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STEFAN KÖRNER

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ANDREA POLASCHEGG

ANDREA POLASCHEGG

Vorwort

Wenn zwei so bildgewaltige Projektionsflächen aufeinandertreffen wie der sagenhafte Fürst Pückler und das Tausendundeine-Nacht des Orients, entsteht Kunst. Pückler träumte sich bereits als Kind, als Mozarts Zauberflöte ein Riesenerfolg wurde, in den geheimnisvollen Orient. Als junger Mann strebte er in Konstantinopel eine diplomatische Karriere an. Als Semilasso berichtete er ab 1834 der Welt von seinen Reiseabenteuern zwischen Heiligem Land und Nil, zwischen präziser Beobachtung und literarischer Freiheit. Mit seiner Branitzer Oase in der Wüste der Lausitz schuf er ab 1846 einen Zauberpark voller Reminiszenzen an seine große Reise in den Orient, sodass »ein Maler, der eben aus dem Orient zurückkam und Branitz besuchte, glaubte, als er diese Pyramide erblickte, sich voll Entzücken nach Aegypten hinversetzt, und meinte in den sich am Horizont abzeichnenden Dächern und Thürmen von Kottbus Kairo wiederzusehen!«1

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Literatur, Architektur, Gartenkunst, aber auch Musik und Sammelleidenschaft waren bei Pückler also zeitlebens wie bei einer ganzen Epoche europäischer Kulturgeschichte von der Sehnsucht nach dem Orient geprägt. Europas Traum von Tausendundeiner-Nacht ließ Zeitgenossen schwelgen, künstlerische Rezeptionen von Portugal bis Preußen entstehen. Bis heute inspiriert der Fürst die Strukturwandler der Lausitz zwischen Sachsen und Brandenburg zu manch hochfliegender Zukunftshoffnung, während die Gartenschöpfungen Tausende Besucher faszinieren – und Pückler uns von dem einen oder anderen Marketingprodukt mit Turban entgegenblickt. Pücklers Orient-Faszinosum und künstlerische Selbstinszenierung leben also in der Gegenwart dermaßen wirkmächtig fort, dass sich auch heutige Forschung und Wissenschaft dieser Projektionsfläche nicht entziehen können. In der mittlerweile langen Tradition von Tagungen in Branitz zu Pückler und dem von ihm überlieferten Kulturerbe geht es um die kritische Einordnung und teilweise Entschlüsselung oder Dekonstruktion des künstlerischen Werks Pücklers, das immer Wahrheit eines genauen Beobachters und die Dichtung eines reisenden Schriftstellers und genialen Nachruhmproduzenten vereint. Zeitgeschichte, Biografie, Selbstinszenierung und posthume Mystifizierung treffen somit auch bei der Pückler-Forschung seit gut 100 Jahren ebenso aufeinander wie alle Kunstgattungen und die jeweiligen Strömungen von gesellschaftlichem Diskurs und Zeitgeist.

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Landpyramide, Südseite mit rekonstruierten Stufen, 2020

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Blick zur Mondstele im Branitzer Park, 2013

Die Restaurierung der Orienträume im Schloss Branitz markierten 2017 den Beginn der kritischen Beschäftigung mit dem Thema Pückler und der Orient. Neben der Sonderausstellung »Sehnsucht nach Konstantinopel. Europa sucht den Orient« gehörte 2018 für die Branitzer Stiftung dazu eine gemeinsam mit der Stiftung FürstPückler-Park Bad Muskau und dem Institut für Germanistik der Universität Paris Paris 8 Vincennes-Saint-Denis veranstaltete Tagung. Deren Beiträge sind Ergebnis einer fruchtbaren Zusammenarbeit, für die Cord Panning aus Bad Muskau und MarieAnge Maillet aus Paris für deren intensive inhaltliche und finanzielle Unterstützung zu danken ist. Ab 2020 soll die Sammlung der fürstlichen Reiseandenken wissenschaftlich untersucht werden. Für die Möglichkeit, an den Kunstwerken aus Ägypten, Palästina und Syrien zu forschen, gilt der Erbengemeinschaft nach Fürst Pückler in Branitz (EFPiB), der Eigentümerin der sogenannten Orientalika, unser Dank. Deren Bekenntnis zu Branitz als dem dauerhaften Standort der fürstlichen Sammlungen ist besonderes Vermächtnis von Hermann Graf von Pückler und seiner Familie und für die

Stiftung Aufgabe und Verpflichtung. Wie die Vermittlung der Sammlungsobjekte und die Dekonstruktion von Geschichte sind die Pflege und Rekonstruktion der gartengestalterischen Ideen im Branitzer Park auch künftig Konstanten in der Arbeit der Stiftung. So werden die verlorenen Rasenstufen der Landpyramide 2021, wenn der Park seinen 175. Geburtstag feiert, wiedererstanden sein und diese besondere Rezeption der ägyptischen Stufenpyramiden in der Lausitz wie zu Zeiten des Fürsten erlebbar machen. Mein ganz besonderer Dank für die Zusammenführung der Tagungsergebnisse gilt Simone Neuhäuser und ihrem Team des Fachbereiches Museum und Sammlungen sowie dem be.bra verlag für ihre publizistische Aufbereitung in diesem 16. Band der edition branitz. Fürst Pücklers Orient wird als brandaktuelles historisches Thema – Stichwort Black Lives Matter und Kolonialismusdebatte – auch in Zukunft enormen Stoff für Forschung und kritische Betrachtung, aber auch weiterhin ideenreiche Projektionsfläche für die Bilder aus Tausendundeiner-Nacht liefern. Zwischen den Pyramiden von Branitz und unter dem Himmel der Lausitz können so aus der »lebendigen, historischen Person« des Fürsten Pückler weiterhin Forschungsergebnisse generiert werden, aber auch Kunst entstehen.

STEFAN KÖRNER Vorstand der Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz

Anmerkung

1 Assing 1858, S. 498.

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