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Die orangefarbenen Felsnadeln ragen aus dem Wald hervor. Der Panoramaweg balanciert derweil

über weiße Felsen

Diese Seite, oben: Künstlerin neben ihrem Geschäft in Roussillon; unten: die ockerfarbenen Wände von Roussillon.

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Rechts: Place du Septier in Apt, der zentralen Stadt im Okerland.

gewinnen. Die vielen Steinbrüche hinterließen eine bizarre Landschaft, die heute mitsamt ihrer Flora und Fauna geschützt ist. Sie erinnert stark an den Westen der USA. In einer „Sahara“ genannten Sandebene, die als zentraler Platz des Naturschutzgebiets fungiert, herrscht reges Treiben. Drumherum ist es nicht weniger schön, aber sogar in der Hochsaison wesentlich leerer. Ein Beispiel ist der Belvédère-Weg mit seinen vielen Aussichtspunkten, von denen der wichtigste die orangefarbenen Felsnadeln überblickt, die man vor Ort als Chéminées de Fées bezeichnet. Andernorts balanciert dieser Panoramaweg über weiße Felsen, wo das Mineral Ocker aus dem Sandstein ausgewaschen wurde. Zurück blieb nur Kaolin, also weiße Tonerde, ein Rohstoff für Porzellan. Etwas weiter von der „Sahara“ entfernt gibt es in diesem Naturschutzgebiet auch ruhigere Ecken, in die sich kaum jemand vorwagt. Hier machen wir unsere spannendste Entdeckung.

Verzauberter Ort

Als wir einem Pfad aus schneeweißem Sand durch den Wald folgen, sehen wir plötzlich eine kleine Abzweigung, die zwischen den Bäumen zu einem geheimnisvollen, dunklen Loch wird. Sie führt uns zu einem verlassenen Stollen im vielleicht rötesten Ocker der Region. Der im Wald gelegene Ort mutet fast ein wenig magisch an. Ein von Hand erbauter Tunnel bohrt sich mitten durch einen Hügel, um auf der anderen Seite über einem Abgrund zu enden. Wir haben einen Stollen „entdeckt“, der auf keiner Karte verzeichnet ist, das macht uns neugierig. Wir wollen mehr über den Bergbau hier erfahren. Also fahren wir zu den Mines de Bruoux in der Nähe von Gargas, wo die Geschichte des Ockerabbaus erklärt wird. Das viel größere ehemalige Bergbaugebiet ist öffentlich zugänglich. Insgesamt 40 Kilometer Stollen durchziehen ein Plateau von zehn Quadratkilometern Größe. Von 1884 bis 1950 wurde hier Ocker abgebaut, vor allem von Bauern, die sich im Winter und am frühen Morgen etwas dazuverdienen wollten. Schulter an Schulter trieben sie von Hand die Stollen in den Berg, der eine Kumpel schlug die rechte Wand, der andere die ›

Oben links: jeder Arbeiter in der Ockerfabrik trug einen Kittel in der Farbe „seines“ Ockers, daneben: Rachael Pignatel vom Pigmentgeschäft Le Comptoir des Ocres in Roussillon. Rechts: der Ockerweg, in der Nähe von Roussillon. Nächste Doppelseite links: der Weg zu den Burgruinen von Saint-Saturnin-lesApt führt durch ein Tor. Rechts: Vater und Sohn beim Päuschen in Roussillon, verlassener Stollen im Colorado der Provence.

Linke. Das erforderte ebenso viele links- wie rechtshändige Bergleute. Die selteneren Linkshänder wurden daher besser bezahlt. Heute sind die stillgelegten Stollen ein Rückzugsort für Fledermäuse.

Farbexplosion

Doch was genau wurde eigentlich in dem Ockerfelsen gemacht? Etwas außerhalb des Dorfes Roussillon steht die verfallene Ockerfabrik Usine Mathieu, die von 1921 bis 1963 in Betrieb war. Heute beherbergt das Gebäude ein Museum und eine Kreativschmiede, in der Besucher in Workshops alles über Pigmente, Gips und Farbe lernen können. Die dazugehörige Buchhandlung ist eine Fundgrube, die sich auf das Thema spezialisiert hat. Spannend sind auch die Mühlen, jene Räume, in denen die Arbeiter den reinen, in der Sonne getrockneten Ocker zu Pulver verarbeitet haben. Anschließend verschickten sie ihn in Holzfässern an Kunden in aller Welt.

In der Mühle ist alles mit ockerfarbenem Staub bedeckt, als wäre hier ein Farbeimer explodiert: die Maschinen, die Antriebsriemen der Zahnräder, die Wände und Decken. Nicht einmal die Arbeiter wurden verschont. Da jede Mühle ihren eigenen Ockerton produzierte und die Pigmente auf keinen Fall vermischt werden durften, arbeiteten die Menschen jeweils fest in einer Mühle. Das zeigt sich im wohl amüsantsten Raum: der Kaue, wo die Arbeiter ihre Kittel aufgehängt haben. Jeder trug einen Kittel mit individueller Farbe, die genau dem von ihm verarbeiteten Ocker entsprach, weil der Staub die Kleidung sonst ohnehin so eingefärbt hätte.

Falls Sie das Ockerland besuchen, denken Sie also daran, dass Ocker ein widerstandsfähiges farbechtes Pigment ist. Es eignet sich fantastisch zum Anstreichen oder Verputzen. Aber es nicht gut für Ihre Kleidung. Hätte ich das nur vorher gewusst. Nicht nur meine weißen Socken, mit denen ich auf dem Ockerweg gewandert bin und die ich bei allen anderen Aktivitäten getragen habe, sondern auch mein neuer provenzalischer Strohhut leuchtet jetzt ockergelb.