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Starke Inflationsdynamik im transatlantischen Raum
Starke Inflationsdynamik im transatlantischen Raum
Der Ukraine-Krieg hat den Ausblick auf die Inflationsentwicklung grundlegend verändert. Während vor dem Krieg zwar noch ein Anstieg der Inflationsraten angesichts Angebotsengpässen und kräftigem Wachstum plausibel erschien, ist seither in kürzester Zeit durch den Anstieg der Preise für Energieund Agrarrohstoffe sowie für einige Metalle die Dynamik unverkennbar. Die Angebotsengpässe in der Produktion von Zwischengütern haben sich ebenfalls wieder verschärft. Gleiches gilt für die Störungen im internationalen Transport- und Logistikgeschehen in der Folge von Sanktionen gegen Russland, der Sperrung des russischen Luftraums und Problemen in Transport und Logistik in der Volksrepublik China in Folge der Null-Covid-Strategie.
Ein solch breiter Anstieg der Inputpreise hat in der Folge in einer Vielzahl von Branchen weltweit zunächst zur Margenkompression oder Produktionsdrosselung geführt, der nun Schritt für Schritt der Anstieg der Produzentenpreise und letztlich auch in geringerem Umfang der Konsumentenpreise folgen wird. Die OECD schätzt, dass etwa 40-50 Prozent des Preisanstiegs in die Konsumentenpreise überwälzt werden dürfte.
Während die Industrieländer 2020 nur eine Inflationsrate von 0,7 Prozent aufwiesen, wurden 2021 gut drei Prozent erreicht. In diesem Jahr werden nun außerordentlich hohe Steigerungsraten erwartet. Der IWF (IWF 2022) rechnet damit, dass die Inflation in den Industrieländern dieses Jahr 5,7 Prozent betragen wird, während für die Entwicklungs- und Schwellenländern mit 8,7 Prozent gerechnet wird (ein Zuschlag von 1,8 bzw. 2,8 Prozentpunkten seit Januar). Die Kernraten sind jüngst auf vier Prozent für Industrieländer und auf fünf Prozent für Entwicklungs- und Schwellenländer angestiegen. Der Währungsfonds rechnet schon für das nächste Jahr mit einer Beruhigung und einem Rückgang der Raten auf 2,5 bzw. 6,5 Prozent. Die OECD rechnet für die Vereinigten Staaten mit einer Inflationsrate von 6,2 Prozent im Jahresdurchschnitt, für den Euroraum von 6,1 Prozent, gefolgt von etwa drei Prozent im nächsten Jahr (OECD 2022). Die Inflation ist vor allem in den USA, im Vereinigten Königreich und in den mittel- und osteuropäischen Staaten besonders rasch angestiegen, in Europa stärker infolge der Gaspreise, in den USA eher aufgrund des Ölpreises. In fast allen Ländern stieg zudem die Inflationsrate im Dienstleistungsbereich, weil mit der Normalisierung der Aktivität und der Öffnung Coronabeschränkten Aktivitäten zunächst Arbeitskräfte knapp waren.
Gleichwohl steigen auch die Risiken, dass Haushalte und Finanzmärkte dauerhaft höhere Inflationsraten erwarten und die Löhne kräftiger steigen werden. In der Regel liegen die Ursachen für das Inflationsgeschehen außerhalb der Kontrolle der Geldpolitik. In den USA ist vor allem die sehr expansive Finanzpolitik der Biden-Administration ein eigener Faktor gewesen, während in Europa keine allgemeine Situation einer zu starken fiskalpolitischen Expansion anzutreffen ist. Insofern haben die Notenbanken in den USA und in Europa nun einen schweren Stand. Seit langer Zeit steht nun erstmals wieder die Aufgabe an, durch eine geldpolitische Normalisierung in Verbindung mit einer Reduktion von Anleihekäufen und Zinserhöhungen die Nachfrage zu drosseln. In jedem Währungsraum wird dabei differenziert vorgegangen werden müssen, da sowohl die Treiber als auch die Ergebnisse unterschiedlich sind. Eine Ausnahme stellt China dar, denn dort lockert die Notenbank die Geldpolitik, da die Wirtschaft durch die Lockdowns erheblich geschwächt worden ist. Japan entzieht sich zwar nicht dem Trend, aber da die Inflationsrate noch unter zwei Prozent liegt, sind noch keine größeren Sorgen aufgetreten.
Die Inflationsraten sollten in der zweiten Jahreshälfte und im nächsten Jahr allmählich zurückgehen, zumindest wenn die Energiepreise nachgeben sollten, wie es die Futures-Preise signalisieren. Gleichwohl dürfte in fast allen Ländern die Inflation höher ausfallen und dies länger andauern, als es vor dem Krieg plausibel war. Daher werden auch die Notenbanken etwas kräftiger normalisieren bzw. gegenhalten müssen. Die OECD rechnet für ihre Länder mit einem durchschnittlichen Anstieg der Leitzinsen um zwei Prozentpunkte (Vergleich Jahresdurchschnitt 2023 zu 2021) (OECD 2022). Die letzten Wochen haben gezeigt, dass das Tempo der geldpolitischen Straffung in vielen Ländern erhöht wurde, um auf die unerwartete Dynamik im Inflationsgeschehen zu reagieren.
Die US-Notenbank hat eine substanzielle Straffung der Geldpolitik angekündigt
Besonders dynamisch hat sich die Inflation in den Vereinigten Staaten erhöht. Zwar hatte die FED die Erwartung für die Inflationsrate bereits im Dezember auf über fünf Prozent taxiert, seither hat sich der Schwung jedoch noch verstärkt. So stieg die Inflationsrate im Mai auf 8,6 Prozent. Selbst die Kernrate lag bei sechs Prozent. Dies hat eine kräftige Reaktion der Notenbank provoziert. So hat die FED jüngst betont, dass aufgrund verschiedener Ungleichgewichte, eines sehr engen Arbeitsmarkts und eines breiten Preisdrucks (Energiepreise, Pandemie-Effekte, Dienstleistungen, Mieten, Löhne) trotz der kriegsbedingt zu erwartenden Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität eine robuste geldpolitische Reaktion notwendig geworden ist. Die FED hat daher ihre Anleihekäufe seit Jahresbeginn bereits (netto) weitgehend zurückgefahren und den Leitzins am 4. Mai um 50 Basispunkte auf die Spanne von 0,75 - einem Prozent erhöht, zwei weitere Leitzinserhöhungen in gleicher Größenordnung bis September signalisiert und die Rückführung ihre Bilanz durch Nettoverkäufe von Wertpapieren (US-Schatzanweisungen und verbriefte Hypothekenpapiere) ab dem 1. Juni beschlossen, zunächst mit einem kleineren Einstieg und ab September dann im Tempo von rund 95 Milliarden US-Dollar pro Monat. Die Notenbank hatte ihre Bilanz auf etwa 5,8 Billionen US-Dollar an Regierungsanleihen und auf 2,7 Billionen US-Dollar an Hypothekenpapieren ausgeweitet und hat nun angekündigt, ca. eine Billion allein im nächsten Jahr abzubauen. Am 15. Juni hat sie das Tempo dann weiter verschärft. Der Leitzins wurde um 0,75 Prozentpunkte auf eine Spanne von 1,5 - 1,75 Prozent erhöht. Weitere Leitzinserhöhungen wurden in Aussicht gestellt. Der Medianwert der Entscheidungsträger für das Zielniveau des Leitzinses zum Jahresende stieg um 1,5 Prozentpunkte auf 3,4 Prozent an, für das nächste Jahr um 90 Basispunkte auf 3,8 Prozent.
Das genaue Ausmaß wird vom Anziehen der Finanzierungsbedingungen und von der Entwicklung am Arbeitsmarkt abhängen. Gerade der letztere ist durch eine sehr hohe Anzahl offener Stellen im Verhältnis zu Arbeitslosen geprägt. Angesichts der sehr hohen Inflation, geringer Erfahrungswerte mit dem Abbau von Kaufprogrammen und einigen Unsicherheiten über die konjunkturelle Entwicklung selbst wird es besonders schwierig werden, eine „sanfte Landung“ der Geldpolitik in der Dämpfung der Nachfrage zu erzielen, ohne eine zumindest milde und kurze Rezession im Verlauf von 2023 auszulösen.
Die EZB normalisiert die Geldpolitik
Auch im Euroraum zog die Inflationsrate im April auf Jahresbasis auf 7,5 Prozent an, während die Kerninflationsrate sich mäßig auf 3,5 Prozent erhöhte. Außerhalb des Euroraums zogen die Raten noch etwas stärker an. In jedem Fall treiben in Europa vor allem die Energiepreise die Inflation als Hauptfaktor, während Angebotsengpässe hinzukommen. Da Energie als Inputkosten in sehr vielen Aktivitäten wirkt, erhöhen sich auch die Preise für Güter und Dienstleistungen in der Breite. Je nach wirtschaftspolitischer Reaktion eines Landes sind damit die Kostenanstiege bereits absorbiert oder