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Kräftiger Wachstumsdämpfer für Europa

Internationalen Finanzinvestoren ziehen Kapital aus China ab

Zu Beginn des Jahres wurde Kapital im zweistelligen Milliardenbereich (in US-Dollar) aus China abgezogen. Betroffen waren sowohl chinesische Staats-, Bank- und Unternehmensanleihen als auch Aktien. Auslöser waren vor allem die drakonische Covid-19-Beschränkungen, die geopolitischen Auswirkungen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, anhaltende Spannungen zwischen den USA und China und die Nachwehen der regulatorischen Eingriffe, vor allem im chinesischen Tech-Sektor. Auch der Wert der Wagniskapitalfinanzierungen ist in den ersten vier Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 44 Prozent auf 24,7 Milliarden US-Dollar gesunken. Das ist fast doppelt so hoch wie der Rückgang in den USA und fast viermal so hoch wie der weltweite Rückgang. Im Jahr 2021 erreichte China trotz des harten Durchgreifens der Regierung einen Rekord von mehr als 130 Milliarden USDollar an Wagniskapitalinvestitionen. Die von der US-Notenbank eingeläutete Zinswende wird darüber hinaus zusätzlichen Druck auf Chinas Kapitalmärkte ausüben und könnte zu einem ernsthaften Risiko für Chinas weitere Wirtschaftsentwicklung werden.

Politische Weichenstellung

Bereits auf der jährlichen zentralen Wirtschaftsarbeitskonferenz im Dezember 2021 hatte die Regierung drei hauptsächliche Herausforderungen für die Wirtschaft identifiziert und auf den „Zwei Sitzungen“ im März 2022 nochmals bestätigt: Nachfrageschwäche, Angebotsschocks und nachlassende Erwartungen. Die jüngsten Wirtschaftszahlen bekräftigen dieses Bild. Die Regierung beharrt in diesem Jahr indes weiter auf Sicherheit und Stabilität, auch wenn das starre Festhalten an der Null-CovidStrategie massive Folgen für die Wirtschaft nach sich zieht.

Politisch wird der Umgang mit Corona, das seit Mitte 2020 weitestgehend unter Kontrolle gehalten werden konnte, zum unlösbaren Dilemma. Nach den Lockdowns ist die Geduld in weiten Teilen der betroffenen Bevölkerung am Ende und der Unmut mit der Politik wächst gerade in Städten wie Shanghai, die von besonders harten und langanhaltenden Maßnahmen getroffen wurden. Allerdings würde eine weitflächige Verbreitung von Omikron das Gesundheitssystem überlasten und zu zahlreichen Toten führen, insbesondere da die Impfquote beim älteren Teil der Bevölkerung zu niedrig ist. Vor allem aber möchte die Regierung vor dem Parteitag im Herbst mit der anstehenden Wiederwahl von Xi Jinping für eine dritte Amtszeit die politischen Kosten eines Kurswechsels vermeiden.

Ausblick für die zweite Jahreshälfte

Das Wachstum wird auch in der zweiten Jahreshälfte mit hoher Wahrscheinlichkeit unter den CoronaMaßnahmen leiden, da eine grundlegende Abkehr von Zero-Covid derzeit nicht abzusehen ist. Zur Unterstützung der Wirtschaft hat die chinesische Regierung bereits eine Reihe von Maßnahmen angekündigt bzw. initiiert. Ob diese ihre Wirkung rechtzeitig entfalten können, bleibt abzuwarten. Weitere Zinssenkungen der PBoC sind nicht auszuschließen, hier verfügt die chinesische Regierung noch über deutliche Spielräume. Für kleine und mittlere Unternehmen wurden bereits Steuersenkungen angekündigt. Der größere Fokus auf Infrastrukturinvestitionen wird vermutlich mit einer weiteren Verschuldung des Staatssektors – gerade auf lokaler Ebene – einhergehen. Der Immobilienmarkt wird vermutlich nur wenig zur Stützung der Wirtschaft beitragen können und auch über dem Außenhandel schwebt aufgrund der geopolitischen Spannungen, allen voran mit den USA und der EU, ein Damoklesschwert.

Kräftiger Wachstumsdämpfer für Europa

Die wirtschaftliche Entwicklung in der Europäischen Union war bis zum Ausbruch des Kriegs Ende Februar durch eine solide Erholung geprägt. Diese erstreckt sich seit Frühjahr auch in der Breite auf die Dienstleistungen. Insbesondere Corona-bedingte Beschränkungen konnten zudem seither abgebaut werden. Insofern stand einer kräftigen Erholung der privaten Konsumausgaben auch für bislang kontakt-beschränkte Dienstleistungen sowie einer kräftigen Sommersaison im Tourismus wenig entgegen. Zwar waren wichtige Energiepreise schon 2021 angestiegen, dies hatte jedoch noch nicht zu einer erheblichen Eintrübung der Perspektiven geführt.

Wachstumsausblick im guten Szenario noch robust

Die jüngste Entwicklung ist jedoch durch eine kräftige Abwärtsrevision des Konjunkturausblicks geprägt. Zwar sind noch gut 2½ Prozent reales Wachstum (2,7 Prozent) zu erwarten, wenn es zu keiner weiteren Verschärfung der Sicherheitslage in Europa oder gar zu einem Lieferstopp russischer Energierohstoffe kommen sollte. Die EU startet jedoch auch mit einem statistischen Überhang von zwei Prozent ins Jahr, so dass die Verlaufsrate von Januar an eher einem sehr moderaten Wachstum entsprechen wird. Gleichwohl sollte im Hauptszenario Europas Wirtschaft zwar mit Blessuren, aber noch intakt durch die Krise kommen. Im Fall einer Zuspitzung der Sicherheitslage könnte es jedoch auch zu weiteren deutlichen Preissteigerungen für Energierohstoffe bzw. zu einem Lieferstopp kommen. Die Europäische Kommission sieht in diesem Fall einen zusätzlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung in der EU in Höhe von 1¼ bzw. von zusätzlichen 1½ Prozentpunkten als wahrscheinlich an. In dem Fall würde das Wachstum auf 1¼ Prozent bzw. auf leicht unter null sinken. Im Hauptszenarium ist eine leichte weitere Besserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten.

Der Zwillingsschock wirkt sich ähnlich wie der Pandemieschock ungleich auf die europäischen Länder aus. In dieser Krise wiederum trifft es einige osteuropäische Staaten, Deutschland und Italien vergleichsweise hart, während weiter westlich, südlich oder nördlich gelegene Staaten geringere Effekte aufzuweisen haben. Handelsverflechtungen mit der Konfliktregion, der Anteil Russlands an den Energieeinfuhren, die Größe des Verarbeitenden Gewerbes und die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge unterscheiden sich naturgemäß erheblich. Die Nachbarstaaten der Ukraine nehmen den Löwenanteil auf.

Das reale BIP in der EU bzw. im Euroraum wuchs im ersten Quartal mit 0,7 bzw. 0,6 Prozent noch solide. Vertrauensindikatoren zeigten an, dass insbesondere die privaten Haushalte durch den Krieg sehr viel pessimistischer geworden waren. Zwar sind noch Überschussersparnisse vorhanden, die den Konsum dieses Jahr stützen könnten, und die Lohnentwicklung ist weitgehend normal verlaufen, aber die Preisanstiege und der Krieg verunsichern die Verbraucher sehr. Dies spiegelt sich auch im Kauf langlebiger Konsumgüter wie Automobilen, deren Absatz im März und April stark einbrach. Insofern entwickelt sich derzeit eine breite Kluft zwischen Dienstleistungssektoren, in denen das Geschäft wieder anzieht, und dem Verarbeitenden Gewerbe, in dem die Indikatoren deutlich schwächer geworden sind.

Konsumausgaben und Investitionen dürften mit rund drei Prozent wachsen

Die privaten Konsumausgaben im Euroraum dürften nach Ansicht der Europäischen Kommission real in diesem Jahr mit gut drei Prozent zulegen (3,2 Prozent), während die Spartätigkeit nachlässt und die entsprechende Quote wieder kräftig fällt. Nominal Einkommen sollten um etwa 3½ Prozent zulegen,

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