Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 zur europäischen Normung
Input Call for Evidence
17. Juli 2025
Revision der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012
Das europäische Normungssystem ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Binnenmarktes und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Als deutsche Industrie betrachten wir die jüngsten Entwicklungen im europäischen Normungssystem mit großer Sorge. Daher unterstützen wir eine zielgerichtete Überarbeitung der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012, um aktuelle Herausforderungen und strukturelle Probleme wirksam anzugehen.
Dabei sind für uns folgende Punkte von größter Relevanz:
Stärkung des New Legislative Framework (NLF)
Die Trennung von in Rechtsakten festgelegten grundlegenden Anforderungen bspw. an die Produktsicherheit und ihrer technischen Umsetzung durch in Normen beschriebene Anforderungen nach dem System des NLF ist ein Grundbaustein für den freien Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt. Die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 ist das zentrale Element dieses Systems, da sie die Zusammenarbeit zwischen der EU-Kommission und den Europäischen Normungsorganisationen (ESOs) sowie die Erstellung von harmonisierten europäischen Normen (hEN) regelt.
Daher muss die Revision der Normungsverordnung im Gesamtkonzept des NLF betrachtet und darin eingebettet werden, um dieses Erfolgsmodell zu stärken sowie eine effiziente Zusammenarbeit zwischen Gesetzgeber und Industrie zu ermöglichen.
Vorrang für Harmonisierte Europäische Normen (hEN)
Harmonisierte Normen (hEN) müssen weiterhin das vorrangige Instrument für die Konformitätsvermutung im Rahmen von EU-Rechtsvorschriften bleiben. Denn sie werden von Normungsexperten in einem transparenten und konsensbasierten Verfahren erarbeitet und spiegeln den Stand der Technik sowie die Marktrelevanz wider. Die Einbindung des technischen und marktbezogenen Fachwissens bei der Umsetzung von EU-Gesetzgebung ermöglicht eine praxisnahe Regulierung und begründet Wettbewerbsvorteile für die europäische Industrie.
Die Überarbeitung der Normungsverordnung sollte die herausgehobene Position von hEN verankern und den Rechtscharakter definieren, um derzeit bestehende Rechtsunsicherheiten zu beheben. Denn hEN sind marktgetriebene technische Spezifikationen, die von privatrechtlich organisierten Normungsorganisationen im Auftrag der Kommission erarbeitet werden und freiwillig in der Anwendung bleiben.
Common Specifications nur als „Fall-Back-Option“
Die Nutzung von Common Specifications sollte keine Alternative zum Rechtsrahmen des NLF und Europäischen Normungssystem bilden.
Common Specification sollten nur als eine zeitlich begrenzte „Fall-Back-Option“ definiert werden, für Ausnahmefälle wie:
▪ hEN sind nicht verfügbar, weil die europäischen Normungsorganisationen (ESOs) die Normungsanträge nicht angenommen haben oder
▪ erhebliche Verzögerungen bei der Ausarbeitung von hEN entstehen oder
▪ Anforderungen des Rechtsakts durch die Anforderungen in der Norm nicht oder ungenügend abgedeckt/erfasst sind.
Ihre Verwendung sollte horizontal geregelt werden und nur unter strengen, begrenzten sowie eindeutigen Kriterien zulässig sein. Zudem ist es entscheidend, dass sich entsprechende Prozesse an den Grundprinzipien der Normung, wie Einbeziehung aller Interessensgruppen, Transparenz, Konsens und Anbindung an internationale Normen halten.
Der Vorschlag der Europäischen Kommission im Rahmen des Omnibus-IV-Pakets Common Specifications erfüllt keines dieser Kriterien, sondern gibt der Kommission einen Freifahrtschein, ohne klar definierte Kriterien zu handeln. Wir plädieren daher nachdrücklich dafür, den Wortlaut von Art. 20 der Maschinenverordnung 2023/1230 als Blaupause zu verwenden, die einen klaren Rahmen für die Entwicklung, Verwendung und Rücknahme gemeinsamer Spezifikationen definiert.
Anbindung an internationale Normung
Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft hängt maßgeblich vom Zugang zu globalen Märkten ab. Wenn technische Anforderungen international möglichst einheitlich gestaltet werden, baut dies Handelshemmnisse ab und gewährleistet den freien Marktzugang.
Deshalb ist eine enge Anbindung der europäischen an die internationale Normung und umgekehrt maßgeblich. Neben der Beteiligung an der Erarbeitung internationaler Normen ist ebenso deren Übernahme zu unterstützen, vor allem im Rahmen von hEN, die zur Konformitätsbewertung genutzt werden. Eine Abkopplung beider Systeme würde zu unterschiedlichen Anforderungen in Europa und dem Rest der Welt führen und damit den europäischen Markt im internationalen Wettbewerb schwächen sowie unattraktiv machen.
Dementsprechend muss die Überarbeitung der Normungsverordnung nicht nur europäisch, sondern auch international gedacht werden. Dabei sollten die internationale Anbindung und die Vorteile bestehender Vereinbarungen, wie der Wiener Vereinbarung (mit ISO) sowie der Frankfurter Vereinbarung (mit IEC), miteinbezogen werden.
Beschleunigung
des Normungsprozesses
Die rechtzeitige Beauftragung, Erarbeitung und Listung der Fundstellen von hEN im EU-Amtsblatt sind für das Funktionieren des europäischen Normungssystems entscheidend. Die Evaluierung zur Verordnung im Jahr 2024 hat gezeigt, dass die Entwicklung und Bereitstellung harmonisierter europäischer Normen mehr als sechs Jahre in Anspruch nimmt - etwa drei Jahre für die Ausarbeitung der Normen und weitere drei Jahre für die formellen Verfahren, wie die Annahme des Normungsantrags und die Listung im EU-Amtsblatt. Daher sollten alle drei Phasen des Normungsprozesses (NormungsauftragNormungsentwurf - Bewertung/Listung) betrachtet werden.
Um den Prozess zu beschleunigen, schlagen wir folgende Maßnahmen vor:
▪ Die Erteilung und Ausgestaltung der Normungsaufträge (Standardisation Requests) muss hinsichtlich des Detaillierungsgrades, insbesondere technischer Definitionen, und der vereinbarten Fristen einheitlich geregelt werden.
▪ Ein vorläufiger Normungsauftrag (policy-based standardisation request) könnte bereits im laufenden Gesetzgebungsverfahren, sobald grundlegende Anforderungen der Vorschrift bekannt sind, erteilt werden, um die Zeitachsen von Gesetzgebungsverfahren und Normungsarbeit frühzeitig zu verbinden. So können Normenorganisationen mit der Erstellung der Normen bereits früh beginnen, auch wenn der finale Normungsauftrag noch nicht vorliegt.
▪ Die Normungsprozesse innerhalb der ESOs sollten im Detail betrachtet und gestrafft sowie flexibler ausgestaltet werden, um die Ausarbeitung von hEN um einige Monate im Vergleich zur gegenwärtigen Situation zu verkürzen. Dabei sollte auch die Unterstützung durch moderne IT-Tools geprüft werden.
▪ Der komplexe und bürokratische Überprüfungs- und Genehmigungsprozess des Harmonized Standards Systems (HAS) sollte verschlankt, klar definiert und grundsätzlich überdacht werden. Die Kompetenzen, Zuständigkeiten und Entscheidungskriterien der HAS-Consultants müssen rechtssicher festgelegt werden, um Unsicherheiten im Erarbeitungsprozess zu
reduzieren und Verhältnismäßigkeit im Bewertungsprozess zu gewährleisten. Zudem sollte die Zusammenarbeit der HAS-Consultants mit den Normungsgremien gestärkt sowie die Möglichkeit gewährt werden, bereits während des Normerstellungsprozesses Änderungen einzubringen, die später im Bewertungsprozess sonst zu „non-compliance“ führen würden.
Die Beschleunigung des Normungsprozesses darf jedoch nicht zu Lasten der zentralen Grundsätze, wie Transparenz, Konsensprinzip oder Einbeziehung aller relevanten Interessenträger gehen.
Normungsaufträge (Standardisation Request) an Europäische Normungsorganisationen
Normung ist ein wirksames und strategisches Instrument, welches viele Bereiche von öffentlichem Interesse beeinflussen kann. Um die strategischen und politischen Interessen der Europäischen Union zu wahren, werden die Normungsaufträge der EU-Kommission für die Erarbeitung von hEN ausschließlich an die offiziell anerkannten europäischen Normungsorganisationen vergeben. Dies sollte in der Überarbeitung der Verordnung beibehalten werden. Die Einbindung weiterer Organisationen sollte nur auf Basis konkret definierter Rahmenbedingungen erfolgen.
Die Schaffung völlig neuer, von der industriellen Praxis losgelöster Strukturen lehnen wir strikt abdies würde zu einer Abkopplung von der internationalen Normung führen und keines der bestehenden Probleme lösen.
Fazit
Der BDI unterstützt eine zielgerichtete Überarbeitung der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012, um diese Probleme anzugehen und sicherzustellen, dass das europäische Normungssystem auch zukünftig effizient, zuverlässig und international ausgerichtet bleibt. Dabei muss das bestehende Normungssystem verbessert und gestärkt werden, mit hEN als Rückgrat der EU-Produktgesetzgebung.
Über den BDI
Der BDI transportiert die Interessen der deutschen Industrie an die politisch Verantwortlichen. Damit unterstützt er die Unternehmen im globalen Wettbewerb. Er verfügt über ein weit verzweigtes Netzwerk in Deutschland und Europa, auf allen wichtigen Märkten und in internationalen Organisationen. Der BDI sorgt für die politische Flankierung internationaler Markterschließung. Und er bietet Informationen und wirtschaftspolitische Beratung für alle industrierelevanten Themen. Der BDI ist die Spitzenorganisation der deutschen Industrie und der industrienahen Dienstleister. Er spricht für 39 Branchenverbände und mehr als 100.000 Unternehmen mit rund acht Mio. Beschäftigten. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. 15 Landesvertretungen vertreten die Interessen der Wirtschaft auf regionaler Ebene.
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