QUARTALSBERICHT DEUTSCHLAND


▪ Die deutsche Wirtschaft kommt nur langsam aus der Winterdepression. Die reale Wirtschaftsleistung wird im laufenden Jahr stagnieren. Die Konjunktur in Deutschland kommt nur langsam in Schwung.
▪ Der Private Konsum wird zur Achillesferse der Konjunktur in Deutschland. Hohe Inflation und sinkende Reallöhne belasten die Verbraucher.
▪ Außenhandel stützt Wachstum: Wir rechnen mit einem Anstieg der Exporte von Waren und Dienstleistungen um zwei Prozent. Die Importe werden in realer Rechnung stagnieren. Grund dafür sind die wieder sinkenden Energie- und Rohstoffpreise.
▪ Ausrüstungsinvestitionen dürften aufgrund des hohen Nachholbedarfes um drei Prozent steigen. Die Geldpolitik der Zentralbank und hohe Materialkosten bremsen die Bautätigkeit aus.
„Technische Rezession“ im Winterhalbjahr
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland ist im ersten Quartal 2023 gegenüber dem vierten Quartal 2022 – preis-, saison- und kalenderbereinigt – um minus 0,3 Prozent gesunken. Die Wirtschaftsleistung fiel im Vergleich zur ersten Schätzung (veröffentlicht am 28. April 2023) deutlich schwächer aus. Damals wurde noch mit einer Stagnation des BIP gerechnet. Da das BIP bereits im vierten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorquartal gesunken war (minus 0,5 Prozent) verzeichnete die deutsche Wirtschaft zwei negative Quartale in Folge, und befand sich damit im Winterhalbjahr 2022/2023 in einer „technischen Rezession“. Auch im Vorjahresvergleich fiel die Wirtschaftsleistung niedriger aus. Das reale BIP sank kalenderbereinigt um 0,5 Prozent.
Im Gegensatz zu Deutschland ist die Wirtschaftsleistung in den großen EU-Mitgliedsstaaten im ersten Quartal 2023 im Vorquartalsvergleich gestiegen. Spaniens Wirtschaft expandierte um 0,5 Prozent, die italienische Wirtschaft um 0,6 Prozent und Frankreich weist zu Jahressbeginn ein BIP-Wachstum von 0,2 Prozent aus. In der Europäischen Union erhöhte sich die Wirtschaftstätigkeit um 0,1 Prozent. Im Euroraum nahmen die Aktivitäten hingegen ab (minus 0,1 Prozent). Nicht nur Deutschland, auch der Euroraum befand sich im Winterhalbjahr in einer Rezession.
Mit Blick auf die Entstehungsseite des BIP wurde die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2023 von rund 45,6 Millionen Erwerbstätigen erbracht. Das waren 446.000 Personen oder ein Prozent mehr als vor einem Jahr. Das in Stunden gemessene Arbeitsvolumen stieg im Vorjahresvergleich um 0,9 Prozent. Die durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden je Erwerbstätigen veränderte sich kaum (minus 0,1 Prozent).
Überraschend war, dass trotz des BIP-Rückgangs um 0,5 Prozent die Bruttowertschöpfung gleichzeitig um plus 0,7 Prozent ansteigen konnte. Hohe Divergenzen zwischen der Entwicklung von Bruttoinlandsprodukt und Bruttowertschöpfung sind eher ungewöhnlich. Zu Jahresbeginn konnten das Verarbeitende Gewerbe und der Sektor Information und Kommunikation ihre Aktivitäten mit plus 3,2 Prozent bzw. plus 2,8 Prozent am stärksten ausweiten. Auch bei den öffentlichen Dienstleistern (plus 1,8 Prozent), im Grundstücks- und Wohnungswesen (plus 1,1 Prozent) sowie bei den Sonstigen Dienstleistern (plus 1,5 Prozent) nahmen die Aktivitäten überdurchschnittlich zu. Während bei den Unternehmensdienstleistern die Bruttowertschöpfung nahezu stagnierte, ging sie im Bereich Handel, Verkehr und Gastgewerbe und bei den Finanz- und Versicherungsleistern zurück. Im Baugewerbe sank die Bruttowertschöpfung mit minus 0,7 Prozent am stärksten.
In der verwendungsseitigen Betrachtung hat vor allem der Konsum das Wirtschaftswachstum ausgebremst. Die privaten Konsumausgaben sanken preisbereinigt im ersten Quartal 2023 im Vorjahresvergleich um 1,4 Prozent. Die Verbraucher reduzierten vor allem ihre Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel sowie für Einrichtungs- und Haushaltsgegenstände um jeweils mehr als sieben Prozent. Die Ausgaben für Wohnung, Wasser, Strom und Heizung sowie für Verkehr und Nachrichtenübermittlung gingen dagegen nur leicht zurück. Für Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen (plus 14 Prozent) sowie Bekleidung und Schuhe (plus zwei Prozent) gaben die Verbraucher deutlich mehr aus.
Nach dem Rückgang zum Jahresende 2022 sind die Bruttoanlageinvestitionen im ersten Quartal 2023 im Vorjahresvergleich in realer Rechnung leicht um 0,8 Prozent gestiegen. Vor allem die Ausrüstungsinvestitionen legten im Vorjahresvergleich mit plus 6,7 Prozent deutlich zu. In sonstige Anlagen
(Patente; Lizenzen) wurde mit plus 2,6 Prozent ebenfalls mehr investiert. Im Gegensatz dazu sind die Bauinvestitionen um 2,9 Prozent gesunken. Dabei gingen vor allem die Investitionen in Wohnbauten (minus 3,6 Prozent) zurück. Die Investitionen in Nichtwohnbauten sanken mit minus 1,8 Prozent nur halb so stark. In der Summe trugen die Bruttoanlageinvestitionen mit 0,2 Prozentpunkten zum BIPWachstum bei.
Der Export von Waren und Dienstleistungen ist im ersten Quartal 2023 preisbereinigt um 1,8 Prozent gestiegen. Die Warenausfuhren stiegen im Vorjahresvergleich um 2,1 Prozent, die Dienstleistungsexporte traten mit plus 0,3 Prozent nahezu auf der Stelle. Die Importe legten im gleichen Zeitraum mit plus 1,7 Prozent ähnlich stark zu. Während sich der Bezug von Waren um 1,3 Prozent verminderte, legten die Dienstleistungsimporte im gleichen Zeitraum mit plus 11,9 Prozent kräftig zu. Da die Exporte etwas stärker gestiegen sind als die Importe wirkte sich der Außenbeitrag mit 0,1 Prozentpunkten positiv auf das BIP-Wachstum aus.
Im ersten Quartal 2023 sind die Exporte von Waren im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (saisonbereinigte Werte mit Länderdifferenzierungen sind nicht verfügbar) um insgesamt 28,5 Milliarden Euro oder 7,6 Prozent gestiegen. Zu Jahresbeginn 2023 expandierten die Ausfuhren in die USA mit plus 4,89 Milliarden Euro oder 14,1 Prozent am stärksten. Überdurchschnittlich zulegen konnten auch die Exporte nach Frankreich (plus 2,51 Milliarden Euro bzw. 8,9 Prozent) gefolgt von den Niederlanden mit plus 2,48 Milliarden Euro bzw. plus 9,2 Prozent und Italien (plus 2,15 Milliarden Euro bzw. plus 10,1 Prozent). Auch der Handel mit Großbritannien hat zu Jahresbeginn 2023 weiter zugenommen. Die Exporte auf die Insel stiegen um 1,96 Milliarden Euro bzw. um 10,9 Prozent. Die Exporte in die Türkei, nach Indien, Mexiko und Brasilien erhöhten sich in
der Summe um knapp fünf Milliarden Euro und stiegen damit etwas stärker als die in die USA. Die Exportgeschäfte nach Russland haben sich zu Jahresbeginn nahezu halbiert (minus 2,46 Milliarden Euro bzw. minus 47,1 Prozent). Die Ausfuhren nach China gingen in absoluten Zahlen mit minus 3,29 Milliarden Euro (minus zwölf Prozent) noch stärker zurück
Deutsche Ex- und Importe im ersten Quartal 2023 nach ausgewählten Ländern Veränderung gegenüber Vorjahresquartal
Die deutschen Importe sind im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um insgesamt 5,69 Milliarden Euro oder 1,6 Prozent gestiegen. Der nominal stärksten Zuwächse (plus 4,64 Milliarden Euro bzw. plus 23,4 Prozent) stammten dabei von den Importen aus den USA. Darüber hinaus stiegen die Importe aus den osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten Polen
(plus 3,11 Milliarden Euro bzw. 17,4 Prozent), Tschechische Republik (plus 2,21 Milliarden Euro bzw. 16,5 Prozent), Ungarn (plus 1,45 Milliarden Euro oder plus 18,2 Prozent) und Rumänien (plus 713 Millionen oder plus 17,3 Prozent) überdurchschnittlich stark an. Die Importe aus den Vereinigten Arabischen Emirate haben sich im Vorjahresvergleich nahezu verfünffacht, was mit der Diversifizierung bei der Gasbeschaffung zusammenhängen dürfte. Gleichzeitig sind die Einfuhren aus der Russischen Föderation sanktionsbedingt um 10,5 Milliarden Euro oder minus 86,3 Prozent nahezu zum Stillstand gekommen. Rückläufig waren auch die Importe aus den Gaslieferländern Norwegen (minus 16,7 Prozent), Niederlande (minus 6,5 Prozent) und Belgien (minus vier Prozent). Die Einfuhren aus China waren mit minus 4,35 Milliarden bzw. minus bzw. minus 9,7 Prozent deutlich niedriger als noch vor Jahresfrist.
Arbeitsmarkt: Beschäftigung nimmt im Frühjahr weiter zu
Mit Beginn des Frühjahres setzte sich die Belebung auf dem Arbeitsmarkt weiter fort. Nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Erwerbstätigen im April 2023 saisonbereinigt um 18.000 gestiegen, nach einem Zuwachs um 56.000 im März und einem Plus von 57.000 im Februar. Im Vergleich zu April 2022 stieg die Zahl der Erwerbstätigen um 421.000 oder 0,9 Prozent auf nunmehr 45,80 Millionen. Verglichen mit dem Höchstwert vom November 2022 waren dies allerdings 180.000 weniger.
Auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat am aktuellen Rand weiter zugenommen. Nach Hochrechnungen der Bundesagentur waren im März 2023 (letzter verfügbarer Wert) mit 34,75 Millionen so viel Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt wie noch nie. Das waren in saisonbereinigter Betrachtung 13.000 Personen mehr als im Februar und 315.800 Personen mehr als vor einem Jahr. Die sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung stieg
März im Vorjahresvergleich um 135.000 oder 0,6 Prozent, die sozialversicherungspflichtige
Die sonstigen Formen der Erwerbstätigkeit haben sich am aktuellen Rand unterschiedlich entwickelt. So sank die Zahl der Selbstständigen einschließlich mithelfender Familienangehöriger im ersten Quartal 2023 in saisonbereinigter Betrachtung um 5.000 Personen. Gegenüber dem Vorjahr hat die Selbstständigkeit um 32.000 oder 0,8 Prozent auf 3,89 Millionen ebenfalls abgenommen. Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten sank nach ersten Hochrechnungen der Bundesagentur im März 2023 um 2.000 nach einem Plus von 7.000 im Februar. Mit 4,16 Millionen waren es aber 96.000 mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im Mai um 284.100 oder 12,6 Prozent auf 2,54 Millionen (Vorjahresvergleich). In der saisonbereinigten Betrachtung stieg die Zahl der Arbeitslosen im Mai um 9.000, nach plus 23.000 im April. Die Arbeitslosenquote lag im Mai 2023 nach Systematik der Bundesagentur bei 5,6 Prozent und nach ILO-Systematik bei einem Wert von 2,9 Prozent.
Abwärtstrend beim Auftragseingang beendet?
Nach dem die Ordervolumina im Jahr 2022 kontinuierlich abgenommen hatten, setzte in den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres eine deutliche Belebung ein. Diese wurde jedoch im März bereits wieder ausgebremst. Im Vormonatsvergleich nahmen die Bestellungen in saison- und kalenderbereinigter Rechnung um 10,7 Prozent ab. Dies war der größte Rückgang seit dem Einbruch im April 2020 in Folge der Corona-Pandemie. Im Ergebnis trat der Auftragseingang im ersten Quartal 2023 im Vorquartalsvergleich mit plus 0,0 Prozent auf der Stelle. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum war jedoch ein Rückgang um 9,7 Prozent zu verkraften.
Mit Blick auf die Herkunft der Auftragseingänge ist die Inlandsnachfrage im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum vierten Quartal 2022 um 1,9 Prozent gesunken. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sank die Ordertätigkeit um minus 8,6 Prozent. Aus dem Ausland gingen im ersten Quartal 10,5 Prozent weniger Aufträge ein als vor Jahresfrist. Der Vorquartalsvergleich weist dagegen ein kleines Plus von 1,6 Prozent aus. Dabei war die Nachfrage aus Drittländern in saisonbereinigter Rechnung mit plus 1,9 Prozent etwas stärker als die aus dem Euroraum (plus 1,1 Prozent).
Unter den einzelnen Hauptgütergruppen setzte sich bei den Herstellern von Vorleistungsgütern die bereits seit Mitte des Jahres 2021 anhaltende Nachfrageschwäche zu Jahresbeginn fort. So gingen in kalender- und saisonbereinigter Rechnung im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorquartal 4,7 Prozent weniger Aufträge ein. Dies war gleichzeitig der achte Quartalsrückgang in Folge. Der Vorjahresvergleich weist sogar ein Minus von 10,9 Prozent aus. Die Auslandsnachfrage ging im Jahresvergleich mit minus 12,3 Prozent deutlich stärker zurück als die aus dem Inland (minus 9,4 Prozent).
Die Nachfrage nach Investitionsgütern legte nach dem schwachen Jahresabschluss im ersten Quartal 2023 mit plus 3,9 Prozent im Vorquartalsvergleich deutlich zu. Im Vergleich zum Vorjahr gingen jedoch 8,8 Prozent weniger Aufträge ein. Die Auslandsnachfrage ging im Jahresvergleich mit minus 9,8 Prozent etwas kräftiger zurück als die aus dem Inland (minus sieben Prozent).
Bei den Konsumgüterproduzenten gingen die Bestellungen im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorquartal saison- und kalenderbereinigt 4,6 Prozent zurück. Im Vergleich zum Vorjahr waren es sogar elf Prozent weniger. Dies war gleichzeitig der stärkste Rückgang seit dem Jahr 2009. Die Nachfrage aus dem Inland gab dabei im Vorjahresvergleich mit minus 15,1 Prozent deutlich stärker nach als die aus dem Ausland mit minus 8,3 Prozent.
Am aktuellen Rand hat sich der Abwärtstrend weiter fortgesetzt. So sanken im April 2023 die Auftragseingänge der deutschen Industrie nach vorläufigen Berechnungen gegenüber März 2022 preis-, kalender- und saisonbereinigt um 0,4 Prozent. Gleichzeitig sind nach der Revision der März-Daten die Ordereingänge mit minus 10,9 Prozent im Vormonatsvergleich noch etwas stärker zurückgegangen. Ohne Berücksichtigung von Großaufträgen ist der Auftragseingang hingegen um plus 1,4 Prozent gestiegen.
Auftragseingang, Verarbeitendes Gewerbe
Veränderung zum Vorjahr, 2-Monats-Vergleich, in Prozent (rechte Achse) Index des Verabeitenden Gewerbes, 2-Monats-Durchschnitt, saisonbereinigt (linke Achse) Veränderung im Vergleich zum Vorquartal (q-o-q), in Prozent Quelle: Statistisches Bundesamt
Auftragsbestand in der Industrie nimmt langsam ab
Der rückläufige Auftragseingang und abnehmende Produktionsbehinderungen tragen mit dazu bei, dass die Unternehmen ihre hohen Auftragsbestände langsam abarbeiten können. Nach Angaben des ifo Instituts sank die Reichweite des Auftragsbestands im Verarbeitenden Gewerbe zu Beginn des zweiten Quartals 2023 das zweite Mal in Folge auf nunmehr 4,3 Produktionsmonate. Im langjährigen Vergleich sind die Auftragsbücher damit aber weiterhin gut gefüllt. Bei den Herstellern von Vorleistungsgütern lag das Auftragspolster zuletzt bei 3,5 Produktionsmonaten. Investitionsgüterhersteller benötigen noch immer mehr als ein halbes Jahr, um ihren Auftragsbestand komplett abzubauen. Bei den Konsumgüterproduzenten stieg der Auftragsbestand sogar leicht auf nunmehr 2,6 Produktionsmonate an.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sank der reale (preisbereinigte) Auftragsbestand im Verarbeitenden Gewerbe im März 2023 um 1,3 Prozent. Dies war der drittstärkste Rückgang seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2015. Die offenen Aufträge aus dem Inland verminderten sich im Vergleich zum Vormonat um 1,2 Prozent, die aus dem Ausland um 1,4 Prozent. Obwohl die Auftragsbestände deutlich nachgegeben haben, sind die Auftragsbücher in saison- und kalenderbereinigter Rechnung aber noch immer um mehr als ein Viertel voller als vor Ausbruch der Pandemie im Jahr 2020.
Der Auftakt für das zweite Quartal verspricht noch keine konjunkturelle Belebung. Sollte die Auftragslage bis Jahresmitte 2023 auf dem Niveau vom April verharren, liefe dies auf ein Quartalsminus von etwas mehr als acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr hinaus. Derzeit sind die Auftragsbücher in der Industrie noch gut gefüllt, so dass die Produktion für die nächsten Monate gesichert scheint. Gleichzeitig nehmen die Lieferengpässe weiter ab, was die konjunkturelle Belebung unterstützen könnte.
Im April 2023 ist die Industrieproduktion in saison- und kalenderbereinigter Berechnung um 0,1 Prozent gegenüber dem Vormonat gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr legte die Produktion mit plus 2,6 Prozent jedoch deutlich stärker zu. Die Energiewirtschaft drosselte ihre Produktion im Vergleich zum März um 1,5 Prozent. Die Bauproduktion fiel zwei Prozent höher aus als im Monat zuvor. Dies war den stark gestiegenen Aktivitäten im Ausbaugewerbe geschuldet, während die Produktion im Bauhauptgewerbe mit plus 0,7 Prozent nur leicht zulegte. Insgesamt ergab sich für das Produzierende Gewerbe ein Anstieg der Produktion um 0,3 Prozent im Vormonatsvergleich und um plus 1,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.
Vergleich zum Vorjahr in Prozent 2021
Vergleich zum Vorzeitraum in Prozent
Nach Revision der vorläufigen März-Daten ergibt sich für das erste Quartal 2023 ein saison- und kalenderbereinigter Anstieg der Industrieproduktion um 1,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Im Vergleich zum ersten Quartal des Jahres 2022 ist die Produktion mit plus 2,1 Prozent bereits das dritte Mal in Folge gestiegen.
In den einzelnen industriellen Hauptgruppen übertrafen die Hersteller von Vorleistungsgütern das saison- und kalenderbereinigte Ergebnis aus dem Vorquartal um plus 1,9 Prozent, produzierten aber
deutlich weniger als noch vor einem Jahr (minus 4,5 Prozent). Bei den Investitionsgüterproduzenten schlugen sich die abnehmenden Liefer- und Materialengpässe in den Produktionsdaten nieder. Sie produzierten im Vergleich zum Vorquartal 2,2 Prozent mehr. Das Produktionsplus im Vergleich zum Vorjahr war in der kalenderbereinigten Betrachtung mit plus 9,9 Prozent sogar deutlich stärker. Im Gegensatz dazu stagnierte die Konsumgüterproduktion. Das Ergebnis aus dem Vorquartal wurde mit minus 1,8 Prozent verfehlt.
Trotz sinkender Auftragseingänge und einer Eintrübung bei den Stimmungsindikatoren ist die Industrieproduktion in Deutschland weiter stabil. Sie dürfte vor allem von den sich auflösenden Lieferengpässen und den weiterhin hohen Auftragsbeständen insbesondere bei den Investitionsgüterherstellern profitieren. Wir rechnen daher auf Basis von Brancheneinschätzungen im laufenden Jahr weiterhin mit einem Anstieg der Industrieproduktion um ein Prozent.
Veränderung zum Vorjahr, 2-Monats-Vergleich in Prozent (rechte Achse)
Index des Verarbeitenden Gewerbes, 2-Monatsdurchschnitt, saisonbereinigt (linke Achse)
Veränderung im Vergleich zum Vorquartal (q-o-q), in Prozent
Die Entspannung in den Lieferketten trug auch zu einer höheren Auslastung der Kapazitäten bei. Im Verarbeitenden Gewerbe stieg die Kapazitätsauslastung im zweiten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorquartal leicht um 0,2 Prozentpunkte auf nunmehr 84,5 Prozent. Damit waren die Kapazitäten weiterhin etwas höher ausgelastet als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Der Auslastungsgrad im Verarbeitenden Gewerbe ohne Ernährungsindustrie stieg im gleichen Zeitraum sogar um 0,4 Prozentpunkte und erreichte damit einen um 0,2 Prozentpunkte höheren Auslastungsgrad als im Zehnjahresdurchschnitt.
Unter den einzelnen Branchen zeigte sich ein deutlich heterogeneres Bild ab. Im Fahrzeugbau stieg die Auslastung im Vergleich zum Vorzeitraum mit 3,9 Prozentpunkten nicht nur kräftig an. Der Auslastungsgrad der Maschinen war damit erstmals seit zwei Jahren wieder höher als im Durchschnitt
der vergangenen zehn Jahre. Im Maschinenbau waren die Kapazitäten zuletzt um 3,8 Prozentpunkte höher ausgelastet als im langjährigen Durchschnitt, bei den Herstellern von Datenverarbeitungsgeräten und optischen Produkten waren es immerhin noch 2,3 Prozentpunkte mehr. Bei den Herstellern von elektrischen Ausrüstungen, in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie sowie bei den Herstellern von Metallerzeugnissen näherte sich die Auslastung dem zehnjährigen Mittel an. Eine im historischen Vergleich geringere Auslastung verbuchten die Möbelindustrie, die Pharmazeutische und die Chemische Industrie
Industrieumsatz zu Jahresbeginn etwas höher als im Vorjahr
Zum Jahresauftakt sind die preisbereinigten Umsätze im Verarbeitenden Gewerbe in saison- und kalenderbereinigter Rechnung im Vergleich zum vierten Quartal 2022 um 0,9 Prozent gesunken. Der Vorjahresvergleich weist aber ein Plus von 1,8 Prozent aus. Mit Blick auf die Herkunft der Umsätze ergibt sich ein zweigeteiltes Bild. Während die Umsätze aus dem Inland gegenüber Vorjahr um ein Prozent sanken, erhöhten sich die Erlöse aus dem Ausland um 4,5 Prozent. Die in der Eurozone generierten Umsätze stiegen dabei um 5,6 Prozent, die aus dem Geschäft mit Drittländern um 3,7 Prozent.
Umsatz* im Verarbeitenden Gewerbe im ersten Quartal 2023
*Veränderung in Prozent zum Vorjahreszeitraum
Quelle: Statistisches Bundesamt
Unter den einzelnen Branchen stiegen die nominalen Umsätze im ersten Quartal 2023 im Fahrzeugbau mit plus 20,1 Prozent im Vorjahresvergleich am stärksten, gefolgt von der Elektroindustrie, die ihre Umsätze um ein Sechstel steigern konnte. Zweistellige Umsatzzuwächse verbuchten auch der Maschinenbau (plus 13,9 Prozent) und der sonstige Fahrzeugbau (plus 15,0 Prozent). Leicht unterdurchschnittlich entwickelten sich die Umsätze in der Textilindustrie und im Bereich Glas, Keramik, Steine und Erden. Die Metall- erzeugenden und -verarbeitenden Betriebe sowie die Druckindustrie verbuchten nur leichte Umsatzsteigerungen. Während die Umsätze in der Pharmazeutischen Industrie nur leicht sanken, verbuchte die Chemische Industrie und die Holzverarbeitende Industrie zweistellige Umsatzeinbußen
Geschäftsklima: Stimmung in der Wirtschaft erhält deutlichen Dämpfer
Erstmals seit sechs Monaten hat sich das ifo-Geschäftsklima Deutschland wieder eingetrübt. Die befragten Unternehmen schätzten zwar ihre aktuelle Lage nur etwas schlechter ein als im April. Dafür haben sich die Geschäftserwartungen für die kommenden sechs Monate deutlich verschlechtert. Im Grunde blicken die Unternehmen seit März 2022 mehrheitlich skeptisch in die Zukunft. Unter den einzelnen Sektoren waren die Dienstleister im Mai zwar wieder zufriedener mit ihren laufenden Geschäften. Die Erwartungskomponente erhielt aber den zweiten Monat in Folge einen deutlichen Dämpfer, so dass sich das Stimmungsbild in der Summe leicht eintrübte. Im Handel ist der Index deutlich gefallen. Der Lageindikator sackte nach fünf Monaten wieder in den negativen Bereich ab. Zudem nahmen die skeptischen Stimmen bei den Erwartungen merklich zu. Insbesondere im Großhandel verschlechterte sich die Stimmung. Im Bauhauptgewerbe hat der Geschäftsklimaindex erstmals nach vier Monaten wieder nachgegeben. Dies war auf die schlechte Einschätzung der aktuellen Lage zurückzuführen, während die Erwartungen nahezu unverändert pessimistisch blieben.
Auch im Verarbeitenden Gewerbe hat sich der Geschäftsklimaindex spürbar verschlechtert. Die Industrieunternehmen schätzten sowohl ihre aktuelle Lage als auch die Erwartungen für die kommenden sechs Monate mehrheitlich schlechter ein. Auch die Exporterwartungen sind im Mai gesunken. Allerdings blickt noch immer eine Mehrheit der befragten exportorientierten Unternehmen im Hinblick auf ihrer Exportchancen positiv in die Zukunft.
Vor einem halben Jahr wurde fest mit einer Rezession in Deutschland gerechnet. Durch eine mögliche Gasmangellage waren Produktionsunterbrechungen in der Industrie nicht mehr auszuschließen. Die Energiekosten der privaten Haushalte drohten durch die Decke zu schießen und die Corona-Pandemie war noch nicht gänzlich ausgestanden. Entsprechend schlecht war die Stimmung im vergangenen Herbst. Das Ifo-Geschäftsklima lag im September und Oktober auf den tiefsten Stand seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Die Stimmung unter den Verbrauchern stürzte laut HDE- und GfK-Konsumbarometer im Oktober in nie dagewesene Tiefen ab. Die Frage lautete seinerzeit nicht ob, sondern wie tief die deutsche Wirtschaft in eine Rezession rutschen würde. Mit seiner BIP-Prognose von minus 0,3 Prozent für das Jahr 2023 gehörte der BDI zu Beginn des Jahres noch zum Kreis der Optimisten. Es kam bekanntlich anders. Es wurden alternative Gaslieferanten gefunden, neue LNG-Terminals gebaut und in Betrieb genommen. Und zu guter Letzt blieb der befürchtete kalte Winter aus.
BIP-Prognose für 2023: Veränderung der realen Wirtschaftsleistung gegenüber dem Vorjahr in Prozent
Quellen: Bundesregierung (April 2023; *Private Haushalte und priv. Organisationen ohne Erwerbszweck), Europäische Kommission (Mai 2023), eigene Berechnungen
Die Winterrezession trat erst zeitverzögert ein. Sie wurde erst Ende Mai amtlich bestätigt. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2022 gesunken war, wies die erste Schätzung vom April dieses Jahres für das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2023 noch eine Stagnation aus. Es waren vor allem der öffentliche und der private Konsum die das Schrumpfen des BIP verursacht haben und so dazu beitrugen, dass Deutschland in eine technische Rezession glitt. Dabei gingen vom deutschen
Außenhandel bereits zum Jahresbeginn 2023 erste Wachstumsimpulse aus. Die weltweiten Lieferengpässe haben sich etwas entspannt. Die Exporte in die Europäische Union und in die USA haben wieder angezogen. Nur das China-Geschäft ist derzeit noch etwas schwach. Hier rechnen wir aber in der zweiten Jahreshälfte ebenfalls mit einer leichten Belebung. Aufgrund des guten Jahresauftaktes korrigieren wir unsere Exportprognose nach oben und rechnen für das gesamte Jahr 2023 mit einem Anstieg der Exporte von Waren und Dienstleistungen um real zwei Prozent. Importseitig dürfte der Bezug von Vorleistungsgütern zwar etwas zunehmen. Die gesunkenen Preise für energetische und nicht energetische Rohstoffe führen aber zu einer deutlichen Verbesserung der Terms of Trade, was die Importrechnung wiederum reduziert. Alles in Allem dürften die Importe in realer Rechnung stagnieren. In der Summe geht vom Außenbeitrag daher ein positiver Wachstumsimpuls von plus 0,9 Prozentpunkten auf das BIP aus.
Die hohe Inflation hat im Winterhalbjahr die Realeinkommen erheblich belastet. Das wird auch noch im Sommerhalbjahr der Fall sein, weil die nominalen Lohnabschlüsse inklusive Einmalzahlungen den hohen Preisauftrieb nicht gänzlich kompensieren. In der zweiten Jahreshälfte dürfte sich der Trend umkehren und zu einem leichten Anstieg der Kaufkraft führen. Das Konsumklima hat sich zwar nach Einschätzung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Mai das achte Mal in Folge verbessert. Es liegt aber weiterhin auf einem historisch niedrigen Niveau. Aufgrund der schwachen Entwicklung zu Jahresbeginn rechnen wir für das laufende Jahr mit einem Rückgang der Privaten Konsumausgaben um ein Prozent. Bei den Öffentlichen Konsumausgaben entfallen die Ausgaben zur Pandemiebekämpfung. Auch die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung zur Kompensation der hohen Energiepreise dürften deutlich niedriger ausfallen als noch zu Jahresbeginn befürchtet. In der Summe dürfte dies zu einem Rückgang der öffentlichen Konsumausgaben um ein Prozent führen.
Die Ausrüstungsinvestitionen sind im ersten Quartal 2023 kräftig gestiegen. Dies überrascht angesichts der weiterhin hohen geopolitischen Spannungen und der schwachen weltwirtschaftlichen Entwicklung. Eine Erklärung hierfür dürfte sein, dass die Unternehmen während und nach der Pandemie ihre Investitionspläne nicht vollständig umsetzen konnten. Dies hat auch zu einer Ersparnisbildung im Unternehmenssektor geführt, der jetzt langsam abgebaut wird. Dies spiegelt sich auch in den weiterhin hohen Auftragsbeständen bei den Investitionsgüterherstellern wider. Aufgrund des starken ersten Quartals 2023 und des hohen Nachholbedarfs rechnen wir bei den Ausrüstungsinvestitionen nunmehr mit einem Anstieg im Vorjahresvergleich um drei Prozent. Bei den Bauinvestitionen rechnen wir im laufenden Jahr mit einem Rückgang um vier Prozent. Die Bremswirkungen kommen dabei vor allem aus dem Wohnungsbau. Die Zinsschritte der Europäischen Zentralbank haben sehr schnell zu einem starken Anstieg der Hypothekenzinsen geführt. Zusätzlich wird der Wohnungsbau durch den Wegfall von staatlicher Förderung und den hohen Baukosten belastet. Im öffentlichen Bau belasten die starken Preissteigerungen die nominalen Budgets der Gebietskörperschaften. Etwas besser ist die Lage im gewerblichen Bau. Der weiter boomende Online-Versandhandel stützt die Nachfrage nach Logistikgebäuden. Darüber hinaus wirken die Investitionen der Ver- und Entsorger sowie der Deutschen Bahn, die ihr Schienennetz aufbauen möchte, stabilisierend. Die Investitionen in sonstige Anlagen (Software, Forschung und Entwicklung) sind zu Jahresbeginn kräftig gestiegen, so dass wir unsere Wachstumsprognose von plus drei Prozent hierfür aufrecht halten können. Alles in allem dürften die Bruttoanlageinvestitionen im Vergleich zum Vorjahr jedoch leicht um 0,4 Prozent sinken. In der Summe rechnen wir damit, dass das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr gegenüber dem Vorjahr in realer Rechnung stagniert.
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Verwendung des Bruttoinlandsproduktes (preis-, saison- und kalenderbereinigt)
Veränderung zum Vorzeitraum in Prozent
zum preisbereinigten BIP (in Prozentpunkten)
Quelle: Statistisches Bundesamt