Programmheft 8. Philharmonisches Konzert

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8. Philharmonisches Konzert

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So 25.2.

Mo 26.2.24


199. Spielzeit

#federleicht

Die Konzerteinführung findet eine halbe Stunde vor Konzertbeginn im Kleinen Saal der Glocke statt. Fotografieren sowie jegliche andere Form von Bild- und Tonaufnahmen des Konzertes sind aus urheberrechtlichen Gründen verboten.


WOHER NIMMST DU DEINEN MUT?


So 25.2.24 11:00 Uhr

Mo 26.2.24 19:30 Uhr

Mut Dramen spielen sich überall ab, besonders wenn es leidenschaftlich zugeht. Und so ist die Liebe einer der geläufigsten Gründe für Dramen aller Art. Jean Sibelius beschäftigt sich in seiner Symphonischen Dichtung mit der finnischen Sagenwelt, und in der geht es fast nahtlos um Liebe und Liebesdramen – hier in einer sehr lyrischen Form. Dramatischer geht es in Kaija Saariahos ÉmilieSuite zu. Die finnische Komponistin hat ihr gleichnamiges Monodram zu einer Konzertsuite verdichtet. Die Handlung dreht sich um die Marquise Émilie du Châtelet, eine Forscherin und werdende Mutter, die am Scheideweg zwischen Wissenschaft, Liebessehnsucht und Todesahnung steht: Drama pur! Und auch bei Richard Straussʼ Heldenleben geht es dramatisch zu, in der Musik sowieso, aber auch im richtigen Leben. Denn Strauss, der hier unzählige Selbstzitate einbaut, musste sich einige Vorwürfe gefallen lassen, er würde sich hier selbst zum Helden verklären. Ob und wie er das wirklich getan hat, erscheint heute ohne Belang. Denn nahezu unabhängig von seinem Programm zählt das höchst anspruchsvolle Werk weltweit zum Kernrepertoire aller großen Orchester.

Marko Letonja \ Dirigat Karen Vourc’h \ Sopran


8. Philhamonisches Konzert

Jean Sibelius (1865-1957) Rakastava (Der Liebende) Symphonische Dichtung für Streicher und Perkussion op.14

13’

- Rakastava. Andante con moto - Rakastetun tie (Der Weg des Liebenden). Allegretto - Hyvää iltaa Jää hyvästi (Guten Abend, auf Wiedersehen) Uraufführung am 12. März 1912 in Helsinki Kaija Saariaho (1952-2023) Émilie-Suite für Sopran und Orchester

25’

- Pressentiments - Interlude I - Principia - Interlude II - Contre l’oubli Uraufführung am 30. November 2011 in New York \ Pause \ Richard Strauss (1864-1949) Ein Heldenleben op. 40

- Der Held - Des Helden Widersacher - Des Helden Gefährtin - Des Helden Walstatt - Des Helden Friedenswerke - Des Helden Weltflucht und Vollendung Uraufführung am 3. März 1899 in Frankfurt

45’


Marko Letonja \ Dirigat

Marko Letonja Seit Beginn der Spielzeit 2018/2019 ist Marko Letonja Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Bremer Philharmoniker. Mit dem Orchester ist er seitdem regelmäßig in Bremen sowie auch auf bundesweiten Gastspielen zu erleben und tourte im April 2023 höchst erfolgreich durch Südkorea. Marko Letonja ist zudem Artistic Director des Tasmanian Symphonie Orchestra und Principal Guest Conductor des Orchestra Victoria Melbourne. Von 2012 bis 2021 war er Chefdirigent des Orchèstre Philharmonique de Strasbourg sowie zuvor Chefdirigent und Musikdirektor des Sinfonieorchesters und des Theaters Basel. In dieser Zeit begann auch seine internationale Laufbahn als Konzertdirigent. Als Gastdirigent arbeitet Letonja u.a. mit den Wiener und den Hamburger Symphonikern, den Münchner Philharmonikern, dem Orchester Filamonica della Scala in Mailand und dem Berliner Radio-Symphonieorchester sowie mit dem Seoul Philharmonic, dem Mozarteum Salzburg, dem Stockholmer Opernorchester, dem Staatsorchester Stuttgart zusammen. Mit einem vielfältigen Repertoire gastiert er u. a. an den Opernhäusern in Genf, Rom, Dresden, München, Straßburg und Lissabon. Letonja begann sein Studium als Pianist und Dirigent an der Musikakademie von Ljubljana. 1989 schloss er sein Studium an der Akademie für Musik und Theater in Wien ab. Bereits zwei Jahre später wurde er zum Chefdirigenten und Musikdirektor der Slowenischen Philharmonie in Ljubljana ernannt.


Karen Vourc’h \ Sopran

Karen Vourc’h Karen Vourc'h ist auf den renommiertesten Bühnen der Welt zu Gast, u. a. in den Opernhäusern von Amsterdam, Paris, Lyon, Köln, Helsinki oder Singapur, der Royal Albert Hall (London) oder dem Théatre du Jeu de Paume (Aix-en-Provence). Die vielseitige und vielfach ausgezeichnete Künstlerin wird vor allem für die Schönheit ihrer Stimme und die Sensibilität ihrer Interpretationen geschätzt. Sie gewann internationale Preise, darunter Wettbewerbe in Toulouse, London, Verviers und Barcelona. Karen Vourc'h hat bereits mit renommierten Dirigenten wie Sir John Eliott Gardiner, Daniel Harding, Charles Dutoit oder Kent Nagano und Regisseuren wie Robert Carsen, Stéphane Braunschweig oder Ludovic Lagarde zusammengearbeitet. Sie arbeitet auch häufig mit zeitgenössischen Komponisten zusammen, insbesondere Kaija Saariaho und Pascal Dusapin, aber auch mit Peter Eötvös, Chaya Cernowin oder Pierre Bartholomée. Zukünftige Projekte sind u.a. Sheherazade von Ravel mit dem Orchester de Lille, La Passion de Simone von Saariaho mit dem Orchestra Filarmonica de Galicia sowie eine Aufnahme von bisher unveröffentlichten Stücken von Guillaume Connesson.


Jean Sibelius \ Rakastava (Der Liebende)

Jean Sibelius (1865-1957) Rakastava (Der Liebende). Symphonische Dichtung für Streicher und Perkussion op.14 Durch seine legendären Tondichtungen wurde Sibelius die musikalische Stimme Finnlands und dies umso mehr, als viele seiner Werke auf Dichtungen und Erzählungen der finnischen Nation beruhen. Mehr als 660 Gedichte und Balladen umfasst etwa das Kanteletar, eine Sammlung, die 1840/1841 von dem Gelehrten und Arzt Elias Lönnrot zusammengestellt wurde. Das gemeinhin als Schwesterwerk zum Nationalepos Kalevala bezeichnete Opus wurde 1894 von Jean Sibelius als Vorlage für seine Symphonische Dichtung Rakastava herangezogen. Die zunächst viersätzige Urfassung des Zyklus war für Männerchor a capella komponiert und gewann einen zweiten Preis bei einem lokalen Wettbewerb. Sibelius nahm sich danach sein Werk nochmals vor und bearbeitete es im gleichen Jahr für Männerchor und Streichorchester sowie 1898 für gemischten Chor. 1912 vollendete er schließlich die letzte, nun gänzlich instrumentale Bearbeitung für Streichorchester, Schlagzeug und Triangel. In dieser Form ist das Opus am bekanntesten. Während er Rakastava bearbeitete, reflektierte Sibelius seine Arbeit durchaus kritisch: „Wenn ich alle diese Änderungen vornehmen würde, ginge viel von der Gesamtatmosphäre verloren. Es gibt einen fruchtbaren Boden in diesem Werk. Erde und Finnland.“ Indem er den Text in der letzten Fassung weglässt, schafft Sibelius eine gänzlich vergeistigte Version des


Originals. Es ist eine Miniatur-Tondichtung, die nur noch Anspielungen auf die originale Handlung enthält – allerdings ohne die ursprüngliche Erzählung. Jede Note in diesem Werk zählt und erinnert daran, was Sibelius über seine zeitgleich zur ersten Fassung komponierten vierten Symphonie sagte: „Ich kann keine einzige Note finden, die ich entfernen könnte, noch finde ich etwas, das ich hinzufügen könnte.“ Recht gab Sibelius auch die Reaktion des Publikums, das durch die Streicherversion von Rakastava förmlich gefesselt wurde. Sibelius spielte sie regelmäßig und führte sie des Öfteren neben seinen Symphonien auf. Der erste Satz ist von einer elegischen Stimmung geprägt und hat den Charakter eines Volksliedes. Der zweite Satz atmet eine verhaltene, aber intensive Freude und ist im Hinblick auf seine repetitive, fast schon minimalistische Textur überraschend innovativ. Der Schlusssatz handelt von der Trauer des Abschieds und knüpft musikalisch an den ersten Satz an. Das Werk verklingt in einer Coda, in der die beiden Liebenden von den traurigen Harmonien der Sommernacht geradezu verschlungen zu werden scheinen.


Jean Sibelius \ Rakastava (Der Liebende)

„Wir können feststellen, dass Jean Sibelius einer der genialsten gegenwärtigen Tondichter ist.“ Erik Furuhjelm, 1916


Kaija Saariaho \ Émilie-Suite für Sopran und Orchester

Kaija Saariaho (1952-2023) Émilie-Suite für Sopran und Orchester Die Marquise Émilie du Châtelet (1706-1749) muss eine beeindruckende Person gewesen sein. Sie war jedenfalls eine der ersten bedeutenden Frauen der Wissenschaftsgeschichte, eine Mathematikerin und Physikerin, die sich aufgrund ihres privilegierten sozialen Status ihren wissenschaftlichen Aktivitäten widmen konnte. Zu ihren wissenschaftlichen Verdiensten zählt neben ihren eigenen Forschungen (z. B. die Voraussage der Existenz der Infrarotstrahlung oder die Formulierung der Energieerhaltungssätze), ihre kommentierte Übersetzung der Principia Mathematica, des für seine exorbitante Schwierigkeit bekannten Hauptwerks von Sir Isaac Newton. Neben ihrer Leidenschaft für die Wissenschaft widmete sich Émilie auch verschiedenen Hobbys und war unter anderem lange Zeit die Freundin und wohl auch Gelliebte des Dichters und Philosophen Voltaire. Die Handlung von Saariahos Oper Émilie spielt zu nächtlicher Stunde im französischen Schloss Lunéville. Im Mittel­punkt stehen die Gedanken und Gefühle von Émilie. Sie ist 42 Jahre alt und befürchtet, dass ihr die bevorstehende Geburt ihres Kindes zum Verhängnis werden könnte – was historisch gesehen auch der Fall war, da sie sechs Tage nach der Geburt starb. In dieser Nacht schreibt sie einen Brief an ihren letzten Geliebten und Vater des Kindes, das sie austrägt: den Marquis und Dichter Jean-François de Saint-Lambert. Darin erinnert sie sich an ihr Leben, ihre wissenschaftliche Karriere und an Voltaire. Sie offenbart sich als Frau der Wissenschaft, Hedonistin, Liebhaberin, Ehefrau und Mutter.


Kaija Saariaho \ Émilie-Suite für Sopran und Orchester

Das Opernmonodram Émilie der im Juni 2023 verstorbenen finnischen Komponistin Kaija Saariaho ist für kleines Orchester komponiert, zaubert aber opulente Klangfarben, zum Beispiel mit einem Cembalo - dem Instrument, das auch Émilie gespielt hat. Ihre persönlichsten Ahnungen und Erinnerungen werden deshalb oft von Cembalopassagen begleitet, die leicht an barocke Stile erinnern. In Saariahos Musik spiegelt sich Émilies innere Landschaft wider, ihre Gedanken und Ängste in den kontrastierenden Sphären der Wissenschaft und der Liebe. 2011 stellte Saariaho im Auftrag der Carnegie Hall (New York), der Cité de la Musique (Paris), des Luzerner Symphonieorchesters und des Orchestre Philharmonique de Strasbourg eine Konzertsuite aus der Oper zusammen. Aus den neun Teilen des Originalwerks schuf sie einen fünfteiligen Zyklus, von dem drei Sätze mit Sopran und zwei Sätze Orchesterintermezzi sind. Der erste Teil, Pressentiments (Vorahnungen), greift Material vom Anfang der Oper auf. Émilie schreibt darin besagten Liebesbrief an Saint-Lambert, der voll von unheilvollen Vorahnungen ist. Die beiden anderen gesungenen Teile sind dem Ende der Oper entnommen. Principia berichtet von der Leidenschaft, mit der Émilie Newtons Werk übersetzt, aber auch von der Klarheit, mit der sie ihr eigenes Ende begrüßt. Im letzten Teil, Contre l’oubli (Gegen das Vergessen), ist der Tod bereits nahe und beschäftigt alle ihre Gedanken. In den kulminierenden Momenten des letzten Satzes bricht das Orchester dann in rasende Wut und schneidende Dissonanzen aus. Am Ende scheint sich Émilie allmählich im Kosmos aufzulösen. Saariaho, die Komposition unter anderem bei Brian Ferneyhough und Klaus Huber studiert hatte, war eine


Kaija Saariaho \ Émilie-Suite für Sopran und Orchester

der bedeutendsten Komponistinnen der Gegenwart. Sie arbeitete am IRCAM in Paris sowie in anderen Studios und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter Kranichsteiner Musikpreis (1986), Prix Italia und WilhelmHansen-Preis (1988), den Grawemeyer Award (2003) und Heidelberger Künstlerinnenpreis (2009) sowie Ehrendoktorwürden der Universitäten Turku und Helsinki.

„Ich bin nie Komponistin geworden, weil ich dachte, dass ich so fantastisch bin und meine Ideen so fantastisch sind, dass die ganze Welt sie hören muss. Ich liebte die Musik so sehr, dass ich das Gefühl hatte, ich bin nicht gut genug, ich werde es nie sein. Aber dann, irgendwann, hatte ich einfach diesen Drang, dass ich das tun muss - zu lernen, meine Musik zu schreiben. Und es schien mir wirklich das Wichtigste auf der Welt zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht schüchtern sein darf, dass ich mutig genug sein muss, um es zu können, um es zu tun, und das war die einzige würdige Art, mein Leben zu leben.“ Kaija Saariaho


Kaija Saariaho \ Émilie-Suite für Sopran und Orchester

Pressentiments – Vorahnungen An Monsieur de Saint-Lambert, Montagabend, den 1. September 1749. Ich weiß nicht, mein Freund, ob ich dir nochmals schreiben werde, ich habe Vorahnungen … Ich habe Vorahnungen, aber sie können täuschen. Ich habe noch ein Herz zu leben, ich habe noch einen Willen zu schreiben und den gleichen Willen zu lieben, Euch wütend zu lieben; ich habe nie gelernt, anders zu lieben. Und Ihr, mein Freund? Ich schreibe Euch seitenweise, Ihr antwortet mir mit vier Zeilen. Dennoch schwört Ihr mir, dass Ihr mich immer noch liebt, und ich möchte Euch so gern glauben. Was wäre die Wirklichkeit der Welt ohne die Verzierung der Illusion? Ich hüte meine Illusionen mit Eifersucht; wenn einer mich verzaubert, lasse ich mich verzaubern. Eines Tages, das bestreite ich nicht, wird unsere Liebe enden, aber wir wären grausam gegen uns selbst, wenn wir unsere Liebesnächte damit verbringen würden, auf das Ende der Liebe zu warten oder auf das Ende von uns selbst. Diese verhasste Vorahnung! Ich jage sie aus meinen Gedanken, aber sie kehrt zurück, wie eine Fliege.


Kaija Saariaho \ Émilie-Suite für Sopran und Orchester

Principia Es ist nicht der Tod, wovor ich mich fürchte, worüber ich mir Sorgen mache, ist auch nicht Eure Gleichgültigkeit, Saint-Lambert, mein Freund, mein Geliebter, obwohl es mich schmerzt. Meine Angst, mein Schrecken, und das ist fast zum Lachen, ist zu sterben, bevor ich meine Übersetzung von Newton vollendet habe. Philosophiae Naturalis Principia Mathematica Ich träume von nichts anderem! Ich stehe um neun Uhr auf, manchmal um acht, um drei Uhr unterbreche ich für einen Kaffee; um vier Uhr setze ich die Arbeit fort. Der Mond wird von der Erde angezogen, und wegen der Schwerkraft wird er ständig an einer geradlinigen Bewegung gehindert und auf seiner Umlaufbahn gehalten. Um zehn Uhr höre ich auf zu arbeiten, esse zu Abend. Voltaire gesellt sich zu mir zu Tisch, wir plaudern bis Mitternacht. Dann nehme ich die Arbeit wieder auf bis um fünf Uhr in der Frühe. Die Kraft, die den Mond auf seiner Umlaufbahn hält, ist umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes zwischen dem Mond und dem Mittelpunkt der Erde.


Kaija Saariaho \ Émilie-Suite für Sopran und Orchester

Das ist es, was mich unaufhörlich treibt, und wofür ich meine letzten Kräfte verwenden werde. Fluxum et refluxum Maris ad actionibus Solis ac Lunae oriri debere. Es gibt zwei Arten von Gezeiten, die vom Mond und die von der Erde erzeugten, die unabhängig voneinander Gestalt annehmen können … Ich bin fast fertig. Ich muss noch meine Notizen durchgehen, einige Kommentare hinzufügen, aber das Wesentliche ist getan; wenn meine tödliche Vorahnungen sich als Irrtum erweisen, werde ich mein Buch bald in meinen Armen halten können. Principes Mathématiques de la Philosophie Naturelle Contre l’oubli – Gegen das Vergessen Und wenn ich es nicht überlebe, das Buch erscheint auf jeden Fall. Principes Mathématiques … Von der verstorbenen Marquise de Châtelet posthum veröffentlicht Der Tod siegt immer im letzten Akt, aber er soll mich mein Buch beenden lassen, damit ich in Erinnerung bleibe.


Kaija Saariaho \ Émilie-Suite für Sopran und Orchester

Bis zum letzten Moment werde ich eine Feder in der Hand haben, den Kopf erhoben, das Herz voll Liebe, den Geist in den Sternen. Monsieur Newton erklärt, dass die Sonne gelb ist, weil ihr Licht aus Strahlen besteht, die diese Farbe haben. Es ist möglich, dass es in anderen Systemen andere Sonnen gibt, grün oder blau oder violett oder blutrot; und dass es sogar an den Grenzen der Natur andere Farben geben kann als diejenigen, die wir in unserer hiesigen Welt kennen. Ich vermisse die Farben schon, ich vermisse die Träume, ich vermisse das Leben, und ich fürchte mich davor, mit einem Buch und einem Kind in den Schwindel der Bewusstlosigkeit zu sinken, in den Abgrund des Vergessens.

Émilie-Suite, Übersetzung \ Valtteri Rauhalammi © Chester Music Ltd \ Edition Wilhelm Hansen Mit freundlicher Genehmigung der Bosworth Music GmbH


Richard Strauss \ Ein Heldenleben op. 40

Richard Strauss (1864-1949) Ein Heldenleben op. 40 Eines muss man Richard Strauss lassen: An mangelndem Selbstbewusstsein litt er nicht. „Es ist schwer, Schlüsse zu schreiben. Beethoven und Wagner konnten es. Es können nur die Großen. Ich kann’s auch“, ist in seinem Tagebuch zu lesen. Auch über seine Symphonische Dichtung Ein Heldenleben, für die er nicht zuletzt wegen der wenig bescheiden anmutenden Vertonung seines eigenen Lebens einiges an Kritik einstecken musste, äußerte er sich sehr dezidiert: „Ich sehe nicht ein, warum ich nicht eine Symphonie über mich selbst komponieren sollte; ich finde mich genauso interessant wie Napoleon oder Alexander“, schrieb er einmal dem französischen Dramatiker und Nobelpreisträger Romain Rolland. Da spielte vielleicht auch ein gewisses Maß an Selbstironie eine Rolle, aber eben nicht nur. Strauss konnte zweifelsohne großspurig sein, hatte aber auch einen Sinn für Humor. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo zwischen diesen beiden Polen. Es sollte im Übrigen nicht das letzte Mal sein, dass er in seinen eigenen Kompositionen als Protagonist auftrat. Vor allem in der Symphonia Domestica op. 53 schildert der Komponist die kleinsten Details seines häuslichen Lebens, seiner Frau und seiner Familie. Strauss schrieb ferner an Rolland: „Ich bin kein Held. Ich habe nicht die nötige Kraft, ich bin nicht für den Kampf geschaffen, ich ziehe es vor, mich zurückzuziehen, ruhig zu sein, Frieden zu haben.“ Das beherzigte Strauss freilich überaus erfolgreich. Als Musikfunktionär und Komponist spielte er in der ersten Hälfte des 20.


Jahrhunderts eine bedeutende, wenngleich nicht immer unumstrittene Rolle im deutschen Musikleben. Vorgehalten wurde ihm immer wieder seine ambivalente Rolle während der Nazi-Diktatur: Von 1933 bis 1935 amtierte er als Präsident der Reichsmusikkammer. In dieser Funktion hatte er zwar immer wieder Ärger mit staatlichen Institutionen und setzte sich durchaus für bekannte jüdische Künstler ein, arrangierte sich aber bis zu seinem Rücktritt mit den Machthabern. Die Arbeit an der Partitur von Ein Heldenleben begann Strauss 1897 in München, wo er eine eher schwierige Zeit durchlebte, unter anderem, weil seine erste Oper Guntram mehrfach durchgefallen war und man ihm dort den Posten des ersten Kapellmeisters der Oper verwehrt hatte. Strauss ging nach Berlin, wo er erster königlichpreußischer Hofkapellmeister wurde und die Symphonische Dichtung in bester Stimmung vollendete. Parallel dazu arbeitete er an der symphonischen Dichtung Don Quixote, die er schon im Dezember 1897 fertigstellte. Ein Heldenleben wurde erst ein Jahr später vollendet. Das Werk ist in sechs Abschnitte gegliedert, und obwohl er ähnlich wie bei anderen Werken letztlich darauf verzichtete, explizite Programme in sein veröffentlichtes Werk aufzunehmen, sind sich zahlreiche Quellen über die Benennung der einzelnen Sätze einig. Auch Strauss hat mehrfach den durchaus autobiografischen Charakter des Werkes betont. Sein op. 40 enthält lange Episoden, in denen das Privatleben des Komponisten dargestellt oder reflektiert wird.


Richard Strauss \ Ein Heldenleben op. 40

Die Symphonische Dichtung beginnt mit einem heroischen Thema, bei dem vor allem die Hörner - das Lieblingsinstrument von Strauss - eine gewichtige klangliche Rolle spielen. Die Musik drängt unaufhörlich vorwärts, doch auf dem Höhepunkt - gerade, wenn man die Wiederkehr des Hauptthemas erwarten würde - wird die große heroische Hymne plötzlich unterbrochen, um durch seltsam schnatternde Holzbläserfiguren und ein Motiv in kernigen Quinten (tiefe Blechbläser) ersetzt zu werden. So wird der „Held“ von Strauss schelmisch dargestellt. Das einst heldenhafte Hauptthema wird unruhig und harmonisch getrübt, doch eine Solovioline vermag es zu besänftigen. Dies ist ein Porträt von Strauss' Frau Pauline, die anfangs scheinbar schimpfend, dann aber zunehmend zärtlich auftritt. Endlich beruhigt, zieht der Held nun in die Schlacht (Blechbläser-Fanfaren, Militärtrommel-Wirbel und andere unverwechselbare militärische Klänge). Mit der Zeit scheint der Sieg sicher. Der Held geht schließlich gestärkt aus den Kämpfen hervor – sein Thema wird jetzt vom ganzen Orchester getragen, bevor sich wieder kurz die Kritiker in Form des tiefen Blechs einmischen. Was folgt, ist ein bemerkenswerter Abschnitt mit dem Untertitel „Des Helden Friedenswerke“, in dem Strauss eine Reihe seiner eigenen früheren Werke zitiert: Don Juan, Till Eulenspiegel, Tod und Verklärung, Macbeth, Also sprach Zarathustra, Guntram und sogar das Lied Traum durch die Dämmerung sind hier verarbeitet. Gegen Ende gibt es einen weiteren Moment des Zweifels - der dunkelste von allen - mit wirbelnden Streichern und Holzbläsern, rasselnden gedämpften Blechbläsern und dem Thema der Kritiker in den Trompeten. Wieder bringt die Solovioline (Pauline) Frieden und Beruhigung, unterstrichen durch ein ruhiges


Richard Strauss \ Ein Heldenleben op. 40

Horn-Solo. Das Ende wird durch ein mächtiges Crescendo eingeläutet, das auf dem berühmten dreistimmigen Trompetenmotiv aus Strauss' Tondichtung Also sprach Zarathustra basiert. Es folgt ein reich besetzter Bläserakkord in der heroischen Tonart Es-Dur, der in der Stille verklingt.

„Es gibt in Europa andere große Musiker, aber Richard Strauss ist der Schöpfer von Heldengestalten.“ Romain Rolland

Guido Krawinkel studierte in Bonn Musikwissenschaften, Französisch, Kommunikationsforschung und Philosophie. Als freier Musikjournalist arbeitet er u.a. für den Bonner Generalanzeiger, NMZ, Crescendo, Klassik-Heute, die Bamberger Symphoniker und die Elbphilharmonie.


Bremer Philharmoniker

Bremer Philharmoniker

1. Violine Anette Behr-König \ Konzertmeisterin Oleh Dulyba \ Konzertmeister Reinhold Heise \ stellv. Konzertmeister Anja Göring N.N. Britta Wewer Dagmar Fink Rafael Wewer Gert Gondosch Kathrin Wieck Katja Scheffler Marina Miloradovic Julia Nastasja Lörinc Leila Hairova Danielle Gonzáles Sánchez Viola Klein

2. Violine Romeo Ruga Jihye Seo-Georg Doretta Balkizas Soobin Kim Florian Baumann Immanuel Willmann Christine Lahusen Bettina Blum Beate Schneider Ines Huke-Siegler Lenamaria Kühner Anna Schade Haozhe Song

Viola Boris Faust Annette Stoodt Marie Daniels Yin-Ying Tseng Gesine Reimers Steffen Drabek Anke Ohngemach Dietrich Schneider Auste Ovsiukaite Saori Yamada Hayaka Sara Komatsu

Violoncello Antonia Krebber Hannah Weber Ulf Schade Karola von Borries Benjamin Stiehl Andreas Schmittner Caroline Villwock Joke Flecijn

Kontrabass Hiroyuki Yamazaki Eva Schneider Florian Schäfer Christa Schmidt-Urban David Barlow Asako Tachikawa

Flöte Hélène Freyburger Mihaela Goldfeld Euna Sim Ema Bajc Svea Guémy


Bremer Philharmoniker

Oboe Andrew Malcolm Gregor Daul Abraham Aznar Madrigal Daisuke Nagaoka

Trompete Roman Lemmel Thomas Ratzek Michael Boese Rudolf Lörinc

Klarinette Martin Stoffel Shiho Uekawa Olaf Großmann Raphaël Schenkel Liana Leßmann

Posaune Anatoli Jagodin Wolfram Blum Georg Steiner Michael Feuchtmayr

Fagott Dirk Ehlers Johannes Wagner Berker Šen Naomi Kuchimura

Horn Matthias Berkel Ines Köhler Friedrich Müller Stefan Fink Dirk Alexander Peter Schmidt

Tuba Ernst Haake

Harfe Amandine Carbuccia

Pauke / Schlagzeug Nils Kochskämper Rose Eickelberg Simon Herron André Kollikowski Pao Hsuan Tseng

Orchesterwarte Torsten Scheffler Felix Caspar Oliver Buss


Vorschau

Mi 28.2.24 \ 18:05 Uhr \ Die Glocke 5nachsechs – Das Afterwork-Konzert

Transsylvanische Reise Johannes Brahms (1822-1897) Ungarische Tänze (Auswahl) Franz Liszt (1811-1886) Ungarische Rhapsodie Nr. 2 cis-Moll Sándor Veress (1907-1992) Vier transsylvanische Tänze György Ligeti (1923-2006) Concert Romanesc Roland Kluttig \ Dirigat und Moderation

So 11.3.24 \ 11:00 Uhr \ Die Glocke Mo 12.3.24 \ 19:30 Uhr \ Die Glocke 9. Philharmonisches Konzert

Leidenschaft Bela Bartók (1881-1945) Tanz-Suite Peter Eötvös (*1944) Cello Concerto Grosso Witold Lutosławski (1913-1994) Concerto for Orchestra Jonathan Stockhammer \ Dirigat Sung-Won Yang \ Violoncello


So 17.3.24 \ 11:30 Uhr \ Halle 1 Kammermusik am Sonntagmorgen

Aus meinem Leben Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) Streichquartett d-Moll KV 421 Bedřich Smetana (1824-1884) Streichquartett Nr. 1 e-Moll „Aus meinem Leben“ Quattro corde Marina Miloradovic\ Violine Katja Scheffler\ Violine Gesine Reimers\ Viola Karola von Borries\ Violoncello


Impressum Herausgeber Bremer Philharmoniker GmbH Am Tabakquartier 10, Halle 1 28197 Bremen info@bremerphilharmoniker.de www.bremerphilharmoniker.de Texte Guido Krawinkel

Fotocredits Titel, S.3 stock.adobe.com S. 6, Rudolf Lörinc S. 7, Cecilie Hug S. 9, gemeinfrei S. 19, gemeinfrei S. 24, Marco Borggreve S. 25, Melanie Tesch S. 26, Bremer Philharmoniker S. 27, Lukas Klose Medienpartner

Redaktion Barbara Klein Konzeption H&K+S / Agentur für Gestaltung Gestaltung Martina Vierthaler

Nachdruck verboten Wir danken den beteiligten Künstleragenturen und Fotografen für die freundliche Unterstützung.


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Der prophil-Vorstand (v.l.n.r.): Claudia Marcus und Prof. Dr. Hans-Werner Zoch (stellv. Vorsitzende), Rolf Mählmann (Schatzmeister) sowie Daniel de Olano (Vorsitzender).

Gemeinsam die Bremer Philharmoniker fördern prophil e. V., der Freundeskreis der Bremer Philharmoniker, schafft finanzielle Freiräume für innovative Projekte der Bremer Philharmoniker und hilft so, durch Musik unsere Stadt liebens- und lebenswert zu machen. Unsere Mitglieder bilden mit der uns verbindenden Freude an der Musik und dem gemeinsamen Engagement ein Netzwerk zur Förderung des Orchesters und damit auch der klassischen Musik in Bremen und umzu. Über die besonderen Veranstaltungen, die wir zusätzlich zum Konzertbetrieb in der Glocke ermöglichen, bauen wir eine Brücke in die Stadtgesellschaft. Mit unseren Mitgliedsbeiträgen und Spenden kann unter anderem die Musikwerkstatt der Bremer Philharmoniker gefördert sowie die Initiative »Orchester des Wandels« unterstützt werden, bei der sich die Musiker:innen in außergewöhnlichen Konzertformaten mit der Klimakrise auseinandersetzen. Das bietet prophil Ihnen: Einladung zum Neujahrsempfang, Einladung zu Orchester­proben, Einladung zur Teilnahme an exklusiven Konzertreisen, intensive Begegnungen mit Musiker:innen und Dirigent:innen, kostenlose Teilnahme an einem 5nachsechs-Konzert pro Spielzeit Weitere Informationen und Kontakt unter www.prophil.de


Wir alle sind Bremen.

Weil’s um mehr als Geld geht. Wir setzen uns für all das ein, was den Menschen, den Unternehmen und uns wichtig ist – mit Sicherheit. Damit Bremen eine l(i)ebenswerte Stadt bleibt. Stark. Fair. Hanseatisch.


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