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RECHT | von Rechtsanwalt René Boyke
Eltern haften für ihre Kinder – nicht?
Urban Urtyp Konzerterlebnisse in der Bochumer Christuskirche Eigentlich will ich mit ihm über die Konzertrei-
ter, gleichwohl vager Begriff. „Man hört es aber
Endlich! Viele betroffene Eltern werden auf-
he Urban Urtyp reden. Doch bevor das Interview
sofort”, erklärt Thomas Wessel. „Es gibt tolle
atmen, denn der Bundesgerichtshof (BGH)
beginnt, greift Pfarrer Thomas Wessel hinter
Musik, die fraglos in der Kirche gespielt werden
bringt etwas Realitätsnähe ins deutsche
sich und holt ein riesiges Buch aus dem Regal.
könnte. Hörst du die aber im Kontext ,urban‘,
Rechtsleben zurück: Er hat die überzogenen
Ars Sacra heißt das Werk im Altarbibelformat,
weißt du sofort, dass das nicht funktioniert. Um
Aufsichtspflichten für das Verhalten von
Kirchenarchitektur von Byzanz über Mittelalter,
das festzustellen, reichen oft die ersten vier Tak-
Kindern im Internet, die einige Oberlandes-
Barock und Jugendstil bis in die Neuzeit. Von
te. Und so unterschiedlich wir in unserem Team
gerichte Eltern abverlangten, auf ein erträg-
allen europäischen Sakralbauten der 40er und
auch sein mögen, in dieser Hinsicht sind immer
liches Maß reduziert.
50er Jahre werden darin nur drei „beispielhaft”
alle einer Meinung. Das ist schon verrückt.”
Wenn bisher Minderjährige über den elterlichen Internetanschluss illegal Tauschbörsen
genannt, darunter die Christuskirche. Weltweit gilt sie als epochale Konzeptkirche.
Das Team. Organisiert wird die Reihe von einer auf den ersten Blick sehr heterogenen Gruppe. Verbin-
nutzten, dann bekamen die Eltern eine Ab-
Das Kirchenschiff, in dem mehr als eintausend
dende Elemente sind Liebe zu Livekonzerten und
mahnung. Die Kosten beliefen sich mindes-
Menschen Platz finden können, bietet ausge-
ausreichend Leidenschaft, diese aus eigener Kraft
tens auf mehrere hundert Euro; selbst wenn
zeichnete akustische Eigenschaften. Von Anfang
auf die Beine zu stellen. Zum harten Kern von et-
nur ein einziges Lied heruntergeladen wur-
an war geplant, hier Konzerte stattfinden zu
was mehr als zehn Mitgliedern gehört Olaf Rauch.
de, das bereits für 99 Cent im Internet hätte
lassen. Zunächst im gewohnt klassischen Rah-
Anfangs Stammgast, wollte er bald mehr als nur
gekauft werden können. Die Eltern mussten
men; parallel zum Bau gründete sich die Bochu-
Besucher sein. „Bei uns regiert das Lustprinzip”,
sich regelmäßig vorwerfen lassen, sie hätten
mer Stadtkantorei. Um das Jahr 2000 wurde das
sagt er. „Wir sind kein Verein. Niemand ist zu
ihre Aufsichtspflichten verletzt – und die
Konzept ausgeweitet, aus der Kulturkirche sollte
irgend etwas verpflichtet. Wenn wir uns wegen des
hatten es in sich.
eine Kirche der Kulturen werden. Der Begriff ist
Programms treffen, bringt jeder die Musik mit, die
nicht im ethnischen Sinn zu verstehen. Innerhalb
ihm gefällt. Dann wird gemeinsam entschieden,
des weit gefassten Rahmens ist Urban Urtyp eine
was wir hier später hören und sehen wollen.”
Praktisch war es nämlich so, dass Eltern, die nicht ausgesprochen versierte PC-Nutzer waren, keine Chance hatten, den strengen Auf-
noch relativ junge Veranstaltungsreihe.
Zum Beispiel Stabil Elite, eine junge Band aus
sichtspflichten über ihre Kinder zu genügen.
Für Urban Urtyp gebuchte Musiker oder Bands
Düsseldorf. Rauch hatte sie vorgeschlagen. Die
Realitätsfern wurde von den Gerichten gefor-
lassen sich nicht einem bestimmten Genre zuord-
derzeitigen Kritikerlieblinge erinnern an Kraft-
dert, dass Eltern, die sich nicht in der Tausch-
nen. Die Internetseite zur Reihe listet Jazz und
werk, Neu! oder DAF. Düsseldorfer Schule. In der
börsennutzung auskannten, einen Computer-
Post, Elektro und Sprache, Klassik und Minimal,
Christuskirche tritt Stabil Elite am 30. Dezember
experten zu beauftragen hätten. Die Kosten
Ambient, Pop und mehr. Als gemeinsamer Nenner
auf. Tausend Besucher werden nicht erwartet,
dafür blieben weitgehend unberücksichtigt.
gilt die Formulierung „urban”, ein viel diskutier-
dazu ist die Band noch zu unbekannt und sehr
Letztlich mussten diese Eltern ihren Kindern also schlicht den Zugang zum Internet verbieten. Die Folge: Kinder erlernen den Umgang mit dem PC und dem Internet nicht. Dem hat der BGH jetzt endlich einen Riegel vorgeschoben. Er stellte klar, dass die Eltern nicht für Urheberrechtsverletzungen ihrer Kinder im Internet haften, wenn sie diesen die Nutzung von Tauschbörsen verbieten und sie entsprechend belehren. Gibt es Anhaltspunkte für Urheberrechtsverletzungen, dann müssen die Eltern das Kind auch kontrollieren. Da das Urteil allerdings noch nicht gedruckt vorliegt, ist noch nicht ganz klar, wie Eltern Kinder ganz konkret belehren und Verbote aussprechen müssen und wann Kontrollpflichten greifen. Fakt ist, die Aufsichtspflichten liegen unter den bisher verlangten. Da werden einige Eltern erstmal aufatmen. Allerdings kommen die Rechteinhaber nun vielleicht auf die Idee, die Kinder direkt zu verklagen. (rb) www.kanzlei-boyke.de 14
KULTUR | von Wolfgang Kienast | Foto: Michael Schwettmann www.misc420.net