Vorwort
Wenn zwei so bildgewaltige Projektionsflächen aufeinandertreffen wie der sagen-
hafte Fürst Pückler und das Tausendundeine-Nacht des Orients, entsteht Kunst. Pückler träumte sich bereits als Kind, als Mozarts Zauberflöte ein Riesenerfolg wurde, in den geheimnisvollen Orient. Als junger Mann strebte er in Konstantinopel eine diplomatische Karriere an. Als Semilasso berichtete er ab 1834 der Welt von seinen Reiseabenteuern zwischen Heiligem Land und Nil, zwischen präziser Beobachtung und literarischer Freiheit. Mit seiner Branitzer Oase in der Wüste der Lausitz schuf er ab 1846 einen Zauberpark voller Reminiszenzen an seine große Reise in den Orient, sodass »ein Maler, der eben aus dem Orient zurückkam und Branitz besuchte, glaubte, als er diese Pyramide erblickte, sich voll Entzücken nach Aegypten hinversetzt, und meinte in den sich am Horizont abzeichnenden Dächern und Thürmen von Kottbus Kairo wiederzusehen!«1 Literatur, Architektur, Gartenkunst, aber auch Musik und Sammelleidenschaft waren bei Pückler also zeitlebens wie bei einer ganzen Epoche europäischer Kulturgeschichte von der Sehnsucht nach dem Orient geprägt. Europas Traum von Tausendundeiner-Nacht ließ Zeitgenossen schwelgen, künstlerische Rezeptionen von Portugal bis Preußen entstehen. Bis heute inspiriert der Fürst die Strukturwandler der Lausitz zwischen Sachsen und Brandenburg zu manch hochfliegender Zukunftshoffnung, während die Gartenschöpfungen Tausende Besucher faszinieren – und Pückler uns von dem einen oder anderen Marketingprodukt mit Turban entgegenblickt. Pücklers Orient-Faszinosum und künstlerische Selbstinszenierung leben also in der Gegenwart dermaßen wirkmächtig fort, dass sich auch heutige Forschung und Wissenschaft dieser Projektionsfläche nicht entziehen können. In der mittlerweile langen Tradition von Tagungen in Branitz zu Pückler und dem von ihm überlieferten Kulturerbe geht es um die kritische Einordnung und teilweise Entschlüsselung oder Dekonstruktion des künstlerischen Werks Pücklers, das immer Wahrheit eines genauen Beobachters und die Dichtung eines reisenden Schriftstellers und genialen Nachruhmproduzenten vereint. Zeitgeschichte, Biografie, Selbstinszenierung und posthume Mystifizierung treffen somit auch bei der Pückler-Forschung seit gut 100 Jahren ebenso aufeinander wie alle Kunstgattungen und die jeweiligen Strömungen von gesellschaftlichem Diskurs und Zeitgeist. 1
Landpyramide, Südseite mit rekonstruierten Stufen, 2020
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