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Erste Promotion in der Innenarchitektur

Interview: Pia Dahlem

Tanja Remke forscht darüber, wie Büroarchitektur unseren Alltag beeinflusst.

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In Architektur und Innenarchitektur sind Promotionen nicht besonders weit verbreitet. Tanja Remke ist die erste Doktorandin von Prof. Mark Phillips in der Innenarchitektur. Er betreut diese kooperative Promotion an der Fakultät Design der Hochschule Coburg gemeinsam mit Prof. em. Dr. Barbara Zibell von der Leibniz Universität Hannover. Remke befasst sich mit Büroarchitektur des 20. und 21. Jahrhunderts. „Die Arbeit bildet einen Bereich des architektonischen Gestaltens ab, der einerseits einen jahrzehntelang andauernden alltäglichen Einfluss auf Menschen in gebauter Umgebung hat, andererseits aber wenig architektonisch wissenschaftlich untersucht ist“, erläutert Phillips. Außerdem sei die Büroarchitektur ständigen Weiterentwicklungen unterworfen. Im Interview berichtet Tanja Remke, was ihre Neugier geweckt hat, wie daraus ein Forschungsthema wurde und warum sich die Arbeit durchweg gelohnt hat.

In Ihrer Doktorarbeit behandeln Sie Extremtypen der Büroarchitektur und damit verbundene gesellschaftliche Zusammenhänge. Was kann man sich denn darunter vorstellen? Tanja Remke: Ich betrachte Büroarchitekturen in einem Zeitraum vom Beginn der Industrialisierung vor etwa 100 bis 120 Jahren bis heute. Dazu habe ich Publikationen aus diesem Zeitraum analysiert. Dabei habe ich festgestellt, dass es auch früher schon immer wieder extreme Phänomene gab. Ein berühmtes Beispiel ist hier das Larkin Building von Frank Lloyd Wright. Es entstand 1906 in den USA. Hier wurde der Taylorismus zum ersten Mal nahezu in Reinform auf den Bürobau übertragen. Der Taylorismus teilt einen Arbeitsprozess in viele, kleine und reparierbare Schritte, das war der Beginn der Fließbandarbeit in der Produktion. Genau dieses Prinzip des Fließbandes wurde auf die Verwaltungstätigkeiten übertragen: Abteilungen und Arbeitsplätze im

Büro sind nebeneinander so angeordnet, dass die Bearbeitung einer Bestellung „von Tisch zu Tisch“ weitergereicht werden konnte.

Was genau haben Sie untersucht? Ich habe mich dafür interessiert, welchen Einfluss wirtschaftliche und vor allem gesellschaftliche Entwicklungen auf die Gestaltung dieser extrem anmutenden Büros haben. Daraus ist ein übergreifendes Verständnis eben dieser Zusammenhänge und eine übergeordnete Typenbildung entwickelt worden, mit deren Hilfe diese Phänomene eingeordnet und verstanden werden können.

Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen? Ich habe nach meinem Innenarchitekturstudium lange in der Büromöbelindustrie gearbeitet und mich dadurch tiefgehend mit dem Thema befasst. Mich hat die Frage umgetrieben, was dieses bunte Gestaltungsprocedere eigentlich soll. So entstand der Wunsch, mich fundiert damit zu beschäftigen. Zu Beginn ging es mir nur darum, zu verstehen, was da passiert und warum es so ist, dass in seriösen Büros die Anzugträger in bunten Themenwelten sitzen. Das hat für mich nicht zusammengepasst.

Mit „bunten Themenwelten“ meinen Sie die modernen Bürowelten, die vor allem in Firmen wie Google oder Microsoft erstmalig umgesetzt wurden? Genau, die „Google Offices“ sind ein Synonym für das, was wir unter moderner Arbeitswelt verstehen. Aktuell flacht allerdings der Trend des extrem spielerischen experimentellen Charakters ein wenig ab. Es geht jetzt in Richtung wohlfühl-orientiertere Wohnzimmeratmosphäre.

Zur Zeit haben ja die meisten Menschen ihr Büro im Wohnzimmer. Brauchen wir bald gar keine Büros oder Bürogebäude mehr? Solche Entwicklungen lassen sich verlässlich erst im Rückblick beantworten. Man braucht einen gewissen Abstand. Da jedoch die Veränderung in der Architektur mit Veränderungen in der Gesellschaft zusammenhängt, kann ich mit Sicherheit sagen, dass das eine Auswirkung haben wird. Vor der Corona-Pandemie haben wir gedacht, dass Phänomene wie „Fridays for future“ und Umweltthemen die stärksten Veränderungen bewirken werden. Heute erleben wir eine Kombination von Homeoffice und Umweltthemen, was dazu führen wird, dass der Typ des Bürogebäudes sich ändern wird. Anhand der Typisierung, die ich in der Doktorarbeit erarbeitet habe, ist das besser zu verstehen und eventuell auch besser vorherzusagen.

Sie haben während Ihrer Forschungsarbeit Vollzeit in Ihrem Architekturbüro gearbeitet und auch die Familie mit unter einen Hut gebracht. Sicher eine arbeitsreiche Zeit. Was haben Sie, neben den Erkenntnissen der Doktorarbeit selbst, für sich mitgenommen? Eine Promotion ist ein Riesenprojekt und man braucht Durchhaltevermögen. Wenn ich rückblickend sehe, was sich für mich alles daraus ergeben hat, wie beispielsweise verschiedene Lehraufträge in Coburg und Hannover und eine Professur an der UI Internationalen Hochschule, hat es sich gelohnt. Am wichtigsten ist für mich jedoch die damit erlangte innere und fachliche Kompetenz, die ich heute in meinem Büro und an der Hochschule mit einbringen kann.

Welche Projekte realisieren Sie in ihrem Büro? Wir befassen uns stark mit Schulbau und der Sanierung von Schulgebäuden. Das Thema der Partizipation im Planungsprozess, also das Gestalten gemeinsam mit den Beteiligten, ist uns dabei besonders wichtig. Dabei fließen natürlich die Erkenntnisse der Dissertation mit ein.

Welchen Tipp haben Sie, wenn jemand sich für eine Promotion interessiert? Nur Mut, würde ich sagen! Ich freue mich darüber, dass ich so spannende Ergebnisse herausarbeiten konnte, mit denen man etwas anstellen kann. Und ich muss sagen, dass Frau Prof. Zibell und Prof. Phillips wirklich tolle Doktoreltern sind, die mich immer unterstützt haben. Es war eine tolle und inspirierende Zeit.

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