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China: Druck auf Wachstum und Lieferketten

Ohne weitere große Ausgabenpakete im laufenden Fiskaljahr wird das Haushaltsdefizit sinken, und zwar laut den Erwartungen des Congressional Budget Office (CBO) von 12,4 Prozent des BIP im Fiskaljahr 2021 auf 3,9 Prozent im laufenden Jahr und 3,7 Prozent im Jahr 2023. Nach 2023 rechnet das CBO jedoch wieder mit einem Anstieg des Defizits bis auf 6,1 Prozent im Jahr 2032. Damit würde das Haushaltsdefizit deutlich über dem 50-Jahres-Durchschnitt von 3,5 Prozent liegen. Die Schuldenquote wird nach Schätzungen des CBO von 100 Prozent des BIP im Haushaltsjahr 2021 auf 96 Prozent im Jahr 2023 sinken. Das rasche Wachstum des nominalen BIP, das sowohl an der hohen Inflation als auch am realen BIP-Wachstum liegt, trägt dazu bei, dass die Verschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des Landes zunächst niedrig bleibt. Wegen der steigenden Haushaltsdefizite in den Projektionen des CBO nach 2023 steigt die Verschuldung jedoch danach stetig an und erreicht 2032 110 Prozent des BIP. Damit würde sie einen neuen Rekord erreichen. Gründe für den prognostizierten Anstieg sind vor allem die steigenden Zinsaufwendungen sowie steigende Ausgaben für Medicare (Krankenversicherung für ältere Bürgerinnen und Bürger) und Social Security (staatliche Rentenversicherung) (CBO 2022).

U.S. BIP Wachstum nach Quartalen (annualisiert)

40

30

20

10

0

-10

-20 -5,1 33,8

4,5 6,3 6,7 2,3 6,9

-1,5

-30

-40 -31,2

Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 2020 2021 2022

Quelle: Bureau for Economic Analysis

China: Druck auf Wachstum und Lieferketten

Nachdem sich die chinesische Wirtschaft im Jahr 2021 mit einem Wachstum von 8,1 Prozent –gemessen an einem relativ niedrigen Basiswert im Jahr 2020 – relativ gut entwickelt hat, müssen die Erwartungen für 2022 wieder zurückgefahren werden.

Zero-Covid drückt auf das Wirtschaftswachstum

Während die Einschränkungen im Zuge der Pandemie weltweit zurückgenommen werden und Covid19 fast überwunden scheint, hält die chinesische Regierung weiter an ihrer Null-Covid-Strategie fest. Immer wieder kommt es zu neuen Infektionsausbrüchen, so dass vor allem im April und Mai etliche

Städte und Regionen in strenge Lockdowns gegangen sind. Produktion, Konsum, Lieferketten und Logistik wurden nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen. Entsprechend schlecht fallen die Wirtschaftsindikatoren für diese Monate aus. Durch Welleneffekte sind die Auswirkungen etwas zeitverzögert auch außerhalb Chinas zu spüren. In Europa kommt es zu verspäteten Lieferungen, Lieferschwierigkeiten bestimmter Güter und höheren Preisen.

Zwar legte die chinesische Wirtschaft, getragen vom Aufschwung in Industrie und im Export im Januar und Februar, im ersten Quartal mit einem Wachstum von 4,8 Prozent stärker zu als erwartet, doch für das zweite Quartal ist mit einem deutlichen Wachstumseinbruch zu rechnen. Die schlechten Daten für März, April und Mai werden sich auch nachhaltig auf das Gesamtwachstum auswirken. Das ambitionierte Wachstumsziel der chinesischen Regierung von ungefähr 5,5 Prozent ist, auch mit massiven Konjunktur- und Infrastrukturmaßnahmen, kaum zu erreichen. Sofern die Lage in diesem Jahr einigermaßen stabil bleibt, ist noch mit einem Jahreswachstum zwischen 3,5 und vier Prozent zu rechnen. Sollten weitere Lockdowns oder andere wirtschaftliche Schocks auftreten, könnte das Wachstum aber auch deutlich unter drei Prozent fallen.

Wirtschaftsindikatoren ergeben ein gemischtes Bild

Das landesweite Güter- und Personenverkehrsaufkommen ist im Mai aufgrund von Sperrungen und COVID-Beschränkungen um rund 39 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Die offizielle industrielle Wertschöpfung sank im April um 2,9 Prozent und wird im Mai wahrscheinlich ähnlich stark zurückgehen. Die Produzentenpreise (PPI) lagen im Mai 6,4 Prozent höher als im Vorjahr. Hier sind besonders die Kosten für Energie im Bergbau und für Rohmaterial gestiegen. Die Konsumentenpreise (CPI) zeigen hingegen eine moderate Inflation von 2,1 Prozent. Hier sind vor allem die Kosten für Transport und Verkehr mit 6,2 Prozent verhältnismäßig stark gestiegen. Die Immobilienverkäufe sind im April im Vergleich zum Vorjahr um 39 Prozent gesunken. In 47 der 70 größten Städte waren die Preise für Neuwohnungen im Vergleich zum Vormonat rückläufig. Der Konsum ging aufgrund der Lockdowns ebenfalls stark zurück. Die Einzelhandelsumsätze für Konsumgüter sanken im April im Jahresvergleich um 11,1 Prozent, während die Umsätze der großen Online-Händler aufgrund der Liefer- und Logistikprobleme sogar um 25,6 Prozent zurückgingen. Die Autoverkäufe in China gingen im Mai 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 12,6 Prozent auf 1,86 Millionen zurück, nachdem sie im April um 47,6 Prozent eingebrochen waren. In den ersten fünf Monaten des Jahres sind die Autoverkäufe gegenüber dem gleichen Zeitraum 2021 um 12,2 Prozent zurückgegangen. Im vom Lockdown gelähmten Shanghai wurde während des ganzen Monats kein einziger Neuwagen verkauft. Zusammengenommen belegen die Zahlen eine massive Störung der chinesischen Volkswirtschaft. Ob es Nachholeffekte gibt oder sich die Angebots- und Nachfrageschwäche weiter fortsetzt, bleibt abzuwarten. Eine sprunghafte Erholung des Einzelhandels- und Servicesektors ist aber angesichts der Verunsicherung der chinesischen Verbraucher erstmal nicht in Sicht.

Der aggregierte Außenhandel für den Zeitraum Januar bis Mai ist im Vergleich zum Vorjahreszeit-raum zumindest um 8,3 Prozent gestiegen und stabilisiert weiter das Wirtschaftswachstum. Der Exportanstieg lag bei 11,4 Prozent und der Importanstieg bei 4,7 Prozent. Chinas offizieller Einkaufsmanagerindex (PMI) für das produzierende Gewerbe, der die Stimmung unter den großen staatlich dominierten Unternehmen misst, verzeichnete im April einen mittelfristigen Tiefstwert von 47,4. Der Index konnte sich im Mai zwar wieder auf 49,6 Punkte erholen, und auch der PMI für Dienstleistungen konnte sich von 40 Punkten auf 47,1 Punkte wieder deutlich verbessern. Doch lagen damit beide Werte über Monate unter der Expansionsschwelle von 50 Zählern.

Fiskal- und geldpolitische Maßnahmen verkündet

Im April hat die Chinesische Zentralbank (PBoC) angekündigt, die Mindestreservesätze der Banken weiter zu senken und noch zusätzliche geldpolitische Instrumente einzusetzen. Auch niedrigere Zinsen wurden in Aussicht gestellt. Bereits im Mai wurde dann die Fünfjahres-Prime-Rate, eine Referenzgröße für Immobiliendarlehen, mehr als erwartet von 4,6 auf 4,45 Prozent gesenkt, während die Rate für ein Jahr noch unverändert bei 3,7 Prozent belassen wurde.

Mitte Mai hat die chinesische Regierung dann auch ihre fiskalpolitischen Bemühungen nochmal verstärkt und eine Reihe von Maßnahmen und Hilfspaketen angekündigt. Außergewöhnlich war, dass Premierminister Li Keqiang zum ersten Mal eine landesweite Online-Konferenz abgehalten hat, an der mehr als 100.000 Offizielle aus Zentral-, Provinz- und Lokalebenen teilgenommen haben.

Die auf der Konferenz zusätzlich angekündigten quantifizierbaren Maßnahmen belaufen sich auf etwa 0,5 Prozent des BIP. Dazu gehören 200 Milliarden CNY an zusätzlichen Steuersenkungen und -rabatten, eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge um 200 Milliarden CNY und eine Erhöhung der Anleihen für den Eisenbahnbau um 90 Milliarden CNY. Die tatsächliche Unterstützung ist wahrscheinlich größer, da andere Maßnahmen, wie die Erhöhung von Infrastrukturinvestitionen und die Unterstützung der Wohnungsnachfrage, noch nicht quantifiziert wurden.

Höhere Infrastrukturinvestitionen erwartet

Auf der Sitzung der Zentralen Kommission für Finanz- und Wirtschaftsfragen (CCFEA) Ende April wurde schon angedeutet, dass die Regierung wieder stärker auf Infrastrukturinvestitionen setzen möchte. In der Vergangenheit war die Kombination aus staatlicher Verschuldung und staatlicher Nachfrage immer ein Mittel, die in den Jahresplänen gesetzten Wachstumsziele zu erreichen.

Die Regierung plant vor allem Investitionen in regionale Flughäfen, städtische Transportsysteme, Häfen und Wasserstraßen, Energieerzeugung und Netze, Gesundheits- und Notfalleinrichtungen sowie Öl- und Gaspipelines. Kurzfristig soll das Wirtschaftswachstum gestützt werden, langfristig die Wettbewerbsfähigkeit und die Produktivität Chinas steigen. Damit die Projekte auch die erwartete Wirkung entfalten können, muss die Regierung aber als Erstes die Verbreitung von Covid-19 vollständig eindämmen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie zu langsam oder zu spät greifen.

Liquiditätsdruck im Immobiliensektor hält an

Bereits im letzten Jahr haben Liquiditätsengpässe im hochverschuldeten Immobiliensektor einige Immobilienentwickler an den Rand des Zusammenbruchs gebracht, allen voran das Bauunternehmen Evergrande. Ein kompletter Zusammenbruch des Sektors, den einige Beobachter befürchtet hatten, ist zwar nicht eingetreten, doch seitdem schlagen die Probleme des chinesischen Immobilienmarkts, der einschließlich der vor- und nachgelagerten Nachfrageeffekte für rund ein Viertel des BIP verantwortlich zeichnet und damit bislang einer der großen Wachstumstreiber war, kontinuierlich auf die Gesamtwirtschaft durch. Angesichts schwacher Umsätze und angespannter Finanzierungsbedingungen hält auch der Liquiditätsdruck weiter an.

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