Magazin «die umwelt» 4/2020 - Wird in der Schweiz das Wasser knapp?

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DOSSIER  WASSER UND KLIMAWANDEL

Fliessgewässer

Lebendige Bäche ertragen mehr Naturnahe Gewässer sind fitter für den Klimawandel. Hilfreich sind namentlich Schatten spendende Ufergehölze. Text: Hansjakob Baumgartner

Gewässer sind die Hotspots der Biodiversität in unserem Land. Mehr als jede zweite einheimische Pflanzen- und Tierart lebt im oder am Wasser. Die artenreichste ökologische Gruppe ist zugleich die meistbedrohte. 58 Prozent unserer Fischarten sind mehr oder weniger akut gefährdet. Bei den Köcher-, Eintags- und Steinfliegen, die ihr Larvenstadium im Wasser verbringen, sowie bei den Wasserschnecken und Muscheln sind es 40 bis 50 Prozent. Und von den Pflanzen, die in Gewässern oder an deren Ufern grünen, stehen nahezu drei Fünftel auf der Roten Liste.

«Eine Revitalisierung verbauter Bäche und Flüsse könnte die Folgen des Klimawandels für die Gewässerökosysteme abmildern.» Markus Thommen | BAFU

Der Klimawandel ist nur eine von vielen Ursachen für diese Misere. Doch seine Bedeutung nimmt zu, denn die Temperatur ist ein entscheidender Lebensraumfaktor. Für jede Art gibt es eine bestimmte Bandbreite, innerhalb derer sie konkurrenzfähig ist. Steigt das Thermometer höher, wird es eng für sie. Das ist heute bei vielen Arten in zahlreichen Gewässern der Fall. Zwischen 1979 und 2018 erhöhten sich die mittleren Wassertemperaturen in

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52 Schweizer Flüssen und Bächen um durchschnittlich 0,33 °C pro Jahrzehnt. Noch stärker, nämlich um 0,58 °C pro Dekade, stiegen die Werte im Sommer. 2018 purzelten besonders viele Rekorde. Der Rhein unterhalb des Bodensees, die Limmat bei Baden, die Thur bei Andelfingen und die Rhone beim Ausfluss aus dem Genfersee waren deutlich wärmer als 25 °C. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Selbst wenn der Klimaschutz greift, dürften sich die mittleren Jahrestemperaturen in den Fliessgewässern des Mittellands bis 2050 um weitere 0,85 °C erhöhen. Der Klimawandel wirkt sich auch auf die Abflussverhältnisse aus. Weil die Niederschläge im Winter zunehmen, wobei es mehr regnet und weniger schneit, führen die Bäche und Flüsse in dieser Jahreszeit tendenziell mehr Wasser. Die Sommer werden hingegen trockener – mit der Folge, dass dann manch ein Bach zu einem Rinnsal verkümmert oder vorübergehend ganz austrocknet.

Manche mögen es kühl All dies wird zu einem tief greifenden Umbruch im Artengefüge der Fliessgewässer führen. Das beginnt schon bei den Quellen. Sie sind Lebensraum einer hochinteressanten, spezialisierten Kleintierwelt. Da sie im Mittelland grösstenteils für die Trinkwasserversorgung gefasst wurden, existieren intakte Quellbiotope fast nur noch in den Alpen. Auch sie werden sich erwärmen, und manche alpinen Quellen werden im Sommer vorübergehend versiegen. Welche Auswirkungen wird dies auf die ansässige Fauna haben? Dieser Frage ging ein Forschungsprojekt im Auftrag des BAFU nach. Ergebnis: Von den insgesamt 126 Eintags-, Stein- und


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