Gerrit Groteloh • SCULTURA!

Page 1

Gerrit Groteloh


Scultura! Skulptur? Collage? Plastik? Bild? Assemblage? Die Differenzierung dieser Begriffe ist oft uneindeutig, sodaß häufig allein der Ort der Präsentation die Zuordnung bestimmt: hängend an der Wand handelt es sich eher um Bilder, liegend oder stehend auf dem Boden, um Skulpturen. Auch viele Werke Gerrit Grotelohs sind schwierig zu kategorisieren, doch der Titel dieser Ausstellung ist emblematisch zu verstehen, denn blickt man genauer hin, so wird man gewahr, daß selbst die “Rahmen”-Bilder nur bedingt Bilder sind, ebenso die Rahmen, die keine sein wollen. Eine wie auch immer gestaltete Fläche innerhalb einer Umrandung bedeutet noch nicht zwangsläufig Bild. Schon die Materialien selbst besitzen eine solch dinghafte Präsenz, wie man sie eher einer Skulptur zuschreibt. Bei der Serie Glamour (Abb.), die aus mehreren Schichten dünner Metall-, Kunststoff- und Stoffgewebe besteht, ergeben sich je nach Anzahl, Farbigkeit und Lichtdurchlässigkeit dieser feinen Gewebegitter unterschiedlich changierende, flirrende, das Auge verwirrende Reliefs, deren Muster sich immer wieder, je nach Blickwinkel, verändern. Die marmorne Basis dieser Objekte dient nicht im traditionellem Sinne als Grenze zwischen Bild und Welt wie ein Sockel, sondern als ästhetische “Befestigung” der flimmernden Fläche und gehört gewissermaßen als Ausgleich oder Gegenpol dazu - so bietet das Wandobjekt einen Blick auf ein technisch erklärbares, visuell aber kaum faßbares Ereignis. Die Schichten des Maschengewebes sind zählbar, das Material ist benennbar, das anschauliche Angebot aber bleibt irritierend. Und gerade das scheint eines der zentralen Anliegen des Künstlers zu sein: Das Berechenbare und Faßbare ist, auch wenn man darum weiß, nicht unbedingt das, was man auch sieht.

Das Material wird bei Gerrit Groteloh nicht allein als Gestaltungselement eingesetzt, vielmehr werden oftmals die besonderen Charakteristika von Materie und Form zum eigentlichen Inhalt des Werkes. Der Künstler verwendet Fundstücke als Ausgangsmaterial. Das können beispielsweise Äste, Steine oder Wurzeln sein, die in ihrer natürlichen Gestalt belassen werden, denen dann jedoch durch Hinzufügen oder Verhüllen gewissermaßen eine Sprache verliehen wird, nicht um sie aus ihrer materiellen Welt zu befreien, sondern ihr Sein als Form hervorzuheben, denn die Form ist die erste wahrnehmbare “Schönheit”. Die schöne Erscheinung - so Walter Benjamin - ist die Hülle des Versteckten. Aber weder der Schleier noch das Verschleierte an sich sind schön, vielmehr das Objekt mit seiner Verhüllung. Die Schönheit besteht also im Rätselhaften. Denn durch das Wissen um den Schleier, entsteht die Intuition des Schönen als Geheimnis und Mysterium. Gerrit Grotelohs künstlerische Vorgehensweise ist zweigleisig: instinktiv, spontan, sinnlich, mit sichtlicher Freude am physischen Erleben und Bearbeiten des Materials, aber auch rational, intellektuell und konzeptuell. Eine Dualität, die durch den Dialog der verwendeten Materialien untereinander, wie auch aus der Spannung der Materialien mit ihren kulturellen Assoziationen erkennbar wird. Durch die Konfrontation mit luxuriösen Zivilisationsmaterialien wie Samt und Seide werden die so urwüchsigen Fundobjekte in ihrer materialen Struktur bestätigt und betont. Das Steinerne des Steins, seine Härte, seine Sprödigkeit, die Risse und Schründe seiner Oberfläche kommen im Dialog mit der Weichheit und Nachgiebigkeit des Samtes in seinen Ritzen erst wirklich zur Geltung (Occlusione, III 94). Durch den künstlerischen Eingriff wird das Material, das Steinerne des Steins, zu sich selbst gebracht.


Nicht nur die Steigerung der Wahrnehmung von Materialeigenschaften und strukturellen Charakteristika, ist das Anliegen, vielmehr wird auch der künstlerische Eingriff selbst, das Formende der Künstlerhand, thematisiert. Die Wurzel, der eine goldene Kugel eingeschrieben wurde, zeigt diesen Verhalt besonders deutlich (Cresca, III 98). Das Wurzelwerk scheint um diese nahezu perfekt geometrische Form herumgewachsen zu sein. Es sind die Kontraste von Materialien, Farben und Formen, die Konfrontationen des wild-wuchernd Natürlichen mit dem berechenbar Geometrischen, die ein zentrales Motiv dieser Arbeiten darstellen. Diese Kombination beabsichtigt ein “offenbarendes Zusammentreffen von vitaler Substanz und euklidischer Form, nicht um ein utopisches Modell für eine Harmonie von Natur und Technik zu entwerfen, sondern um die spezielle Qualität des Individuellen abzugrenzen vom Universellen der Geometrie.” (G.G.) Der Künstler ist der Schöpfer eines Gebildes, das den strengen Gesetzen der Mathematik ebenso verpflichtet ist, wie es dem chaotischen Wirken der Natur ausgeliefert scheint. Alles ist Kunst und doch ist elementares Naturwirken in den Prozeß der Kunstwerdung mit einbezogen. Gerrit Grotelohs Objekte betonen die spezifischen Charakteristika der Struktur eines Materials und seiner anschaulichen Wirkungen, doch letztlich entzieht sich immer ein kleiner Rest der künstlerischen Kontrolle. Anschauliche Phänomene lassen sich nicht vollständig berechnen und planen, und gerade das zeigt seine Kunst. Katia Brandt

KAMM Gummi, Nägel, Fensterladen 32 x 70 cm


o.T. Sandstein, Stahl, Str端mpfe 63 x 63 x 9 cm


OCCLUSIONE 1 Wurzel, Samt ø 45 cm


OCCLUSIONE 2 Stein, Samt ø 50 cm


o.T. Str端mpfe, Stahl, Stein 63 x 63 x 10 cm


VISIONE Stahl, Stein, Fensterladen 96 x 106 cm


FRAKTUR 1 Sandstein, Jersey 60 x 40 x 6 cm


FRAKTUR 2 Stein, Stahlwolle 55 x 30 x 18 cm


PHOENIX Blei, Gummi, Fensterladen 96 x 106 cm


o.T. Kabel, Latex, Blei 33 x 33 x 22 cm


SCHLINGE Wurzel, Stahlseil ø 60 cm


CRESCA Wurzel, Goldkugel ø 90 cm


GLAMOUR Messing, Kunststoff, Marmor 30 x 30 x 6 cm


LA PARISIENNE Kupfer, Strumpf, Latex, Reißverschluß, Fensterladen 83 x 70 cm


SKULPTUR Kupfer, Fensterladen 76 x 76 x 7 cm


o.T. Wurzel, Schlauch ø 40 cm


Landschaft Sandstein, Stahl 60 x 100 x 5 cm


o.T. Stein, Stahlkette 50 x 28 x 18 cm


JUBEL Wurzel, Lametta ø 80 , h 40 cm


Gerrit Groteloh lebt und arbeitet in Hamburg

1986-1988:

Ausbildung zum Maler und Lackierer bei OTTO SCHMARJE MALER, Hamburg

1990-1994

Studium der Freien Kunst an der ACCADEMIA DI BELLE ARTI “PIETRO VANNUCCI”, Perugia

1990

Bühnenbilder und Ausstattungen für POLICROMIA, Perugia

Ausstellungen

1992

Laboratorio, Fossato di Vico Lavori recenti, Galerie Kandinsky, Perugia Varianti Plastiche, Galeria Moretti, Deruta arte & natura, Parco Tevere, Perugia

1994

Atelier, Perugia arte & natura, Parco Tevere, Perugia

1995

Licht An!, Galerie Curare, Hamburg

1996

Galerie Mokkenburg, Groningen Alpha Eins, Hamburg Gnadenlos - Besinnlich, Galerie Curare, Hamburg Roosen 32, Hamburg

1998

Scultura!, PIXEL-Film, Hamburg Lustschau, Fundbureau, Hamburg

1999

The Park of the Future, Westergasfabriek, Amsterdam

2002

Galerie ‘et, Kunstkreis Versmold


Katalog zur Ausstellung Scultura! Sommer 1998, PIXEL-Film Hamburg (verkĂźrzte Webversion)

Š1998 Gerrit Groteloh gg@gerritgroteloh.de


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.