Puschtra Nr. 19 vom 12.10.2016

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titelthema

PRÄVENTION

Wut junger Menschen begreifen Wir erleben auch im Pustertal eine Zunahme diffuser Ängste in uns, die geschürt werden durch Meldungen über Radikalisierung gewaltbereiter Jugendlicher, Amokläufer, Gotteskrieger, Konvertiten oder auch Flüchtlingsdramen. Die Annahme, es gehe uns nichts an, gelingt nicht mehr. Wir leben schon längst mitten im Geschehen. Höchste Zeit, sich den Tatsachen zu stellen und mit Prävention gegenzusteuern. Psychologen, Therapeuten, Pädagogen, Sozialarbeiter sind geforderter denn je. „Angst ist ein wichtiger Wegweiser zum Erkennen, wo Gefahren oder Fehlentwicklungen verborgen sind. Lassen wir uns aber von der Angst beherrschen, folgen oft irrationale Reaktionen. Angst wird damit selbst zum Risikofaktor für Gewalt. Besser, die Angst versachlichen, genau hinschauen und die Ursachen verstehen lernen, um nachhaltige Wege zu finden, mit dem Phänomen umzugehen“, erläutert Andreas Huber, Psychologe und Direktor des Psychologischen Dienstes des Gesundheitsbezirks Bruneck. Vermeidung oder Bagatellisierung, die häufigste Reaktion auf Angst, werde dem Phänomen nicht gerecht. Denn nehme man etwa Angst vor Überfremdung nicht ernst, suche sich die Kraft der Angst andere Wege und gehe in Richtung Vorurteile, Anfeindung und Radikalisierung. „Ängste

zu offener Gewalt führen“, verdeutlicht der Soziologe Matthias Oberbacher. „Wut und Aggression gehören zu unseren Basisemotionen. Hinter aggressivem Verhalten

monokausal erklären. So greifen auch bei aggressivem Verhalten genetische, neurobiologische, psychodynamische, biographische und soziologische Faktoren ineinander.

Jugendlichen stehen deshalb das Erkennen der eigenen Emotionen und der adäquate Umgang damit. Durch gezielte therapeutische und pädagogische Interventionen, so-

Matthias Oberbacher, Soziologe: „Zwänge und niederer Bildungsstand forcieren Gewalt.“

Lisa Steger, Villa Winter, und Sabine Cagol, EOS-Fachambulanz (von links): „Reden und in Beziehung bleiben.“

wie sportliche Aktivitäten, können emotionale und körperliche Erfahrungen angeregt werden, die das Erlernen von Emotionsregulation unterstützen. Grundsätzlich gilt für uns: Mit jedem Mensch seinen individuellen Weg finden, der ihm gut tut!“

OFFENE GEWALT MÄNNLICH?

Elmar Sartori und Patrick Kirchler (von links), Betreuer Josefsheim: „Beschäftigung und Wertschätzung sind wichtig.“

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haben mit Bedürfnissen zu tun. Werden diese nicht gestillt, kann das zur Radikalisierung, und damit zu psychischer und physischer Gewalt führen. Schwarz-weiß-Denken und Feindbildern entstehen, wie man sie bei allen radikalen Gruppen findet. Feindbilder können auch

verbergen sich meist Bedürfnisse nach Anerkennung, Wertschätzung, Schutz und Sicherheit, sowie die Suche nach Identität. Häufig sind Angst und Unsicherheit die verdeckte Triebfeder für aggressive Reaktionen. Menschliche Verhaltensweisen lassen sich jedoch nie

Andreas Huber, Direktor des Psychologischen Dienstes: „Kontinuierliche Prävention ist maßgeblich.“

Wichtig ist, zu lernen, mit Wut umzugehen“, explizieren Sabine Cagol, Psychologin und Leiterin der EOS-Fachambulanz und ihre Kollegin Lisa Steger, Psychologin und Pädagogische Leiterin der Villa Winter, „im Fokus der Arbeit mit

„Die Ergebnisse sind in diesem Forschungsbereich relativ gesichert: Frauen richten ihre Wut eher nach innen in Richtung Depression, Rückzug und Selbstschädigung. Man spricht von internalisierendem Verhalten, wohingegen es bei Männern eher externalisierende Handlungen sind, wie Aggression und Gewalt“, informiert Huber. Ob dieses Verhalten Gender bedingt sei, also unserem psychosozialen Geschlecht nach anerzogen, oder doch unserem biologischen Geschlecht entspreche, nennt Huber die „Gretchen Frage“: „Das immer noch vorherrschende


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