Brixner 213 - Oktober 2007

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Miteinander mit Hindernissen Welche Stärken und Schwächen haben die Schul- und die Komplementärmedizin? Auf welche Schwierigkeiten stößt eine Zusammenarbeit im öffentlichen Gesundheitssystem? Ist es ein Gegen-, Neben- oder Miteinander? Diese Fragen waren Kernpunkte einer Podiumsdiskussion der Südtiroler Krebshilfe Bezirk Eisacktal.

A

m Podium herrschte Einigkeit: Dem Miteinander von Schul- und Komplementärmedizin muss der Vorzug gegeben werden. „Ein Gegeneinander darf es im Sinne der Patienten nicht geben, und dass derzeit ein Nebeneinander herrscht, entspricht der Realität – sinnvoll ist zu klären, wie ein Miteinander in der Zukunft sein kann, wenn es so gewünscht oder sogar notwendig ist“, erläuterte Arthur Scherer, Primar der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus Brixen, Vertreter der Schulmedizin und laut Eigendefinition „kein Gegner, aber auch kein Verfechter der Komplementärmedizin“. Auch für den Sanitätskoordinator des Gesundheitsbezirkes Brixen, Karl Lintner, steht fest, „dass ein Miteinander sein muss, da die unterschiedlichen Zugänge zur Gesundheit respektiert werden müssen“. Für Rudolf Gruber, Schul- und Komplementärmediziner in einer Person, kommt ebenso nur ein Miteinander in Frage, „das es schon in der antiken griechischen Hochmedizin gegeben hat“. Die Kardinalsfrage lautete also nicht, ob, sondern wie das Miteinander zu gestalten ist.

„Die Schulmedizin wird von

den Grundsätzen geleitet, die bestmögliche Analyse der Erkrankung und Versorgung zu gewährleisten sowie die Behandlung auf den neuesten Stand der Erkenntnisse durchzuführen“, begann Arthur Scherer sein Impulsreferat. „Sie ist in der Gesellschaft gewachsen und angenommen – und daher ist sie mit Regeln behaftet, die sowohl für die Therapeuten als auch für die Patienten gelten sollten.“ Erreicht werden diese Prinzipien durch Erkenntnisse aus der Vergangenheit, kontinuierlicher Forschung sowie ständiger Bewertung und Erfolgskontrolle. Weiters garantiere die Schulmedizin, 10

dass definierte Berufsverbände dahinter stehen – mit einer klar festgeschriebenen Verantwortung gegenüber den Patienten. Zudem ist sie Teil des öffentlichen Gesundheitssystems und unterliegt den gesetzlichen Rahmenbedingungen. „Die Stärken der Schulmedizin liegen in deren langjährigen Erfahrungswerten, dem internationalen Austausch und den dadurch möglichen schnellen Fortschritt in der Erkenntnis, Behandlung und teilweise in den Ergebnissen“, erläuterte Scherer, „die Stärken sind aber auch struktureller Natur wie eine hohe Anzahl an Mitarbeitern, gut ausgebaute Institutionen und die öffentliche Finanzierung, die gewährleistet, dass jeder unabhängig vom Geldbeutel eine korrekte Versorgung erhält“. „Natürlich haben wir auch Schwächen“, räumte der Primar ein, „wir haben dieses Technik-Denken, das in der Gesellschaft einen breiten Platz einnimmt und somit auch in der Medizin. Wir haben die Apparatemedizin, und man wirft uns vor, wir seien unnatürlich: Das Skalpell und eine Operation ist etwas Unnatürliches, wenn man so will, auch wenn sie notwendig sind“. Zu den weiteren Schwachpunkten zählt er die mangelnde Zeit der Ärzte für den jeweiligen Patienten und die unzureichende individuelle Zuwendung: „Ich gebe gerne zu, dass diese persönliche Betreuer-zu-Patient-Beziehung sehr schwierig ist und nicht immer in einer Art und Weise umsetzbar, wie das von beiden gewünscht wird. Die Orientierung an der Organkrankheit kann auch ein Nachteil unseres Denkens oder unseres Tuns sein.“ Diese Schwachpunkte würden teilweise verhindern, dass einige der Ansprüche der Patienten nicht erfüllt werden: Diese würden sich vor allem eine Besserung oder Heilung wünschen, eine umfassende Betreuung, viel Zeit und Rücksicht,

Fotos: Oskar Zingerle

Politik & Gesellschaft

DISKUSSION SCHUL- UND KOMPLEMENTÄRMEDIZIN

Karl Lintner, Sanitätskoordinator Gesundheitsbezirk Brixen: „Es geht nicht um die Frage des Mit- oder Gegeneinanders, sondern um die grundsätzliche Frage, was wir uns als öffentliches Gesundheitssystem leisten können“

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eine ganzheitlichere Sichtweise der Therapeuten, Sicherheit in der Behandlung sowie wenig Nebenwirkungen und Risiken.

„Komplementärmedizin, Ganz-

heitsmedizin, Paramedizin, Naturheilverfahren, sanfte Medizin – hier stehen viele Fragezeichen offen: Wir sprechen von einem Wort, und jeder meint etwas anderes“, verlangte Scherer nach einer konkreteren Definition des Begriffes. Komplementärmedizin beinhalte zudem eine Vielzahl an Methoden und Techniken, „und das ist nicht die Basis, mit der wir miteinander reden können, weil wir uns nicht verstehen – hier muss eine Klärung erfolgen“. Die Stärken der Komplementärmedizin sieht er in der großen Zuwendung zum Patienten und das höhere Ausmaß an Zeit, „die eine Stärke

sein kann, aber nicht sein muss. Die Nebenwirkungen seien gering, wahrscheinlich schon – ob sie dann wirken oder nicht, muss noch diskutiert werden“. Zu den weiteren Stärken zählt er die geringe Anwendung von technischen Apparaten sowie die Erfüllung der Bedürfnisse der Betroffenen, „die in dieser Hinsicht immer größer werden und denen die Komplementärmedizin mit ihren vielerlei Möglichkeiten sicher einiges bietet.“ Dem gegenüber stehen als Defizite die seltene Ergebniskontrolle, die fehlende wissenschaftliche Überprüfung der Methoden sowie die mangelnden Regelungen in den Bereichen Ausbildung, Methoden oder Begriffe sowie den unklaren Berufsgruppen: „Leider muss ich sagen, dass mir Patientinnen oft weder den Namen noch das Berufsbild des Mitbehandelnden


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