Stadtblatt 2015 06

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Ganz vorn: Die glorreichen Sieben auf ihrem Ritt gegen die Intoleranz

Wahrgenommen werden Am 11. Mai trafen sich sieben Osnabrücker Unternehmen, um über Homosexualität und Coming Out im Beruf zu sprechen. Ein Denkanstoß über Diskriminierung, Gleichberechtigung und Toleranz. TEXT/FOTOS: FRANZISKA TEMMEN

er Kleine Saal im Haus der Jugend. Die Vertreterinnen der sieben Unternehmen haben vorne bereits Platz genommen. In der Ecke steht eine Stellwand, gespickt mit Bildern und Informationen zu den 37. schwul-lesbischen Kulturtagen „Gay in May“. Gleich beginnt die Podiumsdiskussion mit dem Titel: „Homosexualität und Coming Out im Beruf: Wie offen sind Osnabrücks Arbeitgeber?“ Durch den Abend führt Melanie Rosemann, Controllerin beim Reinigungs- und Sicherheitsdienstleister Piepenbrock. Sie ist selbst homosexuell und hatte die Idee für den Themenabend. Auf ihre Anfrage reagierten 17 Unternehmen positiv – vier hingegen meldeten sich nicht zurück, eins äußerte sich negativ. Grund dafür war unter anderem die Angst vor negativer Berichterstattung. Letztlich teilgenommen haben nur sieben Unternehmen: Der Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt, Hellmann Logistics, Piepenbrock, das Klinikum Osnabrück, die Stadtwerke AG, die Sparkasse Osnabrück und die Stadt Osnabrück. Anwesend sind etwa 30 Zuhörer, auch Transsexuelle. Sie werden heute Abend die Gelegenheit nutzen, teils sehr persönliche Fragen zu stellen. Die Diskussion beginnt. Schnell wird deutlich: In allen Unternehmen ist Homosexualität im Berufsalltag selbstverständlich. Offen darüber

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geredet wird aber kaum. Warum ist dieses Thema überhaupt so wichtig? Weil im Beruf auch private Gespräche geführt werden: „Ich möchte auch am Arbeitsplatz über mein Privat- und Sozialleben reden – ohne, dass es seltsam oder gekünstelt wirkt“, lautet eine Stimme aus dem Publikum. Ein anderer bringt es noch einmal auf den Punkt: „Wer nicht sagt, dass er schwul ist, wird für hetero gehalten. Aber ich will wahrgenommen werden. Coming Out ist ein ständiger Prozess.“ Die Umsitzenden stimmen zu. Im Alltag haben sich bereits in jedem der Unternehmen Mitarbeiter als schwul oder lesbisch geoutet – auch Führungskräfte. Ein Coming Out im Beruf sei also „kein Problem“. Das Publikum ist zufrieden. Aber der Wunsch, diese Offenheit nach außen hin zu zeigen, ist da: „Das wäre was, wenn die Stadtwerke in ihrer Werbung fürs Nettebad auch mal ein gleichgeschlechtliches Pärchen zeigen würden.“ Für mehr Diskussionsstoff sorgt die Bewerbungsphase. Ist bereits das Vorstellungsgespräch der richtige Zeitpunkt, um sich zu outen? Wie relevant ist die Frage nach der Sexualität wirklich?

Hinterher ist klar: Die direkte Nachfrage oder ein direktes Outing ohne einen Gesprächszusammenhang wäre fehl am Platz. Dies bestätigt auch eine Zuschauerin: „Meiner Meinung nach gibt es keinen richtigen Zeitpunkt, um mich im Bewerbungsgespräch nach meiner Sexualität zu fragen. Ich würde mich fragen, ob das meine Chancen im Unternehmen einschränkt. Aber ein Hinweis für Toleranz auf der Homepage wäre gut, es muss ja nur ein Satz sein.“ Ihr Vorschlag kommt sehr gut an. Ein anderer greift auf: „Im Gespräch könnte ganz allgemein auf die Anti-Diskriminierungspolitik im Unternehmen hingewiesen werden. Das würde ein ganz anderes Vertrauen geben.“ Nach Meinung des Publikums steht also der Arbeitgeber in der Pflicht, das Thema dezent aufzugreifen – ein interessanter Gedanke. Insgesamt zeigt der Abend, wie wichtig der Dialog zwischen Unternehmen und Homosexuellen ist – für mehr Vielfalt und Vertrauen am Arbeitsplatz. „Schließlich rennen wir nicht mit der Regenbogenfahne durchs Unternehmen“, scherzt Rosemann.

„Kein Problem“

Drei Fragen an Melanie Rosemann Wie ist die Lebensqualität für Schwule und Lesben in Osnabrück? Sehr gut! Neben einer Kneipen- und Szenekultur gibt es Aktionen wie den „Gay in May“. Wie gehen Sie mit dummen Sprüchen um? Ich gehe sehr offen damit um, auch bei Fremden – das kommt aber wirklich selten vor. Einige sollten nur über ihre Schimpfwörter nachdenken. Wie stark hängt ein Outing vom Betriebsklima ab? Sehr stark. Wichtig ist aber, wie ich selbst damit umgehe: Wenn ich ein Problem damit habe, machen andere auch ein Problem daraus.

STADTBLATT 6.2015 19


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