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Coburg, eine Stadt der Studierenden

Interview: Natalie Schalk

WIE COBURG EINE STADT DER STUDIERENDEN WURDE

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„Für junge Menschen nicht nur aus Bayern, sondern aus der ganzen Bundesrepublik, wurde es in den 1990er Jahren attraktiv, in Coburg zu studieren.“

Dr. Hubertus Habel, Kulturwissenschaftler

Als Experte für die Geschichte der Stadt Coburg ist Kulturwissenschaftler Dr. Hubertus Habel bekannt. Er weiß dabei auch wie kaum ein anderer über die Hochschule Bescheid: Für das Buch „Aus Streibs Wohnstube zum Doktorhut“ hat er vor sieben Jahren die Archive durchstöbert und mit unterschiedlichsten Zeitzeugen geredet. Im Interview spricht er jetzt über große Veränderungen, über das besondere Verhältnis zwischen Coburgs Bevölkerung und der Hochschule und über studentisches Lebensgefühl verschiedener Generationen.

Heute studieren an der Hochschule Coburg junge Menschen, die der Generation Z zugerechnet werden, den Digital Natives. Wie sah der Alltag vor 50 Jahren hier aus? Hubertus Habel: Vieles war wie überall in dieser Zeit. Die Gesellschaft war männlich geprägt, und als in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre die erste Frau ins Professorenkollegium kam, war das selbst im Kombifachbereich BWL und Sozialwesen für die Mannsbilder eine Art Kulturschock. Es war damals normal, dass überall gequalmt wurde und der Parkplatz war immer zu klein. Anfang der 1970er Jahre waren 850 bis 900 Studierende eingeschrieben, sie kamen im Wesentlichen aus den Landkreisen Coburg, Haßberge, Kronach, Lichtenfels und Kulmbach. Werktags fuhren sie an die damalige Fachhochschule. Das Studium war wie ein Job. Wie die Lehrlinge in ihrem Freundeskreis wohnten die meisten Studierenden bei ihren Eltern, sie schliefen zu Hause und ihr Alltag war vom Leben in ihren Herkunftsorten bestimmt.

Hatte die Revoluzzer-Generation der 68er Einfluss auf die ersten Studierenden der jungen Fachhochschule? Vietnamkrieg, sexueller Aufbruch und Gesellschaftskritik waren Themen der Studentenbewegung – an den Polytechnika kämpften die Studierenden dafür, dass der graduierte Ingenieurs-Abschluss aufgewertet wird zum Diplomingenieur. Sie haben dabei das Format der Studierendenproteste übernommen, waren aber stark berufsorientiert. Nach jahrelangen Eingaben und Protesten kamen die Kultusminister der Länder schließlich überein, die Ingenieursschulen hochzustufen. So wurde das „Polytechnikum“ Coburg 1971 zur „Fachhochschule“. Was sind die größten Veränderungen im Vergleich zu den Anfangsjahren? Die Globalisierung. Seit den 90er Jahren werden internationale Kontakte ausgebaut. Das ist das eine. Das zweite sind die engen Verknüpfungen mit lokal angesiedelten Wirtschaftsbereichen: Gerade in Automobiltechnik und Versicherungswirtschaft gibt es intensive, produktive Verbindungen. Theorie und Praxis zu verknüpfen war zwar von Anfang an der Anspruch – aber in den ersten Jahren war das Studium stark verschult. Das hat sich massiv verändert. Lehraufträge von Leuten aus den Unternehmen, Zusammenarbeit bei Praktika, Projekten und Abschlussarbeiten steigerten die Qualität der Ausbildung erheblich. Und mit den Kooperationen wuchs die Hochschule auch langsam wieder in das Bewusstsein der Coburgerinnen und Coburger hinein.

Wie konnte die Hochschule aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwinden? Die Vorgängerinstitution war bis 1960 im heutigen Ämtergebäude in der Steingasse untergebracht. Es platzte aus allen Nähten, die Zustände waren haarsträubend: ein spätmittelalterlicher Bau, extrem verschachtelt, niedrige Raumhöhen und Abortanlagen, die man sich nicht heftig genug vorstellen kann. Für einen Neubau waren vier Standorte im Gespräch, davon zwei in der Stadt. Der heutige Campus Friedrich Streib machte das Rennen, weil man ein Zukunftsprojekt baute: Es war klar, dass diese Hochschule – damals noch das Polytechnikum – wachsen wird. Dort oben gab es Optionen für Erweiterungen. Aber mit dem Umzug auf den Berg verschwanden die „KallichStudenten“ 1960 auch aus dem städtischen Alltag.

Kallich-Studenten? Weil die Baugewerkschule die Keimzelle war, sagten die Coburgerinnen und Coburger scherzhaft: Die studieren in Kalk, mundartlich: Kallich. Die KallichStudenten holten sich in der Mittagspause was zu essen und zu trinken, sie gehörten zum Stadtleben. Aber als der Campus Friedrich Streib eröffnet wurde, blieben sie auf dem Berg und gingen in die Mensa. Es gab zunehmend Studierende, die keine Heimschläfer waren, es gab Arbeitskreise, Kabarettveranstaltungen und legendäre Mensa-Partys. Aber bis in die 90er Jahre war das studentische Leben weitgehend abgeschottet von der Stadt.

Wie veränderte sich das dann wieder? Coburg war extremes Grenzgebiet, auf drei Seiten vom Eisernen Vorhang umgeben – und es wurde schon vorher in Bayern nicht groß geschätzt, weil es bis 1918 ein thüringisches Herzogtum war und militärisch mit Preußen liiert. Wer kam schon nach Coburg? Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre änderte sich einiges: Die Grenze fiel, Coburg wurde für das Samba-Festival bekannt, die damaligen Innenarchitektur-Professoren Auwi Stübbe und Egon Tempel initiierten die Designtage, ein neuer Designstudiengang wurde aufgebaut und sehr qualitätvoll entwickelt. Für junge Menschen nicht nur aus Bayern, sondern aus der ganzen Bundesrepublik wurde es attraktiv, in Coburg zu studieren. Mit verschiedenen Kooperationen und dem neuen Campus Design rückte die Hochschule wieder näher an die Stadt, und das massive Anwachsen der Studierendenzahl konnten die Wohnheime nicht auffangen. Wie in jeder anderen Hochschulstadt leben heute Studierende in WGs und haben - in welchen Formen auch immer - am Alltag teil.

Die Mensa wurde schnell zu einer der wichtigsten Einrichtungen auf dem Campus. Was macht Coburg zur Studentenstadt, zur Studentinnenstadt? Ganz banal: die Anzahl von mittlerweile um die 5.500 Studierenden. Im Alltag sind Kontakte vor allem zwischen jungen Coburgerinnen, Coburgern und Studierenden normal. Corona ist natürlich eine Sondersituation, aber ansonsten treffen sie sich in Clubs, in Gastwirtschaften oder im Hofgarten. Einfach weil sie in der gleichen Stadt wohnen und der gleichen Altersgruppe angehören. Auch ohne dass einem immer bewusst ist, dass hier Studierende unterwegs sind, prägen sie die Stadt mit. Auch die Hochschule macht Coburg heute als Wohn- und Arbeitsort attraktiv.

Auf dem ehemaligen Schlachthof- und Güterbahnhofgelände soll ein dritter Campus entstehen: Was könnte der Prinz-Albert-Campus für Coburg bedeuten? Die Südwest-Verbindung vom Hofbrauhaus über den Schlachthof und dann rüber zum Güterbahnhof bietet sich wunderbar an, um diese Brachfläche zu nutzen und die Hochschule noch einmal sehr viel stärker in den Blick zu bringen. Natürlich ist das eine große Chance. Gerade das Gelände an der Itz ist wichtig für die Stadtentwicklung: Ohne die Itz wäre in der Vergangenheit in Coburg gar nichts gelaufen.

Aus der Vergangenheit gibt es ja im Stadtbild auch einige Zeugnisse der Hochschulgeschichte ... Ja, das ist vielen nicht bewusst: Historische Coburger Gebäude hängen oft mit dem Schulgründer Friedrich Streib zusammen. Sein ältester Sohn Wilhelm war ebenfalls Schulleiter und Hofbaumeister und für Bauwerke wie den Eckardtsturm und das heutige Gymnasium Ernestinum auf dem Glockenberg verantwortlich. Wenn man genau hinschaut, werden die Verbindungen zur Hochschule überall sehr deutlich. Das Hochbauamt Coburg war insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu ausnahmslos mit Absolventen der Staatsbauschule besetzt und die drückten ihren Projekten ihren Stempel auf – und damit den Stempel der Hochschule.

Mehr zur Hochschulgeschichte: Hubertus Habel und Antonia Humm: „Aus Streibs Wohnstube zum Doktorhut – Bau Ι Hoch Ι Schule Coburg 1814 - 2014, 186 Seiten, Selbstverlag Hochschule Coburg 2014,“ erhältlich an der Hochschule im Referat für Öffentlichkeitsarbeit, Preis: 19,90 Euro

Junge Männer in blauem Dunst: typische Wohnheimszene der frühen Jahre Fotos: Archiv Hochschule Coburg

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