine tiefe Verbindung zur Natur. Eine Verbindung, die er gern an die kommenden Generationen weitergeben wollte – doch dafür reichte seine Zeit nicht mehr aus. Er starb am 5. September 2021 im Alter von 71 Jahren in einem Krankenhaus in Bukarest. Sein
sowohl im rumänischen Sport als auch in der Gemeinschaft des Donaudeltas, für die er sich unermüdlich engagiert hatte.
Sein Vermächtnis lebt in Mila 23 weiter – nicht nur in der Erinnerung der Menschen, sondern auch in seinen sichtbaren Bestrebungen, das Donaudelta zu bewahren. Patzaichin setzte sich bis zu seinem Tod 2021 für nachhaltigen

Tourismus und den Schutz dieses einzigartigen Ökosystems ein. Es war sein unmittelbares Umfeld, das Ivan Patzaichin zu dem machte, was er schließlich wurde: ein Top-Athlet im Kanusport. Das Ivan-Patzaichin-Museum in Mila 23 ist weit mehr als ein Museum – es ist ein Kulturzentrum, das die Geschichte eines außergewöhnlichen Menschen und die Schönheit des Donaudeltas in Einklang bringt. Die Idee dazu entstand 2019 gemeinsam mit Ivan Patzaichin, erzählt Teodor Frolu. „Leider konnte Ivan die Eröffnung des Museums nicht mehr erleben. Er verstarb 2021, bevor das Projekt 2024 offiziell eröffnet wurde“, sagt er. Der Ausdruck „Ivans Delta“ ist zu einem Konzept geworden, das darauf abzielt, diese Werte an zukünftige Generationen weiterzugeben. Dieses Konzept kommt in dem jüngst eröffneten Museum zur Geltung. Das Museum befindet sich auf dem Grundstück, auf dem einst Ivans Eltern lebten, nachdem ihre ursprüngliche Heimat in den 1970er-Jahren einer großen Flut zum Opfer fiel. Das Highlight des Gebäudes ist ein 18 Meter hoher Holzturm, der vollständig aus lokalem Holz gefertigt wurde – die höchste Holzstruktur in dieser Region Rumäniens. Der Turm ist nicht nur ein herausragendes architektonisches Werk, sondern auch ein Ort der Erinnerung. Auf verschiedenen Ebenen werden die wichtigsten Etappen aus Ivan Patzaichins Leben dargestellt.
Im Erdgeschoss befindet sich die „Schatzkammer“, auf Rumänisch: „Tezaurul“, der Ivans olympische und weltmeisterliche Medaillen sowie andere Errungenschaften seiner sportlichen Tätigkeit beherbergt. Die weiteren Ebenen zeigen seine Kindheit in Mila 23, seine Erfolge als Olympiasieger, seine Arbeit als Trainer der Nationalmannschaft und schließlich seine Projekte für nachhaltigen Tourismus. Im Inneren des Turms können verschiedene Bootstypen bewundert werden.
An der Spitze des Turms können Besucher innehalten, den Blick über das Delta schweifen lassen und sich Ivan nahe fühlen. Der Turm ist offen gestaltet, damit Wind und Regen hindurchströmen – eine Hommage an Ivans tiefe Verbindung zur Natur.
Neben dem Museum gibt es eine Arbeitsküche, in der lokale Gerichte für Besucher zubereitet werden, und drei Gästezimmer, die für Reisende gedacht sind. Ein digitaler Schulungsraum wurde ebenfalls eingerichtet, um die lokale Gemeinschaft zu unterstützen. Junge Menschen lernen dort, die einzigartige Schönheit des Donaudeltas in den sozialen Medien darzustellen, nicht als Konsumenten, sondern als kreative Produzenten.
Beim Rückweg nach Crisan, durch das verwobene Geflecht aus Wasser und Schilf, wird über das Leben nachgedacht - und über Menschen wie Ivan Patzaichin, die es verstanden haben, im Einklang mit der Natur zu leben. Die Lektion des Tages ist also folgende: Nachhaltig und naturnah leben bedeutet, Verantwortung für die kommenden Generationen zu übernehmen. Und das sollte, nach dem Vorbild von Ivan Patzaichin, jeder Einzelne tun.
Raluca Nelepcu, Temeswar


Eine Tracht sagt mehr als tausend Worte
Wie schwerer Stoff die Heiratschancen steigert –Ausstellung im Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm
Eines hatten die Frauen in den Ländern entlang der Donau gemeinsam: „dick“ wollten sie aussehen. Weil aber leider nicht alle von üppiger Natur waren – vielleicht auch, weil die Pfunde beim vielen
Arbeiten purzelten –, haben sie geschummelt. Es ware ein offenes
Geheimnis: Sie schichteten mehrere Unterröcke übereinander.

Das Festtagsgewand der Bauerntochter Katharina Just, genäht um 1943, besteht aus gemusterter Kunstseide, genannt "Bauernbrokat".
In der aktuellen Ausstellung „Schwerer Stoff – Frauen, Trachten, Lebensgeschichten“ im Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm kann man sich selbst diese weißen Baumwollröcke anziehen. Dann merkt man schnell, wie unpraktisch sie doch eigentlich waren. Doch Schönheitsideal ist Schönheitsideal. Eine dicke Frau bedeutete automatisch: Ich bin wohlhabend, denn ich habe genug zu essen. Und ich kann viele Kinder zur Welt bringen.
Eigentlich aber war dieses etwas, man könnte es auch Gefieder nennen, ziemlich unpraktisch. Nichts ging mehr alleine. Nicht hinsetzen, nicht aufstehen, nicht aufs Klo gehen. Doch weil eben auf dem Heiratsmarkt Üppigkeit eine wichtige Währung war, überprüften die Burschen bei der Frau mit einem Blick unter deren Rock, mit wie vielen Schichten sie geschummelt hatte.
Vom Ende des 17. Jahrhunderts an folgten mehr als 150.000 Menschen dem Ruf der österreichischen Kaiserin Maria Theresia in der Hoffnung auf eine glückliche Zukunft in einer neuen Heimat. In sogenannten Schachteln brachen sie von Ulm auf, um so auf der Donau in das damalige Ungarn zu fahren. Die Habsburger Krone wollte die Gegend, die heute Ungarn, einen Teil Rumäniens, Kroatiens und Serbiens umfasst, zur Kornkammer der Donaumonarchie machen. Es sei aber eine große Illusion, zu glauben, dass diese
Donauschwaben (nur ein Teil von ihnen stammte aus Schwaben), vor 300 Jahren in ihrer Tracht aufgebrochen sind und sich die Tracht in ihrer neuen Heimat über Jahrhunderte bewahrt hätte. Henrike Hampe vom Donauschwäbischen Zentralmuseum erläutert: „Zu Zeiten der Einwanderer gab es noch eine Ständegesellschaft – Kleidung war nicht frei wählbar. Es gab vorgeschriebene Gewänder und Stoffe für Adelige, Bürger, Bauern, die Leibeigenen. Die Tracht, an die wir heute denken, die von Dorf zu Dorf unterschiedlich ist, entstand erst im 19. Jahrhundert.“ Eine Zeit, in der sich die Stadtbevölkerung aus einem romantischen Gefühl heraus begann, fürs Land zu begeistern. Sie nahm das Gewand der bäuerlichen Bevölkerung zum Vorbild und schuf daraus unterschiedliche „Mode-Trachten“ (die in der Ausstellung zu sehen sind). so geschehen auch in Ungarn. Aber erst später, emigriert nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, bezeichneten auch die ehemaligen Donauschwäbinnen ihre Gewänder als Tracht.
Ein senfgelbes Seidenkleid mit knallroten, aufgestickten Blumen, mit Spitze und verzierter Schürze ist ein Hingucker zu Beginn der Ausstellung. Das Kleid gehörte Katharina Just aus Kéty/ Gieck (Schwäbische Türkei/Ungarn). Als 14-Jährige begleitet sie in den 40erJahren ihren Vater in den Nachbarort, wo er eine Kuh verkaufen will. In einem Schaufenster entdeckt sie den „fantastisch gemusterten Stoff“. Sie ist hingerissen. Der Stoff aus Wien ist leider nur sehr teuer. Ihr Vater verspricht, ihr den Stoff unter einer Bedingung zu kaufen: Sie verkaufen ihre Kuh. Der senfgelbe Stoff wurde ihr Festgewand.
Der Vater war sicherlich auch recht stolz darauf, seine Tochter so zu sehen. Denn es ging ja bei den Bauern um kluge Heiratspolitik, darum, den eigenen Besitz zu vergrößern. Katharinas Chancen dürften also, eingehüllt in die neue, sogenannte Kunstseide – die damals der letzte Schrei war – gestiegen sein.

Sonntagskleidung im "baurischen" Stil, getragen von Katharina Herbert, ca.1945.
Aus Tradition in Schwarz Wenn dann zwei heirateten, hatte das in Schwarz zu geschehen. Donauschwäbinnen trugen die „Farbe“ zu allen großen Momenten im Leben: Hochzeiten, hohe Kirchenfeste und auf dem Sterbebett dann ein letztes Mal. So ist das bis zum Zweiten Weltkrieg, und so ist das auch 1880 bei der Hochzeit von Maria-Anna Tremml aus dem Banat, dem heutigen Rumänien. Ihr Kleid ist ebenfalls ausgestellt.
Noch in in den 50er-Jahren heirateten traditionsbewusste Bauerntöchter im Banat in Schwarz. Anna Remy ist 1955 die erste im Dorf, die Weiß wagt, kombiniert immerhin mit ein paar schwarzen Zierstreifen.
Zum Arbeiten hatten die Frauen meist einen blauen Rock an, aus Baumwolle oder Leinen. Das Handwerk des Blau-
färbens wird heute noch in Ungarn praktiziert. Damals war es eine Errungenschaft, endlich sattes Blau färben zu können. Waren die Frauen aber schon älter, sollten ihre Ärmel lang sein, keine Haut zeigen und das Gewand schwarz sein.
1944 wird die älteste Tochter der Familie Märcz zur Zwangsarbeit in die UdSSR verschleppt: die 19-jährige Elisabeth. Sie kommt ums Leben. Kurz darauf, der Krieg ist zu Ende, muss Familie Märcz nach Deutschland zwangsumsiedeln. Elisabeths Kleider kommen mit. Die Mutter erlaubt der jüngeren Tochter Katharina, Elisabeths Seidenkleider anzuziehen. Die ist erst ziemlich stolz darauf, doch dann will sie aussehen wie die jungen Mädchen in Deutschland und darf aus einigen Röcken neue Outfits schneidern. Etwa das fesche, taillierte grüne Dress mit den bauschigen roten Blumen. So wenig Stoff! So leicht!
Isabella Hafner, Ulm

Katharina Märcz kam als 15-Jährige aus Ungarn nach Bayern. Sie nähte einen mitgebrachten weiten Rock in ein Dirndlkleid um.
Projekt „Upcycling-Mode aus donauschwäbischen Stoffen“ Schülerinnen der 3. Klasse des Berufskollegs Mode und Designs des Zentrum für Gestaltung in Ulm, Emma Schenk und Luca Stehle, schneiderten Hemden aus traditionellen und modernen Stoffen.


Von Ulm aus wandert die Ausstellung nach Budapest
Die Ausstellung „Schwerer Stoff – Frauen, Trachten, Lebensgeschichten“ ist noch bis 21. April 2025 im Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm zu sehen.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 11 bis 17 Uhr, Wochenende/Feiertag, 10 bis 18 Uhr.
Die Ausstellung wird vom 7. Juni 2025 bis 31. Januar 2026 im Ethnografischen Museum in Budapest und anschließend im Ethnografischen Museum in Zagreb zu sehen sein.
Ausgezeichnete Architektur und bedeutende Sammlungen: das Ethnografische Museum in Budapest

Die Ausstellung „Schwerer Stoff" des Donauschwäbischen Zentral museums (DZM) (siehe S. 12) wird von Juni 2025 bis Januar 2026 im Ethnografischen Museum Budapest gastieren. Anlass, selbiges ein mal unter die Lupe zu nehmen.
In Budapest lautet der Titel „Schwerer Stoff. Frauen – Trachten – Lebensgeschichten“, was die enge Beziehung der Trägerinnen zu ihrer Kleidung noch mehr verdeutlicht. „Es ist eine wichtige Aufgabe des Etnografischen Museums, die Kultur der Minderheiten in seinen Ausstellungen hervorzuheben. Aus Ulm kommt eine großartige Ausstellung, in der es nicht nur um Kleidung geht, sondern auch um die Geschichte der Deutschen in Ungarn anhand der Kleidung und des Schicksals der Frauen“, erklärt Kuratorin Mónika Lackner gegenüber danube connects. Die mittels der Kleiderensembles präsentierten Geschichten sind mitunter fast 150 Jahre alt. Fast genau so viel, 153 Jahre ist der Ausstellungsort, das erwähnte Ethnografische Museum Budapest, alt. Genau genommen existiert es jedoch erst seit drei Jahren – wie ist aber eine Differenz von 150 Jahren möglich? Zur Aufklärung ein kurzer Blick in die Geschichte des Museums und seiner Sammlung.
Erst eine wandernde Sammlung, dann ein eigenes Museumsgebäude
Die Gründung des Museums wird auf das Jahr 1872 datiert, als der griechischstämmige Ethnograf und Naturforscher János Xántus zum Direktor der damaligen Ethnografischen Abteilung des Ungarischen Nationalmuseums ernannt wurde. Der mehrere Sprachen sprechende Abenteurer kehrte 1864 nach einem zwölfjährigen Aufenthalt in den USA nach Ungarn zurück, um zunächst den Zoo Budapest zu leiten und zu verschiedenen exotischen Expeditionen aufzubrechen. Seine einzigarte ethnologische Sammlung von 2.500 Stücken aus Borneo war der Grundstein für die Ethnografische Abteilung.


dernes Gebäude auf 33.000 qm errichtet. Dieses beherbergt heute etwa 150.000 Exponate, hinzu kommen die 4.500-teilige Sammlung von Schallplattenzylindern (u.a. sammelte Béla Bartók einige der Aufnahmen), die 340.000-teilige Fotosammlung über die traditionelle bäuerliche und volkstümliche Kultur in Ungarn, das fast 30.000 Exemplare umfassende Handschriften- und Bildarchiv sowie eine Fachbibliothek mit 197.000 Bänden.
Xántus‘ Sammlung wuchs immer weiter, so dass sie im Laufe der Zeit sechsmal in bereits bestehende Gebäude umziehen musste. 1947 erhielt sie mit ihrer Unabhängigkeit ihren heutigen Namen: Ethnografisches Museum. Erst 2022 kam es an dem wohl wichtigsten Meilenstein dieser langen Historie an: dem Umzug in ein eigens für das Museum errichtetes Zuhause, und zwar im Budapester Stadtwäldchen. Im Rahmen des
Das imposante, geschwungene Bauwerk wurde vom ungarischen Architekturbüro NAPUR Architect unter Mitwirkung von fast 250 Architekten entworfen. 60 Prozent des Gebäudes befinden sich unter der Erde, während oben eine Grünfläche als Aufenthaltsbereich für die Besucher dient. Das Gebäude hat 2018 den International Property Award für die beste öffentliche Einrichtung in Europa gewonnen.
Daniel Hirsch, Budapest
Die Aufarbeitung der Vertreibung der Ungarndeutschen beginnt
Bündel – der Koffer der einfachen Leute von früher, aus einem dicken Leinentuch, wo einst das ganze Leben einer Familie reinpassen musste. Eine Stunde hatten die Schwaben Zeit, um das Hab und Gut zusammenzutragen, dann wurden die vier Ecken des Tuchs verbunden und auf den Rücken genommen. 80 Jahre ist es nun her, als die ersten Deutschen in Mittel- und Osteuropa aus ihrer Heimat vertrieben oder nach Russland verschleppt wurden. Nach langen Jahrzehnten des Schweigens ist die Zeit des Aufarbeitens gekommen, unter anderem durch die Kunst, durch Literatur und auch durch Theaterstücke.
Bündeltanz –
Das Improvisations-Theaterstück 2021 begann die Arbeit an einem Theaterstück mit sehr viel Improvisation von ungarndeutschen Schauspielern und Musikern, die zu diesem Thema ihre eigenen Emotionen mit in das Stück mit einbringen wollten. Die Oberon Theatergruppe aus Ungarn ist kein festes Ensemble, sie organisiert sich für bestimmte Projekte, und sie bereiste mit dem Stück „Bündeltanzˮ inzwischen weite Teile Ungarns. Die Freilichtaufführungen verliefen meist auf Ungarisch, nur einige ältere Charaktere
haben deutsche Dialekt-Texte, um die Generationsunterschiede und auch den Verlust der Sprache darzustellen.
Eingeladen wurde das Ensemble in viele kleine, typische ungarndeutsche Ortschaften, wo die Vorführung auf dem Gang eines schwäbischen Hauses stattfand, so erreicht Bündeltanz die erwünschte Atmosphäre schon durch das Betreten des Hofes noch vor Beginn des Stücks. Die Szenen mit den bekannten, traurigen deutschsprachigen Liedern sorgten zusätzlich für die gewollte Grundstimmung. Im Vorfeld bat der Regisseur Krisztián Ákli im Internet um Erzählungen von Familienschicksalen, und baute diese in das Fundament des Stücks ein, einfühlsam, mit den unterschiedlichen Reaktionen der Protagonisten in den verhängnisvollen Stunden. Das Ensemble hat für 2025 zahlreiche Einladungen, unter anderem sind Ende Mai Vorführungen bei den Rumäniendeutschen geplant, und für Ende Juni steht eine Tournee in Deutschland an, eine deutschsprachige Variante des Stücks wurde inzwischen auch erstellt.
Christina Arnold, Pécs

Die ersten Schritte sind gemacht!
LEAP-STEP - Ausstellung
8 EU-Länder gemeinsam gegen Energiearmut in Europa


Nach der Eröffnung in Ulm beim Internationalen Donaufest 2024 war die Ausstellung in Spanien sowie in Litauen und ist nun in Budapest zu sehen.
Ziel des EU-Projektes, organisiert vom Maison de l' Europe in Paris, ist es Ideen zur Lösung von Energieproblemen zu präsentieren, nachhaltige Konzepte zur Senkung der Energiekosten in Haushalten umzusetzen und das Bewusstsein für Klimafragen zu schärfen.
Bis Ende des Jahres werden in weiteren Mitgliedsländern Ausstellungen zu diesem Thema sowie Partnertreffen zum Austausch von Ideen und Konzepten organisiert.
In Budapest durften alle Projektpartner Eichelsamen im Wald vor den Toren der ungarischen Hauptstadt pflanzen. Ob aus ihren Budapester Bäumchen etwas geworden ist, werden die Teilnehmer erst in einigen Jahren wissen. Aber wie sagte schon der indische Philosoph, Dichter und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore: “Wer Bäume pflanzt, obwohl er weiß, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu begreifen”. Die Teilnehmer sind froh, etwas für die Zukunft getan zu haben und freuen uns auf weitere gemeinsame Schritte in Portugal!
Wandern in Bosnien-Herzegowina: Mit Drachenlegenden zurück zur Natur

Bosnien-Herzegowina – ein Land voller Mythen und wilder Landschaften. Wir besuchen Umoljani und Lukomir, zwei der beeindruckendsten Bergdörfer des Landes, die, eingebettet in die Dinarischen Alpen, faszinierende Geschichten und tiefe Einblicke in das traditionelle Leben bieten.

Nebelschwaden ziehen über den Berg Bjelašnica, der etwa 40 Kilometer von der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt Sarajevo entfernt liegt. Umoljani in 1333 Metern Höhe ist unser AusgangsJahrmillionen entstanden. Links erstreckt sich der Kopf, nach rechts der Körper, der in einem langen Schweif endet.

Von hier aus führt die Wanderung etwa zehn Kilometer bis zum Dorf Lukomir durch atemberaubende und unberührte Natur. Kurz vor unserem Ziel verändert sich die Landschaft, die nun von Menschenhand gepflegt wird. Holzzäune und kleine Steinmauern säumen den Weg. Wir passieren Schafherden, die typisch für diese Gegend sind. Lukomir ist das höchstgelegene Dorf im Land. Und auch eines der ältesten. Zwei Frauen sitzen vor einem der historischen Steinhäusern mit den typischen Blechdächern oder Holzschindeln, die bis zum Boden reichen. Die eine spinnt Wolle, die andere strickt traditionelle Wollpantoffeln. Beide tragen die alte
bosnische Tracht. Ich setze mich zu ihnen. Zlata, die mit ruhiger Hand Wolle spinnt, erzählt von ihrem Leben hier, das sich seit 200 Jahren kaum verändert hat.
Ihre Bewegungen wirken auf mich wie eine Meditation. Wie alt das idyllische Dorf ist, weiß niemand genau. Die heutigen Häuser sind bis zu 300 Jahre alt, aber man vermutet, dass sich die ersten Siedler im 15. Jahrhundert hier niedergelassen haben, da es hier Stećci gibt, alte bosnische mittelalterliche Grabsteine. Wahrscheinlich waren es Hirten aus dem Süden des Landes, die auf der Suche nach saftigen Weiden für ihre Tiere hierher kamen.
Noch vor einigen Jahren gab es in den Häusern weder Strom noch fließendes
Wasser. Das hat sich inzwischen geändert. Auch Fernsehen und Mobiltelefone gehören nun zum Alltag. Faruk erwartet mich in der Hütte mit dem wundervollen Name �Na krovu svijeta’, was übersetzt Auf dem Dach der Welt bedeutet. Nermin und seine Eltern empfangen uns herzlich. Sie erzählen mir, dass sie die Ersten waren, die hier ein Haus kaufen durften, obwohl sie nicht von hier stammen. Über Jahrhunderte hinweg durften Häuser nur an Dorfbewohner verkauft werden. Er und seine Familie kommen aus Sarajevo: „Wir wollten weg von der Stadt. Die Dorfbewohner, die dem muslimischen Glauben angehören, stimmten nach dem Freitagsgebet über uns ab –zu unseren Gunsten.“ Nermin arbeitet nun die ganze Saison hier, bis der erste Schnee fällt. Dann macht er die Hütte dicht, wie die meisten Bewohner auch. Sonst läuft man Gefahr für einige Wochen oder gar Monate eingeschneit zu werden. Der Geruch führt mich zur Küche, die wie aus einem Märchen der Gebrüder Grimm stammen könnte. Nermins Mutter holt mit einem herzlichen Lachen unsere heiß dampfende Pita aus dem Ofen – Teigtaschen, gefüllt mit Feta und Spinat. Dazu gibt es frischen Salat, Joghurt und ihren selbst gemachten Bergkräutertee.
Die Sonne neigt sich dem Horizont entgegen. Noch ist es hell. Faruk führt uns zur Felsenzunge. Links geht es steil hinunter zur Schlucht des Flusses Raritnica. Sein Rauschen dringt bis zu uns herauf. Oder hören wir den Atem eines Drachen, der hier unten in einer Höhle leben soll? Er herrscht der Legende nach über das wertvolle Wasser. Behandeln die Menschen das Wasser nicht respektvoll, so soll er Dürreperioden verursachen. Auch heute noch nutzen die älteren Dorfbewohner das Wasser mit Dankbarkeit, um nicht den Zorn des Drachen zu erwecken, der über ihr kostbares Wasser wacht. Vom höchsten Punkt aus erlebt man einen atemberaubenden Sonnenuntergang.
Die unendlichen Canyons glühen in einem dunklen Orange. Als wir zurückgehen, müssen wir den schmalen Pfad mit den Taschenlampen unserer Smartphones ausleuchten, um nicht abzurutschen. Danach geht es zu den mittelalterlichen Grabsteinen. Es ist bereits kalt auf 1.455 Metern Höhe. Die helle Farbe des natürlichen Steins leuchtet in der Dunkelheit. Es ist still geworden im Dorf, das nun im Dornröschenschlaf liegt. Auch die Sterne leuchten hier stärker. Mars, Jupiter und Saturn gesellen sich hinzu, und dann, so klar, dass es mich erschreckt, erscheint die Milchstraße. Sie scheint zu tanzen. Ich lehne mich an die alten Grabsteine, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Zeit und Raum existieren nicht mehr. Ich scheine mit dem mit dem Universum verbunden zu sein!
Lukomir ist eine Kombination aus zwei Wörtern – Luka Mira, was übersetzt „Hafen des Friedensˮ heißt. So fühle ich mich auch, als ich mich ins Bett lege. Die Hütte von Nermin vermietet auch Zimmer. Am Morgen weckt mich der Duft aus der Küche. Nermins Mama hat uns ein deftiges Frühstück zubereitet: salzige Ausgezogene, die mit selbst gemachtem Schmand serviert werden. Gestärkt treten wir den Rückweg nach Umoljani an. Wir laufen nun der Rakitnica-Schlucht entlang. Und das hat einen Grund. Kurz bevor wir das Dorf erreichen, erstreckt sich vor einem eine Hochebene mit einem faszinierend windenden Wasserlauf. „Der �Studeni Potok’( übers. Eisiger Bach) entstand der Legende nach durch den Schweif des bösen Drachen, als er zum Dorf flog”, erklärt Faruk, während wir zum Ufer laufen, um dort unser Picknick einzunehmen.
Bosnien-Herzegowina ist ein Land voller Magie und Ursprünglichkeit. Während die Legende von Umoljani Mut und Glauben symbolisiert, offenbart die von Lukomir eine tiefe Verbundenheit der Vorfahren mit der Natur und
den Glauben an das Mystische und Übernatürliche. Hier zeigt sich eindrucksvoll, wie eng Natur, Geschichte und Legenden miteinander verwoben sind – und wie wichtig es ist, den Kontakt zur Natur nie zu verlieren.
Mirella Sidro, Sarajevo




Kommunaler Motor im Donauraum
Das Donaubüro Ulm/Neu-Ulm als gemeinnützige GmbH der beiden Städte versteht sich als kommunaler Motor der Zusammenarbeit entlang der Donau. Das Team mit Sebastian Rihm an der Spitze wirkt als führender Partner bei EU-Projekten, als Organisator des internationalen Donaufests Ulm/Neu-Ulm und als verbindendes Element in zahlreichen Netzwerken. Sabine Geller, Gründerin und Herausgeberin von danube connects, unternimmt im Gespräch mit dem Donaubüro-Team eine Bestandsaufnahme der vergangenen zehn Jahre und wagt einen Ausblick in die Zukunft.
Was hat sich seither verändert bei der Arbeit im Donaubüro und wo liegen heute die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Sebastian Rihm: Die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Wir haben 2015 mit einer starken Euphorie rund um die Donauraumstrategie angefangen. Aber die großen Krisen und Themen sind auch nicht am Donauraum und an uns vorbeigegangen: die Migrationskrise, die Ost-West Thematik, wie wichtig es ist, dass Europa sich zusammenfindet, dass wir im guten Austausch sein müssen. Das hat mehr Ernsthaftigkeit in die Themen gebracht. Hinzu kamen Corona und der Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das schlägt
sich auch auf unsere Arbeit nieder. Für das Donaubüro hat sich in den letzten zehn Jahren viel entwickelt in Richtung Professionalisierung und in der Organisationsstruktur. Wir sind auch gewachsen im Team. Es sind jetzt elf Mitarbeitende, die meisten in Teilzeit. Es freut mich, dass unsere Arbeit von den Doppelstädten Ulm/Neu-Ulm und ihren politischen Gremien getragen wird. Mit unseren Projektschwerpunkten ziehen wir eine Spur entlang der Themen nachhaltige Mobilität, Umwelt, Bildung, Gesellschaft.
Sie sind Partner in unterschiedlichen europäischen Projekten im Donauraum. Was sind die Ziele des Interreg
Projektes ‚Active to Public Transport’ und was passiert da im Augenblick? Wo liegt der Nutzen dieses Projektes für die Bevölkerung?
Simone Burster: Wir sind einer der elf Partner und 2024 damit gestartet. Das Projekt dreht sich um Mobilität. Fußgänger- und Radverkehr sollen besser mit öffentlichem Transport in Bus und Bahn verknüpft werden. Dazu haben wir jetzt die erste donauraumweite Umfrage zum Fahrradtourismus abgeschlossen. Die Ergebnisse kann man auf unserer Webseite einsehen, darüber hinaus werden sie auf unterschiedlichen Fachkonferenzen präsentiert. Es gibt Pilotaktionen im Rahmen des Projekts.
So werden wir hier in Ulm eine Testphase machen. Leute aus der Bevölkerung können sich bei uns melden, um für einige Zeit von uns ein Fahrrad gestellt zu bekommen und können es für ihren Alltag und ihre Freizeit nutzen. Wir werden das begleiten und genau evaluieren. Solche Pilotaktionen werden auch in den Partnerregionen umgesetzt. So kann man voneinander lernen und Verbesserungen herleiten. An unserer Online-Umfrage sieht man, dass Fahrradtourismus einen höheren Stellenwert in Deutschland und Österreich als weiter donauabwärts hat. Aber auch dort geht es darum, mehr Informationen für Fahrradtouristen bereitzustellen, auch in englischer Sprache. Die allgemeine Zufriedenheit der Radurlauber im Donauraum ist hoch. 96 Prozent der Befragten unserer Umfrage würden erneut einen Radurlaub machen. Das hat also ein großes Potenzial.
Im Bereich Umweltbildung mit ‚Danube Guides 2’ sind Sie ebenfalls aktiv. Wofür steht dieses Projekt?
Simone Burster: Im aktuellen Fortführungs-Projekt haben wir das Netzwerk nochmal um die Republik Moldau erweitert. Wir schauen, wie wir das Netzwerk auf feste Säulen stellen und durch Erschließung neuer Fördergelder langfristig am Leben halten können. Man kann aktuell Touren buchen über die Danube Guides Webseite. Wenn man beschließt, im Sommer nach Rumänien oder Bulgarien zu reisen, kann man einen örtlichen Natur-Kultur-Guide buchen; das ist dann ein sehr authentisches Erlebnis.
Gute politische Verbindungen nach Südosteuropa und das europäische Engagement der Stadt Ulm sind Tradition in der Arbeit des Donaubüros. Wo sind Sie aktuell hier aktiv?
Sebastian Rihm: Ulm hat ja keine feste Städtepartnerschaft. Wir sind immer
entlang der Donau ausgerichtet und im guten Austausch mit einem bunten Reigen an Städten, kleinen wie großen. Wir haben traditionell im Dreiländereck Bosnien, Serbien, Kroatien, in der Vojvodina und in Slawonien ganz enge Verflechtungen; auch zum Süden von Ungarn. Über dieses Engagement sind wir all die Jahre von Budapest eingeladen worden, Mitglied zu werden im Pakt der Freien Städte. Deshalb werden wir Anfang Februar in Tirana zu Gast sein. Dieser Verbund macht sich stark für eine offene Gesellschaft, Demokratie und ein Europa in Frieden und Freiheit. Wir wollen damit zeigen, dass die Städte nicht für sich alleine stehen. Gerade sie sind es, in denen gesellschaftlicher Zusammenhalt gelebt wird und Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit gefunden werden müssen.
OB Martin Ansbacher in Ulm und OB Katrin Albsteiger in Neu-Ulm planen eine Delegationsreise in die Donauregion. Welche Länder besuchen Sie und was ist inhaltlich geplant? Wer gehört der Delegation an?
Sebastian Rihm: Das ist eine Delegationsreise über vier Tage, Anfang März. Auch vom Donaubüro sind wir dabei. Besucht werden vier Länder. Es ist ein knackiges Programm mit Besuchen von Schulprojekten und Zivilgesellschaftlichen Initiativen. Es ist sehr wichtig, zu verstehen, wie die Regionen ticken und wo Gemeinsamkeiten liegen, wo wir zusammen Projekte wie zum Beispiel das der Danube Guides voranbringen können. Wir besuchen deshalb auf der Reise auch Bürgermeister, Landräte und Parlamentsvertreter.
Das Internationale Donaujugendcamp ist beim Donaufest ein wichtiger Bestandteil der Aktivitäten. Was läuft aktuell für das Engagement für die Jugend?
Sebastian Rihm: Neben dem DonauJugendcamp gab und gibt es immer wieder unterjährige Jugendbegegnungen, etwa die Jungen Donaubrücken in Wien und verschiedene andere Formate. Es waren 38 Jugendveranstaltungen zwischen 2002 bis 2024. Rund 3.750 Jugendliche haben daran teilgenommen. Unser Ansatz ist, jetzt ein gemeinsames Projekt zu definieren, mit dem Kultusministerium. Das nennt sich „Junge Donaubotschafterˮ. Das haben wir gerade in der Feinplanung und sind guter Dinge, es gemeinsam umsetzen zu können. Es wäre dann auch möglich, das Internationale Donaujugendcamp 2026 als größtes Format hier in Ulm und Neu-Ulm mit einzubeziehen. Dies bringt für Jugendliche das ganz eigene Erleben beim Donaufest: Ich muss was Positives und Emotionales mit Europa assoziieren, ein Funke muss überspringen. Sonst bleibt Europa für junge Menschen zu sehr Theorie.
Das Europe Direct Büro in Ulm wurde dem Donaubüro angeschlossen. Gibt es hier für die Europaaktivitäten eigenständige Veranstaltungen im Jahr 2025?

Kathinka Leyhr: Ja, schon im Vorfeld der Bundestagswahl sind wir mit Veranstaltungen zu Themen wie die EU oder die Sicherheitspolitik gestartet.
Donaubüro
Ende Februar veranstalten das DBU und das Europe Direct gemeinsam mit der Stadtbücherei Neu-Ulm die Donaurallye. Hier werden Baden-Württemberg und Bayern Schulklassen der 5. und 6. Jahrgangsstufe eingeladen, die Donauregion spielerisch und interaktiv zu erfahren. Wir sind zum Frauentag mit einer Veranstaltung dabei. Ebenso am Europaaktionstag. Vom 3. bis 11. Juli gibt es die Umweltwoche als umfangreiches Kooperationsevent. Wir sind da mit vielen Mitwirkenden breit aufgestellt. Da ist das Donaubüro einfach eine super Plattform, mit Europe Direct in unserem Team. Und noch etwas Besonderes: Wir haben dieses Jahr am 7. Juni 2025 im Ulmer Zelt ein Konzert mit der kroatischen Band „Elemental“. Die hat schon beim Donaufest gespielt und eine große Fanbase hier in Deutschland.
Die Mahnwachen für die Ukraine und gegen den menschenverachtenden Krieg Russlands dort werden vom Donaubüro und anderen Partnern organisiert. Können Sie damit die ukrainischen Mitbürger in Ulm unterstützen? Und wird das weiter fortgesetzt? Sebastian Rihm: Die Mahnwachen
werden vor allem von den Ukrainern wahrgenommen. Wir würden uns manchmal wünschen, dass die Resonanz in der deutschen Bevölkerung noch etwas größer wäre. Wir werden nicht müde, das als Zeichen der Solidarität zu begehen. Die Ukrainer sind die Überfallenen, unsere Solidarität muss ihnen gelten, und es ist wichtig, weiter ein Signal zu setzen. Unsere Städte leisten viel mit der Versorgung der hierher Geflüchteten. Wir haben zusätzlich auch noch eine Solidaritätspartnerschaft begründet mit einer Stadt im Südwesten der Ukraine und auch Spendengüter der Doppelstädte dorthin geschickt.
Nach dem Donaufest ist vor dem nächsten Donaufest? Sind Sie schon in den Planungen für 2026? Können Sie dazu schon etwas verraten?
Sebastian Rihm: Es ist alles noch topsecret. Aber wir sind schon dran am Programm des 14. Internationalen Donaufests. Es ist ambitioniert, von jeher schon, so ein Großformat in der heutigen Zeit durchzuführen. Die Kostensteigerungen stellen uns zunehmend vor Herausforderungen, da müssen wir
clever sein. Das gelang uns auch bisher. Man darf sich jedenfalls wieder auf zehn tolle Tage freuen, vom 3. bis 12. Juli 2026. Bei den Inhalten darf man sich überraschen lassen. Es gibt bestimmt noch was, was wir so noch nicht hatten. Aber die großen Dinge sind gesetzt, als Leitplanken, mit dem Festareal an den Ufern der Donau, mit dem Markt der Donauländer, mit den Außenbühnen und so weiter. Die Zivilgesellschaft hat sich ja auch ehrenamtlich beteiligt, zudem über 50 institutionelle Kooperationspartner, sowie ein toller Reigen von Sponsoren. Sonst wäre das alles nicht möglich.
Das Interview führte Sabine Geller, Ulm

Impressum/imprint
danube connects das magazin für die donauländer/ the magazine for the danube countries
Tel. +49 / (0)731 / 153 75 05
Fax +49 / (0)731 / 153 75 06 info@danube-connects.eu
Herausgeber/publisher:
European Journalists Association, Sektion Ulm (section of Ulm)
Druck:
Di Bello – Ihre Druckerei Johann-Strauß-Straße 17 89231 Neu-Ulm
Konzept und Gestaltung/ concept and design: Sabine Geller info@danube-connects.eu
Redaktion/editor: Daniel Hirsch, Thomas Zehender
Social Media: Thomas Zehender danube@profitextulm.de
Anzeigenleitung/advertisement: info@danube-connects.eu
Bildnachweis/photo credits: Titelbild/Cover: © Dominic Lars Breitbarth Storytelling: Dominic Lars Breitbarth, Amica, Donaubüro Ulm/Neu-Ulm, Elvira Eberhardt, Sabine Geller, Maison de l'Europe Paris, 123rf.com, Pharos, Muzeul Ivan Patzaichin
Übersetzung/translation: Meike Westerhaus
Autoren/authors:
Christina Arnold, Sabine Geller, Isabella Hafner, Kamilla Halaszy, Daniel Hirsch, Marton Krastev Raluca Nelepcu, Mirella Sidro


30
Jahre nach dem Bosnienkrieg:
„Ich warte in meinem Kopf immer noch darauf, dass der Krieg für mich zu Ende geht“
Am 14. Dezember 1995 wurde das Friedensabkommen von Dayton unterzeichnet. Damit wurde der Krieg in Bosnien und Herzegowina beendet. Die drei Konfliktjahre zwischen 1992 und 1995 waren besonders gewaltvoll und traumatisierend für die Zivilbevölkerung, die unter massiven Kriegsverbrechen, „ethnischen Säuberungen“, Vertreibungen und sexualisierter Kriegsgewalt gelitten hat.
„Dem ganzen Land hätte man nach Kriegsende eine psychologische Therapie verordnen sollen“, sagte eine Mitarbeiterin einer Partnerorganisation von AMICA in Bosnien, die den Krieg im belagerten Sarajevo verbracht hat. Zur Kriegsstrategie gehörte insbesondere Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Es wird geschätzt, dass zwischen 20.000 und 50.000 Frauen Opfer systematischer sexualisierter Kriegsgewalt wurden. 30 Jahre nach Kriegsende sind ihre Wunden immer noch nicht geheilt. „Ja, der Krieg ist vorbei, aber ich warte in meinem Kopf immer noch darauf, dass der Krieg für mich zu Ende geht“, schrieb eine betroffene Frau in ihr Tagebuch. Wie viele andere Frauen, die den Krieg erlebt haben, hat sie bei AMICA Unterstützung und Verbundenheit gefunden.
Wie unterstützt AMICA?
Seit 1993 engagiert sich AMICA in Bosnien und Herzegowina für Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Aus der anfänglichen humanitären Hilfe während des Kriegs entwickelte sich binnen kurzer Zeit ein Modellprojekt der psychosozialen Hilfe für traumatisierte Frauen. Dieses Modell ist bis heute das Fundament der Arbeit von AMICA und beruht auf einem zentralen Grundsatz: Wer mehrfach benachteiligt ist, braucht Stärkung auf mehreren Ebe
nen – psychologisch, medizinisch, juristisch und ökonomisch.
In Bosnien und Herzegowina sind viele Frauen nicht nur schwer traumatisiert. Überlebende von Kriegsgewalt sind außerdem oftmals von Ausgrenzung und Armut betroffen. Besonders in ländlichen, abgelegenen und wirtschaftlich schwachen Regionen haben sie es schwer, ihr Leben (wieder) aufzubauen. Mit dem aktuellen Projekt, das von der Baden-Württemberg Stiftung im Rahmen des Programms Perspektive Donau kofinanziert wird, möchte AMICA diese Frauen stärken. Gemeinsam mit der bosnischen Partnerorganisationen unterstützt AMICA sie ökonomisch und begleitet sie mit psychologischer und sozialer Beratung und fördert ihre Teilhabe in der Gesellschaft, damit sie eigenständig für ihre Rechte stehen können. Besonders belastend für Betroffene sexualisierter Kriegsgewalt sind die Gerichtsverfahren: Den Frauen, die vor Gericht gegen Täter aussagen wollen und/oder eine Entschädigung beanspruchen, hilft AMICA mit kostenloser Rechtsberatung und psychologischer Begleitung vor, während und nach dem Prozess. Über die Jahre haben die individuellen Beratungen und Gruppenangebote von AMICA zahlreiche Frauen erreicht, zunächst in Tuzla, inzwischen in
Sarajevo, Prozor-Rama, Potoci-Vrapčići und Brčko. Daraus sind viele Selbsthilfegruppen entstanden, die bis heute selbstständig arbeiten. Das jüngste Beispiel ist das Haus „Little Women’s Corner“ im Dorf Here. Dieser Ort ist ein geschützter Raum, ein Begegnungsort und eine Ideenwerkstatt für benachteiligte und kriegstraumatisierte Frauen aus der Gemeinde Prozor. Sie unterstützen sich gegenseitig, machen sich gemeinsam stark für den Verkauf ihrer Produkte auf Landwirtschaftsmessen oder erlernen voneinander neue Techniken für ihr Kunsthandwerk. In „Little Women’s Corner“ erleben sie vor allem eine Solidarität, die wohltut und neue Perspektiven schafft. „Nur wenn wir zusammenarbeiten, können wir einen Wandel herbeiführen“, sagte eine Frau nach der Eröffnung des Landfrauentreffs. Genau dieser Gedanke gehört zum Grundsatz von AMICA.
Ein Beitrag von AMICA


www.amica-ev.org/bosnien-herzegowina
10 Jahre danube books VerlagErinnerung an Admiral Mahi´c

Admiral Mahi´c bei einer Lesung


Thomas Zehender, Verleger in Ulm, setzt sich für Europa ein
Admiral Mahi´c, 1952 in Banja Luka geboren, war eine der schillerndsten Figuren der bosnischen Literatur. Seine oft von tiefer Melancholie und existenzieller Reflexion geprägten Gedichte verbanden die Menschen in der Region und darüber hinaus. Auch weil sich seine Lyrik zwischen einer fast surrealen Bildsprache und der harten Realität des Lebens auf dem Balkan bewegte. Mahi´c schrieb über Verlust, Liebe, Krieg und die Sehnsucht nach einer friedlicheren Welt.
Zu seinem zehnten Todestag trafen sich Weggefährten und literarische Größen in Sarajevo, um ihn zu ehren. Unter ihnen war auch Barbara Sax, eine enge Freundin des Avantgardisten. Die Slawistin und Historikerin stellte die zweisprachige Ausgabe (bosnisch/deutsch) vor, die eine Auswahl seiner wichtigsten Werke enthält. Die Idee zu diesem Buch mit dem Titel „Flirrende Visionen / Lepršava priviđenja“ entstand noch zu Lebzeiten von Admiral Mahić. Schon damals vertraute er ihr die Gedichte und die Übersetzung an: „Seine Worte sind von zeitloser Schönheit und tiefer Wahrheit. Er hat die Poesie mit einer fast mystischen Kraft durchdrungen. Dieses Buch ist ein Versuch, seine Stimme weiterleben zu lassen“. Das sieht auch Thomas Zehender, Gründer des Verlags mit dem wunderbar klingenden Namen Danube Books, so: „Der Admiral ist eine für Südosteuropa wichtige literarische Stimme aus dem multikulturellen Sarajevo, wo er eine Ikone der Kunstszene war und ist. Seine kraftvolle und einfühlsame Lyrik
ist Ausdruck eines humanistischen und liberalen Geistes über alle nationalen Grenzen und Kriege hinweg. Damit ist sie eine wichtige Gegenstimme zu den immer noch vorhandenen nationalistischen Tendenzen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien und darüber hinaus. Es passt damit hervorragend zum Motto grenzenlos europäisch von danube books”.
Der Verlag mit Sitz in Deutschland, genauer gesagt in Ulm, füllt eine europäische Nische, die bisher ziemlich leer war. Zehender will Literatur aus Südosteuropa im deutschsprachigen Raum noch bekannter machen. Bisher sind 35 Bücher erschienen, fünf weitere sind im Jahr 2025 geplant. Vor zehn Jahren entschloss sich der Journalist zu diesem Schritt, obwohl viele Verlage und Buchhandlungen aufgaben. Ob er diesen Schritt noch einmal wagen würde? „Ja, aber ich würde Wien als Verlagssitz wählen, weil es hier ein besseres, auch persönliches Netzwerk und ein größeres Interesse am Thema gibt.
Das Interesse an Literatur aus Südosteuropa war ohnehin da. Auch durch die Mitarbeit am Magazin danube connects. Für ihn ist es eine sehr vielfältige Region, die noch viel zu wenig beachtet wird.
Der Verlag danube books setzt mit seinen Publikationen ein wichtiges Zeichen für die Relevanz der Literatur aus dem Donauraum. So auch mit der Sammlung von Mahićs Werken, die erstmals in deutscher Übersetzung veröffentlicht worden sind. Sie trägt dazu bei, dass die einzigartige Stimme des bosnisch-herzegowinischen Bohemiens weiterhin gehört wird und die Erinnerung an ihn lebendig bleibt.
Die Veranstaltung in Sarajevo war eine emotionale Erinnerung an einen Dichter, der die literarische Landschaft Bosniens entscheidend geprägt hat. Die Anwesenden teilten Erinnerungen, lasen Gedichte und diskutierten über die Bedeutung von Mahi´cs Werk in der heutigen Zeit. Dabei wurde deutlich: Seine Worte haben nichts von ihrer Kraft verloren. Sie klingen nach, gerade in einer Welt, die noch immer auf der Suche nach Verständigung und Frieden ist.
Mirella Sidro, Sarajevo
Geschichtsträchtiges Ilok

Eigentlich waren wir nur zur internationalen Konferenz des Sultantrails in die kroatische Stadt Ilok gereist, die an der 2500 Kilometer langen Rad- und Wanderroute von Wien nach Istanbul liegt. Belohnt wurde unser Kommen neben interessanten Vorträgen aus aller Welt mit einer Reise durch mehr als 30.000 Jahre Geschichte auf nur 15 Quadratkilometern!
Ilok, eine kleine, aber geschichtsträchtige Stadt und Gemeinde im Osten Kroatiens an der Grenze zur serbischen Provinz Vojvodina, feiert im Jahr 2025 ihr 500-jähriges Stadtjubiläum. Sie wird auch liebevoll Klein Dubrovnik oder Dubrovnik des Ostens" genannt, da hier wichtige historische Dokumente für die Stadt Dubrovnik unterzeichnet wurden. Doch trotz hervorragender Weine, einer reichen Geschichte und spektakulärer archäologischer Funde ist die Stadt außerhalb der Landesgrenzen kaum bekannt.
Weinbau mit imperialer Note Die Weingeschichte Iloks ist untrennbar mit der Familie Odescalchi verbunden. Im 17. Jahrhundert schenkte Kaiser Leopold I. die Stadt der Adelsfamilie, die hier unter anderem den Traminer einführte. In ihrem ehemaligen Familiensitz direkt am Donauufer befindet sich heute ein Museum. Besonders bekannt ist der Stari Podrum, der älteste Weinkeller Kroatiens aus dem 15.
Ein Highlight des Kellers ist das letzte erhaltene, größte und älteste Fass „Dušica“ aus dem Jahr 1953, das einst stolze 9.076 Liter Wein fasste. Das ei-
SULTANSTRAIL IN KROATIENVon königlichem Wein und Mammuttal

gentliche Juwel des Weinguts ist jedoch das Archiv mit über 8.000 Flaschen, die während des Balkankrieges in den 90er Jahren durch eine Schutzmauer gerettet wurden. Besonders hervorzuheben ist der Traminer des Jahrgangs 1947, der bei der Krönung von Königin Elisabeth II. ausgeschenkt wurde.
Das Mammuttal von Mohovo Nur 15 Kilometer von Ilok entfernt liegt das Dorf Mohovo. Der kleine verschlafene Ort mit nur 200 Einwohnern wurde in der Region bekannt, als der junge Goran Popović 2012 beim Ausheben einer Grube in seinem Garten auf riesige Knochen stieß. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um den Babyzahn eines Mammuts.
Vier Jahre später, im Herbst 2016, fand er nur 500 Meter entfernt weitere Fossilien. Neben Mammuts wurden auch Überreste von Wollnashörnern, Hyänen, Wildpferden und Bisons gefunden. Der Fund rief Wissenschaftler aus Zagreb auf den Plan, die das Gebiet seit Oktober 2024 gründlich untersuchen. Dabei kamen neue Funde ans Licht, darunter ein weiterer Mammutzahn und ein Nashornschädel. Die Fossilien stammen aus der letzten Eiszeit und sind zwischen 18.000 und 30.000 Jahre alt.
Vom Dornröschenschlaf zur Flintstones-Rallye
Die sensationellen Funde erweckten dank Goran die Region zu neuem Leben. Der sympathische Koch gründete 2017 den Verein „Mammoth Valley“, der sich für den Erhalt des kulturellen Erbes und die Förderung der Region
einsetzt. Sein größtes Highlight ist neben dem Mammutmuseum das Mammutfest, das seit 2021 stattfindet. Der Höhepunkt der Veranstaltung, an der auch die Nachbarn aus Serbien von der anderen Seite der Donau teilnehmen: Die Rallye in Nachbauten der Flintstones-Fahrzeuge, die jedes Jahr im Oktober während der Weinlese stattfindet. Wer nicht so lange warten will: Am Ortseingang steht neben einer lebensgroßen Mammutfigur ein Fred-Feuerstein-Auto, das zur Probefahrt einlädt. Nachhaltiger kann Mobilität nicht sein! Außer die Reise mit dem Fahrrad oder per Fuß auf dem Sultanstrail, der hier entlang verläuft.

INFOS: SULTANS TRAIL - Von Wien bis Istanbul Europäische Kulturroute https://www.sultanstrail.net
ILOK
https://visitilok.croatia.hr
Fit
fürs (Arbeits-)Leben.
Ein Pilotprogramm zur Stärkung von life skills bei benachteiligten Jugendlichen in Bosnien-Herzegowina

Pharos e.V. Stuttgart und seine Partnerorganisation in Bosnien-Herzegowina, der Verein Faros, haben zwischen August 2022 und April 2023 mit rund 40 Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien gearbeitet – viele von ihnen gehören der Minderheit der Roma an. Das Projekt wurde im Rahmen des Programms Perspektive Donau der Baden-Württemberg Stiftung sowie mit Förderung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) durchgeführt.
Ziel war es, die Resilienz der Teilnehmenden zu stärken und wichtige Lebenskompetenzen zu fördern. Ergänzend zu vier Wochenend-Workshops erhielten sie individuelle Unterstützung durch vier persönliche Coachinggespräche sowie ein monatliches Stipendium. Alle Teilnehmenden sind Schülerinnen und Schüler berufsbildender Schulen. Ingrid Halbritter, Projektkoordinatorin bei Pharos e.V. Stuttgart berichtet:
Was hat sich bei den Jugendlichen durch das Bildungsangebot verändert?
Die pädagogische Fakultät der Universität in Zenica hat das Programm evaluiert. Die Auswertung ergibt, dass die Jugendlichen in Bezug auf Selbstwahrnehmung und soziale Fähigkeiten Fortschritte gemacht haben und somit die Projektziele erreicht wurden. Die dokumentierten Aussagen aus den Interviews sind motivierend: „Ich habe gelernt, etwas Nützliches aus meinem Leben zu machen“, „Ich kann mich mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen
verbinden und kommuniziere besser“, „Ich habe mehr Selbstvertrauen (…)“, „Ich kann jetzt vor einer Gruppe angstfrei sprechen“. Dies ist eine kleine Auswahl von etwa hundert Aussagen, die alle in diese Richtung gehen.
Und wie sind Ihre persönlichen Eindrücke gewesen?
Wir – vier Teamerinnen - sind in diesen Monaten 40 jungen Menschen, 40 Universen nähergekommen. In den Sternstunden waren wir berührt, wie einige von ihnen plötzlich ihre Schutzpanzer ablegten und ihren Schmerz und Frust mit uns teilen konnten. Einzelne, die aus besonders schwierigen Familienverhältnissen mit viel Gewalt stammen, wagten es, sich uns anzuvertrauen. Ein Junge bat unsere Psychotherapeutin um ein Therapiegespräch wegen einer Depression. Ein anderer Junge mit körperlichen Einschränkungen wurde sichtlich selbständiger und gehörte so richtig dazu.
Gab es für Sie besonders einprägsame Momente?
Bei der Arbeit zum Thema „Vorurteile, Stereotype und Glaubenssätze“ fiel bei den meisten der Groschen. Sie konnten mit faszinierender Klarheit selbst erkennen, dass die Stereotype, die sie zunächst für wahr hielten, ihrem Leben in der Regel nicht dienlich sind und sie die Freiheit haben, sich für andere Werte zu entscheiden. Über die Zeit hinweg war klar wahrnehmbar, dass es den meisten mit jedem Workshop leichter fiel, ihre Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und in Worte zu fassen.
Gab es auch Herausforderungen?
Immer wieder saßen wir im Plenum und hatten keine Chance, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Einmal war bei Workshopbeginn niemand da, weil sie nach einer durchfeierten Nacht zu müde waren, um aufzustehen. Ich war oft berührt und erfüllt mit ihnen; dominierend war jedoch ein Gefühl von Trauer und Hilflosigkeit.
Warum?
Sie haben so einen schweren Start ins Leben durch den Kontext, in dem sie aufwachsen: Armut, Ausgrenzung, ein Elternhaus mit körperlicher und psychischer Gewalt und unglücklichen Beziehungen, Drogenmissbrauch, Mangel an Geborgenheit und Förderung.
Was braucht es, damit sich diese Jugendlichen zu resilienten Erwachsenen entwickeln können?
Es bräuchte einerseits sehr viel, damit sie sich zu gesunden Erwachsenen entwickeln können, und wir können ihnen nur dieses bisschen geben. Und andererseits weiß ich, dass es manchmal nicht viel braucht, um das Herz zu stärken. Noch heute nährt mich der liebevolle Umgang eines Lehrers im Gymnasium. Unser pädagogisches Team ist sich einig: Ja! Es hat sich gelohnt! Und: Es braucht mehr solcher Angebote!
