EB 8294 - Brahms, Schicksalslied op. 54

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EB 8294 Breitkopf & Härtel Edition Breitkopf

Brahms – SCHICKSALSLIED für Chor und Orchester

– SONG OF DESTINY for Choir and Orchestra op. 54

Klavierauszug Piano Vocal Score



Johannes Brahms 1833–1897

Schicksalslied für Chor und Orchester

Song of Destiny for Choir and Orchestra op. 54

Text von | Words by

Friedrich Hölderlin Klavierauszug von | Piano Vocal Score by

Hermann Levi • Johannes Brahms

Edition Breitkopf 8294 Printed in Germany


Besetzung

Scoring

vierstimmiger gemischter Chor

four-part mixed choir

2 Flöten 2 Oboen 2 Klarinetten 2 Fagotte

2 Flutes 2 Oboes 2 Clarinets 2 Bassoons

2 Hörner 2 Trompeten 3 Posaunen

2 Horns 2 Trumpets 3 Trombones

Pauken

Timpani

Streicher

Strings

Aufführungsdauer

Performing Time

etwa 12 Minuten

approx. 12 minutes

Dazu käuflich lieferbar: Partitur Orchesterstimmen Chorpartitur

Available for sale: PB 3220 OB 3220 ChB 3442

Score Orchestral parts Choral score

PB 3220 OB 3220 ChB 3442


Vorwort Das Schicksalslied op. 54 von Johannes Brahms ist eine groß angelegte chorsymphonische Vertonung des gleichnamigen Gedichts aus Friedrich Hölderlins Briefroman Hyperion oder Der Eremit in Griechenland (erschienen 1797 und 1799). Hyperion, die Hauptfigur des Romans, singt das Lied im Zweiten Buch des Zweiten Bandes. Er berichtet davon seinem Freund Bellarmin: „Ich blieb am Ufer, blickte still, von den Schmerzen des Abschieds müd, in die See, von einer Stunde zur andern. Die Leidenstage der langsamsterbenden Jugend überzählte mein Geist, und irre, wie die schöne Taube, schwebt’ er über dem Künftigen. Ich wollte mich stärken, ich nahm mein längstvergessenes Lautenspiel hervor, um mir ein Schicksalslied zu singen, das ich einst in glücklicher unverständiger Jugend meinem Adamas [i. e. Hyperions weiser Lehrer] nachgesprochen.“ Das nachfolgende Gedicht besteht aus drei Strophen mit unterschiedlich langen, reimlosen, metrisch ungebundenen Versen: [I] Ihr wandelt droben im Licht / Auf weichem Boden, selige Genien! / Glänzende Götterlüfte / Rühren euch leicht, / Wie die Finger der Künstlerin / Heilige Saiten. [II] Schicksallos, wie der schlafende / Säugling, atmen die Himmlischen; / Keusch bewahrt / In bescheidener Knospe, / Blühet ewig / Ihnen der Geist, / Und die seligen Augen / Blicken in stiller / Ewiger Klarheit. [III] Doch uns ist gegeben, / Auf keiner Stätte zu ruhn, / Es schwinden, es fallen / Die leidenden Menschen / Blindlings von einer / Stunde zur andern, / Wie Wasser von Klippe / Zu Klippe geworfen, / Jahr lang ins Ungewisse hinab. Brahms hat das Gedicht offenbar zunächst nicht im Romankontext kennengelernt. Sein Freund Albert Dietrich berichtet in seinen Erinnerungen über einen im Sommer 1869 zu dritt mit Karl Reinthaler unternommenen Ausflug nach Wilhelmshaven: „Unterwegs war der sonst so muntere Freund still und ernst. Er erzählte, er habe früh am Morgen (er stand immer sehr früh auf) im Bücherschrank Hölderlin’s Gedichte gefunden und sei von dem Schicksalslied auf das Tiefste ergriffen. Als wir später […] ausruhend am Meere saßen, entdeckten wir bald Brahms in weiter Entfernung, einsam am Strand sitzend und schreibend. / Es waren die ersten Skizzen des Schicksalsliedes, welches ziemlich bald erschien. […] Er eilte nach Hamburg zurück, um sich der Arbeit hinzugeben.“ Vermutlich hat Brahms das Gedicht später auch im Zusammenhang des Romans studiert. Eine erste Fassung der Komposition lag im Mai vor. Die endgültige Version erschien (mit Partitur, Klavierauszug, Chor- und Orchesterstimmen) im Dezember 1871 im Verlag N. Simrock, Berlin. Lange hatte Brahms Schwierigkeiten, einen ihn konzeptionell befriedigenden Abschluss des Schicksalslieds zu finden. Die schließlich gewählte dreiteilige Großform ist klar angelegt. Sie fasst die ersten beiden

Gedichtstrophen zu einem ruhigen, „Langsam und sehnsuchtsvoll“ vorzutragenden Teil zusammen. So verbindet sich die Ansprache an die himmlischen Gestalten („selige Genien“) in der ersten Strophe mit der Schilderung von deren transzendenter Seinsweise in der Folgestrophe. In der Musik wirken die Imagination der jenseitigen Seligkeit und deren NichtErreichbarkeit ineinander. Zu diesem Großteil in Es-dur kontrastiert ein aufwühlendes Allegro in der Paralleltonart c-moll, das den in der dritten Strophe ausgeführten fortwährenden, ausweglosen Leiden der Menschen gilt. Die sich „ins Ungewisse hinab“ bewegende Musik dieses Teils schließt gleichsam erschöpft mit emphatisch aufwärts gerichteten, an den ersten Teil anklingenden Gesten (T. 364ff.) und aus ihnen abgeleiteten Seufzerfiguren (T. 372ff.). Ihm lässt Brahms einen ruhigen, den Duktus des ersten Teils aufgreifenden Orchesterepiolog nachfolgen. Dieser wendet das c-moll des Mittelteils nach C-dur und verströmt als instrumentaler Adagio-Abgesang Ruhe und Abgeklärtheit. Zeitweise hatte Brahms erwogen, im Rahmen dieses Schlussabschnitts den Chor die ersten beiden Gedichtverse mit der Anrede der Genien wiederholen zu lassen. Auch an eine textlose Vokalise des Chors hatte er gedacht. („Am liebsten möchte ich den Chor nur ‚ah‘ singen lassen, quasi Brummstimmen.“ Dies überlieferte Brahms’ Freund und Biograph Max Kalbeck.) Die finale Version löst etwas ein von dem Wunsch, der Hyperion in Hölderlins Roman zum Singen des Liedes veranlasst: „Ich wollte mich stärken […].“ Geleistet wird dies absolut-musikalisch: Keine Wortaussage legt die Bedeutung des Schlussteils fest; seine Deutung bleibt den Hörenden überlassen. Bis heute wird seine ästhetische Qualität im BrahmsSchrifttum kontrovers diskutiert. Brahms selbst blieb bis zur Drucklegung unsicher, ob die gewählte Lösung des Werkschlusses gelungen sei. „[…] ich sage ja eben etwas, was der Dichter nicht sagt, und freilich wäre es besser, wenn ihm das Fehlende die Hauptsache gewesen wäre […].“ (Brief an Karl Reinthaler, Wien, ca. 24. Oktober 1871) Der mit Brahms befreundete Dirigent Hermann Levi besorgte 1871 vor der Drucklegung einen Klavierauszug des Werks. Brahms hat ihn nach Erhalt überarbeitet. In selbstironischer Manier schrieb er am 27. September 1871 an Levi: „der Cl.=A. ist mit Absicht nur geändert, nicht gebessert. Ich habe ihn schwerer machen wollen, auf daß in den Akademien sich lieber der Pianist blamire, wenn er’s nicht herausbringt, als ich, wenn Alles deutlich klingt und die Leute langweilt etc. etc., aber Ernstlich!“ Brahms lag an einer symphonisch wirkenden Gestalt des Klaviersatzes. Er entspricht der Monumentalität des Werks. Berlin, Herbst 2013

Ulrich Mahlert


Preface Johannes Brahms’ Schicksalslied (Song of Destiny) op. 54 is a large-scale setting for chorus and orchestra of the eponymous poem from Friedrich Hölderlin’s epistolary novel Hyperion oder Der Eremit in Griechenland (published in 1797 and 1799). Hyperion, the major character in the novel, sings the song found in the Second Book of the Second Volume. He informs his friend Bellarmin: “I remained on the shore and gazed silently at the sea, one hour after the other, weary from the pangs of departure. My spirit recounted the painfilled days of slowly ebbing youth, and capricious like a beautiful dove, it hovered over what was to come. To steel myself, I took out my long-forgotten lute to sing myself a song of destiny that I had once repeated after my Adamas [i.e. Hyperion’s wise teacher] in the blissful ignorance of youth.” The poem that follows consists of three stanzas with metrically free, nonrhyming verses of various lengths: [I] You wander in the light up high / On welcoming ground, blessed spirits! / Divinely shimmering breezes / Touch you gently / Like the fingers of the artist / On sacred strings. [II] Unburdened by fate, like a sleeping / Infant, the immortals breathe. / Chastely guarded / In modest buds / Their spirit blooms without end / And the eyes of the blessed / Gaze upon tranquil / eternal clarity. [III] But to us it is given / That there is no place to rest; / We vanish, we fall, / We, suffering mortals, / blindly from one / Hour to the next / Like the spray of water / On cliff after cliff / And year after year we descend into the Unknown. Brahms seems to have first come across the poem in a context extraneous to the novel. In his memoirs, Brahms’ friend Albert Dietrich describes an excursion to Wilhelmshaven undertaken with Karl Reinthaler in summer 1869: “On our way there, our friend, who was usually so lively, was quiet and serious. He told us that early that morning (he always rose at dawn) he had found Hölderlin’s poems in the bookcase, and had been deeply moved by the Schicksalslied. When, later in the day […] we sat down on the shore to rest, we discovered Brahms at a great distance, sitting alone on the beach and writing. These were the first sketches for the Schicksalslied, which was published shortly thereafter. […] He hurried back to Hamburg to plunge into his work.” Brahms presumably later studied the poem within the context of the novel as well. He completed a first version of the work in May; the final version was released (with full score, piano-vocal score, choral and orchestral parts) in December 1871 by N. Simrock in Berlin. Brahms struggled for a long time to find a close to the Schicksalslied whose concept he could fully agree with. The three-part form he ultimately chose is clearly articulated and combines the first two stanzas of the poem

into a calmly flowing section that is to be performed “slowly and longingly.” The entreaty to the heavenly beings (“blessed spirits”) in the first stanza is linked with the description of their transcendental essence in the following stanza. The music for the perception of the otherworldly bliss awaiting us intertwines with that of its unattainability. Contrasting with this large section in E flat major is an emotionally stirring Allegro in the parallel key of C minor, which represents the ceaseless and inescapable suffering of mankind depicted in the third stanza. As if it had exhausted itself, the music of this section, which “descends into the Unknown,” closes with emphatically ascending gestures that echo the first section (m. 364ff.) and the sighing figures derived from them (m. 372ff.). Brahms then appends a tranquil orchestral epilogue that reprises the ductus of the first section. It guides the C minor of the middle section back towards C major, and radiates peace and serenity as an instrumental Adagio farewell. For a certain time, and in connection with this closing section, Brahms had even considered having the chorus repeat the first two verses of the poem, with the plea to the spirits. He also thought about a textless vocalise for the chorus. (“What I would like the most is for the chorus to sing only ‘ah,’ in a kind of humming voice.” This was transmitted by Brahms’ friend and biographer Max Kalbeck.) To a certain extent, the final version honors the wish that inspires Hyperion to sing the song in Hölderlin’s novel: “To steel myself […].” This is achieved through absolute music: there is no text to lay down the meaning of the closing section; it is up to the listener to interpret it. To this day, the aesthetic quality of this close is still controversial and an ever-present object of discussion in Brahms literature. Until the work’s printing, Brahms himself remained uncertain as to whether the solution he decided upon for the close of the work was right. “[…] I say something that the poet does not say, and it would obviously be better if what is missing had been the main point […].” (letter to Karl Reinthaler, Vienna, ca. 24 October 1871) The conductor Hermann Levi, a friend of Brahms, prepared a piano-vocal score of the work in 1871, prior to the work’s publication. Brahms revised it upon receiving it and wrote to Levi on 27 September in his self-ironic manner: “The piano reduction has been intentionally changed, not improved. I wanted to make it more difficult, so that it would be the fault of the pianist – and not mine – if the work did not go well in concerts, if everything sounds clear and bores the audience, etc., etc. – seriously now!” Brahms wanted a symphonic sound from the piano part; what he created fully corresponds to the monumentality of the Schicksalslied. Berlin, Fall 2013

Ulrich Mahlert


Schicksalslied

für Chor und Orchester Johannes Brahms op. 54 Langsam und sehnsuchtsvoll Vl. con sord.

Klavier

espressivo legato

Pk. 3

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5

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17

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Edition Breitkopf 8294 .

© 2014 by Breitkopf & Härtel, Wiesbaden


6 22

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27 Sopran

Alt

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Breitkopf EB 8294

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9 790004 183687

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9 790004 183687 B 22

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www.breitkopf.com


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