Leseprobe | Luca

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ABSTRUSA

EINE GE SCHICHTE ÜB ER DAS LOSLASSEN

Es finden sich Bezüge zu den Geschichten von

Ein magisches Buch über den Prozess des Abschieds, das Überwinden von Angst und das Entdecken der eigenen Stärke und des Muts.

Jacoby

Stuart



ABSTRUSA

UND DAS GRÜNE AMULETT

Verlagshaus Jacoby

Stuart


~ FÜR MEINE SCHWESTER ~

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Es war ein lauer Sommerabend. Im Garten duftete es nach frischem Gras und Blumen, die Grillen zirpten laut und Luca fühlte sich auf dem Schoß ihrer Mutter geborgen. Zwischen all den dunklen Hochhäusern bildete ihr altes Haus mit dem großen Garten eine richtige Oase. Die Nacht war klar, und der Sternenhimmel über ihnen funkelte, wie tausend kleine Glühwürmchen. Lucas große Schwester hatte den ganzen Abend über kaum ein Wort gesprochen. Sie saß auf der Veranda und blickte mit traurigem Blick unverwandt zum Sternenhimmel. Lucas Mutter hatte den Mädchen warme Milch mit Honig gemacht. „Das beruhigt und macht glücklich“, hatte sie gesagt. Luca wärmte ihre Hände an der Tasse, und mit jedem Schluck wurden ihre Augenlider schwerer. Als sie schließlich eingeschlafen war, trug ihre Mutter sie nach oben ins Dachgeschoss, legte die Kleine in ihr Bett, deckte sie zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

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Mitten in der Nacht wachte Luca auf, weil etwas über ihre Wange strich. Sie rieb sich verschlafen die Augen und sah ihre Schwester auf ihrer Bettkante sitzen. Sie sah jetzt noch trauriger aus als vorhin auf der Veranda und streichelte über Lucas Haare. „Die sollst du jetzt haben“, sagte sie dann zu Luca und nahm ihr Amulett ab, das sie immer trug, um es Luca anzulegen. Luca wunderte sich darüber. Schlaftrunken fragte sie sich, warum ihre Schwester ihr ausgerechnet mitten in der Nacht das geliebte Amulett schenken wollte und woher ihre Schwester das Amulett überhaupt hatte. Doch sie war viel zu müde, um diese Fragen zu stellen. Nachdem sie Luca die Kette umgelegt hatte, drückte ihre Schwester sie ganz fest an sich und sagte: „Ich muss jetzt gehen, meine Kleine. Ich hab dich lieb.“ „Mhm“, antwortete Luca, und schon fielen ihr die Augen wieder zu.

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Am nächsten Morgen erinnerte Luca sich nur vage an das, was sie in der letzten Nacht erlebt hatte. Allerdings dachte sie, sie hätte das alles nur geträumt. Verschlafen stolperte sie zum Zimmer ihrer Schwester, doch es war leer. Das Bett war gemacht und das Zimmer aufgeräumt. Luca kam das merkwürdig vor, denn so früh stand ihre Schwester eigentlich nie auf, und so ordentlich war sie sonst auch nicht. Besorgt rannte Luca die alten Treppenstufen hinunter. Erst da merkte sie, dass ihr bei jedem Schritt etwas gegen die Brust klopfte. Es war die Kette ihrer Schwester. Luca stockte der Atem. Dann war das Ganze also doch kein Traum gewesen … Sie trat mit dem Amulett in der Hand in die Küche. Dort saß ihre Mutter am Küchentisch und starrte wortlos in ihre Tasse. Luca mochte ihren Augen kaum trauen. Über Nacht waren die Haare ihrer Mutter weiß geworden. „Was ist passiert?“, rief sie erschrocken. Doch ihre Mutter antwortete nicht. „Wo ist sie?“, rief das Mädchen erneut. Doch ihre Mutter reagierte immer noch nicht. „WO IST SIE?“, schrie Luca nun. Doch ihre Mutter blieb stumm und reglos.

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Falls du selbst betroffen bist, unter Panikattacken, Depressionen, einer Borderline-Störung oder Suizidgedanken leidest, dich einfach taub oder traurig fühlst oder wütend auf die Welt bist, dann möchte ich dir vor allem eins sagen:

Du bist nicht schuld, und du bist nicht allein!

ÜBER DAS BUCH

Zehn Jahre habe ich gebraucht, um dieses Buch – neben meiner Arbeit als Kommunikationsdesignerin – fertigzustellen. So ist aus einer kleinen Idee eine große Reise geworden. Als ich mich nach dem Studium von meinem Freund trennte, hatte ich plötzlich das Bild einer in Tränen untergehenden Stadt im Kopf. Einfach nur dieses Bild. Drei Jahre später ermunterte mich mein damaliger Chef, ein Kinderbuch für einen Wettbewerb zu zeichnen. Und so keimte die Idee zu diesem Buch in mir auf. Aber ich musste mich erst selbst auf diese Reise, die Luca im Buch vollzieht, begeben, um Antworten zu finden und auch das Ende der Geschichte schreiben zu können. Liebeskummer hatte das Bild in meinem Kopf ausgelöst, das zu

dem Buch führte. Doch im Laufe der Zeit ging es um etwas viel Elementareres. Nämlich ums Überleben, auch wenn sich das pathetisch anhört. Wie schafft man es zu leben, wenn das Leben einen gelehrt hat, dass alles sinnlos und voller Schmerzen ist? Die Suche nach dem Sinn führte mich in meine Vergangenheit, in meine Kindheit und Jugend. Damals wussten die meisten Menschen in meinem Umfeld nichts von meinen Problemen. Sie wussten nichts über die Bulimie, nichts über die Selbstverletzung oder über die Suizidversuche einer geliebten Person. Ich selbst war zu jung, um vieles davon zu verstehen. Geschehenes relativierte ich – um es mit Kraftklubs Worten zu sagen: „Es gibt sicher Menschen

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auf der Welt, denen geht es viel schlechter als mir.” Leider habe ich erst, nachdem mein Körper mir eindeutige Grenzen aufwies, gelernt, über Erlebtes zu reden. Viel zu oft wurde von mir erwartet zu funktionieren, ganz so, wie es unsere Leistungsgesellschaft vorgibt. Viel zu oft machte ich die Erfahrung, dass mir nicht wirklich zugehört wurde, sondern dass ich eher verantwortlich gemacht wurde, anstatt Hilfe zu bekommen. Einige Freundinnen wollten helfen, aber wussten nicht, wie. Meine Eltern waren überfordert und meine Lehrer haben weg- oder zumindest nicht genau hingesehen. Luca ist die Geschichte vom harten Weg, sich alleine durchzuschlagen und sich selbst zu helfen. Ich kann diesen Weg nicht empfehlen. Er ist ganz schön anstrengend.

Ich möchte, dass du weißt, dass Reden der erste Weg zur Heilung ist! Ich hoffe, du hast Freunde, mit denen du deine Sorgen teilst. Vermutlich sind deine Eltern nicht die richtigen Ansprechpartner, aber vielleicht Seelsorger:innen an Schulen oder Psychologen:innen. Ich wünschte, ich hätte mir früher professionelle Hilfe gesucht, denn sie ist, meiner Erfahrung nach, unersetzbar, wenn es um ernste Probleme geht. Schäme dich nicht, Hilfe zu suchen. Lass dich nicht von längeren Wartezeiten abschrecken. Auch deine Hausärztin kann dir weiterführende Therapien oder Angebote empfehlen. Es gibt Selbsthilfegruppen, Tageskliniken, Psychiater:innen oder im schlimmsten Akutfall auch Psychiatrien, die helfen können. Wenn die gewählte Therapieform oder der Therapeut nicht gleich die oder der Richtige ist, gib nicht auf und suche, was für dich passt und dir wirklich hilft. Vor allem musst du natürlich wollen, dass es dir besser geht. Du hast es verdient! Gib nicht auf! Kämpfe! Du bist stärker als du denkst!

Falls du ein Angehöriger bist, dann gilt für dich dasselbe. Rede darüber, was dich beschäftigt! Sei geduldig mit der betroffenen Person, höre zu und versuche, keine Vorwürfe zu machen oder gar zu drohen oder zu bestrafen, sondern gib allen Gefühlen Raum. Sei dabei ehrlich, aber konstruktiv. Du kannst einen anderen Menschen nicht retten – das muss er selbst tun. Du kannst ihn aber unterstützen und befähigen, sich selbst zu helfen. Aber auch du hast Grenzen und musst auf dich aufpassen. Es gibt aus gutem Grund Selbsthilfegruppen und psychologische Hilfe für Angehörige, denn auch sie tragen eine enorme Last. Denke nicht, dass du das alles alleine schultern kannst oder musst.

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Vielleicht bist du auch indirekt betroffen. Vielleicht weißt du nicht einmal, was gerade abläuft, oder du hast nur eine stille Ahnung. Vielleicht bist du eine Lehrerin, ein Mitschüler oder eine Ärztin – dann höre bitte einfach zu. Und höre einfach genau hin. Manchmal sind Betroffene ganz laut. Sie schlagen um sich, haben Verletzungen, fallen selbst optisch auf. Aber oft sind Betroffene auch einfach sehr still. Vielleicht sind sie immer sehr müde, sehr dünn, sehr unkonzentriert. Auffällig eben. Mein tiefer Wunsch ist: Bitte sieh nicht einfach weg! Bitte denke nicht, dass schon jemand anderes helfen wird. Ich weiß, du hast wenig Zeit. Ich weiß, du hast viel zu tun. Aber du kannst etwas ändern! Du kannst jemandem helfen! Starte ein Gespräch und biete in einem ruhigen Moment deine Hilfe an. Es gibt Menschen, die dich brauchen!


Meine Liebe zur Natur hat die Machart dieses Buches mitbestimmt, denn um im Freien sein zu können, habe ich alle Bilder mit dem Bleistift gezeichnet.

Z E I C H N E N B E I 5 °C

RO SE

B L AU ER LOTU S

FIC U S LY R ATA

Flora RA F F LE S IE

LOTU S -S A ME N H Ü LS E

V E R PAT Z T E AQUARELLVERSION (2015)

Z UNDE RS C H WAMM

F L E ISC H R OTE R G AL L ERTBEC H ER

LÖW E N MÄ U LC H E N

T I NT E NF I SC H P IL Z

PARMELIAFLECHTE

B LU TE N D E R K OR K S TA C H E LIN G

Viele der dargestellten Pflanzen symbolisieren die seltsame, morbide und beängstigende Natur in ihrer ganzen Vielfalt. Wie etwa die

nach Aas stinkende Riesenrafflesie mit ihren größten Blüten der Welt, die zu schwarzem Schleim zerfallen, oder der psychoaktive blaue

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Lotus, ebenso wie der gefährdete Korkstacheling oder die Trauerweide.

Ursprünglich wollte ich meine Bleistiftzeichnungen aquarellieren, aber nach dem ersten gescheiterten Versuch entschied ich mich für die digitale Kolorierung.


Dieses Buch ist auf Papier gedruckt, für das nur Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft verwendet wurde.

Dieses Buch wurde klimaneutral produziert. Diese Initiative schützt 1.150.200 Hektar tropischen Regenwald in Kolumbien und bietet zusätzlich viele soziale Leistungen für 16.000 indigene Menschen. Mehr Infos unter: www.climatepartner.com/1288

Ein verlagsneues Buch kostet in ganz Deutschland und Österreich jeweils dasselbe. Das liegt an der gesetzlichen Buchpreisbindung, die dafür sorgt, dass die kulturelle Vielfalt erhalten und für die Leser:innen bezahlbar bleibt. Also: Egal ob im Internet, in der Großbuchhandlung, beim lokalen Buchhändler, im Dorf oder in der Stadt – überall bekommen Sie Ihre verlagsneuen Bücher zum selben Preis.

© 2022 Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin Alle Rechte vorbehalten Druck und Bindung: DZS Grafik Printed in Slovenia ISBN 978-3-96428-129-6 www.jacobystuart.de

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EINE GE SCHICHTE ÜB ER DAS LOSLASSEN Als Lucas Schwester eines Nachts spurlos verschwindet, beginnt für Luca eine abenteuerliche Reise. Ihr Sturz in die unterirdische Höhle unter ihrem Haus eröffnet dem Mädchen eine unbekannte Welt voller magischer Kreaturen und gefährlicher Mutproben. Ihr treuer Begleiter, das Glühwürmchen, weist ihr den Weg … In der Welt, in die Luca so gelangt, begegnen ihr verschiedene verschlüsselte Botschaften und Symbole, die ihr zu verstehen helfen, was sich ereignet hat. Es finden sich Bezüge zu den Geschichten von Lewis Carroll und Antoine de Saint-Exupéry, zum Studio Ghibli in Japan und den verrückten Welten Haruki Murakamis; und auch an Monets Seerosen werden wir erinnert … Ein magisches Buch über den Prozess des Abschieds, das Überwinden von Angst und das Entdecken der eigenen Stärke und des Muts.

www.jacobystuart.de ISBN 978-3-96428-129-6


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