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Virtuelle Präsenz

von Natalie Schalk

VIRTUELLE PRÄSENZ: CHANCEN UND GRENZEN DER ONLINE-LEHRE

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Drei gelungene Beispiele aus Coronazeiten

Foto: Julian Uebe, Hochschule Coburg

LABORPRAXIS BEI ANTJE VONDRAN

Zwiebeln sind was für Anfänger. Ihre Haut ist perfekt. „Das Zwiebelhäutchen liegt als dünne Schicht unter der Schale“, erklärt Bioanalytik-Dozentin Antje Vondran. „Es ist nur eine Zelle hoch.“ Leicht rauszupräparieren, schnell mit Methylenblau gefärbt und unters Mikroskop gelegt – schon werden Zellwände und Zellkerne sichtbar, messbar. „Das ist unser Einstieg für die Erstsemester.“ Sie sollen im Laborpraktikum das Mikroskop verstehen und lernen, es zu bedienen. Wegen Corona ist das vor Ort teilweise nicht möglich, aber es funktioniert auch virtuell sehr gut. Antje Vondran sieht die Krise als Chance, Neues auszuprobieren. Sie entwickelt Formate, nutzt das „Fernsehstudio“ der Fakultät Angewandte Naturwissenschaften, unterrichtet online aus ihrem Wohnzimmer und arbeitet gerne mit der digitalen Mikroskopie.

Die grundlegenden Funktionen erklärt sie per Video. Das Mikroskopbild können die Studierenden im virtuellen Praktikum nicht selbst aufnehmen. Das übernimmt die Dozentin. „Nicht alles funktioniert im Netz.“ Sie erklärt es an einem Beispiel: „Ich kann nicht online kochen. Aber ich kann zumindest eine Kochanleitung geben und die Teilschritte zeigen – und in der Bioanalytik kann ich Dinge, die ich im digitalen Mikroskop sehe, auf Smartphones, Tablets und Computer übertragen.“ So können die Studierenden überall auf der Welt praktische Mikroskopie üben. „Die Rohdaten müssen bearbeitet werden, das ist bei uns ganz grundlegend.“ Wann ist das Bild wirklich scharf? Wie funktioniert der Phasenkontrast? Welche unterschiedlichen visuellen Eindrücke entstehen, wenn das Bild überbelichtet ist? „Bei zu viel Licht sehe ich die feinen Details nicht mehr.“ Wie bei Heidi Klum, wenn sie gut ausgeleuchtet ist: „Dann sieht man keine Falte. Aber es ist auch alles total flach, also braucht‘s unheimlich viel Schminke.“ Auch in der Mikroskopie wird der nötige Kontrast durch Färbung erzeugt. Vondran arbeitet gern mit solch einprägsamen Beispielen. „Wenn junge Menschen Anknüpfungspunkte zu ihrer Gedankenwelt finden, kann ich in kurzer Zeit so viel mehr vermitteln als durch reine Theorie.“ Antje Vondran will die Studierenden abholen und mitreißen. „Ich will, dass sie neugierig werden, partizipieren, Fragen stellen. Das ist meine didaktische Philosophie.“ Sie funktioniert auch online.

„Viele Kompetenzen lassen sich in den virtuellen Raum übertragen. Aber eben nicht alle.“

Antje Vondran, Bioanalytik-Dozentin

PROZESSMANAGEMENT BEI PROF. DR. EBERHARD NÖFER

„Die größte Veränderung kam mit Corona – und mit der erschütternden Erkenntnis, dass in diesem Elend die Riesenchance liegt, jetzt etwas viel Besseres zu machen.“

Prof. Dr. Eberhard Nöfer, Professor für Betriebswirtschaftslehre Seit etwa 15 Jahren vermittelt Prof. Dr. Eberhard Nöfer den Studierenden der Integrativen Gesundheitsförderung betriebswirtschaftliche Aspekte ihres Faches. Der Medienkonsum hat sich in dieser Zeit sehr verändert und mit ihm die Wahrnehmung und auch die Art des Lernens. „Heute wird oft darauf vertraut, dass Inhalte konsumfreudig präsentiert werden.“ Manchmal nervt das: „Ich bin doch nicht Walt Disney!“ Nöfer erwartet von den Studierenden, dass sie etwas tun; er übernimmt im Gegenzug Verantwortung für gute Studienbedingungen. „Als Dozent muss man seine Rolle in der Wissensvermittlung immer überprüfen und anpassen.“ Umbrüche hat er einige erlebt. „Die größte Veränderung kam mit Corona – und mit der erschütternden Erkenntnis, dass in diesem Elend die Riesenchance liegt, jetzt etwas viel Besseres zu machen.“

Inzwischen ist Nöfer ein Fan digitaler Lehre. „Aber Sie hätten im Januar 2020 mal fragen sollen, was ich davon halte! Da hätte ich Ihnen was erzählt!“ Ein paar Wochen später legte der erste Lockdown das ganze Land lahm. „Ich dachte: Unsere Studierenden sitzen jetzt in ihren Buden. Irgendwie müssen wir ihnen Anregungen und Informationen dorthin schaffen.“ Notgedrungen hielt er seine Vorlesungen erst einmal als Live-Video-Übertragung. Aber er merkte ja selbst, wie anstrengend es ist, jeden Tag mehrere 90-minütige Einheiten am Bildschirm zu konsumieren. „Die Frage war: Wie kann ich das in kleine, verdaubare Päckchen aufteilen?“

Videoübertragung nutzt er immer noch. Aber viel kürzere Abschnitte: „Wenn es beispielsweise um das Konzept des Prozessmanagements geht, muss erst mal klar sein, welche unterschiedlichen Prozesse es gibt.“ Danach schickt er die Studierenden in kleinen Gruppen in „Breakout-Sessions“, wo sie gemeinsam Leitfragen bearbeiten. Solche wie: „Erklären Sie kurz, was ein Kernprozess ist und geben Sie Beispiele.“ Nach 20 Minuten treffen sich alle wieder im großen, virtuellen Plenum zur Präsentation und Diskussion. „Die Studierenden haben ein Skript, Unterlagen, Lehrvideos und Literaturhinweise. Damit müssen sie sich vorbereitet haben – dann ist die Veranstaltung selbst Luxus-Lernen.“ Und dann gibt Nöfer auch gerne ein bisschen den Entertainer. Aber nicht wie Walt Disney: „In meine Videos streue ich gerne kleine Gags oder ein Musikstück ein. Das kann mal der Bayerische Defiliermarsch oder“ – er überlegt kurz: „etwas von den Ärzten sein“.

„Wie können wir unter Corona eine Veranstaltung zu Change Management attraktiv halten?“ Prof. Dr. Hedwig Schmid klingt ganz entspannt, als sie die Schwierigkeit erklärt: „Also: Wenn alles, alles wegbricht, was geplant war?“ Gelassen berichtet sie von Workshops, Exkursionen und Praxisprojekten, die durch die Pandemie leider unmöglich wurden und erzählt, welche Chancen sich durch diese Veränderungen ergeben haben. Schon befindet sie sich mitten in ihrem Thema: Change Management ist ein Instrument, das Wirtschaftsunternehmen einsetzen, um sich immer schneller und stärker wandelnden Märkten anzupassen, aber auch, um Veränderungen im Unternehmen aktiv anzustoßen. „Die Betriebswirtschaftslehre öffnet sich dabei den Verhaltenswissenschaften. Jede Veränderung verursacht bei den Menschen zunächst eine Art Hemmung, einen Widerstand.“ Damit das nicht den ganzen Betrieb lähmt und alle Energie in Frustration zerfließt, braucht es Offenheit für das Neue. „Der Blick muss sich auf die Chancen richten. Nicht nur auf die Verluste.“

Mit genau dieser Herangehensweise fand die Professorin in der Corona-Krise Lösungen, um ihr Schwerpunktmodul Change Management für die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften attraktiv, spannend und nachhaltig sinnvoll zu gestalten: Veränderungen erlebten alle gerade, also machte Schmid eben dieses Erleben und die eigene Unsicherheit zum Thema. Statt sich unmöglich gewordene Begegnungen zu wünschen, nutzte sie die Chance, online mit Partnerinnen und Partnern zu arbeiten, die nicht einfach schnell mal nach Coburg kommen können. So wie zum Beispiel David Würtz. Als Major der Bundeswehr ist er international tätig und wurde auch bei der US Army ausgebildet. Er ist nebenbei freiberuflicher Resilienztrainer und hat für Stresssituationen die „David-gegen-Goliath-Methode“ entwickelt. Der Gebirgsjäger diskutierte mit den Studierenden in digitalen Abend-Workshops, welche Techniken dazu beitragen, auch unter extremsten Bedingungen die Zuversicht zu behalten. Oder sie nach einem Schockmoment zurückzugewinnen. Beispielsweise während einer Geiselnahme in einem Krisengebiet.

„Dass meine Studierenden ins Militär gehen, ist eher unwahrscheinlich“, vermutet Schmid. Aber der Grundgedanke funktioniert dennoch überall: sich auf das konzentrieren, was trotz allem geht. Sich auf die Chancen fokussieren.

CHANGE MANAGEMENT BEI PROF. DR. HEDWIG SCHMID

„Im Change Management geht es um den Abschied von etwas, das wir bisher gekannt haben. Oder gemocht haben. Aber es bringt nichts, mit Umständen zu hadern, die sich nicht ändern lassen. Die Corona-Pandemie ist ein ideales Beispiel dafür: Wir können uns darüber aufregen, dass Dies und Das nicht geht. Oder wir sehen, welche neuen Möglichkeiten sich daraus ergeben.“

Prof. Dr. Hedwig Schmid, Professorin für Personalwirtschaft

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