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Wir waren die ersten“

Interview: Natalie Schalk

Das duale Studium im Bauingenieurwesen

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Im akademischen Betrieb werden die theoretischen Grundlagen für den späteren Beruf gelegt. Eine ideale Möglichkeit, das Gelernte schon frühzeitig in der praktischen Arbeit auszuprobieren, ist das duale Studium. Es gibt zwei Varianten: Beim „Studium mit vertiefter Praxis“ schließen die Studierenden einen Vertrag mit einem Unternehmen und arbeiten dort in der vorlesungsfreien Zeit und im Praxissemester. Beim „Verbund-Studium“ absolvieren sie eine Ausbildung im Betrieb und erwerben neben dem akademischen Abschluss einen anerkannten Berufsabschluss. Heute kann grundsätzlich jeder Bachelorstudiengang an der Hochschule Coburg dual studiert werden und in den konsekutiven Masterstudiengängen ist ein „Studium mit vertiefter Praxis“ möglich. Aber das war nicht immer so. Als Prof. Dr. Curt Heumann im Herbst 1988 als Professor an die damalige Fachhochschule kam, gab es im Bauingenieurwesen kein duales Studium. Nirgendwo in Deutschland. Heumann war von 1997 bis 2003 Dekan, und in dieser Zeit wurde die heutige Hochschule Coburg der erste Ort, an dem es möglich war, ein Bauingenieursstudium dual zu absolvieren. Der heute 80-jährige Professor spricht im Interview über die Anfänge.

Als erste staatliche Hochschule in Deutschland bot die damalige FH zum Wintersemester 2000/01 im Studiengang Bauingenieurwesen ein duales Studium an. Warum war Ihnen die Praxis besonders wichtig? Curt Heumann: Der Bau umfasst ein sehr breites Themenfeld: Die Bodenbeschaffenheit, das Wetter, Temperatur und Niederschlag spielen eine Rolle. Rechtliche Aspekte vom Umgang mit Beschäftigten bis zum Umgang mit Eigentum gehören dazu. Wirtschaftlich-finanzielle Bedingungen und die zeitlichen Fristen müssen bedacht werden. Bevor ich an die damalige FH kam, war ich viele Jahre in Bauunternehmen tätig, davon zwölf Jahre in arabischen und afrikanischen Ländern. Auch die anderen Lehrenden in unserem Fachbereich hatten mehrjährige Berufserfahrung. Wir alle hatten gute Verbindungen in die Bauwirtschaft, zu Bauverwaltungen sowie zu planenden Büros bis hin zu den ausführenden Unternehmen. Wir hatten Einblick in die Notwendigkeiten, die sich im Berufsleben ergeben. Und wir haben festgestellt, dass es bei den Studierenden Unterschiede gibt: Die mit Fachabitur kamen von der Berufsoberschule mit Kenntnissen aus der betrieblichen Praxis. Als Betonbauer, als Stahlbauer, als Holzbauer kannten sie die Materialien, hatten Erfahrungen mit Abläufen, mit technischen und organisatorischen Schwierigkeiten – diejenigen, die vom Gymnasium kamen, wussten von alldem wenig. Baupraxis wurde früher auch schon im Labor vermittelt. Es gibt zum Beispiel ein altes Foto, auf dem zu sehen ist, wie ein Betonprobewürfel erstellt wird. Ja, das ist ein gängiges Verfahren, um Materialeigenschaften zu prüfen: Wenn der Beton abgebunden hat, kann man zum Beispiel Druckfestigkeit, Scherfestigkeit und Verformung testen. Um den Studierenden die Prüfverfahren zu vermitteln, wird so etwas im Labor gezeigt. Als Bauingenieurin oder Bauingenieur brauche ich ein Empfinden für das Material. Ich muss Stahl empfinden und Holz, ich muss Beton empfinden als einen künstlich hergestellten Stoff. Dieses Gefühl muss den Studierenden in der Ausbildung vermittelt werden. Das gehört zu den Grundkenntnissen.

Im dualen Studium geht das Praxiswissen weit über Grundkenntnisse hinaus - sogar bis zum Berufsabschluss. Wie ist es entstanden? Schon Jahre vorher war die Öffnung der Lehre für mehr praktische Inhalte für Universitäten angedacht worden: Bei einer Hochschul-Zusammenkunft in Wolfsburg habe ich in Ende der 1990er Jahre von diesem Konzept erfahren – und davon, dass es die Universitäten nie umgesetzt haben. Mit Blick darauf, dass Bauen – und damit die Lehre des Bauingenieurwesens – vielfältige Themen des Lebens umfasst, war bei uns der Schritt hin zu einer allumfassenden Lehre nahe liegend. Im Fachbereich in Coburg und in der Hochschulleitung haben alle das unterstützt. Wir hatten außerdem Unterstützung von der Handwerkskammer und der Berufsschule und erreichten nach vielfältigen gemeinsamen Bemühungen von Coburg über Bayreuth bis München, dass wir als erste in Deutschland den Studiengang Bauingenieurwesen als duales Studium anbieten konnten. Damals hieß das „Studium mit integrierter Berufsausbildung“ (SiBA).

Und wie kam es an? Die Studierenden waren – das darf ich schon so sagen: begeistert. Sie kamen aus Westfalen, Thüringen, Sachsen und natürlich aus der Region, um neben dem Diplomstudium im Bauingenieurwesen eine betriebliche Ausbildung zu absolvieren. Über die Handwerkskammer Coburg bekamen sie dann in Gebieten wie Stahlbau, Mauerwerksbau oder Zimmerei den Abschluss als Facharbeiter oder Facharbeiterin. Wer dual studiert, findet einen schnelleren Einstieg in die Praxis, steigt als Ingenieurin oder Ingenieur gleich als bekannte Größe in die Firma ein.

Baupraxis im Labor: Herstellung eines Betonprobewürfels. Foto: Archiv Hochschule Coburg „Ich muss Stahl empfinden und Holz, ich muss Beton empfinden als einen künstlich hergestellten Stoff. Dieses Gefühl muss den Studierenden in der Ausbildung vermittelt werden.“

Prof. Dr. Curt Heumann, Bauingenieur

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