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Mehr Zeit für Forschung

von Dr. Margareta Bögelein

Die interessante Spezies der Forschungsprofessur

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Ein Blick in die Geschichte der (Fach-)Hochschulen zeigt, wie steinig für sie in den letzten 50 Jahren der Weg zur Forschung war. Ursprünglich als reine „Lehranstalten“ gegründet, erlaubte der Gesetzgeber den Professorinnen und Professoren nur schrittweise gemeinsam mit Partnern aus der Industrie Projekte durchzuführen, die Innovationen zum Ziel haben. Heute gibt es für besonders forschungsaffine Lehrende an Hochschulen die Möglichkeit, sich durch die Bewerbung auf eine Forschungsprofessur mehr Freiräume für wissenschaftliches Arbeiten zu schaffen.

Los ging es 1978 mit der Erlaubnis, anwendungsorientierte Entwicklungsaufträge durchzuführen. Soweit dafür kostendeckende Drittmittel erwirtschaftet werden. Dieses Finanzierungsmodell gilt weitgehend bis heute. Anders als den Universitäten steht den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) keine staatliche Grundfinanzierung für Forschungsausstattung und Personal zur Verfügung. Die Hightech Agenda des Freistaates Bayern ermöglichte ab 2019 erstmals, dass HAWs dafür grundfinanzierte Stellen schaffen können. Die Mittel für Forschungseinrichtungen müssen aber weiterhin zum großen Teil über Projektanträge eingeworben werden.

Dennoch wurde und wird seit 1978 an der Hochschule Coburg entwickelt und geforscht. So konnte die FH Coburg beispielsweise zwischen 1995 und 1998 rund 576.000 DM öffentliche Mittel für Forschungsprojekte einwerben. Hinzu kamen weitere Drittmittel aus Wirtschaftsunternehmen und -verbänden in Höhe von 600.000 DM. Im Jahr 2020 betrugen die gesamten Drittmitteleinnahmen aus öffentlichen und privatwirtschaftlichen Quellen insgesamt 8,35 Mio. Euro. Die Vorteile der Forschungsprofessuren Wer an einer HAW forschen will, muss enthusiastisch sein. Denn der Lehrumfang eines Professors oder einer Professorin betrug bei der Gründung der FHs 18 Semesterwochenstunden, und dieser Wert gilt bis heute. Auch als 2006 die anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung in Bayern nicht nur erlaubt, sondern gesetzlich verankert wurde, änderte sich daran lange nichts. Ein Wendepunkt war 2012 die Einführung sogenannter Forschungsprofessuren, die es an den HAWs nun zusätzlich zu den „normalen“ Professuren gibt. Die Forschungsprofessuren zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass ihr Lehrdeputat in der Regel auf neun Semesterwochenstunden reduziert ist. Es entspricht damit dem Lehrumfang einer normalen Universitäts-Professur.

Was muss ein Forschungsprofessor bzw. eine -professorin mitbringen und wie wird man das? Das lässt sich am besten am Beispiel der Menschen vorstellen, die diese Stellen mit Stand Sommersemester 2021 an der Hochschule Coburg ausfüllen. Denn die Wege dahin sind genauso individuell wie die dahinterstehende Motivation.

Prof. Dr. Jens Grubert widmet sich der Mensch-Maschine-Interaktion und der Virtuellen Realität. Er kam als Forschungsprofessor an die Hochschule und gehört dem „Zentrum Digitalisierung.Bayern“ an, mit dem der Freistaat die Digitalisierungs-Kompetenzen in Wirtschaft und Wissenschaft stärken und die Potenziale digitaler Technologien für Bayern erschließen will. In seinem Mixed Reality Lab führt Grubert den Unternehmen in der Region unmittelbar vor Augen, welche Möglichkeiten die neue Technik bietet.

Prof. Dr. Klaus Stefan Drese und Prof. Dr. Thorsten Uphues haben ebenfalls an der Hochschule bereits als Forschungsprofessoren mit einem reduzierten Lehrdeputat begonnen. Gemeinsam leiten sie das Institut für Sensor- und Aktortechnik. Ihr Institut ist mit 24 Mitarbeitenden das größte Forschungsinstitut der Hochschule mit zahlreichen Industrie- und öffentlich geförderten Projekten. Prof. Dr. Drese hat sich seit seiner Promotion in Physik an der Universität Marburg vor mehr als 20 Jahren der Forschung verschrieben. Zuletzt wirkte er als wissenschaftlicher Direktor am Fraunhofer ICT-IMM, bevor er 2016 an die Hochschule Coburg kam. Seine Schwerpunkte sind unter anderem Mikrofluidik, Akustische Sensorik sowie Simulation und Modellierung. Sein Kollege Thorsten Uphues kam nach unterschiedlichen beruflichen Stationen in der Forschung und der industriellen Anwendung 2020 an die Hochschule. Seine Motivation für seinen Wechsel an die Hochschule Coburg beschreibt er so: „Die Forschungsprofessur erlaubt es mir, in Kombination mit der Institutsleitung angewandt zu forschen und unsere zukünftigen Ingenieure auf wissenschaftlichem Niveau auszubilden.“ Seine zeitlichen Ressourcen nutzt Forschungsprofessor Dr. Markus Jakob für die Erforschung alternativer Kraftstoffe und ihren optimalen Einsatz in Fahrzeugen. Ziel ist es, die entwickelten Kraftstoffe, die zunehmend aus erneuerbaren Energiequellen kommen, optimal auf die Motoren abzustimmen. Dazu gehört auch die Entwicklung von Sensoren, die Auswertung ihrer Daten und daraus folgend die Implementierung neuer Prozesse. Im Zentrum für Mobilität und Energie am Campus Friedrich Streib wurden dafür beste Bedingungen geschaffen.

Möglichkeiten für etablierte Professorinnen und Professoren Um die Forschung weiter zu fördern, können die bayerischen HAWs nicht nur den neu berufenen, sondern auch ihren bereits etablierten Professorinnen und Professoren zusätzliche Zeitressourcen für Forschung schaffen. Erforderlich dafür ist, dass sich die Interessierten in einem internen Berufungsverfahren um eine Forschungsprofessur bewerben. An der Hochschule Coburg nutzen nach Stand Sommersemester 2021 eine Professorin und drei Professoren die Möglichkeit, fünf Jahre lang ihren Lehrumfang zu reduzieren, um sich verstärkt ihren Forschungsprojekten zu widmen. Auch hier sind die Themenbereiche – entsprechend dem Forschungsspektrum – breit gefächert. Sie reichen von der Medizin über die Bioanalytik bis zur Elektrotechnik und der Versicherungswirtschaft und bieten spannende Ansätze für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Prof. Dr. Christian Weindl forscht – genau wie sein Kollege Prof. Dr. Markus Jakob – im Zentrum für Mobilität und Energie am Campus Friedrich Streib. Weindls Know-how und das seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird gebraucht, um die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien ressourcenschonend und sicher zu gestalten. Der Professor für Energietechnik und sein Team forschen in mehreren Schwerpunkten und gemeinsam mit regionalen und überregionalen Partnern unter anderem an intelligenten Ladesystemen, Verfahren zur Flexibilisierung des Energieaustauschs und zustandsorientierten Methoden zur Optimierung der Lebensdauer von Anlagen und Netzen.

Wie interdisziplinär die Bioanalytik in ihren Anwendungsbereichen ist, zeigt das Forschungsspektrum von Prof. Dr. Stefan Kalkhof. Er ist in der Hochschule Coburg sowohl im Forschungsschwerpunkt „Gesundheit analysieren und fördern“, als auch im Schwerpunkt „Sensorik und Analytik“ aktiv. Seine Themen reichen von der Untersuchung wundheilungstimulierender Implantate bis zur Validierung von Therapien. Von 2021 bis 2024 leitet er außerdem ein großes Forschungsprojekt, bei dem es um die Frage geht, welche Risiken Biozide in Baumaterialien für unsere Böden haben. Er hat sich dazu mit Kolleginnen und Kollegen aus der Hochschule vernetzt, die nicht nur aus der Bioanalytik, sondern auch aus den Bereichen Bauen, Denkmalpflege, Informatik, Sensorik und Chemie kommen.

Prof. Dr. Karin Meißner aus der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit ist seit 2016 Professorin für Integrative Medizin in der Gesundheitsförderung. Bis 2020 leitete sie zudem die Arbeitsgruppe „Placebo Research“ am Institut für Medizinische Psychologie der Ludwig-Maximilian-Universität München. Als „Placebo-Expertin“ ist die Forscherin international vernetzt. In der Hochschule Coburg baut sie aktuell unter anderem die Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Drese vom Institut für Sensor- und Aktortechnik sowie ihrem Kollegen Prof. Dr. Kalkhof auf, um gemeinsam Wege zu finden, wie man Frauen frühzeitig bei Menstruationsbeschwerden helfen kann. Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI) werden auch die Versicherungswirtschaft in der Zukunft stark verändern. In diesem Bereich ist die Hochschule Coburg seit Jahrzehnten mit speziellen Bachelor- und Masterstudiengängen aktiv. Nun stärkt sie hier auch in der Forschung ihr Profil weiter. Prof. Dr. Mirko Kraft, seit 2012 als Spezialist für Versicherungsaufsicht, Controlling und Risikomanagement an der Hochschule, setzt sich künftig intensiver mit den Folgen der KI für die Versicherungskunden auseinander. Er ist dabei europaweit gut vernetzt als Mitglied in der Expertengruppe „Digitale Ethik“ der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA).

Aufwind durch die bayerische Hightech Agenda Weiteren Schub bekommt die Forschung in der Versicherungswirtschaft durch den neu berufenen Prof. Dr. Jochen Leidner. Er hat eine von zwei Forschungsprofessuren inne, die die Hochschule Coburg als Erfolg im bayernweiten Wettbewerb um neue KI-Forschungsprofessuren verbuchen konnte. Sein Interesse gilt der Computerlinguistik, also der Schnittstelle zwischen dem Computer und der menschlichen Sprache. An der Hochschule Coburg lehrt und forscht er zu dem Thema „Erklärbare und verantwortungsvolle KI mit Anwendung im Versicherungswesen“.

Die zweite KI-Forschungsprofessur, die im Sommersemester 2021 besetzt wird, richtet den Blick auf das „Data Mining“, also dem Schürfen nach Wissen, das sich aus großen Datenmengen gewinnen lässt. Die Hightech Agenda Bayern ermöglicht es den HAWs im Freistaat darüber hinaus auch in den nächsten Jahren, weitere Forschungsprofessuren zu schaffen und damit ihr Profil zu schärfen.

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