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Willkommen im Team!

Wir haben wieder Neuzugänge in der Buchbox im Bötzowkiez und im Boxikiez. Unser Azubi Joe durfte eine Woche bei uns im Marketing schnuppern und hat sich gleich ein paar knifflige Kennenlern-Fragen für Milo und Skyler (und natürlich sich selbst) überlegt. Die drei freuen sich schon sehr darauf, dich in Zukunft mit tollen Lesetipps zu begeistern.

1) Wie bist du in der Buchbox gelandet?

Nach meiner Ausbildung bei Thalia wollte ich mal einen anderen Einblick in die Buchbranche bekommen. Und was ist da besser als in eine inhabergeführte Buchhandlung zu gehen. Abgesehen davon sind die Kollegen super lieb und offen und ich habe mich direkt am ersten Tag wohlgefühlt.

2) Was gefällt dir am Job des/der Buchhänderl:in am meisten und wo siehst du deine persönlichen Herausforderungen?

Am meisten gefällt mir der Kontakt mit den unterschiedlichsten Personen. Ob es jetzt meine Kollegen oder Kunden sind. Es ist einfach schön sich über Literatur zu unterhalten, jeden Tag was Neues zu lernen und einem Menschen den Tag zu versüßen, weil man das perfekte Buch gefunden hat. Als Herausforderung sehe ich es, dass ich mich in allen Genres, selbst in welchen wo ich kein großes

1) Wie bist du in der Buchbox gelandet? Ich habe während meiner Studienzeit als Werkstudent in der Krimibuchhandlung "Miss Marple" in Charlottenburg gearbeitet. Diese Zeit würde ich nicht missen wollen, denn sie festigte die Grundsteine für meine Liebe zum Buchhandel. Nach meinem Studium stand dann für mich fest, dass ich gerne eine Ausbildung in diesem Bereich anhängen möchte, und zwar in einer der unabhängigen Buchläden, dort ist einfach der Charme ganz anders. Bei der Buchbox in der Grünberger Straße war es dann einfach genau das Feeling, nach dem ich gesucht hatte: Kietzig, nicht altbacken, super nette Kolleg:innen und Kund:innen. Da war der Ausbildungsvertrag schnell unterschrieben und jetzt bin ich schon ein Jahr dabei.

Interesse habe, auskennen muss und ich nicht in meiner kleinen Bubble bleibe.

3) Welches Buch braucht deiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit und wieso?

Das ist eine schwierige Frage, jedes Buch verdient seine Aufmerksamkeit. Ich finde das besonders "Das Summen unter der Haut" von Stephan Lohse ein guter Kandidat ist. Das Buch spielt in den 1970er Jahren und erzählt die Geschichte von Julle, welcher sich in den neuen Klassenkameraden verliebt. Es ist aber keine Liebesgeschichte an sich, sondern ein wunderbares Buch über Freundschaft, Selbstfindung und alles was man in der Jugend so erlebt.

4) Welche Bücher haben deine Kindheit und Jugend geprägt?

Eins meiner Lieblingsbücher ist "Krabat", welches ich in der Schule lesen musste und nicht weglegen konnte. Da mich meine Eltern mit Fantasy großgezogen haben muss ich auf jeden Fall auch "Die unendliche Geschichte" sagen, danach konnte ich kein Fantasy Buch mehr aus der Hand legen. Eine Buchreihe, die man leider nur noch antiquarisch kaufen kann, aber auch ganz tief in meinem Herzen ist "Nina" von Moony Witcher, eine kleine Alchimistin, die die Welt retten muss.

5) Welches witzige Talent besitzt du?

Ich kann an jedem Ort einschlafen, egal wie laut, hell oder unbequem. Außerdem kann ich mir sehr gut Sachen merken, welche nicht sonderlich nützlich im Leben sind, aber Spaß machen, wie zum Beispiel das komplette 2,5 Stunden Hamilton Musical. :D

2) Was gefällt dir am Job des/der Buchhänderl:in am meisten und wo siehst du deine persönlichen Herausforderungen? Ich liebe es, wenn ich nach persönlichen Empfehlungen gefragt werde. Nichts macht mehr Spaß als Kund:innen Bücher zu empfehlen, die einen selbst irgendwie berührt oder mitfiebern lassen haben und nach ein paar Tagen oder Wochen, dann am besten noch positives Feedback zurück zu bekommen. Herausfordernd ... Ich glaube, das ist vor allem Platz für neue Novitäten auf den Tischen zu finden oder unsere English books zu verräumen. Da muss man manchmal erfinderisch werden.

3) Welches Buch braucht deiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit und wieso? "Was die Toten bewegt" von T. Kingfisher. Super coole Neuerzählung von E.A. Poes Klassiker "Der Untergang des Hauses Usher". Hat mich als eingefleischter Poe-Fan definitiv überzeugt, auch weil ich mich über den queeren Aspekt darin gefreut habe und die Atmosphäre herrlich schaurig war. Zudem muss der Fokus in der Horrorliteratur auch mal weg von den männlichen Autoren.

4) Welche Bücher haben deine Kindheit und Jugend geprägt?

Als Kind habe ich "Der kleine Hobbit" von J.R.R. Tolkien und "Wölfchen Schlaukopf" von Käthe Reicheis vorgelesen bekommen. "Die Gespensterjäger" von Cornelia

Funke und "Der kleine Vampir" von Angela Sommer-Bodenburg ebneten dann meinen Weg zur Leseratte, später dann die "Fear Street"- Reihe von R.L. Stine und "Ich bin die Nacht" von Ethan Cross. Dazwischen gab es immer mal wieder nischige Fantasy-Titel, die keiner kennt. Wem "Die Vampiraten" doch etwas sagen, kann sich gerne bei mir melden.

5) Welches witzige Talent besitzt du? Ich bin ziemlich gut darin, Leute zu erschrecken, war sogar eine Zeit lang als Scare-Actor aktiv. Dieses Talent bringt mir im Buchhandel nur leider rein gar nichts. Es sei denn, ich verrate den Warenpreis der Schulbücher an der Kasse.

1) Wie bist du in der Buchbox gelandet?

Eines morgens hat mich meine Mutter angeleint und fuhr mit mir in die Greifswalder Straße. Dort angekommen übergab sie mich an Kay, der mich an der Kasse festbindete. Seitdem bin ich Teil des Inventars... kleiner Scherz. Nach meinem MSA habe ich vom Börsenverein des deutschen Buchhandels eine Liste mit Betrieben bekommen, die ausbilden und dort stand auch die Buchbox. Dann fehlte nur noch das sehr nette Bewerbungsgespräch mit Fine und ich wollte unbedingt hier meine Ausbildung absolvieren.

2) Was gefällt dir am Job des/der Buchhänderl:in am meisten und wo siehst du deine persönlichen Herausforderungen? Am meisten gefällt es mir, Kund:innen Bücher zu empfehlen, vor allem da ich so meine eigenen Lieblingsgeschichten verbreiten kann. Gleichzeitig würde ich aber auch sagen, dass das Empfehlen noch eine meiner Herausforderungen ist, da ich merke, dass das Aussuchen, was jemandem gefallen könnte, eine komplexere Sache ist, als ich dachte.

3) Welches Buch braucht deiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit und wieso?

Ich finde, dass das Buch "Hope" von Peer Martin mehr Aufmerksamkeit verdient. In dem Buch wird die Flucht eines Kindes durch Südamerika beschrieben. Das Buch zeigt die grausame Wahrheit einer Flucht und was auch die Hintergründe einer solchen sein können. Außerdem gibt es nach jedem Kapitel eine kleine Infoseite über wichtige politische und gesellschaftliche Themen, z.B. Klimawandel.

4) Welche Bücher haben deine Kindheit und Jugend geprägt?

Am Anfang habe ich sehr viel Ostwind, Animox und Charlottes Traumpferd gelesen. Später waren es Harry Potter, Twilight, Heartstopper und Percy Jackson.

5) Welches witzige Talent besitzt du?

Laut meiner Oma ist mein witziges Talent, dass ich lustige Gedichte gut vortragen kann.

Ein Roadtrip auf der Suche nach den eigenen Wurzeln

In Adikou geht es um Adikou, die Protagonistin dieses Buches, natürlich, aber vielmehr um das Reisen. Nach New York, in die Südstaaten, nach Togo und Ghana und das Abreisen aus Paris in einem drückenden Sommer. Es handelt vom Suchen, nach Identitäten, Wurzeln, Familie und Zugehörigkeit. Aber auch von den größeren Zusammenhängen und der Brutalität von weltweiten Systemen wie Kolonialismus und Rassismus. Raphaëlle Red findet für all das eine hypnotisierend schöne Sprache; man gleitet hindurch wie in einem Traum voller Melancholie und Sehnsucht. Eine Getriebenheit, die, glaube ich, jeder Mensch mit multiplen Identitäten nachvollziehen kann. Es bleibt aber nicht bei einer individuellen Betrachtung; wie schon angemerkt, werden auch systemische Fragen gestellt und verhandelt, z.B. wie sich das Bewusstsein über diese Systeme auf das Individuum auswirkt. Wie sich in der Welt verorten? Wie von anderen verortet werden? Dieser Debütroman hat mir Lust auf mehr gemacht, auf ein atmosphärisches, lyrisches Schreiben von Red, das wir hoffentlich in der Zukunft noch öfter genießen dürfen.

Raphaëlle Red: Adikou. Rowohlt, 224 Seiten, 24 € t i p p

Johanna entflieht ihrem Alltag als Synchronsprecherin in Berlin, ihren endlosen Terminen und Problemen, denen sie sich erstmal nicht stellen möchte. Sie findet sich in einem Surfcamp an der Algarve wieder. Eigentlich wollte sie nur zwei Wochen Urlaub machen, um neben allem anderen Stress auch noch die Trennung von ihrer Partnerin Rosa zu verarbeiten. Doch statt nach Berlin zurückzukehren, bleibt sie an der Atlantikküste, beginnt im Surfcamp zu arbeiten und verliebt sich in zwei Frauen, die sie für kurze Zeit in ihre Welt aufnehmen und ihr ein Gefühl von Geborgenheit geben. Doch in dieser Dreiecksbeziehung, dem Leben im Surfcamp und ihrer Vergangenheit im Nacken ist Johanna immer noch Johanna, die noch immer nicht so ganz weiß, was sie eigentlich vom Leben will. Einnehmend, aber nicht zu aufgeregt, folgt man Johannas Gedankengängen, in denen ich mich so oft wieder gefunden habe. Die Angst, wer und was man sein will, ob man die Entscheidungen alleine treffen kann und will und wieso bisher immer andere den Ton angeben. Laura Naumann verwebt dabei im Text Themen wie Sexismus, Homophobie im Surfsport und Übergriffigkeit im Beruf und erzählt dabei gleichzeitig eindrucksvoll von queerer Liebe, Sisterhood und Freundschaft. Auf jeden Fall lohnt es sich, sich Laura Naumanns Erzählweise hinzugeben, ihrer realistischen und einfachen Sprache zu lauschen und sich selbst ein Bild von Johanna zu machen. Ein schönes unaufgeregtes Debüt, mit einer sehr nahbaren Protagonistin und realistischen Figuren.

I'm a lonely bitch t i pp

Die Zeit der Covid-Lockdowns war wild. Zwischen Sorge um Angehörige, dem Suchen nach neuen Netflix-Shows, dem mit sich selbst Zeitverbringens und sich Ausmalen, welche neuen Hobbys mensch sich zulegen könnte, gibt es zudem einen Soundtrack. Musik, die einen in dieser Zeit begleitet hat. Wer jetzt Angst hat, dass hier ein neuer Lockdown-Roman vorgestellt wird, kann beruhigt weiterlesen, denn Super einsam, das Debüt des Schauspielers und jetzt Autors Anton Weil, ist ein wilder Ritt durch die einsamen Tage des Jungschauspielers Vito, um die 30. Wozu jetzt aber dieser unnötige Covid-Aufhänger? Nun, gehen wir zurück ins Jahr 2020, genauer in den März und die neuseeländische Sängerin Benee hatte hier mit „Supalonely“ einen Hit gelandet, zu welchem die Gen Z ihren Lockdown-Frust auf TikTok Luft gemacht hat. Und Super einsam scheint eben auch Vito zu sein. Frisch verlassen von seiner Ex, chronisch pleite noch dazu, erlebt er Nächte im Rausch und versucht die Beziehung zu seinem Vater zu verstehen und über den Tod seiner Mutter hinweg zu kommen. Wir lesen in langen, fließenden Sätzen die Gedankenwelt Vitos, erleben innere Dialoge, Exzesse und märchenhafte Gebilde. Ein wortwörtlicher Koffer, dessen Inhalt uns fremd ist, wirkt da fast schon schelmenhaft. Anton Weil hat einen Roman geschrieben über einen umtriebigen Mann, der sich in einer tiefen Depression befindet. Stilistisch bewegt er sich zwischen Pop-Roman der 2000er, gepaart mit märchenhaften Verästelungen, die sich straight out of Tocotronic lesen. Das ist irgendwie nostalgisch, aber auch tief und verwundbar.

Leyla Bektaş erzählt in ihrem Romandebüt aus verschiedenen Perspektiven von einer Familie, deren Geschichte von Schweigen geprägt ist. Alev wächst in Köln auf und ihr Vater Mithat beschließt auf Anraten seiner Frau Magda, mit ihr kein Türkisch mehr zu sprechen, um ihre Sprachentwicklung auf Deutsch nicht auszubremsen. Für sie bedeutet das, sich oft nicht richtig zugehörig zu fühlen, wenn sie die Ferien bei der Familie ihres Vaters in Ankara und Istanbul verbringt. Wenn sie dort ist, erlebt sie oft Situationen, in denen sie sich nicht richtig verständigen kann oder hat Angst, sich kulturell unsensibel oder falsch zu verhalten. Auch ihr Vater Mithat verhält sich in seiner Heimat anders als sonst und erscheint ihr fremd. Für ihn ist die nun erzeugte Sprachbarriere nur ein weiterer Faktor, der das Sprechen über sein Innerstes und seine Erlebnisse in der Vergangenheit erschwert. Denn in seiner Familie hat er schon immer die Erfahrung gemacht, dass es am sichersten ist, möglichst wenig von sich preiszugeben und das gilt vor allem für seine alevitische Identität. Trotz der festen Überzeugung, dass es das Beste für ihn ist, in Deutschland ein völlig neues Leben aufzubauen, bleiben seine Familienmitglieder ihm weiterhin sehr nahe: seine Mutter, die nach einer langen Krankheitsphase früh verstarb, sein Bruder Hüsnü, der ebenfalls mit seiner Familie in Köln lebt, seine Schwester Sevim, die mit ihrem Mann im Ankara lebt und sein Bruder Cem, der entgegen aller Erwartungen durch sein Bekleidungsunternehmen großen Reichtum in Istanbul erlangt hat. In den vielen Jahren seit der Gründung der türkischen Republik hat die Familie so viel Leid, Unterdrückung und Ungerechtigkeit erlebt. Wie gut wäre es, wenigstens untereinander über all das sprechen zu können?

"Verbrannte Gnade", der Name sagt es vielleicht schon, ist ein Krimi, bei dem es wortwörtlich heiß hergeht. Das kann daran liegen, dass es um Brandstiftung geht. Und dass der Schauplatz New Orleans ist (die schwüle, dampfende Hitze der Stadt wird sehr plastisch beschrieben). Es kann aber auch daran liegen, dass Schwester Holiday, die Hauptfigur ständig Handschuhe und Halstuch tragen muss. Schwester Holiday ist nämlich eine volltätowierte Nonne mit Goldzahn und sie ist zufällig dabei, als die Klosterschule in Flammen steht. Sie fängt an, auf eigene Faust zu ermitteln, getrieben von ihrer Vergangenheit. Der Fall wird für Holiday jedoch schnell ein heißes Eisen, an dem sie sich fast die Finger verbrennt. Wer jetzt etwas Besseres lesen möchte, als meine lahmen Wortspiele, dem sei die schräge Lektüre von Verbrannte Gnade wärmstens empfohlen.

Margot Douaihy: Verbrannte Gnade. Blumenbar Verlag, 368 Seiten, 23 €

Über die Komplexität menschlicher Emotionen h i e s

Was ist eigentlich bedingungslose Liebe? Mit dieser Frage beschäftigte sich Won-Pyung Sohn bei der Entstehung ihres Romans „Mandel“. Wie ginge sie damit um, wenn ihr Kind sich zu einem Menschen entwickeln würde, der ihren Erwartungen völlig widerspricht –einem, der die bedingungslose elterliche Liebe auf die Probe stellt? Aus dieser Überlegung heraus entwirft sie die zwei Hauptfiguren des Romans: Yunjae und Gon. Yunjae lebt mit einer angeborenen Alexithymie, einer Unfähigkeit, Gefühle zu erkennen und auszudrücken. Das Buch folgt der Geschichte dieses sonderbaren Jungen, der mit unvorhergesehenen Schicksalsschlägen, seinem Dasein als Einzelgänger und vor allem seiner Krankheit leben lernen muss. Dabei entwickelt er eine ungewöhnliche Freundschaft zu Gon, einem Klassenkameraden, der jahrelang als vermisst galt und nach einiger Zeit in einem Heim wieder in die Gesellschaft integriert werden soll. Gon hat ebenfalls einen schwierigen Zugang zu seinen Gefühlen und drückt diese häufig mit Gewalt aus. Im Laufe des Romans begleiten wir als Lesende diese beiden „verkorksten“ Figuren und stellen schnell fest, dass sie aus nächster Nähe viel liebenswürdiger sind, als sie nach außen hin vielleicht erscheinen. Und obwohl der Roman aus der Perspektive eines Jungen geschrieben ist, der keine Emotionen wahrnimmt, ist es dem Leser und der Leserin bei dieser rührenden Geschichte fast unmöglich, gefühlskalt zu bleiben.

Won-pyung Sohn: Mandel. Blumenbar Verlag, 224 Seiten, 24 €

kraftvolle Kurzgeschichten

Um es gleich vorweg zu nehmen: in "Dino Moms" kommen leider nicht wirklich Dinosaurier vor. Vielmehr geht es in den Kurzgeschichten von Naomi Wood um Mutterschaft, Freundinnenschaft, Kolleginnenund Schwesternschaft. Wood beobachtet die Beziehungen der Protagonistinnen zueinander so entlarvend, dass einem manchmal fast unwohl wird. Kein Gefühl, ob positiv oder negativ, wird ausgelassen. Das macht Dino Moms zu einer abwechslungsreichen Lektüre, die alle Facetten des Lebens spiegelt. Trotz der Kürze der Geschichten ist man schnell in der Dynamik der Figuren und das macht das Buch zu einem absoluten Tipp für alle, die kurze, aber intensive Texte mögen.

Über die Macht jahrhundertalter Konflikte

Alle vereint das Element, das zuweilen personifiziert im Erzählstrang auftaucht und ein eigenes Gedächtnis zu haben scheint: das Wasser. Dabei verwebt Elif Shafak gewohnt geschickt die Geschichten fiktiver Personen mit realen geschichtlichen Begebenheiten und gesellschaftlichen Themen. Geradezu haptisch greifbare Figuren und deren empathisch gezeichnete Lebenswelt erwecken den Eindruck, beim Lesen eigentlich einer großen Geschichtenerzählerin zu lauschen. Der Roman ist metaphernreich lebendig und fulminant erzählt, wobei die Figurenkonstellation an manchen wenigen Stellen etwas zu offensichtlich gezeichnet ist. Dies ist jedoch sehr verzeihbar, da die Geschichte mit ihrer intensiven Figuren- und Lebensweltzeichnung immer interessant und soghaft bleibt. Eines von Elif Shafaks großen literarischen Talenten besteht meiner Meinung nach darin, eine Großzahl von Themen in ihren Romanen zu vereinen und daraus ein Panorama des Lebens auf dieser Welt zu schaffen. Klingt kitschig? Ein bisschen. Aber es ist genau die richtige Menge an Kitsch, wenn es darum geht, sich in einer Erzählung zu verlieren und zugleich wiederzufinden.

Elif Shafak: Am Himmel die Flüsse. Hanser, 592 Seiten, 28 €

Schauerliche Stunden t i p p

Dir sind Krimis und Thriller zu grausam und blutig, du magst aber dennoch mysteriöse und geheimnisvolle Geschichten? Dann ist „Der längste Schlaf“ von Melanie Raabe genau das Richtige für dich. Die aus Deutschland stammende Protagonistin lebt in London. Eine Schlafforscherin, die ironischerweise an Schlafstörungen leidet. Diese kommen nicht von ungefähr, denn sie hat Albträume, die die Zukunft vorhersagen zu scheinen. Eines Tages bekommt sie die Mitteilung ein Herrenhaus im deutschen „Limmerfeldt“ vererbt zu bekommen, ohne den Besitzer überhaupt zu kennen. Sie geht der Sache auf den Grund und reist in den kleinen Ort. Ihr Aufenthalt ist länger und vor allem aufregender als erwartet. Nach nur kurzer Zeit schließt sie Freundschaften und lebt sich in die Kleinstadtidylle ein. Auch das Haus selbst hat es ihr angetan und dieser eine Raum ruft ein seltsam vertrautes Gefühl hervor. Plötzlich passieren im Haus eigenartige Dinge: Gegenstände bewegen sich, das Licht geht an und aus. Der gesamte Wald scheint sich zum Haus hingezogen zu fühlen und da ist diese eine Stimme, die zunächst zart und dann immer lauter ertönt. Sie schuldet der Insomnie diese vermeintlichen Halluzinationen. Doch dann verschwinden zwei Kinder aus dem Ort und alles scheint miteinander verbunden. Ich empfand die Geschichte atmosphärisch und spannend. Besonders das Verschwimmen von Wirklichkeit und Schlafzustand gefiel mir. Der lebendige und authentische Schreibstil lädt ein, das Buch nur so „weg zu atmen“. Ich spreche eine große Empfehlung aus, da es mir einige tolle, wenn auch leicht schauerliche Stunden beschert hat.

Was ist schon vollkommen?

"Die schönste Version" eines Moments, ein wenig vollkommener für die Erinnerung. Mit so einem Moment zwischen Jella und Yannick beginnt Ruth Maria Thomas‘ Debüt. "Die schönste Version" ihrer selbst möchte Jella sein, indem sie sich nur ein bisschen mehr so zeigt, wie andere sie haben wollen, wie Yannick sie haben will.Und dann ist da Tag 1 im Jetzt, an dem sie die Polizeistation aufsucht, da er sie gewürgt hat und ein Damals, das in Rückblenden davon erzählt, wie sich Jella im Begehrtwerdenwollen verliert. Dazwischen liegen die 2000er, ein Jahrzehnt voller Abwertung, sich selbst und anderen gegenüber. Was Jetzt und Damals gemeinsam haben, ist das manipulative Verhalten der Macker. Denen auf der Polizeistation, im eigenen Zuhause oder vorm Schultor. Die roten Fäden dazwischen sind patriarchale Strukturen, die eine Gewaltspirale von eben jener Abwertung bis hin zur physischen Gewalt in Gang setzen. Und hier wird der Roman explizit. Denn diese Gewalt wird in all ihren Facetten sehr deutlich geschildert, die Vergewaltigung durch den einen ebenso, wie das Würgen durch den anderen. Und die Selbstzweifel von Jella danach tun so weh, wie das ständige Herabsetzen ihrer Gefühle durch Yannick. Und aus diesem Schmerz wächst Wut und Ambivalenz und Jellas vermeintlich schönste Version verkommt nach und nach zu ihrer schlechtesten. Sie verliert sich im Selberfinden, ertrinkt in der Suche nach dem nächsten gewaltvollen Konflikt, sieht darin ihre Genugtuung, provoziert die Momente, erkennt sich nicht wieder. Es ist diese Ambivalenz, die das Debüt von Ruth Maria Thomas so stark macht. Und es ist dieser kleine Akt der Rebellion, der am Ende durchbricht, der Mut zu etwas mehr Selbstfürsorge, der etwas Tröstendes hat.

Ruth-Maria Thomas: Die schönste Version. Rowohlt, 272 Seiten, 24 €

Ulrikes

t i pp

Wie viel Spaß macht es sich zu erinnern, wenn man es alleine tut?

Hanna trauert. Nicht nur um ihre verstorbene Großmutter, bei der sie aufgewachsen ist und in deren Wohnung sie nun wieder lebt, sondern auch um Zeyna und Cem, ihre beiden Kindheitsfreund:innen. In Rückblenden erinnert sich Hanna an ihre Kindheit und die Anfänge ihrer Freundschaft, wie unzertrennlich sie waren, sich immer füreinander stark gemacht haben trotz ihrer Unterschiede. Doch mit der sich verändernden Welt und dem Erwachsenwerden, verändern sich auch die drei und ihre Leben brechen auseinander. Während mit dem Umzug zurück in die alte Heimat der Kontakt zu Cem zwar anders, aber immer noch beständig ist, stößt sie bei Zeyna auf komplette Ablehnung. Die Erinnerungen an die Vergangenheit nehmen Hannas Gegenwart immer mehr ein. Ganz sanft, poetisch und traurigschön schafft es Rasha Khayat über die Einsamkeit, Verlust und das Vermissen zu schreiben, ohne dass es kitschig oder unnatürlich wirkt. „Ich komme nicht zurück“ ist jetzt schon eins meiner Jahreshighlights zu dem ich definitiv zurückkommen werde.

Rasha Khayat: Ich komme nicht zurück. Dumont, 176 Seiten, 24 €

Ein langersehnter Neubeginn

Nachdem sie sich auf einer Dating-Website angemeldet hat, nimmt das Leben der Protagonistin eine unerwartete Wendung. Was als ein scheinbar harmloser Schritt in die Welt des Online-Datings beginnt, entwickelt sich rasch zu einer leidenschaftlichen Romanze, die alle Erwartungen übertrifft. Bald ziehen sie zusammen, voller Hoffnung und Enthusiasmus, die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Pläne für ein gemeinsames Leben, das große „Für-immer“, werden geschmiedet. Die anfängliche Euphorie und das Glück scheinen grenzenlos. Doch plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, bricht er die Beziehung abrupt ab und verlässt sie von einem Tag auf den anderen. Diese unerwartete Trennung stürzt sie in eine tiefe Krise. Der Schmerz und die Leere, die sie empfindet, scheinen unerträglich. Doch anstatt in Trauer zu versinken, beschließt sie, ihr Leben von Grund auf neu zu gestalten. In einem mutigen Akt der Selbstfindung und des Neuanfangs reist sie nach Marokko und setzt ihren Plan, einen Dekorationsladen zu eröffnen, in die Tat um. Ein Buch, das vor allem aufzeigt, wie aus tiefem Schmerz neue Kraft und Lebensfreude erwachsen können. Eine Geschichte, die dazu ermutigt, die eigenen Träume zu verfolgen und das Glück in sich selbst zu finden.

Géraldine Dalban Moreynas: Die anhaltende Suche nach dem Glück. Harper Collins, 192 Seiten, 24€

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