Deutsche Umschau 3-2013

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Geschichte

1813 – Die Befreiungskriege: Geschichte und Erinnerung Eine Tagung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen Im Jahre 2013 jährt sich zum 200. Mal der Beginn der Befreiungskriege gegen die napoleonische Vorherrschaft in Mitteleuropa. Die Russlandkatastrophe des Napoleons I. mit dem unerwartetem Untergang seiner „Grande Armée“ hatte die Grundlage dafür geschaffen, dass sich Deutschland und mit ihm auch Europa am Ende von der Fremdherrschaft befreien konnten. Zugleich bildete die Volkserhebung von 1813 den Ausgangspunkt für die Nationalbewegung der Deutschen, die in vielfacher Weise grundlegend für unseren heutigen Staat wurde. Umso irritierender ist das verbreitete Schweigen von deutscher Politik und deutscher Öffentlichkeit zu all den 200. Jahrestagen der Ereignisse von 1813, die in diesen Monaten anstanden oder noch anstehen: Zu der Konvention von Tauroggen vom 30. Dezember 1812, zum Beschluss der Stände Ostpreußens, die Landwehr gegen die Franzosen aufzustellen vom 7. Februar 1813, zu dem Aufruf, den König Friedrich Wilhelm III. von Breslau aus am 17. März 1813 „an mein Volk“ richtete … Keine Briefmarke, kein Staatsakt, nicht einmal eine parlamentarische Gedenkstunde. „Die Nation schämt sich ihrer Geburt“, bemerkte dementsprechend Hans-Günther Parplies, Vorsitzender der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn, eingangs der historischen Fachtagung, zu der die Kulturstiftung gemeinsam mit der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus, Düsseldorf, nach Königswinter am Rhein geladen hatte. Unter der wissenschaftlichen Leitung von PD Dr. Winfrid Halder nahm sich die Tagung vor, Voraussetzungen, Verlauf und Ergebnisse des Jahres 1813 zu erörtern sowie nicht zuletzt literarische und historiographische Spiegelungen der Ereignisse vorzustellen. Mit dieser Thematik reihte sich die Tagung ein in die Aktivitäten ostdeutscher Kulturinstitutionen, welche als einzige die Befreiungskriege zum Anlass für beachtliche Ausstellungen samt umfangreichem Begleitprogramm genommen hatten, des Oberschlesischen Landesmuseums in Ratingen-Hösel und des Hauses Schlesien in Königswinter-Heisterbacherrott. Dr. Halder betonte einführend die immense Bedeutung des Jahres 1813 nicht nur für das Deutschland des 19. Jahrhunderts, dessen territoriale Gestalt einschließlich der

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Bildung des Nationalstaates von den Ergebnissen der Befreiungskriege in weitem Umfang bestimmt wurde, sondern auch für das Deutschland der Gegenwart, das sich in seiner Staatssymbolik bewusst hierauf bezieht. Gleichwohl schienen die von den Volksbewegungen unterstützten Kriege der europäischen Staaten zunächst ein lediglich äußerer Erfolg zu sein: Zwar gelang es, das Joch Napoleons, dessen anmaßende frankreichzentrierte Europaidee abzuschütteln, doch leiteten beim folgenden Wiener Kongress die alten Kräfte umgehend eine

nur die Namen Stein und Hardenberg, für den militärischen Scharnhorst und Gneisenau genannt – den Boden für eine spektakuläre Wiedererstarkung und damit für eine über den Sieg über Napoleon hinauswirkende Modernisierung. Auch wenn die Zeit der Bildung demokratischer Nationalstaaten noch nicht gekommen war, jedenfalls nicht in Deutschland, waren die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass innere Reformen, Demokratie und Nation zusammengedacht werden konnten. Die in der Folge sich formenden Nationen ste-

In der Schlacht bei Großbeeren am 23. August 1813 erstürmt das Kolberger Landwehr-Regiment den Kirchhof. Im Hintergrund die zerstörte Kirche. Auch russische Truppen nahmen an der Schlacht teil. Farbdruck nach einem Entwurf von Carl Roechling (um 1900) Rückkehr zum status quo ante der Fürstenherrschaft ein, machten sie die Hoffnungen der jungen, auf Volkssouveränität abzielenden Nationalbewegungen zunichte. Der Befreiung nach außen entsprach somit keine Freiheit im Inneren. Diese Zusammenhänge stellte in einem zentralen Referat Prof. Dr. Tilman Mayer, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn, heraus. Zukunftsweisend waren jedoch die Reformprozesse, die noch in der Zeit der napoleonischen Vorherrschaft in den europäischen Staaten angestoßen wurden, dies am eindrucksvollsten im zum Kleinstaat degradierten Preußen. Von Ideen der Aufklärung und Revolution beeinflusst bereitete die umfassende preußische Reformpolitik – hier seien für den zivilen Bereich

hen, wie Mayer betonte, keineswegs nur für Völkerfeindschaft, sondern auch für Völkerfreundschaft. Die Souveränität der Nation in Freiheit und Selbstbestimmung sind ein hohes Gut und Erbe der Zeit der Befreiungskriege, das es zu bewahren gilt. Auf einzelne Protagonisten der Zeit gingen verschiedene Referate ein. So zeichnete der Militärhistoriker Dr. Thomas Lindner, Bonn, den bewegten Lebensweg von August Neidhardt von Gneisenau nach, der 1807 von König Friedrich Wilhelm III. in die Militärreorganisations-Kommission berufen wurde, der vehement für sein Ideal eines selbstbewussten, patriotischen Volkes eintrat, das seine Verteidigung selbst organisiert. Gneisenau forderte radikale Reformen wie die allgemeine Wehrpflicht, die Deutsche Umschau 3-2013


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