chilli cultur.zeit

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HEFT NR. 10/25

15. JAHRGANG

VERANSTALTUNGEN 2026 KONZERTHAUS & SICK ARENA

BACH IN SPACE

WERKE VON JOHANN

SEBASTIAN BACH ZU

NASA-BILDERN AUS DEM ALL

SA 07.03.2026

KONZERTHAUS FREIBURG

THE SOUND OF HANS ZIMMER & JOHN WILLIAMS

PHILHARMONIE SÜDWESTFALEN, UNICHOR SIEGEN

MODERATOR: CHRISTIAN DÜREN

FR 13.03.2026

SICK-ARENA FREIBURG

TICKETS: WWW.EVENTIM.DE

KULTUR

VON KIRCHBACH

BLICKT ZURÜCK

„VIVALDIS VIER JAHRESZEITEN"

STUTTGARTER

KAMMERORCHESTER, MIT VIDEOANIMATIONEN & LICHTINSTALLATIONEN

SA 28.02.2026

KONZERTHAUS FREIBURG

MUSIK

FREIBURGS TRACKS

DES JAHRES 2025

LITERATUR BUCHHÄNDLER KÜREN

WERKE DES JAHRES

„Fake News im Spiel“

CHILLI-INTERVIEW MIT FREIBURGS KULTURBÜRGERMEISTER

ULRICH VON KIRCHBACH

Svon Lars Bargmann

eit Gründung des Freiburger Stadtmagazins chilli, seit 2004, veröffentlichen wir in der Weihnachtsausgabe Interviews mit Ulrich von Kirchbach. Der Kultur- und Sozialbürgermeister, seit 2018 auch Erster Bürgermeister von Freiburg, wird Ende März in den Ruhestand gehen. Das 22. ist mithin unser letztes Interview mit dem Sozialdemokraten. Eines über kulturpolitische Meilensteine, den Einfluss sozialer Medien, generationengerechtes Handeln und die Demokratie.

chilli: Herr von Kirchbach, spätestens am 31. März werden Sie nach dann 24 Jahren ihren Schreibtisch im Rathaus räumen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge?

von Kirchbach: Mit einem sehr guten Gefühl. Wenn man geht und die Leute sagen „schade“, ist das besser, als wenn sie sagen würden, der hat seinen Abgang verpasst. Jetzt freue ich mich auf eine neue Phase, wo ich nicht mehr determiniert bin vom Terminkalender, sondern mehr Freiheiten habe. Drei größere Reisen mit meiner Frau sind schon geplant.

chilli: Ein weinendes Auge gibt es nicht? Manche leiden ja im Ruhestand am Bedeutungsverlust.

von Kirchbach: Bürgermeister ist ein Amt auf Zeit. Man kann auch ein erfülltes Leben führen, ohne dass man eine Funktion

hat. Ich gehe davon aus, dass ich keine Probleme haben werde, den Übergang gut zu gestalten.

chilli: Qua Amt sind Sie in vielen Gremien. Gibt es einen Posten, den Sie behalten werden? von Kirchbach: Ich werde weiter als Vorsitzender der Alemannischen Bühne arbeiten, das macht mir wahnsinnig Spaß.

chilli: Das wichtigste Ereignis bis Ende März wird die Eröffnung des Augustinermuseums am 28. Februar sein?

von Kirchbach: Das ist zumindest ein Thema, das mich vom ersten Tag meiner Amtszeit bis zum Schluss begleitet hat. Es ist mir aber tatsächlich wichtig, dass wir die Eröffnung noch in meiner Zeit schaffen.

chilli: Aus anfangs 23 sind am Ende fast 100 Millionen geworden. von Kirchbach: Der Gemeinderat ist den Weg, der wirklich nicht einfach war, immer mitgegangen. Das ist das größte kulturpolitische Werk, das wir realisieren konnten, die größte Investition. Man konnte am Anfang ja nicht wissen, was alles an Baukosten bei diesem Baudenkmal auf uns zukommen würde. Die Baukosten belaufen sich, ohne die fest verbaute Einrichtung, auf insgesamt 92,3 Millionen Euro.

chilli: In Ihre Amtszeiten fielen drei Bürgerentscheide: über den Verkauf der Freiburger Stadtbau, den Bau eines neuen SC-Stadions und den Bau des Stadtteils Dietenbach. Welcher hat sie am meisten bewegt? von Kirchbach: Ich bin zwar ein begeisterter Fußballfan, aber Dietenbach ist natürlich sehr viel existenzieller für die Lebensbedürfnisse der Stadt. Und in diesem Zusammenhang war es natürlich auch wichtig, dass wir nach wie vor die Stadtbau haben. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es hier aussähe, wenn die Stadtbau tatsächlich privatisiert worden wäre.

chilli: 1995 gab es den Bürgerentscheid pro Flugplatz statt einer ge-

planten Bebauung. In Freiburg tobt ein heftiger Flächenkampf, von Grün-, Sport-, Gewerbe- und Wohnflächen. Der Flugplatz böte viele Möglichkeiten.

von Kirchbach: 1995 ist der Bürgerentscheid deshalb so deutlich ausgefallen, weil die Menschen Angst vor einem großen Wohngebiet mit Hochhäusern hatten. Wenn man den Flugplatz in ein paar Jahren aufgeben will, braucht man ein sehr gutes Konzept. Die Zukunft des Flugplatzes könnte auch ein Thema im Wahlkampf werden.

chilli: 2010 zogen Sie gegen „Ihren“

OB Dieter Salomon in den Wahlkampf um den Chefsessel im Rathaus und zogen den Kürzeren. Gab es damals einen Moment, wo Sie hinwerfen wollten?

von Kirchbach: Ich bin damals angetreten, weil eine Auswahl zur Demokratie gehört, und ich wollte mir selber auch nicht vorwerfen, es nicht zumindest versucht zu haben.

„Hatte auch Angebote von größeren Städten“

chilli: Das erste halbe Jahr nach der Wahl …

Von Kirchbach: … war tatsächlich schwer. Aber danach haben wir uns zusammengesetzt, professionell miteinander gearbeitet und menschlich ist das auch schon lange vollkommen entspannt. Ich habe aber nie daran gedacht, das Amt in Freiburg aufzugeben, obwohl ich auch Angebote von größeren Städten hatte. Aber meine Frau wollte auf keinen Fall aus Freiburg weggehen.

chilli: Die SPD wird wie 2018 wieder keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken, sondern unterstützt den Amtsinhaber Martin Horn. Weil?

von Kirchbach: Die SPD hat Martin Horn ja schon 2018 unterstützt. Es war eine mutige Entscheidung, einen unbekannten jungen Kandidaten gegen Dieter Salomon ins Ren-

nen zu schicken. Die SPD ist mit Horns Politik zufrieden, sie braucht keinen eigenen Kandidaten. Wir haben mit Horn, Monika Stein und anderen Anwärtern übrigens eine Auswahl, um die uns sicher viele Städte beneiden, in denen es teilweise Stichwahlen mit AfD-Kandidaten gibt.

chilli: Als sie 2002 als Kultur- und Sozialbürgermeister ins Rathaus einzogen, war die Welt noch weitgehend in Ordnung. Die rot-grüne Koalition wurde knapp wiedergewählt, Elbe-Hochwasser, die Einführung des Euro als Bargeld waren beherrschende Themen in dem Jahr. Heute lesen wir täglich Kriegsnachrichten, autokratische Typen in Ost und West sind ebenso auf dem Vormarsch wie Rechtspopulisten. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

von Kirchbach: Auf der einen Seite ist die Welt komplexer geworden. Auf der anderen Seite sind die sozialen Medien dazugekommen und mit ihnen die Simplifizierer, die Vereinfacher, und die Leute, die mit Fake News die Welt erklären und so gegen unsere staatliche Grundordnung agieren. Und die gewinnen damit Zulauf. Die Demokratie ist ein zartes Pflänzchen, und es ist sehr wichtig, dass man gute und konstruktive Politik macht, in den politischen Nahkampf geht und sich den Herausforderungen und Sorgen der Menschen stellt. Es ist wichtig, dass die Leute sehen, da ringen Politiker um die beste Lösung und die machen vielleicht nicht alles richtig, aber zumindest nehmen sie ihnen ab, dass sie es ernst meinen.

chilli: Wenn sich aber drei Parteien lieber vor den Medien streiten, als um die richtige Lösung zu ringen … von Kirchbach: Die Ampel-Koalition hatte viel Mühe mit den gefundenen Kompromissen …

chilli: … die schwarz-rote Koalition macht es bisher auch nicht viel besser. von Kirchbach: Streit wird von den Medien immer besonders hervorge-

hoben. Und was positiv läuft, geht dann meistens etwas unter.

chilli: Ein Beispiel?

von Kirchbach: Nehmen wir die Jobcenter. Die neue Regierung hat die schmerzhaften Kürzungen nicht nur zurückgenommen, sondern mehr Geld gegeben.

chilli: Das unwürdige Schauspiel um die Besetzung eines Richteramts beim Bundesverfassungsgericht ist tatsächlich aus Journalistensicht das spannendere Thema.

von Kirchbach: Das war wirklich total daneben. Aber auch da waren Fake News im Spiel, und plötzlich kam eine Stimmung auf, die am Ende dazu führte, dass Frauke BrosiusGersdorf zurückzog.

chilli: Wochenlang lief der Rentenstreit vor den Kameras. von Kirchbach: Das steht so im Koalitionsvertrag. Die SPD kann auch nicht alles schlucken. Und Neuwahlen kann auch niemand wollen. Im Endeffekt geht es darum, dass die Koalition eine andere Performance abliefert. Sonst erhöht sich die Zahl der Unzufriedenen, die früher nicht zur Wahl gegangen sind und dann vielfach AfD wählen. Obwohl sie nicht mal deren Parteiprogramme lesen.

„Dann wird es ganz schlimm“

chilli: Und das Ganze wird garniert mit einer schwächelnden Wirtschaft. von Kirchbach: Beispielsweise Stuttgart erhält eine Milliarde Euro Gewerbesteuer weniger. Es ist trotzdem ganz wichtig, dass Bund und Länder die Kommunen so ausstatten, dass sie ihre Aufgaben bewältigen können. In den Kommunen entscheidet sich, welches Verhältnis die Leute zur Demokratie entwickeln. Wenn es an Kitaplätzen fehlt oder Schwimmbäder geschlossen werden, das kulturelle Angebot abgebaut wird und die soziale Infrastruktur wegbricht, dann wird es ganz schlimm. Uns in Freiburg geht es da noch verhältnismäßig gut, wir haben zusam-

men mit Heilbronn noch einen ausgeglichenen Haushalt. Das sieht in Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim ganz anders aus. Von Baden-Baden ganz zu schweigen.

chilli: Es gibt auch eine andere Lesart: Als Martin Horn 2018 Oberbürgermeister wurde, stand das Rathaus mit 188 Millionen in der Kreide. Ende 2026 werden es wohl 440 Millionen sein. Ist das Anhäufen des Schuldenbergs generationengerechtes Handeln?

von Kirchbach: 440 Millionen sind es nur, wenn wir die Kreditermächtigungen voll ausschöpfen. Aber selbst wenn wir sie ausschöpfen, dann hätten wir eine Verschuldung von etwa 1800 Euro pro Einwohner. Wenn Sie das mit dem Bundeshaushalt oder auch dem Haushalt von anderen europäischen Ländern vergleichen, ist das noch überschaubar.

chilli: Ist das generationengerechtes Handeln?

von Kirchbach: Ja. Wenn wir Schulen sanieren oder neu bauen, wenn wir in Kitas investieren, wenn wir in Bildung investieren, dann investieren wir in die nächsten Generationen. Man darf übrigens nicht vergessen, dass die Stadt jedes Jahr um rund 1500 Menschen wächst und folglich auch mehr investiert werden muss. Insofern sind die 188 Millionen nicht exakt mit den 440 vergleichbar.

chilli: Kanzler Merz hatte im Wahlkampf vehement gegen eine Lockerung der Schuldenbremse Stimmung gemacht. Die Sie im Interview mit uns vor einem Jahr befürwortet hatten. Noch zwei Tage nach der Bundestagswahl hatte Merz gesagt: „Es ist in der nahe liegenden Zukunft ausgeschlossen, dass wir die Schuldenbremse reformieren.“ Sechs Tage (!) später standen Merz, Klingbeil und Söder auf der Bühne und verkündeten hunderte Milliarden neue Schulden, pardon Sondervermögen. Schafft man so Vertrauen in politische Entscheidungsträger?

von Kirchbach: Ich war damals auch vollkommen überrascht. Man sollte aufpassen im Wahlkampf, dass man nur Dinge verspricht, die man dann auch einhalten kann. Und natürlich ist das schlecht für die Glaubwürdigkeit. Ja, ich bin für eine Lockerung der Schuldenbremse, wir brauchen Spielraum, an solche Summen habe ich damals aber nicht gedacht. Jetzt helfen die uns aber auch.

170 Millionen in 12 Jahren

chilli: Wie viel Geld bekommt Freiburg aus dem sogenannten Sondervermögen?

von Kirchbach: Bis zu 170 Millionen für die nächsten 12 Jahre.

chilli: Wenn Sie nur drei kulturpolitische Highlights in den vergangenen 24 Jahren nennen dürften … von Kirchbach: Das Augustinermuseum, die Zielvereinbarung mit dem Theater Freiburg, das Kulturkonzept, der Museumsentwicklungsplan …

chilli: … vielleicht klappt es mit der Drei bei den sozialpolitischen Highlights? von Kirchbach: Dazu zählen das Meistern der Herausforderungen um die Flüchtlingswelle 2015, als wir aus dem Nichts 16 Wohnheime realisiert und das Amt für Migration und Integration gegründet haben. Es war sicher sehr wichtig, dass wir uns zusammen mit der Agentur für Arbeit bei der Langzeitarbeitslosigkeit schwerpunktmäßig auf Jugendliche konzentriert haben. Es ist hervorzuheben, dass wir jetzt viel mehr geförderten Wohnungsbau über die FSB realisieren und unterstützen. Und es ist ein großer Erfolg, dass und wie wir die Quartiersarbeit ausgebaut haben. Und eins will ich noch erwähnen, das Förderprogramm des Bundes „Sozialer Zusammenhalt“, aus dem Hunderte von Millionen nach Freiburg geflossen sind.

chilli: Herr von Kirchbach, vielen Dank für dieses Gespräch.

Von Wandel und Bewegung

ZWEI AUFFASSUNGEN VON MALEREI IM MUSEUM FÜR NEUE KUNST

Seit Ende November –und bis zum 12. April –werden im Museum für Neue Kunst Werke von zwei Künstlern präsentiert, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Zumindest auf den ersten Blick: Den mit schwerer Ölfarbe gemalten, kompakt wirkenden Riesenbildern von Artur Stoll sind die leichten, fragil anmutenden und beweglichen Textilinstallationen von Olga Jakob gegenübergestellt. Oder besser: gehängt.

„Mal er, mal sie“ ist die gemeinsame Ausstellung zweier unterschiedlicher künstlerischer Ansätze in der Malerei benannt. Die Geschichte dahinter: Stoll, der 1947 in Freiburg geboren wurde und nach seinem Kunststudium in Karlsruhe bis zu seinem Tod 2003 in Norsingen lebte, signierte seine Gemälde manchmal einfach mit „Maler“. Um die Wechselwirkung seines Werks mit dem seiner knapp 40 Jahre jüngeren Kollegin Olga Jakob zu benennen, kam man auf den malerischen Titel, erzählt Museumsdirektorin Christine Litz beim Rundgang durch die Ausstellung.

Die Wahl der 1985 in Kyjiv geborenen Kölnerin Olga Jakob als Gegenpart zu Artur Stoll war kein Zufall: Auch sie absolvierte ihr Studium an

der Akademie für Bildende Künste in Karlsruhe. Zudem werden erstaunliche Parallelen wahrnehmbar, wenn man sich auf genaueres Hinsehen und den Dialog zwischen den beiden Kunstauffassungen einlässt: Die Installationen der Künstlerin, die „mit der Schere malt“, sind trotz aller schwebenden Leichtigkeit mindestens ebenso raumgreifend wie Stolls 2,80 x 2,30 Meter große Gemälde. Und ebenso wie ihre skulpturalen Werke durch die stetige Veränderung wie etwa der Licht- oder Lufteinwirkung zur Perfektion gelangen, beschäftigen sich auch seine Bildthemen mit dem Wandel – mit Wachstum, Werden und Vergehen.

Die Werke beider Künstler verändern sich schon allein je nach dem Blickwinkel, aus dem sie innerhalb des Raums betrachtet werden – und finden ein neues Verhältnis zueinander. Einige Exponate können von den Besuchern selbst bewegt werden. Die aus Geweben in verschiedenen Farben und Texturen sowie körpergebendem aufgeleim-

tem Seiden- oder schwererem Papier bestehenden Installationen Olga Jakobs können mit eigens dafür bereitliegenden Handschuhen in ganz neue Formen gebracht werden. Und in Stolls 17-teiliger Arbeit „De Norso“ kann man am Modell ausprobieren (Foto u.), wie eine andere Hängung wirken würde. Am 15. Januar und 5. März werden die beiden Kuratorinnen Christine Litz und Lisa Bauer-Zhao die Vorschläge der Besucher dann mit den echten Bildern umsetzen.

INFOS:

www.museen.freiburg.de/mnk/ sonderausstellungen-mnk

„Ondit Murmur“ heißt Olga Jakobs bewegliche Installation (o.l), die Artur Stolls Zyklus namens „Wunderblume“ (o.r.) ergänzt.

von Erika Weisser
Fotos: © MNK Bernhard Strauss

Therapie für Wikinger

Dänemark

Regie: Anders Thomas Jensen

Mit: Mads Mikkelsen, Nikolaj

Lie Kaas, Sofie Gråbøl

Verleih: Neue Visionen

Filmverleih/Splendid Film

Laufzeit: 116 Minuten

Start: 25.12.2025

Abgründig komisch

DER LETZTE WIKINGER – FURIOSE ODYSSEE ZWISCHEN

WAHN, WITZ UND WUNDEN

Anders Thomas Jensen bleibt sich treu: In Therapie für Wikinger verwandelt der dänische Meister des rabenschwarzen Humors eine einfache Ausgangssituation in ein irrwitziges Geflecht aus Identitätssuche, brüderlicher Verzweiflung und existenzieller Komik.

Im Zentrum stehen die Brüder Anker (Nikolaj Lie Kaas) und Manfred (Mads Mikkelsen), deren Leben seit einem missglückten Bankraub auseinandergebrochen ist. Nach 15 Jahren Haft kehrt Anker zurück – mit einem klaren Ziel: die damals vergrabene Beute finden. Doch sein Bruder Manfred, einst für das Versteck verantwortlich, hat sich längst in eine andere Realität verabschiedet. Seine Identitätsstörung ist zum bizarren Gesamtkunstwerk geworden. Er nennt sich nun John (nach seinem Beatles-Idol), Musik ist sein Rückzugsort, Erinnerungen sind Nebelschwaden.

Jensen inszeniert diese Konstellation mit einem Gespür für groteske Übertreibung, ohne seine Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben. Der Umzug der Brüder in ihr altes Elternhaus, inzwischen eine Airbnb-Unterkunft, die von einer temperamentvollen Boxerin betrieben wird, markiert den Einstieg in ein absurd-komisches Kammerspiel. Während man sich fragt, ob dieser Ort tatsächlich Manfreds Erinnerungen hervorlocken kann, sitzt dem Duo bereits die Vergangenheit im Nacken: Ankers ehemaliger Komplize Friendly Flemming fordert seinen Anteil – und er tut es mit einer brutalen Vehemenz, die das dünne Gleichgewicht der beiden Brüder endgültig aus dem Tritt bringt.

Doch bei aller Krimi-Spannung ist Therapie für Wikinger vor allem ein Film

über Identität. Jensen zeigt, wie sehr wir von den Blicken anderer geprägt werden und wie viele widersprüchliche Facetten in jedem Menschen schlummern. Inmitten der düster-grünen Wälder Dänemarks entfaltet sich ein ebenso schräger wie berührender Reigen aus Selbstfindung und familiärer Verbundenheit. Es gelingt ihm, das Psychologische mit dem Grotesken zu verweben.

Die Stärke des Films liegt in der Balance: zwischen bissigem Witz und echter Tragik, zwischen Actionmomenten und stillen, fast zärtlichen Brüderdialogen. Das vertraute Ensemble trägt viel dazu bei, dass die Geschichte trotz ihrer Überdrehtheit emotional verankert bleibt. Manfreds Kampf um das eigene Ich und Ankers verzweifelte Hoffnung, seine Familie wiederherzustellen, geben dem Humor Tiefe.

Therapie für Wikinger ist damit weit mehr als eine Krimi-Komödie: Es ist eine wunderbar schiefe Fabel über das Menschsein, darüber, wer wir sind – und wer wir gern wären. Jensen lädt das Publikum ein, gelassener auf sich selbst und auf andere zu blicken. Und er beweist einmal mehr, dass im Absurden oft die ehrlichste Wahrheit steckt.

von Michaela Moser
Fotos: © Neue Visionen Filmverleih

DER HELD VOM BAHNHOF FRIEDRICHSTRASSE

Deutschland 2024

Regie: Wolfgang Becker

Mit: Charly Hübner, Christiane Paul u.a.

Verleih: X Verleih

Laufzeit: 113 Minuten

Start: 11. Dezember 2025

Hochstapler wider Willen

(ewei). Micha Hartung, früher stellvertretender Stellwerksmeister am Bahnhof Friedrichstraße, betreibt im Prenzlauer Berg eine Videothek. Er steht kurz vor der Pleite, als ein Redakteur des „Fakt“-Magazins ihn über Nacht zum Helden macht: Micha, so seine Geschichte zum 30. Jahrestag des Mauerfalls, habe bereits im Juni 1984 durch eine vorsätzlich falsch gestellte Weiche die Flucht von 127 Menschen aus der DDR ermöglicht. Micha gerät ins Rampenlicht –und ins Visier der Staatsanwältin Paula Kurz. Sie saß damals im fehlgeleiteten Zug und scheint Gefallen an ihm zu finden. Er kann sein Glück kaum fassen, doch sie spielt ein ebenso falsches Spiel wie Micha selbst. Und die sich allmählich anbahnende Liebesgeschichte droht im gleichen Chaos aus Lügen unterzugehen wie das ganze restliche Leben des sympathischen Hochstaplers wider Willen. Ein vergnügliches Lehrstück über die Tücken der deutschen Erinnerungskultur – und über die Kraft des Geschichtenerzählens.

DER FREMDE

Frankreich 2025

Regie: François Ozon

Mit: Benjamin Voisin, Rebecca Marder u.a.

Verleih: Weltkino

Laufzeit: 122 Minuten

Start: 1. Januar 2026

Keine Gefühlsregung

(ewei). „Jeder Mann, der bei der Beerdigung seiner Mutter nicht weint, läuft Gefahr, zum Tode verurteilt zu werden“. So fasste Albert Camus sein Buch „Der Fremde“ zusammen. Regisseur François Ozon hat nun das 1942 erschienene Meisterwerk des Existenzialismus neu verfilmt und folgt dabei stets dieser beklemmenden Logik. Der von Benjamin Voisin glänzend verkörperte Buchhalter Meursault führt eine unauffällige Existenz als Buchhalter in einer französischen Firma in Algier. Als er vom Tod seiner Mutter in einem kirchlich geführten Altersheim erfährt, reist er hin und nimmt ohne jede Gefühlsregung Abschied. Tags darauf trifft er eine ehemalige Kollegin am Strand und beginnt eine Affäre mit ihr, ist dabei aber ebenso distanziert wie bei der Beerdigung. Irgendwann gerät er in die zwielichtigen Geschäfte seines Nachbarn und tötet im Streit den Bruder der arabischen Frau, die dieser zur Prostitution zwingt. Auch dabei – und beim späteren Urteil – wirkt er seltsam unbeteiligt.

EIN EINFACHER UNFALL

Iran/Frankreich 2025

Regie: Jafar Panahi

Mit: Vahid Mobasseri, Mariam Afshari u.a.

Verleih: MUBI

Laufzeit: 105 Minuten

Start: 8. Januar 2026

Ungewisse Grenze

(ewei). Als der Automechaniker Vahid zufällig auf den Mann trifft, den er für seinen einstigen Folterer hält, entführt er ihn, um sich zu rächen. Doch der einzige Hinweis auf Eghbals Identität ist das Quietschen seiner Beinprothese. Auf der Suche nach Gewissheit wendet er sich an einen zerstreuten Kreis anderer Menschen, die zur gleichen Zeit wie er ungerechtfertigt im Gefängnis waren. Doch je tiefer sie in die Vergangenheit eintauchen, umso größer werden die Zweifel, ob er wirklich ihr Peiniger ist. Und ob Vergeltung der richtige Weg ist.

Vor dem allgegenwärtigen Hintergrund des autokratischen iranischen Regimes verdichtet sich Jafar Panahis Film zu einem Akt des Widerstands, der zugleich hochpolitisch und zutiefst menschlich ist. Mit unerbittlicher Klarheit fordert er dazu auf, die oft ungewisse Grenze zwischen Recht und Unrecht genau auszuloten. Goldene Palme in Cannes 2025; Frankreichs Beitrag in der Kategorie „Bester internationaler Film” bei den Oscars 2026.

Fotos: © X Verleih
Fotos: © Weltkino
Fotos: © MUBI

Tracks des Jahres

12 AUSSERGEWÖHNLICHE SONGS

MADE IM BREISGAU

Freiburg, was geht? Einiges in Sachen Musik. Die chilliRedaktion kürt zum siebten Mal die Tracks des Jahres. 12 Songs straight outta Freiburg, die der Redaktion besonders gut gefallen haben. Euer Tune nicht dabei? Schickt ihn uns gerne zu an redaktion@chilli-freiburg.de

Kloppen » Bring mich heim

Bei „Bring mich heim“ muss man unweigerlich mitschunkeln. Gleichzeitig nachdenklich und leicht kommt der Song daher. Kloppen singen mit einer samtigen Stimme über das Nichtankommen und Loslassenkönnen, untermalt von den Klängen einer melodischen E-Gitarre. Ein Song, der perfekt zu einer langen Autofahrt passt, vielleicht sogar Richtung zu Hause.

Proberaum » Brüder Melancholische, zarte Klänge und gleichzeitig ein Rhythmus, der nach vorne pusht: Das Musiker-Kollektiv Proberaum hat eine einfühlsame Ballade kreiert. Peezy, Louey und Jxsh beschreiben die innere Zerrissenheit, wenn man nicht so genau weiß, wohin mit sich und irgendwo zwischen Vertrautem und Neuem steckt. Ein melancholischer Song über das Lostsein und das, was wirklich zählt – auf eine Art, die sehr relatable ist.

Bahar » Mama

Die ehemalige Monrose-Sängerin Bahar singt über die schwierige Kindheit ihrer Mutter als türkisches Gastarbeiterkind. Kein leichtes Thema. Aber der Song ist mitnichten eine traurige Ballade, sondern ein positiver Track mit Aufbruchstimmung. Vor allem der Refrain auf Deutsch und Türkisch ist ohrwurmtauglich. Ein Mutmacher über Dankbarkeit und Migration – Themen, die es nicht so oft in Popsongs schaffen.

Larissa Leaves » Salt hail

Der geheimnisvolle, schwungvolle Sound, den Larissa Leaves auf der Ukulele erzeugt, bringt einen ins Hier und Jetzt. Er verströmt Pep und Ruhe, Leichtigkeit, aber auch eine Tiefe und hat dadurch einen gewissen Zauber. „Salt Hail“ wirkt wie ein Sonnenstrahl, der es durch den wolkenverhangenen Himmel geschafft hat.

Between Owls » Big Smiles

Es ist wunderbar harmonischer Indie-Pop, den das Freiburger Quartett hier präsentiert. Der Song macht Lust, mit einem leichten Lächeln gemütlich auf der Autobahn zu cruisen und mit den Fingern sachte auf das Lenkrad zu

trommeln. Die verträumte Melodie muss unwillkürlich irgendwie tanzend begleitet werden – erfüllt von einem beschwingten Gefühl, als wäre man gerade am Samstagmorgen aufgestanden, um Kaffee zu kochen.

Das Aus der Jugend » Mollis aus Champagnerflaschen „Wenn sowieso alles im Arsch ist, warum fackeln wir’s nicht ab.“ Auch mit Blick weit über Freiburg hinaus ist „Mollis aus Champagnerflaschen“ ein absolutes Highlight in diesem Jahr. Der rhythmische Punk-Sound beschwingt und treibt an. Und ja, hier darf geschmunzelt werden. In der Spotify-Bio der Band steht: Es klingt wie Knutschen auf der Rückbank vom Polizeiauto. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Sharp Harp
Foto: © Maximilian
R. Schneider Kloppen
Foto: © fennshoot
Max Beil
Foto: © Cosima Beil
Das Aus der Jugend
Foto: © privat
Bahar Foto: © Ugur Atesalp

Vince » In meinem Zimmer sieht es aus wie in meinem Kopf

Der gefühlvolle Rap von Vince ist erfüllt von einer stillen Traurigkeit, aber ohne zu verzweifeln. Es erinnert an NewWave-Acts wie Makko und macht extrem Lust darauf, was uns da in Zukunft noch erwartet. Der runde Pop-Beat und die einfühlsamen Lyrics haben etwas Beruhigendes. Er bringt die Message unter die Leute: Entspannt euch, es ist alles nicht so schlimm. Und manchmal kann man daran nicht oft genug erinnert werden.

Tina Turnup » Intro

Die Freiburger Rapperin hat hier ordentlich geliefert. Der sphärisch sich ausbreitende Beat von „Intro“ ist extrem eindringlich. Wie in Trance rauscht die Stimme von Tina Turnup über ihr Publikum hinweg, voll Grazie und Sanftheit vor dem tosenden Klanggebäude, produziert von

Young Frenchy. Egal ob heiter oder todtraurig, es gibt praktisch keine Stimmung, in der der Intro-Track von Tina Turnup nicht matcht.

Die Haiducken » Vo bist du gewesen vor Prohibition?

Aus der Reihe tanzen. Das tun die Haiducken aus Freiburg. Ihr Sound ist frech, wild und ausgelassen. Leadinstrument: Klarinette. So auch in „vo bist du gewesen vor prohibition?“ Wer hier stillstehen kann, bekommt einen Preis. Der Rest kann mit abgehen zu Klezmer- und Balkan-Tunes. Die Platte dazu heißt „Auf das Leben!“. Mal voller Sehnsucht, mal verträumt, mal ungezähmt wie ein bengalischer Tiger.

Sharp Harp » Sharp Harp

Sharp Harp. Das ist vertrackt-virtuose Beatmusik zum Kopfnicken. Zusammengefrickelt von den Freiburgern Sebastian Baf Scheipers und Konstantin König. „We might be wrong“ heißt ihr Album. Darauf ist auch der Song „Sharp Harp“. Ein treibender Tune, in dem Harfe und Posaune aufeinanderprallen. Musik zum Wegschweben oder Bouncen. Oder beides. Hier wird experimentiert und es brodelt bunt im Soundlabor.

A2X » Safee_V2

Der Freiburger Rapper A2X ist auf dem besten Weg, mit seinen Tracks weit über Freiburg hinauszukommen. Der Sound klingt fresh und swaggy. So auch die Single „safee_V2“. A2X 098 rollt laidback über einen düsteren Beat, mixt gekonnt Deutsch und Englisch, hat zudem keine Egoprobleme: „Ich bin der chosen One“. Starke Stimme, cooler Vibe. Und auch live absolut sehenswert – nicht nur wegen der Schlafmaske als Branding.

Max Beil » Freiburg

Heimatsongs sind dünnes Eis. Rap-Newcomer Max Beil hat sich draufgewagt. Mit einem New-Wave-Rap-Beat und Zeilen wie „wir sind auch öko, laufen barfuß durch die Straße“ hat er eine Freiburg-Hymne gedroppt, die ins Ohr geht. Die Eisdecke wackelt, vor allem wegen dem dicken Bass. Man kann den Song schräg finden. Oder aufdrehen und grinsen. Würde soundtechnisch auch auf eine Techno-Party passen.

DIE JURY

Till Neumann

chilli-Redakteur & Musiker HipHop, Soul, Urbanes Schlager und schlechte Texte

Jannis Jäger

chilli-Redakteur

Post-Punk, Deutschrap, Nu-Metal, Alternative Kitsch und Auto-Tune

Anna Castro Kösel

Studentin und chilli-Autorin R&B, House, Reggeaton, Deutsch-Rap und Pop Schlager

Best of: Diese zwölf Freiburger Acts haben die Redaktion mit ihren Songs überzeugt.
Vince
Foto: © Fatjon Humaj
Tina Turnup Foto: © Albi Rich
Larissa Leaves Foto: © Ronny Barthel
Between Owls
Foto: © Sévérine Kpoti
Haiducken
Foto: © Michaela Klaehn
Proberaum

Virtuose Klangwelten

BACH IN SPACE | THE SOUND OF HANS ZIMMER & JOHN WILLIAMS | VIVALDIS VIER JAHRESZEITEN

Evon Michaela Moser

in Frühjahr voller Klangwelten: Von den atemberaubenden Bildern des Kosmos mit Bachs meisterhaften Kompositionen bis hin zu epischer Filmmusik und Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ – drei außergewöhnliche Konzerterlebnisse in Freiburg verschmelzen Musik, Bild und Emotion zu Reisen durch Raum, Fantasie und Natur.

Das Universum auf Großleinwand –live zu Bach

Ein visuelles und musikalisches Erlebnis der besonderen Art erwartet das Publikum: Auf einer monumentalen Leinwand erscheinen brillante NASAAufnahmen – ferne Galaxien, leuchtende Nebel, geheimnisvolle Schwarze Löcher. Die Farben und Details wirken wie aus einem Science-Fiction-Film, gleichzeitig absolut real. Dazu spielt die Pianistin Mona Asuka live Werke von Johann Sebastian Bach. Ihr nuancenreiches Spiel – kraftvoll, feinfühlig und voller Dynamik – lässt die Musik in neuem Licht erscheinen.

Bild und Klang verschmelzen zu einer Reise durch Raum und Zeit, in der Bachs Kompositionen überraschend modern wirken. Frühere Aufführungen sorgten bereits für Begeisterung: Kritiken loben die atemberaubende Bildqualität, die sorgfältige Werkauswahl und die außergewöhnliche Verbindung von Kosmos und Klang.

Im März 2026 kommt das Projekt erstmals nach Freiburg ins Konzerthaus. Auf dem Programm stehen Highlights wie Auszüge aus dem „Wohltemperierten Klavier“, den „Goldberg-Variationen“ und dem „Italienischen Konzert“. Ein Erlebnis, das klassische Musik nicht nur neu präsentiert, sondern vollkommen neu erfahrbar macht.

INFO

Bach in Space

Samstag, 7. März 2026, 19.30 Uhr

Konzerthaus Freiburg

Pianistin: Mona Asuka

Pianistin Mona Asuka: Virtuosität auf höchstem Niveau.
Foto: © Christian H. Hasselbusch
Foto: MünchenMusik GmbH

Zwei Giganten – ein episches Filmmusik-Erlebnis

Die größten Filmsoundtracks unserer Zeit erklingen live – gespielt von einem mächtigen Symphonieorchester und einem Chor mit über 100 Mitwirkenden: der Philharmonie Südwestfalen und dem uniChor Siegen, unter der Leitung von Markus Huber und begleitet durch die Moderation von Christian Düren.

Zu hören sind legendäre Melodien aus Klassikern wie Star Wars, Harry Potter, Fluch der Karibik, Jurassic Park, Gladiator, Indiana Jones, Inception und vielen weiteren Blockbustern.

Hans Zimmer, einst der unsichtbare Klangarchitekt Hollywoods, wurde mit Werken wie Der König der Löwen, Interstellar und Dune zu einem der einflussreichsten Komponisten der Gegenwart. Ebenso ikonisch ist John Williams, dessen Musik – darunter die unvergessliche Star Wars-Fanfare – Filmgeschichte geprägt hat. Beide Komponisten haben Melodien geschaffen, die sofort Erinnerungen und Emotionen wecken. Kein Wunder also, dass „The Sound of Hans Zimmer & John Williams“ seit Jahren begeistert und für ausverkaufte Konzertsäle sorgt. Nun kehrt das Projekt mit neuem Programm zurück – kraftvoll, mitreißend und voller musikalischer Gänsehautmomente.

INFO

The Sound of Hans Zimmer & John Williams Freitag, 13. März 2026, 19.30 Uhr, SICK-ARENA Freiburg

Moderation: Christian Düren

Vivaldi immersiv – eine multimediale Illusion 2025 jährte sich die Uraufführung von Vivaldis berühmtestem Werk zum 300. Mal. Die „Vier Jahreszeiten“ beeindrucken bis heute mit virtuosen, stürmischen und zugleich zarten musikalischen Bildern von Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Zum Jubiläum wird das Meisterwerk nun in einem neuartigen, immersiven Format präsentiert: Großflächige Videoanimationen und raffinierte Lichtinstallationen lassen das Publikum mitten in die Atmosphäre der Jahreszeiten eintauchen. Moderne Technik schafft eine eindrucksvolle Verbindung aus Klang und visueller Inszenierung und verwandelt den Konzertsaal in eine poetische Erlebniswelt.

Live gespielt vom Stuttgarter Kammerorchester entfalten sich Vivaldis Klangwelten mit besonderer Intensität. Das Publikum erlebt den Jahreslauf unmittelbar – vom leuchtenden Sommer bis zu winterlichen Stürmen – und wird von der Kraft dieser Musik auf eine sinnliche Reise mitgenommen.

INFO

Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ Samstag, 28. Februar 2026, 19.30 Uhr, Konzerthaus Freiburg Alle Tickets unter eventim.de

Demnächst in der Sick-Arena: Filmmusik mit großem Orchester. Fotos: © Evgenia Gapon/Gerrit Cramer
Das Stuttgarter Kammerorchester lässt das Publikum in faszinierende Klangwelten eintauchen. Foto: © Florian Ganslmeier

Vielseitige Kopfkinos

DAS SIND DIE BÜCHER DES JAHRES VON FREIBURGER BUCHHÄNDLER·INNEN

Wer nicht zielgerichtet wegen eines bestimmten Buchs eine Buchhandlung betritt, gerät schnell in die Qual der Wahl unter den vielen Neuerscheinungen, die jährlich auf die Ladentische gelangen. Gut, dass es da in den Freiburger Buchläden gleichermaßen belesene wie beratende Fachleute gibt – die sich auch noch die Zeit nehmen, den chilli-Leser·innen ihr besonderes Buch des Jahres vorzustellen.

Die Heilung von Luzon

von von Karl-Heinz Ott

Verlag: Hanser, 2025

336 Seiten

Hardcover

Preis: 26 Euro

„Die Heilung von Luzon“ ist reinstes Kopfkino: Gemeinsam mit den psychologisch fein gezeichneten Figuren ist man von der ersten Seite an mittendrin auf der philippinischen Insel. In einem Urlaubsresort treffen zwei sehr unterschiedliche deutsche Paare aufeinander, jeweils mit einem schwer an Krebs erkrankten Partner. Sie hoffen auf Rettung durch einen bisweilen surreal anmutenden Geistheiler, auch wenn es sie ein Vermögen kostet und sie mitunter an dem ganzen „Hokuspokus“ zweifeln.

Raffiniert spielt Ott mit Wahrnehmungsebenen, rückt Fragen nach Inszenierung ins Zentrum und lässt den zwischen Paradies und Albtraum changierenden Tropenschauplatz zum Brennglas lange schwelender Beziehungskonflikte und ambivalenter Sehnsüchte werden. Dabei begegnet er seinen Figuren schonungslos, bisweilen urkomisch und stets auf Augenhöhe.

Charlotte Steinweg, Buchhandlung fundevogel

Nachtgäste von Nenad Veličković

Übersetzung von Barbara Antkowiak

Verlag: Jung und Jung, 2025

240 Seiten gebunden

Preis: 24 Euro

Sarajevo während der Belagerung: Die achtzehnjährige Maja findet mit ihrer Familie, dem Hund Sniffy, dem Pförtner Brkić und dessen Freund Julio Zuflucht im Museum. Zusammen bilden sie den Klub der Nachtgäste. Sie beobachtet aus dem Fenster des Museums, was in der belagerten Stadt passiert, und folgt den aus der Not geborenen Tagesabläufen ihrer Mitbewohner·innen. Mit aufgewecktem Blick und psychologischem Gespür beäugt sie deren Eigenarten und Überlebensstrategien –und enttarnt wie nebenbei auch die Irrationalität des Krieges. Darin steckt eine Tragikomik, die entwaffnet. „Nachtgäste“, nach 30 Jahren neu aufgelegt, besticht durch seine unmittelbaren Beschreibungen des Überlebens im Krieg. Das ist mal traurig, mal unsinnig, dann wieder herzergreifend komisch und immer schonungslos ehrlich.

Katharina Tillmann, Buchhandlung Schwarz

Was vor uns liegt von Alba de Céspedes

Übersetzung von Esther Hansen

Verlag: Insel, 2025

380 Seiten

Hardcover

Preis: 25 Euro

In diesem Jahr erschien der Debütroman von Alba de Céspedes in deutscher Sprache, ein Text, mit dem sie 1938 zu einer literarischen und feministischen Ikone wurde.

Acht Mädchen unterschiedlicher Herkunft und Abstammung leben 1934 in einem Konvikt. Was sie eint, ist die Sehnsucht nach einem glücklichen Leben – mit unterschiedlichen Vorstellungen zu Liebe und Heirat, Beruf, Aufbruch in neue Welten, der Sehnsucht nach Heimat.

Der Text lebt von vielschichtigen Blickwinkeln auf die Besonderheiten der je eigenen Entwicklung. Die Autorin bricht Frauenbilder auf, ohne dass es moralische Einordnungen gibt. Sie verzichtet auf ein Urteil über die Lebens- und Denkwege der Frauen und lässt damit Raum zum Denken, für eigene Reflexionen – und zerstört damit alte Gewissheiten, Muster und Bilder.

Dieses Buch sollte zum europäischen literarischen Kanon gehören. Und Alba de Céspedes ist eine Autorin, der ich, gerade auch als Mann, mehr zu verdanken habe, als ich mir je ausmalen konnte.

Björn Siller, Buchhandlung zum Wetzstein

Die Fletchers von Long Island

von Taffy Brodesser-Akner

Übersetzung von Sophie Zeitz

Verlag: Eichborn, 2025

577 Seiten gebunden

Preis: 25 Euro

Es könnte alles so schön sein. Das florierende Familienunternehmen ermöglicht den Fletchers das Leben in enormem Reichtum in einer großen Villa auf Long Island und die großzügige Alimentierung der Kinder und ihrer Lebensentwürfe. Wäre da nicht die vor 40 Jahren erfolgte Entführung des Familienvaters, die keinen in der Familie unbeschädigt gelassen hat. Das Opfer ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Dem ältesten Sohn fällt nach dem ersten erfolgreichen Filmdrehbuch über eine Entführung nichts Neues mehr ein. Der zweite wird zum Sicherheitsfanatiker und Rechtsanwalt für so was Ödes wie Bodenrecht, Hauptsache keine Verbrecher, und die jüngste Tochter hadert mit dem Vermögen und engagiert sich als Sozialromantikerin. Als die Firma dann ins Schlingern gerät, kommen auch noch unschöne Familienwahrheiten auf den Tisch. Mit überbordender Fabulierlust und Detailreichtum schildert die Autorin die Neurosen, Phobien und Krisen dieser jüdisch-amerikanischen Familie.

Heiko Kaminski, Buchhandlung Rombach

Die Lesereise von Andi Watson

Übersetzung von Ruth Keen

Verlag: Schaltzeit Verlag, 2022

272 Seiten

Hardcover

Preis: 25 Euro

In seiner Graphic Novel schickt Andi Watson den angesehenen, doch nicht sehr erfolgreichen Autor G. H. Fretwell auf eine Lesetour mit kafkaesken Wendungen. Nichts läuft nach Plan, das Publikum bleibt aus, Verkäufe finden nicht statt. Trotzdem wird die Reise weiter und weiter verlängert. Allmählich wird sie zum Albtraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Und obwohl ohnehin schon alles schief läuft, scheint es, als ob Fretwells Probleme gerade erst beginnen. Denn inzwischen hat die Kriminalpolizei einige Fragen an ihn ...

Ein mörderisches Verwechslungsdrama und eine großartige Persiflage auf den Literaturbetrieb. In seinem Comic beschwört der gefeierte Cartoonist Andi Watson die Urängste von Schriftstellern herauf und verdichtet sie zu einem komödiantischen Buchjuwel. Witzig, surreal und scharf beobachtet, ist „Die Lesereise“ eine fesselnde Lektüre.

Das Buch ist zwar schon 2022 erschienen, gelangt aber erst jetzt, da der Folgeband „Der Bücherkoffer“ erschienen ist, so richtig ins Bewusstsein.

Michael Schumann, Comicladen X für U

Papiervögel

von Mana Neyestani

Übersetzung von Christoph Schuler

Verlag: Edition Moderne, 2025

200 Seiten

Hardcover

Preis: 28 Euro

Auf der Grenze zwischen Iran und Irak liegt das Zagros-Gebirge. Durch dieses Gebirge und über die Grenze schmuggeln kurdische Lastenträger·innen –Kolbar genannt – unter Einsatz ihres Lebens verschiedene Waren und versuchen so, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Einer dieser Kolbar ist der Ingenieur Jalal, der Geld verdienen möchte, um seine kranke Mutter zu pflegen. Auf ihn wartet Rojan, die von einem Leben in der Anonymität und Freiheit von Teheran träumt. Dorthin will sie zusammen mit Jalal flüchten, wenn dieser zurückkehrt.

Die Sorgen und Nöte, die die Kolbar dazu bewegen, diese lebensgefährliche Aufgabe auf sich zu nehmen und die patriarchalen Verhältnisse, in denen Rojan zurückbleibt, bringt der iranische Zeichner und Karikaturist Mana Neyestani mit filigranen Strichen präzise auf Papier, ohne dabei die Hoffnung auf eine bessere Welt zu verlieren.

Jonas Großmann, Buchhandlung Jos Fritz

Was vor uns liegt
Alba de Céspedes

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