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Auslese Auf dem Sofa nach Frankreich reisen

Ein Roadtrip gegen die Trauer

Palma ist elf Jahre alt, als ihr Vater plötzlich stirbt. Noch während die Familie trauert, beschließt die Mutter auf die Insel La Réunion zu ziehen. Es ist die erste von vielen Stationen, an denen Palma und ihre beiden Brüder in den folgenden Jahren leben. Der hoch begabte Victor vertreibt sich die Zeit, indem er Schach gegen sich selbst spielt. Charles hingegen wendet sich weniger redlichen Beschäftigungen zu: Er findet Gefallen an Glücksspielen und Autoknacken. Während sich die Mutter ihrer Melancholie hingibt, neigt die zunehmend desillusionierte Palma zum Sarkasmus. So etwas wie einen Lebenssinn erkennt die Familie erst, als sie von Lanvin erfahren, dem ihr Vater eine Menge Geld schuldete. Gemeinsam fassen sie einen Plan, den Störenfried loszuwerden. So nimmt eine ebenso amüsante wie nachdenklich Geschichte ihren Lauf, die zwischen Roadtrip und Entwicklungsroman changiert. Villa Royale, Emmanuelle Fournier-Lorentz, Dörlemann Verlag, €25

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Ein Verlust und viel Freude

Eine Familie bekommt Nachwuchs. Erst nach einigen Monaten merken die Eltern, dass der charakterlich sanftmütige Sprössling seinen Kopf nicht aus eigener Kraft hochhalten kann und sein Blick ziellos umherschweift. Fortan ist für Eltern und Geschwister nichts mehr, wie es war. So geht der große Bruder voll in der Pflege des Benachteiligten auf, während die Schwester sich nicht damit abfinden mag, dass das hilflose Wesen einen riesigen Schatten auf ihr Leben wirft.

Dieses Plot klingt nach schwerem Stoff, doch Autorin Dupont-Monod (1973) bringt mit der autobiografisch eingefärbten Geschichte etwas anderes zum Ausdruck: Der Verlust eines Menschen ist schlimm, aber die Freude ihn gekannt zu haben, wiegt schwerer. Eine Botschaft, die in Frankreich auch bei jungen Menschen ankommt: Brüderchen wurde 2021 mit dem Prix Goncourt des lycéens ausgezeichnet, über dessen Vergabe Gymnasiasten entscheiden.

Clara Dupont-Monod, Brüderchen, Piper Verlag, € 22

Retro-Reiseführer

In der Erinnerung ist die Vergangenheit oft schöner, als dies tatsächlich der Fall gewesen ist. Dieses auch als Nostalgie bekannte Gefühl bildet den Ausgangspunkt für eine neue Reihe im Kunth-Verlag, die gewissermaßen als Reiseführer in die Vergangenheit fungiert. Mit Hilfe von Retro-Fotos haben die Leser Gelegenheit, zurück in das Deauville zu reisen, das die Pariser Boheme bereits Ende des 19. Jh. aufgesucht hat, oder Cabourg eine Visite abzustatten, wo Marcel Proust zu urlauben pflegte. Das Buch aber beschränkt sich nicht auf Retro-Fotos, sondern besucht auch Orte von historischer Bewandtnis, um deren heutigen Zustand abzubilden, zum Beispiel Monets bekannten Garten in Giverny. Schön!

Heute so schön wie damals - Legendäre Urlaubsort in Frankreich, Kunth, € 29,95

Das große Schweigen

Bernard lebt in einem unscheinbaren Bergdorf, ist Mitte 60 und Alkoholiker. Als er seiner Schwester zum Geburtstag eine teure Brosche schenkt, erregt dies den Argwohn seines Umfeldes. Woher hat der Taugenichts das viele Geld? Bald schlägt der Verdacht in Aggressionen um, die Bernard seinerseits an seinen algerischen Nachbars auslässt. Anfang versteht niemand, was vor sich geht, doch dann tritt Bernards Cousin Rabut in Erscheinung, der Jahrzehnte zuvor mit Bernard in Algerien stationiert war. Schritt für Schritt tritt eine Biografie zutage, die von unerfüllter Liebe und der Hitze des Hochlands geprägt ist, wo Gewalt und Verzweiflung herrschen. Ein Plot, mit dem Laurent Mauvignier (1967) an das Grauen des Algerien-Krieges erinnert, das auch mehr als 40 Jahren später noch schwer in Worte zu fassen ist. Zentrales Thema des Romans ist denn auch das Schweigen - sei es kollektiv oder in der Familie.

Laurent Mauvigner, Von Menschen, Wagenbach €15