36 LITERATUR | gelesen von Sandro Giuri
Van Bo Le-Mentzel
Stefan Keim, Didi Stahlschmidt
Soziales Design – Konstruieren statt konsumieren?
Dortmunds facettenreiches Musikleben
Wer unter „hartz IV moebel .com“
Stefan Keim und Didi Stahl-
von Van Bo Le-Mentzel einen
schmidt nehmen mit „Schwin-
Ratgeber zum Erwerb oder Bau
gungen” den Leser mit auf
kostengünstiger Möbel für Men-
eine musikalische Reise: An-
schen, die auf Hartz-IV ange-
gefangen im Mittelalter bei
wiesen sind, erwartet, wird nur
der Zunft der Spielleute über
teilweise befriedigt. In erster
die ersten Orchester, die An-
Linie ist es eine Message, die der
fänge der Oper und der Chöre
Autor vermitteln will: Konstruie-
bis hin zu Gegenwart und Zu-
ren statt Konsumieren! Wir sol-
kunft. Dabei geben sie einen
len von passiven Konsumenten zu
tiefen Einblick in die musika-
aktiven Gestaltern werden. Dafür
lischen Facetten der Ruhrgebietsstadt. Aber nicht nur klassische Elemen-
stellt er Baupläne von Möbeln im
te finden sich in diesem Buch wieder. Es greift ebenso Kabarett und Un-
Bauhausstil zum Nachbauen zur
terhaltung, populäre Dortmunder Vertreter verschiedener Musikgenres,
Verfügung: Vom Tisch, über Stuhl
den Jazz, Weltmusik und die Festivals auf.
und Hocker, bis hin zum Sofa und Schrank ist alles dabei.
Eintrag, sodass dem Leser auch die ökonomische Seite und ihr Stellen-
seines Projektes spricht, enthält das Buch Bilder und Geschichten von
wert nahegebracht werden. Zudem enthält das Buch interessante Inter-
den Nutzern seines Konzeptes und am Ende die Erklärung des von ihm
views mit Musikverbundenen, u.a. mit einem Dortmunder Geigenbauer,
geprägten, etwas schrägen Begriffs der „Karma-Economy“.
die das Ganze abrunden.
„Do it yourself“ für heimwerkende Design-Fans statt Hilfe zur Selbsthil-
Schwierig dürfte dabei manchem die Einordnung der verschiedenen ge-
fe: In erster Linie richtet Le-Mentzel sich an den Typus des kritischen,
nannten Komponisten im Kapitel über Orchester fallen. So dürften bei
design-affinen Heimwerkers, der gerne den Wert eines Konsumgutes hin-
den Namen Boris Blacher, Wolfgang Fortner oder Woiciech Kilar nicht
terfragt, indem er es nachbaut.
jedem Leser direkt ein Licht aufgehen. Aber mit etwas Neugierde sollte
So ist es fraglich, ob für diejenigen, die wirklich am Rand des Existenz-
das nicht wirklich einen Mangel darstellen.
minimums leben, das Sofa mit 350 Euro, exklusive Matratze, eine echte
Schön ist, dass die Autoren auf verschiedene Textsorten zurückgreifen,
Alternative darstellt. Ebenso wäre es wünschenswert gewesen, bei den
wie z.B. den Textauszug aus einem Tagebuch eines fiktiven Jazz-Anhän-
Preisangaben die Lieferanten offen zu legen. Zudem lässt der Teil mit
gers sowie auf Interviews und Künstlerportraits. Da, wo es nötig ist,
den Geschichten – jeder, der die Baupläne online anfordert, verpflichtet
wird auch der geschichtliche Hintergrund erläutert, und gut gewählte
sich, als „Bezahlung“ Le-Mentzel seine Geschichte zu erzählen – Bilder
Fotografien gestalten die Texte lebendig. Zitate zur Musikstadt Dort-
von der im Titel angesprochenen Gesellschaftsgruppe vermissen. Diese
mund sind zum Teil durchaus kritisch, wodurch das Buch nicht zu einem
Punkte lassen den Titel irritierend wirken.
reinen Lobgesang verkommt und sich wirklich ein vielfältiges Bild er-
Die Leser, die sich für „soziales Design“ interessieren und dabei gerne einmal ein Designer-Möbelstück in Eigenregie bauen möchten, werden mit dem Buch allerdings ihre Freude haben. (sg) Van Bo Le-Mentzel | hartz IV moebel .com Build More Buy Less! Konstruieren statt konsumieren! Hatje Cantz Verlag | 144 Seiten | 12,99 Euro ISBN: 978-3-7757-3395-3
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Auch Ausbildungsmöglichkeiten und die Musikwirtschaft finden einen
Neben einem Interview mit Le-Mentzel, in dem er über die Hintergründe
gibt. Alles in allem ein lesenswerter Überblick, der dem Leser das Bild einer pulsierenden, lebendigen Musikstadt Dortmund vermittelt. (sg) Stefan Keim | Didi Stahlschmidt Schwingungen. Dortmund – Die Musikstadt Klartext Verlag | 152 Seiten | 11,95 Euro ISBN: 978-3837506914 bodo verlost drei Exemplare (siehe Seite 21).