Dossier - Die Zukunft des Gedenkens

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Die Zukunft des Gedenkens

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Christen an der Seite Israels

Die Zukunft des Gedenkens 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und dem Ende des Holocaust EINFÜHRUNG

Jom HaSchoah / Holocaust-Gedenktag

Von Tobias Krämer

In Israel ist 1951 der „Jom HaSchoah“ als nationaler Gedenktag für die mehr als sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden eingeführt und auf den 27. Nissan des jüdischen Kalenders gelegt worden (2020: 21. April). Die zentrale staatliche Gedenkzeremonie findet in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem im Beisein der Staatsführung und von Überlebenden sowie Gästen statt.

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as Gedenken in der Zukunft. Die Zukunft des Gedenkens. Der Titel dieses Dossiers zeigt an, worum es uns geht: um unsere Kultur des Erinnerns. Wie muss das Gedenken heute und in Zukunft gestaltet werden, wenn doch die Ereignisse (Ende des Holocaust, Befreiung des KZ Auschwitz) so lange zurückliegen? Und sie liegen wirklich lange zurück! Wir leben nun in der dritten bzw. vierten Nachkriegsgeneration. Mein Großvater ist in der Mitte seines Lebens im Krieg gefallen. Er war Sanitäter in einem Berliner Krankenhaus, das Anfang 1945 von Bomben getroffen wurde. Mein Vater (geboren 1937) kann berichten, wie man sich in die Straßengräben geworfen hat, um nicht von Kugeln angreifender Flugzeuge getroffen zu werden. Ich selbst bin Jahrgang 1968 und alles, was ich weiß, habe ich von anderen erfahren: von Zeitzeugen, aus dem Geschichtsunterricht, durch die Medien. Für meine Söhne wiederum sind der Zweite Weltkrieg und seine Schrecknisse unendlich weit weg. All das hat mir ihrer Lebenswirklichkeit nicht viel zu tun.

Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in der Nähe der polnischen Stadt Oświęcim im Großraum Krakau war das größte deutsche Lager dieser Art. Es wurde 1941 rund drei Kilometer vom Stammlager Auschwitz entfernt gebaut und am 27. Januar 1945 von russischen Soldaten befreit. In Auschwitz-Birkenau sind etwa 1,3 Millionen Menschen ermordet worden, unter ihnen rund 1,1 Millionen Juden. Das ehemalige Vernichtungslager ist jetzt eine Gedenkstätte, ein Museum sowie ein internationales Begegnungs- und Holocaust-Forschungszentrum. Foto: Yossi Zeliger/Flash 90

Wie kann das Gedenken gestaltet werden, so dass es nicht in Routine erstarrt, sondern lebendig und fruchtbar bleibt, ja zur Umkehr

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er Holocaust (griechisch für „vollständige Verbrennung“) oder die Schoah (hebräisch für „Katastrophe“) ist der nationalsozialistische Völkermord an mehr als sechs Millionen jüdischen Männern, Frauen und Kindern zwischen 1933 und 1945. Das rassistisch motivierte Morden begann 1933 im Deutschen Reich und wurden nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen im September 1939 durch Massenerschießungen in den besetzten Gebieten sowie nach dem Einmarsch in die Sowjetunion im Juni 1941 in Vernichtungslagern systematisch und industriell organisiert durchgeführt. Ziel war die Auslöschung des europäischen Judentums im Rahmen der von den Nazis geplanten „Endlösung“. Der Begriff „Konzentrationslager“ (KZ) wird für alle etwa 1.000 Nazi-Gefangenenlager verwendet: Arbeitslager, Kriegsgefangenenlager, Vernichtungslager und die ursprünglichen KZ, welche die Nazis 1933 nach der Machtübernahme für die Inhaftierung ihrer politischen Gegner einrichteten. Nachfolgend wurden dort auch andere Personengruppen wie Bettler, Schwerverbrecher („asoziale Elemente“) und auch Juden inhaftiert, misshandelt und ermordet. Unter den Gefangenen genossen die deutschen nichtjüdischen Häftlinge gewisse Privilegien, während Juden am schlechtesten behandelt wurden. Die Nazi-Vernichtungslager sind ab 1941 im besetzten Polen und in Weißrussland eingerichtet worden: in Auschwitz-Birkenau, Treblinka, Sobibor, Belzec, Chelmno, Majdanek und anderen Orten. Für die Verwaltung und Aufsicht in den Lagern waren die berüchtigten SS-„Totenkopf-

führt und Kraft entfaltet? Das ist die Grundfrage, die die Beiträge dieses Dossiers vereint. Zu diesem Zweck stellen wir Ihnen Menschen vor und

schildern Situationen. Wir bringen Erlebnisse, Zeugnisse und Reflexionen. Wir sprechen von der Vergangenheit, schauen aber auf die Gegenwart. Es

Der Holocaust Einheiten“ zuständig. Die Häftlinge, die nicht sofort ermordet wurden, mussten Zwangsarbeit besonders für die Rüstungsindustrie leisten. Zu diesem Zweck wurden auch zahlreiche Außenlager in der Nähe von Industrie- und Rüstungsbetrieben errichtet. Auschwitz-Birkenau Auschwitz-Birkenau, 1941 rund drei Kilometer vom KZ Auschwitz in der Nähe der südpolnischen Stadt Oświęcim errichtet, war das größte

Nazi-Vernichtungslager. Die Opfer kamen aus Ghettos in polnischen Städten, aus Deutschland, den Niederlanden, Ungarn und anderen Ländern. Ein kleiner Teil von ihnen wurde für Zwangsarbeit ausgesondert, etwa 80 Prozent sind am Tag ihrer Ankunft im Lager ermordet worden. In vier Gaskammern konnten täglich mehrere Tausend Menschen getötet werden. Das hochgiftige Gas Zyklon B, ein Schädlingsbekämpfungsmittel, sorgte für den qualvol-

len Tod innerhalb von etwa 10 bis 20 Minuten. Viele Gefangene starben auch durch Exekutionen, an Hunger, Entfräftung, Kälte, Krankheiten oder infolge von grausamen medizinischen Versuchen. Insgesamt wurden in Auschwitz-Birkenau etwa 1,3 Millionen Menschen ermordet, unter ihnen 1,1 Millionen Juden. Die Getöteten wurden im mehreren Krematorien und Verbrennungsgruben vernichtet. Nachdem 1942 die systematische Auslöschung von Menschen in den

Seit 1988 findet am israelischen Holocaust-Gedenktag Jom HaSchoah alljährlich der „Marsch der Lebenden“ vom Konzentrationslager Auschwitz zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau statt, an dem jüdische Jugendgruppen, HolocaustÜberlebende, Vertreter aus Israel und Personen aus aller Welt teilnehmen. Auf dem Bild eine Gruppe aus Israel vor dem Torhaus des Todeslagers Auschwitz-Birkenau. Foto: Moshe Milner/GPO/FLASH90

Der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, ist in Deutschland 1996 als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus eingeführt worden und wird jährlich mit einer Gedenkstunde im Bundestag begangen. Die Vereinten Nationen haben den 27. Januar im Jahre 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt. geht dabei um nichts Geringeres, als eine Gedenkkultur zu entwickeln, die zukunftsfähig ist. Darin sehen wir als Christen an der Seite Israels eine Aufgabe unserer Tage. – Todeslagern bekannt wurde, sind die Alliierten gedrängt worden, dem Morden ein schnelles Ende zu bereiten. Jedoch dauerte es noch mehr als zwei Jahre, bis der brutale Vernichtungswahn der Nazis gestoppt werden konnte. Auflösung der Lager und Todesmärsche Als Auschwitz am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit wurde, befanden sich noch etwa 7.500 völlig entkräftete und kranke Gefangene im gesamten Lagerkomplex (mit Außenlagern). In den Tagen zuvor wurden etwa 60.000 Häftlinge auf Todesmärsche nach Westen getrieben, wobei viele Gefangene von den SS-Wachleuten unterwegs erschossen worden sind oder aufgrund von Erschöpfung, Hunger oder Kälte starben. Majdanek war bereits im Juli 1944 als erstes Lager von sowjetischen Truppen befreit worden. Die anderen Vernichtungslager wurden ab Ende 1942 bis 1944 von den Nazis stillgelegt, als die Rote Armee nach Westen vordrang und AuschwitzBirkenau als zentrales Lager für den Massenmord genutzt worden ist. Als Reaktion auf das Heranrücken der alliierten Truppen sind nach der Auflösung und Befreiung von Auschwitz auch weitere KZ stillgelegt und viele Gefangene auf unerträgliche, tage- und wochenlange Todesmärsche getrieben oder mit Eisenbahnwaggons abtransportiert worden. Dabei kamen nochmals Zehntausende Gefangene zu Tode, die entweder von den SS-Wachleuten erschossen wurden oder auf andere Weise starben, meist verhungert, erfroren oder total erschöpft. – Joachim Kudlek


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