Horizont - Ars Electronica Review 2014

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Agenturen

HORIZONT No 38

Etats · Kampagnen · Konzeptionen

Eine neue Form des Graffiti entsteht bei jedem Regentropfen. © FotoFilip

Die Helmkamera erlaubt dem Träger, seine Umwelt nur durch eine mindestens zehnsekündige Berührung eines anderen zu sehen. © Tom Mesic

© Florian Voggeneder

Die Passwörter am Tor zur Veränderung: Partizipation und Kooperation Das Ars Electronica Festival 2014 bot keine definitiven Lösungen, sondern – viel spannender – es lud zum Diskurs darüber ein. Das Ergebnis ist eindeutig und heißt ‚Partizipation und Kooperation‘ This. Here and Now. With you. Die Worte des Tattoos am Arm eines ArsElectronica-Mitarbeiters sprechen aus, was jeder Teilnehmer dieser lokalen Denkwerkstatt globaler Visionäre fühlt. Es geht beim Motto 2014 um ein Miteinander, Teilnehmen, Erfahren, Diskutieren, Gestalten. Die Energie des Zusammenwirkens. Kein Wunder also, dass der Prix Ars Electronica in der Kategorie Digital Communities dieses Jahr an ein autonomes CrowdsourcingProjekt (Fumbaro Eastern Japan, fumbaro.org) geht: Wenn Top-down-Verwaltungssysteme versagen, erschaffen Bürger proaktiv Systeme, die ihre Expertisen und Talente freiwillig und für die Allgemeinheit nutzen. Dies bot ein skalierbares Projekt, von Japan nach Linz und über die Nica-Auszeichnung rund um die Welt. Heuer wurde der 35. Geburtstag des Festivals mit einem bunten Programm gefeiert, das eine besonders intensive Erfahrung für die Organisationstalente der Besucherschaft bot. Denn es gab mehr Standorte als sonst, andere Festivalformate, viele neue Diskussionssymposien über die Innenstadt verteilt. Eine Herausforderung für die „Lean back and enjoy the ride“-Crowd. „Motivation zur Interaktion“ ist schließlich die Stimmung des „What it takes to change“-Mottos, bei dem die Idee von Kunst als Katalysator, also als Motor für gesellschaftliche Veränderungen, hinterfragt wird. Vom Shop zur Gutmenschen-Galerie Keine revolutionäre Idee, aber die Einladung zum Gespräch über innovative Handelsoffensiven offeriert eine Shopping-Mall, die sich zur temporären Kunstgalerie umfunktioniert. In den

Schaufenstern der Change Gallery entdeckt man in Form von Schuhen und Edelkeramik, Videoscreens und Designobjekten ausschließlich Kunstprojekte, die irgendeine Form von Veränderung hervorgerufen haben. Und weil inzwischen bekannt ist, dass das der weltweit interessanteste Salon für Kunst, Technologie und Gesellschaft sowie Inspirationsquelle für viele zeitgenössische Schaffensbereiche ist, stellt sich die Frage, ob die Change Gallery nicht etwa ein Vorbild für eine nachhaltige Retail-Strategie ist. Würde der Handel von einem Kunst-Kommerz-Zugang profitieren, der regelmäßig zum Programm wird? Kunstmetapher als Warnsignal Der chinesische Künstler Eric Siu verweist mit seinem Kamerahelm „Touchy“ auf die Isolation und das urbane Cocoon-Verhalten von Menschen und lädt zur sozialen Interaktion ein. Trägt man den Kamerahelm, ist man blind, bis man von einem Mitmenschen einige Sekunden lang berührt wird. Siu: „Touchy soll helfen, Probleme unserer Zeit, wie Sozialphobie, zu lösen.“ Beim Anblick von Lauren McCarthys „Happiness Hat“ muss ich an eine Haderer-Illustration denken, in der sich grantige Städter morgens ihre Happiness-Maske aufsetzen. Ein biegsamer Sensor misst die Größe des Lächelns des Strickmützenträgers. Bei Nichtlächeln aktiviert sich eine Metallspitze und drückt sich in den Hinterkopf. Ob die Zwangskonditionierung mittels Dauerlächeln wirklich glücklich macht, ist fraglich. Spraydose gegen Wasserpistole Immer wieder gut: die interaktiven Installationen, wie man sie von diesem

Skurrile Erscheinungen wie der Roboteranzug Skeletonics machen die Linzer stolz, eine Stadt der Zukunftsdenker zu sein. © Tom Mesic

Festival kennt. Kerzenlicht, das sich mittels Gehirn-Computer-Schnittstelle und intensiver Entspannung von selbst auslöscht. Aber um auf das Thema Veränderung zurückzukommen: Eine Wand aus Tausenden wasserempfindlichen LEDs, die man nur mit einem Schwamm, Pinsel oder einer Spritzpistole und etwas Wasser zum Leuchten bringt. Water Light Graffiti heißt diese Kunstform, die nichts mit Spraydosen-Vandalismus, höchstens mit dem sensiblen Thema der Light Pollution in Städten zu tun hat. Wenn ein Wassertropfen die Sensoren dieser LEDs berührt, leuchten sie für kurze Zeit in voller Leuchtkraft auf. Denken wir an die regenreiche Zeit, in der wir uns befinden: Wäre es nicht schön, wenn wir Materialien für Gebäude entwerfen könnten, die in der Lage sind, mit dem Wetter zu interagieren? ‚Star Wars‘ in Linz Das Linzer Völkchen ist exzentrische Auftritte mittlerweile gewöhnt. Beim Gespräch mit einer Mitte-sechzig-jährigen Dame höre ich, dass schrille Figuren, wie überdimensionale Roboter, die an eine Science-Fiction-Szene aus „Krieg der Sterne“ erinnern, inzwischen zur Identität der Stadt gehören, und so schlendert die Linzer Omi neben dem japanischen Skeletonics Cyborg relativ unbeeindruckt durch den Donaupark. Veränderung – proaktiv nicht reaktiv Hat denn Kunst wirklich die Macht, Partizipation und Dialog zu bewirken, um die Bürger zur Mitgestaltung zu animieren? Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter des Festivals, kündigt im Vorfeld an, dass es in den Diskussionsforen darum gehe, den krisenhaft

Ein überdimensionales Netz im OK Offenen Kulturhaus ersetzt das traditionelle Stiegenhaus und lädt zum unkonventionellen Netzwerken und Perspektivenwechsel ein. © Marilen Hennebach

Porträtkünstler der Zukunft? „5 Roboter namens Paul“ führten den Zeichenstift im Mariendom. © Tommo

besetzten Begriff der Veränderung aufzubrechen. Veränderung sei, europaweit betrachtet, primär mit einem negativen Gefühl besetzt. Nur wenn die Probleme groß seien, würde man den Handlungsbedarf und Wunsch zur Veränderung äußern. Diesen Zugang, so Stocker, galt es bei der Kuration für die ausgestellten Arbeiten 2014 zu ändern. Veränderung soll proaktives Denken ausdrücken und kein reaktives Fluchtverhalten sein. Die Macht der kreativen Frage Im Future Innovators Summit wurde viel über die Change Economy und neue innovative Formen von Wirtschaftsmodellen, die keine Wertschöpfungsketten, sondern Ökosysteme sind, geredet. Welche Arten von Storytelling benötigt man für Change? Und wie ist die Creative Question zu definieren, damit Ideen und Projekte entstehen können, die Menschen wagemutiger, sozialer und verantwortungsvoller machen und sie dazu stimulieren könnten, ihr Wissen auszutauschen? Ich frage mich und übrigens auch Joachim Sauter, Oliviero Toscani und Hiroshi Ishii, ob das zum heurigen Festival passende Zitat von Alan Kay, „The best way to predict the future is to invent it“, nicht der ultimative Aufruf zur Partizipation sei. Die klarste Antwort kommt von Sauter: „Ja, und zwar gepaart mit Innovation. Wir müssen an der Veränderung unserer Bildungssysteme arbeiten. Raus aus der Comfort Zone. Keinen Erwartungen mehr entsprechen. Wenn wir ein Bildungssystem erschaffen, in dem wir das Nichtangepasste zulassen, haben wir eine glänzende Zukunft vor uns.“ Daniela Krautsack

Daniela Krautsack ist Geschäftsführerin von Cities Next (www.citiesnext. com), einer brandneuen Agentur für Bürger-Partizipationsdesign und mit der Mission, kollektive Intelligenz zur Lösung von Stadtproblemen zu nutzen. © cows in jackets


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