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Einleitung
Als der Kunsthistoriker, Schriftsteller und Sammler Johannes Guthmann (1876 –1956) den impressionistischen Maler Max Slevogt im Juni 1911 beauftragte, für ihn einen Pavillon im Garten zu Neukladow auszumalen, war der Künstler von dem weitläufigen Gutspark mit seinem frühklassizistischen Herrenhaus so begeistert, dass er im Jahr darauf eine Reihe von Gemälden schuf, die uns heute als wichtige Zeugnisse für Erscheinungsbild und Atmosphäre Neukladows aus seiner Blütezeit vor rund hundert Jahren gelten. Mit Pinseln, Palette und Staffelei bezog der Künstler Aufstellung an verschiedenen Standorten im Park und Haus und hielt mit scharfem Blick und malerischer Verve das leuchtend gelbe Gutshaus und seine gastfreundliche Atmosphäre ebenso fest wie den panoramaartigen Blick über die Havel, die festlichen Abende auf der Veranda oder den konzertierenden Pianisten Conrad Ansorge im Musiksaal. Hätten wir Slevogts Gemälde nicht – wir wüssten wenig von jener Zeit, da Johannes Guthmann Neukladow als modernen Musenhof erdachte und zahlreiche Künstlerinnen und Künstler einlud, hier einige Tage oder Wochen zu verbringen, um sich zu erholen und neue Kraft für ihre schöpferische Tätigkeit zu sammeln.
Dass während Slevogts Aufenthalten in Neukladow Zeugnisse von hohem künstlerischem und kulturhistorischem Wert entstanden, erlaubt es, Rückschlüsse auf die Inspiration durch einen Ort zu ziehen, der aufgrund seiner landschaftlichen und architektonischen Besonderheiten als einmalig in Berlin und weit darüber hinaus zu betrachten ist. Das besondere Potential Neukladows als eines Ortes der Muße und der Musen erkannt zu haben, ist das Verdienst Johannes Guthmanns, an dessen Ideen für Neukladow die Guthmann Akademie seit mehreren Jahren im Rahmen von Konzerten und Ausstellungen, Lesungen und Vortragsreihen anknüpft und dabei insbesondere auch die Bedeutung deutlich zu machen sucht, die der Maler Max Slevogt für den Ort und der Ort für den Maler hatte!
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Wird Max Slevogt (1868 –1932) heute zusammen mit Max Liebermann und Lovis Corinth den führenden Vertretern der impressionistischen Stilrichtung in Deutschland zugerechnet, so bot Neukladow Slevogt
Pleinair im Park – die Front des Gutshauses
Rechte Seite: Die Maler kommen
in idealer Weise die Möglichkeit, direkt vor der Natur zu malen – im vollen Licht, in freier Luft: en plein air!
Der langgehegte Wunsch der Guthmann Akademie, hieran im Rahmen einer Sommerakademie mit einem Pleinair im Park anzuknüpfen, wurde durch die Förderung des Kulturamts Spandau von Berlin aus dem Fond Dezentrale Kulturarbeit und namentlich durch die wertvolle Unterstützung von Herrn Bezirksstadtrat Gerhard Hanke und Herrn Kulturamtsleiter Dr. Ralf Hartmann ermöglicht. Dabei ist die Sommerakademie 2020 Teil des bezirklich geförderten Jahresprogramms Neu-Cladow – Ein Ort der Muße und der Musen, mit dem die Guthmann Akademie auf das (re-)kreative Potential dieses besonderen Ortes aufmerksam zu machen sucht.
Tatsächlich bietet Neukladow sowohl Möglichkeiten zur Rekreation als auch Inspiration zu kreativem Schaffen. Dies ist der Tenor der Stimmen jener Künstlerinnen und Künstler, die sich in den ersten beiden Juniwochen des Jahres 2020 zum Malen und Zeichnen in Neukladow einfanden. Renommierte Berliner und Brandenburger Künstler*innen wie ARATORA (Frank W. Weber), Antonia Bisig, Matthias Koeppel, Christopher Lehm-



Reminiszenz an Slevogt II
pfuhl, Ulrike Pisch, Sibylle Prange, SOOKI und Frank Suplie malten dabei Seit an Seit mit Studierenden der Universität der Künste, Berlin – unter ihnen Kira Balke, Sophia Berg, Carolin Bernhofer, Cosima Dlugokinski, Sophie Siebert und Kiriakos Tompolidis. Eingeladen war zudem mit Dana Teifel auch eine Schülerin der Martin-Buber-Oberschule mit Leistungskurs Kunst sowie Lilo Winkelmann, seit frühester Jugend malend und zeichnend aus Passion.
Entstanden sind in der Zeit vom 2. bis 5. Juni und vom 8. bis 12. Juni 2020 über zweihundert Arbeiten, die allein schon durch die Vielfalt der künstlerischen Techniken beeindrucken. Gemälde in Öl und Acryl, mit Leimfarbe und Tempera stehen neben Aquarellen, Pastellen und Gouachen sowie einer Fülle von Zeichnungen mit Tusche, Kohle, Graphit, Bleistift oder Buntstift. Gearbeitet wurde darüber hinaus auch im Medium der Druckgrafik und der Fotografie. Ebenso vielfältig sind die stilistischen Ausdrucksformen: Impressionistisch aufgefasste Sujets stehen neben suprematistischen Werken. Expressiv aufgeladene Szenen neben zarten Landschaftsmeditationen. Phantastische Szenerien neben detaillierten Naturschilderungen. Feine Zeichnungen und Aquarelle im kleinen und kleinsten Format neben großformatigen Ölgemälden.
Linke Seite: Reminiszenz an Slevogt I

Dabei spiegelt sich in der Vielfalt der Motive das unerschöpflich scheinende Themenreservoir des Gutsparks.
Die in Neukladow entstandenen Arbeiten zeigen, was offenkundig vor Augen liegt – sie machen aber auch sichtbar, was dem Auge verborgen ist. Entstanden sind dabei in keinem Fall pure Bestandsaufnahmen. Vielmehr liefern uns die Künstler*innen mit ihrem jeweiligen Bild von Neukladow neue Einsichten in einen Ort von historischer Relevanz und großer landschaftlicher Schönheit und laden dabei auch zur Reflexion über dessen Zukunft ein.
Dass das Arbeiten in Neukladow im weitläufigen Park unter freiem Himmel möglich war, ist in der Zeit einer weltweiten Pandemie doppelt bedeutsam: es stellte die Kontinuität zum Leben vor der radikalen Zäsur her, die Covid-19 für uns alle bedeutet. Buchstäblich aufatmen konnte, wer nach Neukladow kam – um zu malen, zu zeichnen, zu spazieren oder einfach seinen Blick über die Havel schweifen zu lassen … Dass sich die Sommerakademie 2020 dabei mit Einschränkungen konfrontiert sah – geplante abendliche Vorträge konnten ebenso wenig stattfinden wie Konzerte im Musiksaal – nahm man gern in Kauf, war es doch möglich im weiten Park eine Freiheit erfahren, die in dieser Zeit nicht selbstverständlich ist.
Dass ein Teil der während der Sommerakademie entstandenen Arbeiten vom 13. November 2020 bis zum 31. Januar 2021 im Gotischen Haus (Berlin-Spandau) zu sehen sein wird und die Bilder und Texte vorliegender Publikation die Arbeit von sechzehn Künstler*innen in Neukladow dokumentieren, vermag uns noch lange einen besonderen Sommer in Erinnerung zu rufen, von dem die vielgestaltigen Werke unseres Pleinair im Park auf eindrucksvolle Weise erzählen …
Miriam-Esther Owesle Projektleiterin, Kuratorin Guthmann Akademie gUG (haftungsbeschränkt)
Linke Seite: Staffelei von Frank Suplie
