UZ 03 2014

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UZ l EXPORT

MIDLIFE-CRISIS DER SCHWELLENLÄNDER

Die Aufholjagd wird leicht gebremst Die Zeiten exorbitanten Wachstums scheinen in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern der Vergangenheit anzugehören. Doch die Aufholjagd geht leicht gebremst weiter.

TEXT URS FITZE

Wenn Amerika hustet, holt sich die ganze Welt die Grippe, hiess es in den Jahren einer schier unüberwindbaren Dominanz der Vereinigten Staaten. Diese Zeiten sind vorbei, auch wenn die USA nach wie vor hinter der Europäischen Union die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt stellen, gefolgt vom grossen Aufsteiger der letzten 20 Jahre: China. In absoluten Zahlen ist Chinas Volkswirtschaft etwa halb so gross wie jene der EU oder der Vereinigten Staaten. Nimmt man die kaufkraftbereinigten Werte zur Hand, rückt China den beiden Grossen schon sehr nahe, gefolgt vom zweiten Aufsteiger Indien. In den Top Ten figurieren auch Brasilien und Russland, die zusammen mit China und Indien die BRIC-Staaten bilden, nach einem Bonmot von Jim O’Neill, dem ehemaligen Chefvolkswirt der Grossbank Goldman Sachs. Zu dieser Gruppe gehört seit 2010 Südafrika, das aktuell Platz 25 auf der kaufkraftbereinigten Rangliste belegt. Wachstum verlangsamt sich Dabei geht es um das Schicksal von Millionen. «Seit 2003 sind 42 Millionen Brasilianer aus der Armut befreit worden. Deren Pro-Kopf-Einkommen hat sich um 78 Prozent erhöht», lobte etwa die brasilianische Präsidentin Dilma Roussef die Arbeit ihres Vorgängers Lula da Silva – und auch ihre eigene. Die BRICs, in denen etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung leben, zeichneten sich in der Tat lange durch ein hohes Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent pro Jahr aus. Diese Werte wurden von den BRICs – mit wenigen Ausschlägen nach unten – auch in den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise 2009 erreicht. Dass deren Bäume (noch) nicht in den Himmel wachsen, zeigt ein Blick auf

Foto: Keystone/Luo Xiaoguang

das kaufkraftbereinigte Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung. Russland liegt auf Platz 57, Brasilien auf Rang 79, Südafrika knapp dahinter auf der 82. Position, China belegt den 92. Platz, Indien erreicht gar mit etwa einem Zehntel des Schweizer Pro Kopf-Einkommens nur den 133. Rang. Im vergangenen Jahr freilich sind die fünf Wachstumsmaschinen der Weltwirtschaft ins Stocken geraten. Doch auch die aktuell grössten Sorgenkinder Südafrika, Brasilien und Russland sind 2013 mit deutlich über drei Prozent weit stärker gewachsen als die allermeisten europäischen Staaten. Gesunde Verlangsamung? Dennoch: Wenn heute hunderte Millionen Chinesen husten, weil der jedes Jahr schlimmer werdende Smog ihnen die gute Luft zum Atmen raubt, sorgen sich Ökonomen an den anderen Enden der Welt weniger um ihre Gesundheit als um die Befindlichkeit der drittgrössten Volkswirtschaft der Welt. Für Lin Boqiang, Direktor des Forschungszentrums für ökonomische Energienutzung an der Universität Xiamen, ist das ein zweideutiges Signal. «Diese Sorgen spiegeln natürlich die grosse Bedeutung, die Chinas Wirtschaft in der Welt gewonnen hat. Doch es muss auch jedem klar sein, dass die ökologischen Schäden dieser stürmischen Entwicklung zunehmend untragbar werden. Ich bin aus dieser Perspektive deshalb nicht unglücklich, wenn etwas auf die Bremse getreten wird.» Am Weltwirtschaftsforum in Davos Ende Januar fragten allerdings die Teilnehmer angesichts schrumpfender Wachstumsraten in den meisten anderen Schwellenlän-


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