2 minute read

Nur die Sonne trotzt dem Regen

Tür auf. Tür zu. Und wieder auf. Die Katze weiß nicht, was sie will, setzt zögerlich eine Pfote in die Nässe, aber nur eine. Flugs ist sie wieder drinnen, maunzt unzufrieden und starrt den Rest des Tages missmutig in den Regen. Raus ist nicht. Es regnet, mon dieu! Seit drei Tagen und Nächten. Es ist grau und kalt. Und für morgen ist weiterhin Regen angesagt. „Na und?“, sagen Sie vielleicht und zucken mit den Schultern, „So ist das im Winter“. „Aber hallo!“, sage ich, „Wir sind in Cannes!“ Hier haben wir nach drei Tagen Regen schon dramatische Zeitungsüberschriften über den langen und ungemütlichen Winter. Sollen wir uns gleich aufhängen? Oder im Meer ertränken? Wir könnten uns auch einfach unter die laut platschenden Wassermassen einer der vielen überlaufenden Regenrinnen stellen, und uns langsam wegschwemmen lassen. Sie lachen? Ich sag’s Ihnen, bei jedem heftigen Regen passiert das hier. Menschen verschwinden über Kilometer in der Kanalisation und werden irgendwo halb ertrunken kurz vor dem Meer wie von Wunderhand errettet. Oder auch nicht. Die Zeitung ist jedes Jahr wieder voll von diesen aufwühlenden Geschichten. Wehe es regnet!

Anfangs habe ich mich über die Hilflosigkeit der Südfranzosen bei Regenwetter lustig gemacht. Aber ich habe nun schon das eine oder andere heftige Gewitter miterlebt, bei dem ganze Landstriche überschwemmt und verwüstet wurden. In der Stadt ist manch einer in der Tiefgarage ertrunken, weil er versucht hatte, schnell noch sein Auto vor dem Hochwasser zu retten. Uns schwamm vor ein paar Jahren eine Büchersammlung davon, das ist vergleichsweise Nichts, aber seither nehme ich es ernst, wenn Météo France

Advertisement

Alarmstufe Rot ausruft.

Derzeit geht zwar nur ein sanfter Landregen über der Côte nieder, aber schon am dritten Tag sind die Menschen zutiefst deprimiert. Man kann ja nicht raus, wenn es so regnet – logisch, wenn man bei jedem Schritt Angst haben muss, in einem Gully zu versinken, bleibt man besser drinnen. Die Menschen hier sind aber nicht für drinnen gemacht. Und die winzigen Wohnungen oft ebenso wenig. Feucht, kalt, schlecht isoliert, schlecht zu heizen, schlecht schließende Fenster, brrr. Wer denkt im Süden schon an Isolierung und gute Fenster? Also flüchtet man sich besser in ein Bistro, da gibt es Heizstrahler und andere Menschen, mit denen man verdrießlich übers Wetter reden kann. Dies ist ein Sonnenland! Bei Regen funktioniert das Leben hier nur halb. Sie haben einen Termin mit einem Handwerker? Er kommt nicht? Na, das müssen Sie verstehen, bei dem Wetter! Die Bauarbeiter, die mir tagelang mit ihren Presslufthämmern den Kopf und das Haus dröhnen ließen, stehen rauchend und fluchend unter einem Balkon und telefonieren mit ihrem Chef, ob sie wirklich hier und heute arbeiten müssen, es regne doch, merde! Einzig die afrikanischen Straßenhändler trotzen dem Wetter und bieten an strategisch geschickten Orten freundlich lächelnd Regenschirme zum Verkauf an. Der Preis variiert je nach Wetterlage. Das Regenschirmbusiness funktioniert. Angeblich ist Nizza weltweit der Ort mit dem höchsten Regenschirmumsatz:

Regenschirme sind in diesem Sonnenland quasi Einweg produkte. Hier gibt es auch keine praktische Regenkleidung. Also, die gäbe es schon, aber erstens besitzt sie niemand – lohnt sich ja nicht für die paar Mal, die es hier regnet, und zweitens, wer trägt denn so was bitte? Wir sind an der Côte d’Azur! Mit Funktionsjacke und festem Schuhwerk laufen bei Regen allenfalls deutsche Touristen herum. Die Verachtung der Südfranzosen, vor allem der Südfranzösinnen ist ihnen gewiss. Hier wird bei jedem Wetter dekorativ weitergestöckelt.

Ich persönlich mag es, wenn es regnet, weil dieses Wetter mich zu nichts Aktivem verpflichtet, endlich kann ich, genau wie die in der Zwischenzeit resigniert eingerollte Katze, auf dem Sofa dösen, lesen und einen Tee trinken. Etwas, was ich bei strahlendem Sonnenschein einfach nicht vermag. Es kommt auch niemand und keiner erwartet, dass ich irgendwohin gehe. Wir wollen ja nicht schuld sein, wenn jemand in die Kanalisation fällt. Sagen Sie es nicht weiter, aber ich genieße diese kleine Auszeit vom trubeligen Côte d’Azur-Dasein. Auch wenn die stürmische Wetterberichterstattung anderes vermuten ließe, sehr lange dauert der Regen nie. Unvermittelt reißt der Himmel wieder auf und danach ist er verlässlich blau. Und auch wenn die Südfranzosen es nicht wahrhaben möchten, so bleibt sie dann, die Sonne. Mindestens bis Ende des Jahres.