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Vence & Saint-Paul de-Vence

Saint-Paul-de-Vence ist wohl der bekannteste Ort an der Côte d’Azur. Das Nachbardorf Vence ist vielleicht weniger bekannt, war aber vor 100 Jahren ebenso beliebt bei Künstlern. Die Fotografin Rebecca Marshall lebt dort und verrät die Insidertipps der Einheimischen.

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Vence

„Bonjour Rebecca!“ Der Postbote saust auf seinem gelben Moped an der Terrasse meines Lieblingscafés vorbei, das die Kellner liebevoll mein „Büro“ nennen, denn hier tippe ich häufig meine Texte. Die Platanen filtern den goldenen Schein der Morgensonne, während Passanten auf dem Weg zur Arbeit einen schnellen Kaffee trinken. Ich lebe jetzt seit zwölf Jahren in Vence und es wird nie langweilig.

„Als ich 1988 meine Buchhandlung eröffnete, konnte man morgens noch im Café Le Clémenceau 50 Maler beim Kaffee beobachten“, sagt Didier Bonnet von La Librairie de la Basse Fontaine. Das Antiquariat ist spezialisiert auf Kunstbücher und seltene Drucke, die bisweilen fünfstellige Beträge erzielen. An der Wand hängen Gemälde, die er von seinen künstlerischen Kunden gekauft hat. Didiers derzeitige Kundschaft ist jedoch nicht von hier. „Die Côte d'Azur ist international ausgerichtet und Vence ist bekannt bei Kunstinteressierten“, sagt er. Seine Kunden besitzen Rennpferde oder Schlösser, aber sie alle sind von dem kleinen Dorf angetan.

„Ein Millionärspaar aus Deutschland kam zu mir, um eine seltene Ausgabe des Gedichtbandes

L'Amour von Stendhal von 1823 zu kaufen, von dem es weltweit nur drei oder vier Exemplare gibt. Sie waren hungrig, wollten aber nicht in der Öffentlich­ keit essen, also bestellte ich im Restaurant N'Essence des Sens das Tagesgericht. Ich habe ein Tischtuch über meinen Schreibtisch gelegt und wir haben hier im Laden gegessen. Sie liebten es!“

Filme, Gastronomie & neue Kunst

Die 28 ­jährige Leila Chaix gehört zu der neuen Generation Künstler. Ihrer Meinung nach sind die Zeiten des alten Künstlerdorfs längst vergangen.

„Vence poliert seine Vergangenheit für die Außenwelt auf“, sagt sie. Sie wurde in Vence geboren, besuchte aber mit 18 Jahren eine Kunstschule in Paris. Doch sie folgte dem Ruf ihres Heimatdorfs und zog vor kurzem in das alte Haus ihrer Großeltern. „Nach Paris fühlt sich Vence klein an, aber ich finde hier die Ruhe, die ich für meine Arbeit brauche“, sagt sie. Vence ist teuer geworden, findet sie. „Die einheimischen Künstler haben nur ein

Links: Blick auf Vence. Diese Seite im Uhrzeigersinn: Straßenbild in Vence; Antiquar Didier Bonnet; Künstlerin Leila Chaix.

Im Uhrzeigersinn: Straße in Vence; Villa Le Rêve in Vence, das Haus, in dem Matisse lebte (das man mieten kann, siehe villalerevevence.com);

Maître-Fromager

Thomas Métin; die Kinoliebhaberin Chantal Aurella.

Vence Damals

La Baou des Blancs, der dramatische Kalksteinfelsen, der Vence überragt, war bereits in der Eisenzeit besiedelt. Die mittelalterlichen Ruinen können besichtigt werden, nach einem schönen Spaziergang von der Avenue du Maréchal Joffre aus entlang eines gelb markierten Weges. Die Kathedrale aus dem 11. Jh innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern der Altstadt ist die kleinste in Frankreich und die einzige mit einem Mosaik von Marc Chagall. Während des Zweiten Weltkriegs zog Matisse von Nizza nach Vence. Er ließ dort eine Kapelle errichten, die das meistbesuchte Wahrzeichen von Vence ist. Andere Künstler folgten: Chagall, Dubuffet, Soutine und Dufy, die Fotografen Henri Cartier-Bresson und Brassaï sowie die Schriftsteller D.H. Lawrence, Jacques Prévert und Witold Gombrowicz. In den 1950er und 1960er Jahren entwickelte sich Vence zu einem echten Künstlerdorf.

begrenztes Einkommen, so dass die echte Bohème größtenteils weg ist. Auch die Kunst selbst hat sich verändert. Wir machen Illustrationen, Rap oder Science Fiction, nicht mehr nur Gemälde.“ Auch das Kino hat seine Spuren hinterlassen. Die Physiotherapeutin Chantal ist eine bekennende Cineastin. Als sie vor 30 Jahren nach Vence zog, wurde das kleine unabhängige Filmhaus des Dorfes ihr zweites Zuhause. Es zeigt ein breites Spektrum an Filmen, es gibt einen wöchentlichen Filmclub und jedes Jahr im November ein zehntägiges Filmfestival, Les Rencontres. „Es ist in der ganzen Region wegen der exklusiven Premieren und der hervorragenden Schauspieler und Regisseure bekannt, die hier ihre Werke zeigen. Unglaublich, dass ein so kleines Dorf ein solches Festival hat!“

Chantal erklärt, dass Vence auch oft als Drehort genutzt wurde. So spielt beispielsweise Renoirs erster Film Une vie sans joie (1924) hier; Walt Disney hat den Col de Vence mehrfach als Drehort genutzt und 2014 wurde Woody Allens Magic in the Moonlight teilweise hier gedreht.

Die natürliche Vegetation auf den trockenen, steinigen Hügeln oberhalb von Vence wird als Garrigue bezeichnet. Ziegen sind die einzigen Tiere, die hier weiden können, erklärt Thomas Métin. Er ist ein führender Maître ­Fromager und der einzige Käseverkäufer in der Region, der über eine eigene Cave d'affinage, also einen Reifekeller, verfügt. „Vence ist ein gastronomisches Juwel. Die Rue du Marché ist eine der wenigen Fußgängerzonen in der Gegend, in der es mehr Geschäfte mit frischen Lebensmitteln als mit Souvenirs gibt.“ Welches ist der beste Ziegenkäse aus der Region, den man probieren sollte? Le banon fermier, sagt er ohne zu zögern, ein in Kastanienblätter eingewickelter Käse. „Dieser hat meiner Meinung nach das komplexeste Aroma.“