HERZLAND
Kammeroper in 5 Bildern
nach Auszügen aus dem Briefwechsel
Paul Celan - Gisèle Celan-Lestrange
für 2 Stimmen und 4 Instrumente
2005
Partitur
master processed on 14 01 2025
Sy. 9313/01
ISMN 979-0-2042-9313-1
Copyright © 2025 by G. Ricordi & Co. Bühnen- und Musikverlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten
Besetzung:
Gisèle
Mezzosopran (lyrisch)
Paul Bariton (lyrisch)
Flöte (auch Piccolo)
Klarinette in B (auch Bassklarinette in B)
Viola Akkordeon
L e g e n d e :
Fermaten:
Zäsur kurz lang
Viertelton höher
Viertelton niedriger
s.v. senza vibrato
vib. vibrato
gliss glissando
S t i m m e n : schneller werdend langsamer werdend so schnell, wie möglich kurzer Ton Ton halten so hoch, wie möglich so tief, wie möglich
Gesang teilweise in Spacenotation, d.h.: rhythmisch frei – den Proportionen entsprechend –innerhalb der gegebenen Dauer (Anzahl der Takte).
flz.
Flatterzunge
V i o l a : sul pont. sul ponticello
norm. normale gett. gettato trem. tremolo ric. ricochet tasto
Entwicklung zu tasto
Finger-pizzicato (linke Hand)
Bartòk-Pizzicato
Baritonbass S Standardbass m minore (moll) M maggiore (Dur) d vermindert 7 Septakkord
Texte aus: „Paul Celan – Gisèle Celan-Lestrange : Briefwechsel. Mit einer Auswahl von Briefen Paul Celans an seinen Sohn Eric“. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou in Verbindung mit Eric Celan.
© Suhrkamp Verlag 2001 für die Briefe von Paul Celan und für die deutsche Sprache der Briefe von Gisèle Celan-Lestrange
1. Bild:
(Nr. 155)
Ma chérie, Sie sind meine Frau – mutig sind Sie die Frau eines Dichters. Ich danke Ihnen dafür, daß Sie es sind, und so tapfer. Sie sind auch die Mutter meiner Kinder, Sie sind die Mutter Erics. Danke, ma Chérie, daß Sie so mutig sind. Sie sind, und das wissen sie genau, die Frau eines Poète maudit; doppelt und dreifach „Jude“. Danke, Gisèle de Lestrange, daß Sie das alles auf sich nehmen. Danke, mon Amour, danke, Gisèle de Lestrange, daß Sie so mutig meine Frau sind. Danke, daß Sie die Mutter Erics sind. CopyrightbyG.Ricordi&Co./Forperusalonly
Paris, den 22. Oktober 1962
[...] Mon amour. Wir sind nicht dazu geschaffen, so fern voneinander zu leben. Wenn Du wenigstens ein paar neue Personen hättest sehen können. Aber alle treffen sich überall wieder! Wann kommt man aus diesem Teufelskreis heraus? Wo kann man wieder Menschen finden, Sauberkeit, mein Gott, meine Hoffnung ist klein, weißt Du; zum Glück bleibt mir die Liebe, sehr lebendig und ganz. Ich habe nur noch das, aber ich habe das Wichtigste. [...] Ich warte auf Dich, mon chéri, ich lebe Deiner Rückkehr entgegen, dem Augenblick, in dem wir wieder zusammensein werden. Ich mache mir oft Vorwürfe, daß ich Dir so schlecht zu helfen weiß, daß ich so ohnmächtig bin gegenüber all dem, was Dir zustößt, ich bin völlig hilflos, das weißt Du, doch mit dem festen Willen, standzuhalten, standzuhalten, unserem Sohn zuliebe, und damit wir alle drei noch lange zusammenleben.
[...] Mon chéri, im Augenblick Dein zweiter Anruf. Ich habe unrecht gehabt, und ich mache mir Vorwürfe, daß ich nicht sofort verstanden habe, ich weiß, daß Du schneller und besser verstehst als ich, ich denke daran, ich denke wieder darüber nach, verzeih mir. Du warst ruhig, aber so unglücklich. Ich bin jetzt traurig, ich habe Dich verärgert, ich habe Dich alleingelassen, gerade, nachdem wir miteinander gesprochen haben. Mon chéri, verzeih mir. [...] Du hast mich schnell verlassen, Du konntest mein Unverständnis nicht mehr ertragen. [...] – Ich glaube Dir, mon amour, ich glaube Dir, ich weiß, daß Du klar siehst, doch die Realität ist oft so hart, daß ich nicht vermag, die Tatsachen anzuerkennen.
[...] Mon chéri, ich rufe Dich, ich rufe Dich, hörst Du mich? Ich bitte dich um Verzeihung, sag mir, daß Du mich hörst, daß ich Dich wiedersehen kann, jetzt und immer. [...] Heute abend, das ist sehr hart, nachdem ich Dir weh getan habe, allein zu sein, Dich allein zu wissen. Ich habe unrecht gehabt, ich verstehe es. Ich bedauere es.
Mon amour, Verzeihung!
(Nr. 156)
iv
Deine Frau.
Genf, 23. X. 62
Ende der Woche – oder Anfang der nächsten Woche, werde ich zurücksein. Danke, daß Sie die Mutter unseres Sohnes sind. Danke, daß sie trotz allem so mutig sind.
Meine Schrift
2.Bild:
(Nr. 280)
Paris, 19. 9. 1965
Ma Chérie, mon Aimée, Sie werden schnell aus dieser Heimsuchung herausfinden, Sie werden größer, geheilt, bereichert herausfinden, Sie leben und Sie werden leben, mit mir bei unserem Sohn Eric, Sie werden zahlreiche glückliche Jahre verleben, [...] Sie werden schöne Dinge sehen, sie werden zu Ihnen kommen, in aller Schlichtheit, zahlreich, Sie werden, wie ich und unser Sohn Eric, das Judentum im Herzen tragen, das wahre, [...] er wird [...] einen schönen Beruf ergreifen, sich verheiraten, [...] ja, Sie werden das alles erleben und alles, was wahr und schön ist. Paul
(Nr. 281)
Paris, 19. 9. 1965
Mein Sohn Eric, Du lebst, Du wirst leben, Du wächst, Du wirst wachsen, Du wirst ein aufrechter, mutiger Mensch werden, Du lernst und wirst lernen, Du schreibst und Du wirst schreiben, Du singst und Du wirst singen, Du liebst und Du wirst lieben, Du wirst geliebt und Du wirst geliebt werden, [...] Du wirst gerecht und mildtätig sein, Du wirst die Dichtung lieben und wirst Gedichte machen, Du wirst Religion haben und die der andern respektieren, Du wirst ein guter Jude sein, Du wirst immer gesund sein, lange gesund sein, ein wahrer Mensch.
Dein Vater
(Nr. 283)
Ma Chérie,
Paris, 10. 10. 1965
[...] Uns zu trennen wäre der Sieg unserer Feinde. Ich lasse diese Trennung nicht zu. Ich lasse nicht zu, dieses Haus zu verlassen, mein Haus. Hier werde ich kämpfen, noch und immer. [...]
Hier wird mein Sohn Eric leben [...].
Hier wird die Poesie leben. Hier wird unsere Liebe leben, unzerstörbar.
(Nr. 284)
Weißt du, wir sind es noch immer.
v
Paul
Paris, 15. 10. 1965
(Nr. 300)
Valence, 26. Oktober 1965
[...] Ich habe Sie zutiefst verletzt, ich weiß es. Aber meine Rückkehr aus Frankfurt, das war gewissermaßen die Rückkehr des Kriegers – des jüdischen Kriegers.
Meine Jüdin, ich umarme Sie. [...]
(Nr. 302)
Das Wort vom Zur-Tiefe-Gehn, das wir gelesen haben.
Die Jahre, wortlos, seither. Wir sind es noch immer.
Weißt du, der Raum ist unendlich. Weißt du, sie fliegen nicht weit. Weißt du, nur was ich dir zuschwieg, hebt uns hinweg in die Tiefe
3. Bild:
(Nr. 413)
Paris, 21. 11. 1965
Paris, 22. April 1966
Mon chéri, mein geliebter Paul, Ich wollte Dir heute abend sagen, daß ich in der Einsamkeit meiner Abende, in der Einsamkeit meiner Tage an Dich denke. [...]
Ich liebe Dich, Paul, selbst wenn ich es Dir nicht sagen kann – ich liebe Dich, Paul, für immer, wisse es –Von ganzem Herzen Gisèle.
(Nr. 415)
[...]
Paris, 23. 4. 1966
Mon amour, mein Licht, Geliebte, Dein Brief, ganz Dir gleich, erfüllt mein Herz – ich lasse ihn um mein Herzland und zu allen Gestaden reisen, ich überschwemme die Welt damit, die deine und die meine, ich jubiliere schmerzlich in der Wahrheit. Wie bin ich doch so verblendet gewesen, während, so nahe bei mir, Deine Liebe mir noch und noch den strahlenden Beweis der Frau lieferte, für die mein eigenes herz, unterwegs, von weit hergekommen, verpfändet bleibt. Ich sehe Dich, ma Chérie.
vi
Schreib dich nicht zwischen die Welten,
vertrau der Tränenspur und lerne leben.
CopyrightbyG.Ricordi&Co./Forperusalonly
(Nr. 420)
Paul
Paris, 25. 4. 1966
Paul, [...] – Du nennst mich Dein Licht, Dein Licht und Dein Leben – Du siehst mich, Du erkennst mich –
Soviel Schmerz, eine so lange Trennung [...]. Und jetzt öffnet sich die Bresche in der Mauer, die uns getrennt hat, öffnet sich
Ein lebendiger Schein entzündet Millionen Sterne, die jetzt leuchten. [...] Eine ganze Welt, die neu entsteht. [...] Das ist unglaublich schön.
Danke Gisèle.
4. Bild:
(Nr. 475)
Mein Sohn Eric, ich grüße Dich. Ich grüße Euch, Menschen.
(Nr. 565)
Lieber Paul,
Paris, 8. 2. 1967
Paul Celan
Paris, 4. Oktober 1967
[...] Wenn ich beschlossen habe, nicht mehr mit Dir zusammenzuleben wie vorher, dann deshalb, weil ich auch meine, daß ich Dir nicht nur nicht habe helfen können, sondern weil ich auch meine, daß wir uns, so nahe beisammen, weh taten. [...]
Verlier nicht den Mut [...]
(Nr. 631)
Paris, 23. Dezember 1968
[...] Ich kenne die Worte, auf die Du hoffst und die ich nicht sagen kann. Ich weiß, wohin Dein Blick sich richtet, ohne daß ich darauf antworten kann: das Leben ist sehr böse. [...]
vii
5. Bild:
(Nr. 668)
Paris, 14. Januar 1970
[...] Vor die Alternative gestellt zwischen meinen Gedichten und unserem Sohn zu wählen, habe ich gewählt: unseren Sohn. Er ist Dir anvertraut, hilf ihm.
Verlaß nicht unser (einsames) Niveau: es wird Dich nähren. Ich habe keine Frau so geliebt, wie ich Dich geliebt habe, wie ich Dich liebe. Es ist die Liebe – eine äußerst umstrittene Sache -, die mir diese Zeilen diktiert.
(Nr. 670)
[...]
Es wird etwas sein, später, das füllt sich mit dir und hebt sich an einen Mund
Aus dem zerscherbten Wahn steh ich auf und seh meiner Hand zu, wie sie den einen einzigen Kreis zieht
(Nr. 671)
CopyrightbyG.Ricordi&Co./Forperusalonly
Paris, 18. ? 3. 1970
Paris, 20. März 1970
Mein lieber Paul, die Tulpen, ihr Rot, ihr Leben, heute morgen ab sechs Uhr, nach den Stunden mit so wenig Schlaf, sie waren mit mir.
Auch das Gedicht begleitet mich
Danke, noch einmal danke.
Guten Aufenthalt in Deutschland
Gisèle
Sarah Nemtsov
1.BILD
1.Teil
denkedaran,
darübernach,
verzeihmir.
Siesindmeine
Fraueines
klarsiehst,dochdieReali
ichrufeDich,
ichrufeDich,
monAmour,
dankeGisèledeLe
Danke,
nehmen.
aufsich
Dichalleinzuwissen.
Sohnessind.
2. BILD
werdengrößer,geheilt,be
reichertherausfinden,
SielebenundSiewerdenleben,
Feinde.Ichlassediese
Trennungnichtzu.Ichlassenichtzu,diesesHaus
lich.Weißt,Du,siefliegen
nichtweit.Weißtdu,
3. BILD
Geliebte,
2. Teil schnell