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Grußwort

Grußwort

Als um 1800 das Gutshaus Neukladow für die Familie Mencken erbaut wurde, begann in der bildenden Kunst Europas die Wiederentdeckung der Natur. Und zwar einer vermeintlich freien, unverbildeten und von allem mythologischen Ballast befreiten Natur, die zum Spiegel eines neuen bürgerlichen Selbstverständnisses gegenüber den verkrusteten Strukturen eines alten, noch weitgehend feudal strukturierten Europa diente. Erstmals entstanden um die wachsenden Städte Potsdam und Berlin Landhäuser für wohlhabende Familien. Einige dieser Landhäuser verdankten ihren Lebensstandard noch immer Gutsbetrieben in ihrer Nähe, so auch in Neukladow.

In den Jahren nach 1900 erlebte im Berlin-Potsdamer Umland diese Sehnsucht nach dem Landleben – so wie auch heute wieder – eine blühende Renaissance, wenn auch nun unter weit moderneren Vorzeichen. Ausgestattet mit einer gehörigen Portion Luxus und modernen Annehmlichkeiten richtete sich auch der Industriellensohn Johannes Guthmann mit seinem Lebenspartner Joachim Zimmermann in Neukladow ein solches ländliches Refugium ein, das zur Projektionsfläche zweier ausgeprägter Schöngeister und Kunstliebhaber avancierte. Die zeitgenössische Kunst spielte in dieser rundum optimierten Inszenierung des einfachen Landlebens über viele Jahre eine zentrale Rolle und namhafte Persönlichkeiten aus Musik, bildender Kunst, Theater und Wissenschaft waren regelmäßige Gäste auf Neukladow. Park und Gutshaus lieferten beispielsweise für Künstler wie Max Slevogt willkommene Motive, und Pleinair entstanden herausragende Zeugnisse dieses künstlerischen Musensitzes, die heute in wichtigen Museen des Landes zu bewundern sind.

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Als Miriam-Esther Owesle im Rahmen ihrer unermüdlichen und bewundernswerten Bemühungen um die Reaktivierung dieses architektonischen und kunsthistorischen Juwels am Wannsee im Sommer 2020 bildende Künstlerinnen und Künstler zum Pleinair nach Neukladow einlud, nahm sie eine Traditionslinie wieder auf, die in den Jahren zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und heute weitgehend in Vergessenheit geraten war. Um so freudiger folgten Maler*innen, Zeichner*innen und Grafiker*innen

ihrer Einladung und entwickelten über zwei Wochen zeitgenössische Annäherungen an diese große Tradition des Pleinairs, des künstlerischen Arbeitens vor und in der Natur. Entstanden sind faszinierende Arbeiten, die nun in einer Kabinett-Ausstellung im Gotischen Haus mitten in der Spandauer Altstadt zu bewundern sind. Sie lassen – vor allem vor dem Hintergrund der weltweiten Pandemie – einen besonderen Sommer an unserem Auge Revue passieren, in dem die wenigen noch möglichen Kulturveranstaltungen große Aufmerksamkeit erfuhren.

Herrn Bezirksstadtrat Gerhard Hanke ist es zu verdanken, dass diese Publikation nun diesen Schlüsselmoment der Wiedereingliederung von Gutshaus und Park Neukladow in die Reihe der lebendigen Kulturinstitutionen am südlichen Wannsee dokumentiert. In den kommenden Jahren soll das Ensemble nach aufwändigen Restaurierungen der Gebäude und Rekonstruktionen des Gartens wieder zu einem Treffpunkt für Kunst und Kultur entwickelt werden. Die Künstlerinnen und Künstler des Pleinairs 2020 in Neukladow haben uns nicht nur deutlich gemacht, wie fruchtbar die Synthese von Kunst und Natur nach wie vor sein kann, sondern wie wichtig es überdies ist, auch in Zeiten der grundlegenden Transformation eines Ortes Zeichen zu setzen. Dafür gilt ihnen und der Kuratorin Frau Dr. MiriamEsther Owesle der herzliche Dank vieler begeisterter Besucher*innen und des Kulturamts Spandau.

Ralf F. Hartmann Kulturamtsleiter Bezirksamt Spandau von Berlin

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