Horizont Ars Electronica Review 2015

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HORIZONT No 39

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Re:think the City Wie werden wir morgen leben? Mit dieser Frage wandte sich das Organisationsteam der diesjährigen Ars Electronica an Künstler, Wissenschaftler, Experten und Teilnehmer des fünftägigen Events in Linz Text von Daniela Krautsack Im Zentrum des zukunftsweisenden Festivals Ars Electronica stand heuer das Motto „Post City – Lebensräume im 21. Jahrhundert“. „Die Stadt ist“, und das wird in den vielen Symposien und bei der Gala im Brucknerhaus von Gerfried Stocker, dem kongenialen künstlerischen Vater des Festivals immer wieder erwähnt, „die erfolgreichste Überlebensstrategie und das größte Experiment der Menschheit“. Stocker: „Das Festival nützt die Idee von Stadt, um auf Zukunftsentwicklungen zu blicken. Wir haben heuer die außergewöhnliche Möglichkeit erhalten, im ehemaligen Postlogistikzentrum am Bahnhof eine Festivalstadt zu errichten. Wir haben sie Post City getauft, ein interessantes Wortspiel mit der ‚Stadt danach‘, also der Stadt der Zukunft

und der Location der Post City.“ Dort wurden auf einer Fläche von mehreren Zehntausend Quadratmetern Ausstellungen, Inszenierungsräume und eine eigene Konzerthalle eingerichtet, um über „die Stadt“ nachzudenken. Stocker meint überzeugt: „Vielleicht nimmt sich der eine oder andere neue Ideen mit nach Hause und arbeitet selbst an der Gestaltung seiner Stadt mit.“ Future mal vier Der Fokus des Festival-Parcours in der Post City liegt auf vier Themenkreisen: Future Mobility, Future Work, Future Citizen und Future Resilience. Die Stadt als Verkehrsknotenpunkt, als Arbeits- und Marktplatz, als Ort der Gemeinschaft und die Stadt als Zufluchtsort. Im Ausstellungsbereich Future Mobility begeistert der Anblick von avantgardistischen Elektromotorrädern und

Flugobjekten, die mit der visuellen Anmut eines Rochens durch die Lüfte schweben. Bionische Beinprothesen erkennen Bewegungswünsche im Voraus und bei der Begegnung mit Halluc II, einem Robotergefährt auf acht Rädern, das mit der Größe eines Chihuahua und der Performance einer tanzenden Kakerlake besticht, weiß man nicht, ob man es umarmen oder davonrennen will. Lustiger als der Bewegungsspielraum der zahlreichen Roboter aus japanischen Forscher-Laboratorien sind nur deren Erfinder selbst. Unglaublich komisch der Gewinner des Prix Ars Electronica in der Kategorie Digital Music & Sound Art, der auf die Frage nach seinem Background sein Tablet zückt und in gebrochenem Englisch liest: „I had a company that produced computer equipment. One day a German company asked me to sell it. So I sold it. They were happy. I was happy too. Then I became an artist.“ Die Wahl Nelo Akamatsus als Preisträger war umstritten. Stocker erklärt die Entscheidung so: „Akamatsu ist weder Komponist noch Musiker noch Klangkünster. Sein Projekt ist jedoch so interessant und herausragend im Bereich Sound Art, dass es aus hunderten Einreichungen hervorstach.“ Vom Computer-Equipment-Unternehmer also zum Oscar-Preisträger digitaler Medienkunst. Wer den Arm eines Kuka-Roboters nicht selbst in der Hand gehalten hat, wird die vibrierende Faszination, die Technik der Zukunft zu berühren, nicht verstehen. Das bietet dieses immer wieder auf neue überraschende Spektakel. Objekte zu berühren, mit denen Tom Cruise nur auf der Kinoleinwand hantiert. Mit Vordenkern über den Einsatz von Zukunftstechnologien des 22. Jahrhunderts sinnieren. Im Future Innovators Summit wurde im Kontext des Future-Cata-

Die Pflanzenkleider der slowakischen Künstlerin Dorota Sadovská werden als botanische Epidermis interpretiert. Die Grasbüschel symbolisieren Haare, die den Körper darunter schützen. © D. Sadovská

Das Ars Electronica Festival macht für seine Besucher alljährlich die Zukunft sichtbar – an der Schnittstelle von Kunst und Technologie. © D. Krautsack

„Post City“ als Wortspiel in doppeldeutigem Sinn. Location Highlight war das ehemalige Postverteilzentrum, in dem es sich alles um die „Stadt danach“ drehte. © F. Voggeneder

Upcycling hieß das Motto für die Post-CityEinrichtungsdeko und den einen oder anderen Festivalbesucher. © D. Krautsack

Die ‚Diaspora Maschine’ von Peter Androsch und Anatol widmete sich dem Thema der zukünftigen Stadt als einer von Zuwanderung geprägten. Die gigantischen Paketrutschen im ehemaligen Postverteilzentrum stehen für eine Analogie zum Vorhaben, Flüchtlinge über ganz Europa zu verteilen. Sänger, Bläser und Schlagzeuger schufen einen wunderbaren Klangraum. © F. Voggeneder


25. September 2015

lyst-Programms an der Entwicklung von Post City Kits, dem Instrumentarium an Ideen, Strategien, Werkzeugen und Prototypen fĂźr die Stadt von morgen, gearbeitet. Karl Pletschko, CEO des heimischen Unternehmens Mopius, wurde fĂźr jene Gruppe ausgewählt, die der Frage „Wie smart darf eine Stadt noch sein, ohne dass wir uns vor dem Leben dort fĂźrchten mĂźssen?“ nachging. „Die Diskussionen in der Gruppe waren anstrengend“, informiert Pletschko und detailliert, „aber sehr spannend. Als sich Hiroshi Ishii, unser Mentor vom MIT Media Lab, am vorletzten Tag unsere Ideen anhĂśrte und meinte, dass alles, was wir entwickelt haben, vollkommener Schwachsinn sei, konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Am nächsten Morgen hatte ich dann die Idee. Wir hatten zu unstrukturiert gedacht. Ich habe also den Mensch und nicht den BĂźrger ins Zentrum der Stadt gerĂźckt und ein Service- und BedĂźrfnissystem mittels Farbschema rund um ihn konstruiert. Damit hatten wir unsere Idee.“ Post-City im Fokus Die vielen Locations, die das Festival umspannt, erfordern eine gute Planung, um sich einerseits auf Themen, die man beruflich interessant findet, konzentrieren zu kĂśnnen, anderseits da einen spannenden Vortrag oder dort die temporär angesetzten Performances mitnehmen zu kĂśnnen. Ein Fokus ist dieses Jahr die Post-City, die Kunst-Uni und der Deep Space, und immer Ăśfter wirkt der Sektor der Future Mobility anziehend. Es muss das Zukunftsauto von Daimler sein, das da die Besucher wie magisch anzieht. „Mobilität ist Stress“, ist der erste Satz von Daimler-Zukunftsforscher Alexander Mankowsky im Interview. „Ein Beitrag zur Stressbewältigung liegt in der Automatisierung und im

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Das erste Ăśsterreichische Elektromotorrad des oberĂśsterreichischen Maschinenbauers Hammerschmid hat Ă„hnlichkeit mit Batman’s Batpod und gilt bereits jetzt als Nischenprodukt mit Kultstatus. Š D. Krautsack

individuell selbstbestimmten Umgang mit dem Verkehr. Remote Parking wird viel Entlastung bringen, ebenso wie autonom fahrende ‚People Movers‘, die als Zubringer von Vorstadtbewohnern ins Zentrum fungieren. Die Aufgabenstellung des Automobils von morgen lautet ‚Dual Use‘. Man geht arbeiten und schickt sein Auto zu Freunden, die es fĂźr einen Umzug brauchen oder zum Nachbarn, der damit als Uber-Chauffeur unterwegs ist. Ein Ăźberschaubarer Kreis von Menschen teilt sich diese Zukunftswägen“, erzählt Mankowsky seine Visionen. Die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine werde eine groĂ&#x;e Rolle spielen. „Beim Mercedes F 015 projizieren wir mit Lichtsignalen einen FuĂ&#x;gängerstreifen auf die StraĂ&#x;e, um den FuĂ&#x;gänger wissen zu lassen, dass ihn das Automobil erkannt hat und er die StraĂ&#x;e Ăźberqueren kann. Wir mĂźssen dem Auto soziale Wahrnehmung und Improvisationstalent beibringen“, so Mankowsky. Menschli-

Unter den Future Innovators befand sich der Üsterreichische Mobiltechnologie-Experte Karl Pletschko. Mentor Hiroshi Ishii bereitete schlaflose Nächte.

che Eigenschaften fĂźr eine Maschine also? „Wir wollen, dass das Fahrzeug anhält, wenn es etwas nicht versteht und einen Menschen befragt, der dann auswählt, welche ManĂśver es vollfĂźhren muss. Daher wird es einen FĂźhrerschein fĂźr automatisiertes Fahren geben. Man wird also in Zukunft nicht lenken lernen mĂźssen, aber die Verantwortung fĂźr das Fahrzeug tragen und dem Auto sagen, was es tun soll“, so der Forscher. Und welchen Rat geben Sie einem 16-Jährigen, der gerade seinen FĂźhrerschein machen mĂśchte, fĂźr die Zukunft? Mankowsky: „Einen sehr einfa-

Der selbstfahrende Mercedes-Benz F 015 wird laut Zukunftsforscher Mankowsky in 20 Jahren durch unsere Städte cruisen. Š F. Voggeneder

chen: Er soll sich seine Talente ansehen und herausfinden, welche davon repetitiv und algorithmisierbar sind. Und dann auf jene Talente fokussieren, die nicht automatisierbar sind, und diese weiterentwickeln“, lacht er. Was hält der Ausblick ins Jahr 2050 also Spannendes fĂźr uns bereit? Mankowsky: „Was auch immer es ist, fliegende Autos wird es nicht geben. DafĂźr gibt es noch keine wissenschaftliche Antwort. Auch wenn mit Gravitation und Magnetschwebetechnik herumexperimentiert wird. Manches, das aus dem MIT kommt, ist doch eher metaphorisch zu sehen. Bei all den Ideen,

Lithium am Mond ab- und Habitats am Mars aufzubauen, wäre es mir lieber, wenn sich Menschen um die Erde kßmmern wßrden. Wer zu viel Energie in sich spßrt, dem wßrde ich sagen: Es HJCU IJFS HFOVH [V UVO i r Daniela Krautsack ist Geschäftsfßhrerin der Civic Innovation Agency Cities Next, mit der Mission, die Intelligenz von Bßrgern zur LÜsung von Stadtproblemen zu nutzen. Š Cows in Jackets

Ab heute leben Sie viel gesĂźnder!

Š D. Krautsack

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PAN! von Corentin Bertho, Christine Lumineau, Parnian Haghbin und Ana Cristina Villegas erforscht die Beziehung zwischen Papier und digitaler Medienkunst und zeigt MÜglichkeiten und Limitationen beim Storytelling und der Datentransformation von Bild auf Videoanimation auf. Š C. Lumineau

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