Blattje maerz 2014

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März/April 2014

NEUES LEBEN NACH 11 JAHREN IM ROLLSTUHL / EXOSKELETT LÄSST GELÄHMTE WIEDER GEHEN

„Jaaaa, ich kann wieder laufen!“ Bühren André van Rüschen hatte ein ganz normales Leben wie viele andere auch. Ein geregeltes Arbeitsleben – in seinem Fall als Autolackierermeister im elterlichen Betrieb in Westerstede – Freizeit, Urlaub – was man eben so macht. Seine Frau Gerlinde war schwanger und sie erwarteten ihr erstes gemeinsames Kind. Bis zum 7. Oktober 2002: ein Verkehrsunfall bei Westerstede kostete André fast das Leben. Er hatte schwerste innere Verletzungen, Knochenbrüche und vieles mehr. Er hat bei vollem Bewusstsein noch den Rettungsdienst alarmiert. Zu dem Zeitpunkt war er im Fahrzeug eingeklemmt und konnte noch nicht realisieren, was noch alles kaputt war. „Es war eine unwirkliche Situation, ich hatte keine Schmerzen“, sagt der heute 42-jährige Wahl-Bührener. Im Krankenhaus Oldenburg konnte man ihm nicht helfen und er wurde nach Hamburg geflogen, wo erst einmal seine lebensgefährlichen innerlichen Blutungen abgestellt wurden. Nach zehn Tagen im künstlichen Koma sagte ihm die Ärzte nach dem Aufwachen noch etwas, was er bis dahin nicht wusste: „Sie werden nie wieder gehen können!“ lautete der einfach gesagte Satz. Querschnittslähmung! Gerade 30 Jahre alt. Es war ein Schock. Die Welt war in dem Moment zusammengebrochen. Es werden sich nicht nur die Lebensumstände ändern – es ist ein komplett neues Leben. Seine Frau Gerlinde war stark und hielt zu ihm. Außerdem hatte sie als werdende Mutter Verantwortung zu übernehmen. Andrés Wunsch war es, bei der Geburt dabei zu sein, obwohl er sich Ende Februar 2003 immer noch in stationärer Behandlung befand. Als die Geburt jedoch bevorstand, ließ sich André vom Krankenhaus entlassen und am 7. März 2003 wurde Tim van Rüschen geboren.

Das Exoskelett wird vorbereitet und auf einem Hocker oder Stuhl hingelegt. Physiotherapeutin Gesa ist hier noch behilflich.

Er kämpfte sich ins Leben zurück, betreibt sogar Sport und ist Basketballer bei den Red Dogs Ostfriesland. Dass ihm dieser Ehrgeiz irgendwann noch mal richtig nützlich werden könnte, damit konnte keiner rechnen. In einer Zeitschrift für Rollstuhlfahrer las er im August 2012 den Aufruf einer Firma aus Israel. Die-

selbstständig gehen können. Er nahm Kontakt zu der Firma auf. Auf einer Messe in Leipzig erfolgte dann schnell ein Vorstellungsgespräch und man stellte schnell fest, dass André geeignet sei, dieses sogenannte Exoskelett am eigenen Leib zu testen. Es erfolgten dann weitergehende Untersuchungen sowie Anpassungen, die in einer Klinik erfolg-

ten. Bis zu dem Tag im September, an dem André van Rüschen zum ersten Mal seine 1,90 m Körpergröße zeigen konnte. „Papa, bist Du aber groß…“, meinte sein Sohn Tim, als er seinen Vater zum ersten Mal in voller Größe sah. Das Exoskelett ist auf den Körper des Anwenders angepasst. Nicht nur, was die Größe angeht, sondern auch beispielsweise die Schrittlänge. Diese wird fest eingestellt. Am Handgelenk trägt der Anwender eine Art Armbanduhr, mit der der kleine Computer, der sich in einem Rücksack auf dem Rücken befindet, gesteuert wird. Es gibt den Standmodus oder den Gehmodus. Sogar Stufen können mit dem Exoskelett bewältigt werden. Nach wie vor befindet sich André in physiotherapeutischer Behandelung. Allein schon, um die Gelenke und Bänder beweglich zu halten. Meistens geht er zweimal die Woche nach Remels zur Praxis Luitjens & Rademacher. Seine Therapeutin Gesa kennt Andrés Krankengeschichte bestens. Auch heute, beim Fototermin fürs Blattje, ist Gesa mit dabei. Nachdem uns gezeigt wurde, wie das Anlegen der „Ausrüstung“ funktioniert, hält es André nicht mehr und er läuft einfach los. Für den normal Gehenden sind leichte Bodenunebenheiten unproblematisch aber André ist mit den Augen häufig noch bei den Füßen. Aber das wird sich mit der Zeit noch geben. Seine Frau Gerlinde merkt auch den Unterschied in Andrés Kopf. Am Frühstückstisch fragt sie nur: „Na, gehst Du heute wieder laufen?“ Die Leute in Remels schauen zwar, denken sich aber sicher nichts dabei. Wenn sie aber wüssten, dass sie einen querschnittsgelähmten Mann gehen sehen... Übrigens: André ist mittlerweile nicht nur Tester für die Firma Rewalk, sondern sogar Mitarbeiter. Informationen darüber gibt es online: www.rewalk.com

Jetzt geht’s runter vom Rollstuhl und hinein in das Gerät. Gurte sorgen für eine feste Verbindung zwischen Gerät und Beine und Hüfte.

Rucksack und Armbandsteuergerät dran, aufs Knöpfchen drücken und schon sieht André van Rüschen die Welt wieder aus einer anderen Perspektive.

Auch wenn es etwas länger dauert, sogar Treppenstufen sind mit dem Exoskelett möglich. Weil man auf die Gehhilfen verzichten muss ist ein Geländer wichtig.

Das Leben ging weiter, aber eben völlig anders als geplant. André fing wieder an, im elterlichen Betrieb zu arbeiten. Jetzt allerdings blieb nur eine sitzende Tätigkeit im Büro als Alternative.

se suchten Querschnittsgelähmte, die ein neuartiges „Gerät“ testen wollen. Mit diesem sollten Rollstuhlfahrer, die bestimmte Kriterien, was den Grad der Lähmung betrifft, erfüllen, wieder aufrecht

Bei jedem Schritt machen die kleinen Elektromotoren leise Geräusche. Auf Gehhilfen kann man natürlich nicht verzichten, weil das Gleichgewicht nur mit den Armen gehalten werden kann. Auch Krankengymnastin Gesa ist immer wieder begeistert überAndrés Fortschritte und seinem festen Willen. Fotos: de Buhr


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