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Blickpunkt KW 21/13

„Ich mache, was mir Spaß macht“ Sven Keidel hat drei Jobs - und ist mit seinem Leben rundum zufrieden prüfer, Kampfrichter und KataWertungsrichter. Pro Jahr bildet „Für mich ist alles Arbeit und er rund 150 Dan-Träger aus und Freizeit zugleich, ich kann das prüft sie. Sven Keidel ist aber auch nicht trennen. Das schätze und Trainer, Abteilungsleiter und genieße ich. Denn ich habe es Schatzmeister bei der DJK Ingolgeschafft, alle meine Hobbies stadt. Und er beschäftigt sich mit zum Beruf zu machen. Deshalb Judo-Geschichte. Rund 650 Judohabe ich auch nie das Gefühl, Bücher hat er zuhause – alle geledass ich dringend Urlaub brau- sen, aufgelistet und bewertet. „Juche“, sagt Sven Keidel, der drei do ist für mich mehr als Sport. Es Jobs hat. In Ingolstadt ist der ist eine Ganzkörperausbildung, 45-Jährige vor allem als Magier ein Erziehungssystem sowie die und Zaubertage-Organisator Möglichkeit, sein Leben in Harbekannt. Aber Sven Keidel alias monie zu verbringen. Das Schöne Sven Catello ist auch Judotrai- daran ist: Man lernt nie aus“, so ner und Mathe-Lehrer. Und seit der begeisterte Judoka. neuestem zudem Buch-Autor. Zaubernder Mathematiker Faszination Judo Sven Keidel ist 1967 in DarmManche seien von der Idee stadt geboren. Als er fünf Jahre angetan, einmal im Leben einen alt war, zogen seine Eltern nach Baum zu pflanzen. Das müsse Kasing. Danach folgte der Wohner nicht, er habe stattdessen ein ort Lippertshofen. MittlerweiBuch geschrieben, meint Keidel. le hatte die Familie Keidel drei Natürlich ein Judo-Buch. Stefan Jungs: Sven, Jens und Björn. Den Bernreuther und Sven Keidel stel- Ältesten zog es schon früh von zulen in ihrem gemeinsamen Buch hause weg. Nach dem Abitur am die Methodik zur Nage-no-kata Scheiner-Gymnasium lebte Sven vor. Ende Mai soll das 150 Seiten Keidel in Oberstimm und Eichstarke Werk erscheinen. „Das ist stätt. Bis 1996 studierte er an der die Essenz meiner Ideen aus 15 KU Eichstätt Mathematik sowie Jahren. Jetzt habe ich sie zusam- BWL im Nebenfach. Parallel zu men mit Stefan aufgeschrieben. seiner Ausbildung zum DiplomMit ihm mache ich seit vielen Mathematiker baute Keidel seine Jahren gemeinsame Lehrgänge Karriere als Zauberkünstler aus. beim Deutschen Judobund“, er- Was mit 14 Jahren als Vorfühzählt der Ingolstädter. Seit sei- rung vor Eltern, Freunden und nem zwölften Lebensjahr ist Ju- Sportvereinskollegen begonnen doka Keidel beim DJK Ingolstadt. hatte, weitete sich schnell aus. Durch einen Freund kam er zu- Keidel legte sich den Künstlernanächst dazu, der Vater und Bru- men Sven Catello zu - und wurde der folgten nach. Beide Brüder, gebucht: „Das erste Mal habe ich Sven und Jens Keidel, sind heute bei einem befreundeten JudoverTräger des 5. Dan (Meistergürtel). ein Geld für einen Auftritt beBeide sind beim DJK Ingolstadt, kommen. Später habe ich dann beim Bayerischen Judo-Verband bei Audi-Golfturnieren in ganz und beim Deutschen Judobund Deutschland gezaubert. Und aktiv. Sven ist Kyu- und Dan- dann hatte Audi damals noch Von Sabine Roelen

Zauberkünstler, Judotrainer, Mathe-Lehrer: Sven Keidel bringt alles unter einen Hut. ein tolles Projekt. Jeweils für ein Wochenende kamen Autohändler nach Ingolstadt, um das AudiMarkenleitbild kennenzulernen. Und da war ich beim Rahmenprogramm immer mit dabei. Das war sehr angenehm, da hatte ich immer feste Engagements.“ Weniger Geld, mehr Glück Der Durchbruch in der Zauberkunst kam 1996 mit der Deutschen Meisterschaft. 1997 folgte der 3. Platz bei der Weltmeisterschaft – und zwar jeweils zusammen für Sven Keidel alias Sven Catello und Jens Keidel alias Dario im Bereich Großillusion. Nach Beendigung des Studiums stand für den erfolgreichen Ingolstädter Zauberkünstler also die Frage im Raum: sich einen Job als Dipl.-Ma-

thematiker suchen oder weiterzaubern? Keidel fiel die Entscheidung nicht schwer. „Während des Studiums habe ich nebenbei als Programmierer bei der DASA gearbeitet. Da war mir schon klar, das will ich nicht lebenslang machen. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, meine Energie in die Zauberei zu stecken. Man verdient zwar weniger, aber man kann sich selbst verwirklichen - und ist dadurch glücklicher.“ 1997 stellt Sven Catello die 1. Ingolstädter Zaubertage auf die Beine. Einige Jahre später entwickelt er das Catello-Menü, das leckere Speisen plus Close-up-Zauberkunst serviert - erst in der Antoniusschwaige, dann im Rappensberger und jetzt im Schlosskeller in Ingolstadt. Das Catello-Menü läuft seit drei Jahren auch erfolg-

Foto: Florian Staron

reich in Berchtesgaden, jeweils in der Wintersaison. „Das ist durch einen Judo-Kollegen entstanden. Der eine Bereich hat hier vom anderen profitiert. Es passiert häufig, dass so eine Verzahnung stattfindet“, so Keidel. Zaubern mit Zahlen Das, was der Zuschauer in einer Zaubervorstellung sieht, ist das Ergebnis einer langen Vorbereitung. Denn Sven Catello entwickelt ständig neue Kunststücke und probt diese bis zur Vorführungsreife. „Also z.B. wie lasse ich eine Münze verschwinden, was sage ich dazu, wo schaue ich hin und wie handhabe ich den Zuschauer in dieser Situation? Da muss dann meine Freundin oft als Probezuschauerin her-

halten“, verrät der erfahrene Magier, der noch immer gerne Zuschauer zum Staunen bringt. Dazu bringt er regelmäßig auch noch eine ganz andere Klientel: seine Schüler. Denn seit knapp drei Jahren unterrichtet Sven Keidel Mathe an der FOS und BOS Ingolstadt. Als Dipl.-Mathematiker ist ihm das Jonglieren mit Zahlen vertraut. Aber auch der Umgang mit Jugendlichen ist für den 45-Jährigen kein Neuland: „Ich habe auch beim Judo immer Jugendarbeit gemacht. So war ich z.B. mehrmals mit Gruppen in Japan. Das sind Erfahrungen, auf die ich auch als Lehrer wieder zurückgreifen kann.“ Und wiederum profitiert ein Bereich vom anderen, z.B. wenn es um Stressbewältigung und Prüfungsvorbereitung geht. „Viele Methoden, die ich aus dem Sport kenne, kann ich auch in der Schule anwenden. Das ist gerade für Abiturienten sehr wichtig: Man sollte gut vorbereitet sein, und wissen, was einen erwartet. Je mehr man sich dieser Situation stellt, um so weniger entsteht am Prüfungstag Stress“, erklärt Keidel, der in seiner Freizeit auch gerne ins Theater oder auf Reisen geht. Eines der größten Abenteuer hat Mathe-Lehrer, Judoka und Zauberer Sven Catello aber noch vor sich: die Ehe. Am 3. August um 12.00 Uhr gibt er seiner Lebensgefährtin Anja im Ingolstädter Rathaus das Jawort. Und das – wie es sich für einen Magier gehört – gerne vor großem Publikum: „Jeder, der kommen möchte, darf kommen und einem Zauberkünstler beim Heiraten zuschauen.“ Also, Herrschaften, den Termin notieren und vorbeischauen. So eine zauberhafte (Hochzeits-)Vorstellung kommt so schnell nicht wieder.

Ein Rebell mit mehreren Gesichtern Gunther Dommel aus Eichstätt ist ein Querdenker – sowohl auf der Bühne, als auch in seinem Job (kr) Ob als Frau auf der Bühne, Mentor und Kindergärtner im Wald oder Moderator bei Poetry Slams, an denen er selbst früher teilgenommen hat – der Eichstätter Gunther Dommel hat viele Gesichter. Vieles im Leben des 32-Jährigen – wie beispielsweise die Beziehung zu seiner Frau - resultierte aus dem Zufall heraus. Dommel ist vieles, nur nicht wirklich greifbar – und das will er auch gar nicht sein. „Ich weiß gar nicht, wieso ich nicht in der Psychiatrie gelandet bin“, erzählt Gunter Dommel, der meist nur „Günni“ genannt wird, lachend. So ein wenig kann man ihm, dem Mann in kurzen Hosen und mit langen Haaren und Mütze, das abnehmen – auch wenn es natürlich nur ironisch gemeint ist. Der 32-Jährige hat viel zu erzählen, denn obwohl er noch so jung ist, hat er viel erlebt. Mit zwölf Jahren verließ er seinen Geburtsort, das fränkische Dinkelsbühl, und zog nach Mecklenburg-Vorpommern. Dort war er ein „Wessi“, in Franken dann ein „Ossi“, wie er sagt. Während er unter anderem auch in die Punk-Szene hinein geraten war, schaffte er sein Abitur und ging nach seinem Zivildienst im Jahr 2000 auf die Katholische Universität in Eichstätt: „Das war mein Kontrastprogramm“, erklärte er. Der Zufall half ihm hierbei, denn durch einen Schulausflug war er als Fünftklässler schon einmal dort und hatte von dieser Universität erfahren. „Ich habe mich dann für Englisch und Sozialkunde auf Lehramt für das Gymnasium eingeschrieben“, erinnert er sich. Doch nach zwei Wochen wechselte er den Studiengang zu Diplom Pädagogik, weil er „eigentlich gar keinen Bock auf Schule hatte“.

Links auf der Bühne, rechts im Alltag: Gunther Dommel verkleideete sich bei einem Theaterstück als Frau. Raus in die Natur – rein ins Leben Sechs Jahre später, kurz vor dem Ende seines Studiums in Eichstätt, half ihm erneut der Zufall: „Kurz bevor ich fertig war, kam jemand auf mich zu, dass der

„Ich war nie auszurechnen.“ Gunther Dommel Waldkindergarten in Eichstätt eine Leitung sucht. Als es hieß, dass ich da mit Kindern im Wald spiele, habe ich nur gefragt, wo ich unterschreiben soll“, erzählt er lachend. Allerdings musste Dommel anschließend innerhalb von zwei Wochen ganze 60 Seiten für seine Diplom-Arbeit schreiben.

Sechs Jahre leitete er den Waldkindergarten und machte zeitgleich noch eine indianische Ausbildung. „Ich kann Feuer mit dem Bogen machen, eine Laubhütte bauen, in der ich schlafen kann, ich kenne die ganzen Kräuter da draußen, ich kann Spuren lesen, ich kenne die Stimmen der Vögel“, zählt er nur wenige Fähigkeiten die er auf, auf der Schule „Wildniswissen“ gelernt hat. Mittlerweile arbeitet Dommel dort auch als Dozent. Sein eigenes „kleines Baby“, wie er sagt, ist seine Wildnisschule im Altmühltal, die er seit eineinhalb Jahren hat. „Bei mir war der Punkt, dass ich mich weiter orientieren wollte“, betont er. Dort arbeitet er mehr als Mentor, sagt er. Mittlerweile hat er drei Standbeine für seine Zukunft aufge-

baut: zum einen seine Wildnisschule in Eichstätt, dann seine Arbeit als Dozent und auch seine Tätigkeit beim Waldkindergarten in Zuchering, wo er 20 Stunden in der Woche den Kindern die Natur näher bringt: „Die geistige Ebene ist bei uns ja mittlerweile so verkümmert, weil wir uns die Fäden zur Natur komplett abgeschnitten haben und durch die Technik faule Säue geworden sind. Und hier gehst du wieder raus und verbindest dich wieder.“ Dieser Schulterschluss mit der Natur ist Dommel wichtig. Ebenso wie der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus: „Es gibt Leute in Eichstätt, die studieren die Geschichte von Lateinamerika, wissen aber nicht, in welche Himmelsrichtung sie blicken, wenn sie aus dem Küchenfenster schauen.“ Lieber, so

Fotos: Arzenheimer / Reichelt Dommel, kenne man sich in seiner Umgebung aus, das sei auch das Ziel der Wildnis-Schule, an der jeder willkommen ist. Die Bühne als zweites Zuhause Einer der Zufälle, die Dommels Leben bereicherten, brachte den Eichstätter auf die Bühne: Im Jahr 2000 traf er in einer Kneipe in Kaisheim Timo Brunke aus Stuttgart. „Er organisiert dort den Poetry Slam. Nachdem ich ihm zwei meiner Gedichte gezeigt habe, hat er mich eingeladen“, erinnert sich Dommel. In den folgenden Jahren machte er die Slam-Bühnen in Deutschland, aber auch in der Schweiz und in Österreich unsicher. „Ich war während meines Studiums viel wegen Slams unterwegs“, erzählt Dommel

schmunzelnd. Insgesamt stand er knapp 400 Mal auf der Bühne, viermal sogar bei den nationalen Meisterschaften. Auch auf der Bühne lässt sich der 32-Jährige nichts vorschreiben: „Wenn alle einen lustigen Text machen, dann bringe ich eben ein Liebesgedicht. Ich hatte Angst vor der Mittelmäßigkeit und bringe dann lieber eine Kontroverse“, sagt er. Diese Szene war für ihn auch ein bisschen Punkrock: „Ich war nie auszurechnen und das gefällt mir am Slam, wir waren nicht greifbar.“ Als er eine Einladung vom Fernsehen für einen Auftritt auf einem solchen Dichterwettbewerb bekam, lehnte er diese sofort ab. Mittlerweile tritt er selbst nicht mehr auf, dennoch dürften ihn einige Ingolstädter eben wegen dem Poetry Slam im Maki-Club kennen. Dort moderiert Dommel seit 2007 mehrmals im Jahr und hat in der Stadt eine ordentliche Slam-Szene aufgebaut. Dommel ist aber weiterhin auf der Bühne zu sehen, dann nämlich, wenn er bei der Eichstätter Prunksitzung kein Blatt vor den Mund nimmt. Egal ob als Ritter Eisenhart, Neandertaler oder als Mönch – der 32-Jährige schwingt lautstark gewitzte Reden. Außerdem steht er für den Mut e.V. (Musik und Theater) Eichstätt im Rampenlicht. „Theater spielen war eigentlich dann der Kollateralschaden“, meint er. Sogar als Frau verkleidete er sich schon. Zu dieser Rolle kam er, als der Regisseur des Stückes „Watzmann“ ihn nach einer Eichstätter Prunksitzung ansprach, ob er sich das vorstellen könne. Lachend erzählt er: „Ich trug damals rote Lackpumps vom Transvestit-Verleih in Größe 44. Ich konnte super laufen, die Frauen waren neidisch.“


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