cooperativ 2/17

Page 24

Wirtschaft

Werden Genossenschaften zwingend zu AGs? Nicht nur Hermann Schulze-Delitzsch hat in der Genossenschaft eine Durchgangsstation zur Aktiengesellschaft gesehen. Aber muss das wirklich immer so sein? Es gibt gute Gründe dafür, dass es auch anders geht. Text: Holger Blisse

D

ie Genossenschaft gilt nicht zuletzt wegen der Gründungsprüfung, die vor der Eintragung bei Gericht zu durchlaufen ist, und wegen der Prüfungs- und Beratungsleistungen der Genossenschaftsverbände als „insolvenzarme“ Rechtsform. Die historisch für die Gläubiger wichtige Solidarhaftung aller Mitglieder, nämlich zusammen einzustehen für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft, gehört heute hingegen der Vergangenheit an. In Deutschland wurde sie gesetzlich 1889 abgeschwächt, in Österreich gab es von Anfang an Wahlmöglichkei22

cooperativ 2/17

ten. So können Genossenschaften mit beschränkter Haftung der Mitglieder gegründet werden. Der Gesetzgeber in Deutschland reagierte damals auf die zahlreichen Umwandlungen, zu denen es kam, um dieser umfangreichen Haftungsverpflichtung zu entgehen, die in größer und damit anonymer werdenden Mitgliedergruppen schwerer aufrechtzuerhalten war.

Oppenheimers Transformationsgesetz Als 1896 der deutsche Arzt, Soziologe und Nationalökonom Franz Oppen-

heimer (1864-1943) das nach ihm benannte Transformationsgesetz für Produktivgenossenschaften beschrieb, war eine große Zahl von Umwandlungen von anderen Genossenschaften in Aktiengesellschaften vor dem Hintergrund der unbeschränkten Solidarhaft bereits ein empirischer Tatbestand. Schon für Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883) stellte die Genossenschaft eine Durchgangsstation zur Aktiengesellschaft dar. Er ist „von dieser Vorstellung nie frei geworden“ und schreibt „von der Hebung und Erziehung der Mitglieder durch die Genos-


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.