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Krieg und Null-Covid in China: Weltwirtschaft im Zwillingsschock
Krieg und Null-Covid in China: Weltwirtschaft im Zwillingsschock
Wachstum der Weltwirtschaft dürfte einen Prozentpunkt einbüßen
Die Perspektive für die weltwirtschaftliche Entwicklung hat sich seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine am 24. Februar des Jahres und den neuerlichen Lockdowns in vielen chinesischen Städten, insbesondere in Shenzhen und in Schanghai, im Frühjahr erheblich eingetrübt. Während wir im Januar noch mit einem möglichen Wachstum der weltweiten Wirtschaftsleistung in der Größenordnung von vier Prozent ausgehen konnten, halten wir nun nur noch ein Ergebnis von gut drei Prozent für realistisch. Es ist sehr gut möglich, dass wir uns in dieser Krise der Sicherheitsordnung Europas und der Welt und in der nicht ausgestandenen Pandemie erst am Anfang eines Abwärtsrevisionszyklus für den Wirtschaftsausblick befinden. Insofern ist ein nüchterner Blick auf die Lage derzeit gerade im Hinblick auf schwer zu modellierenden Risken überaus notwendig. Die Randbedingungen für die Prognose (Annahmen über Rohstoffpreise und -verfügbarkeit, über Kriegsverläufe und Eskalationsrisiken) sind derzeit in der Regel für die Einschätzung wesentlicher als die eigentliche Prognose. Auch dies ist ein sicherer Indikator für das Maß an Ungewissheit, mit dem weder Märkte noch Regierungen, weder private Haushalte noch Unternehmen, professionell steuernd umgehen können. Märkte fürchten nichts mehr als nicht versicherbare Großrisiken, denen finanzielle Instabilität gerne auf den Füßen folgt. Man muss die Warnungen vor neuen Minsky-Momenten, plötzlichen Zuspitzungen und Finanzkrisen, daher ernst nehmen, denn der Wind an den globalen Kapitalmärkten kann sich rasch noch heftiger drehen.
Rezessionsrisiken in der Triade mit globalen Nachwirkungen stark gestiegen
Der Mix aus einem doppelten Angebotsschock – hohe Rohstoffpreise und Störungen der globalen Produktion durch die Covid-Strategie Chinas – ist absolut toxisch. Die Auswirkungen auf Preisentwicklungen und wirtschaftliche Aktivität sind drastisch und rasch eingetreten. Die Störungen in den drei Weltregionen – Zinswende in den USA, Einbrüche in China und Kriegsfolgen in Europa – wirken aufeinander ein und verstärken derzeit vor allem die Preisentwicklungen, während das Wachstum zeitgleich zurückgeht und nicht etwa, wie in einem klassischen Boom, gleichgerichtet wirkt. Daher wird die Wirtschaftspolitik auch nur eine komplexe Navigation auf Sicht und nicht eine klare, Vertrauen schaffende Expansion (oder Stabilisierung) anstreben können. All dies ist geeignet, die Märkte zu verunsichern. Eine weitere Verschärfung der gesundheits- oder sicherheitspolitischen Lage mit noch deutlicheren Wirkungen auf die Rohstoffpreise oder -verfügbarkeit kann die Lage leicht über den Rubikon bringen und zumindest eine Region der Triade in die Rezession stürzen, mit hoher Wahrscheinlichkeit dann mit größeren internationalen Rückkopplungseffekten (Rogoff 2022). Besonders gefährdet ist das an sich sehr robuste Europa, weil hier die Wirkungen der Angebotsschocks am stärksten wirken werden (Eichengreen 2022).
Abwärtsrevisionen setzen ein: Wachstumshoffnungen werden kräftig gestutzt
Doch selbst dann, wenn eine weitere Verschärfung ausbleiben sollte, bleibt die Agenda für die Regierungen und Notenbanken hochgradig komplex und schwierig. Durch den Krieg mussten insbesondere die Wachstumsaussichten in der EU deutlich zurückgenommen werden, aber auch die Volksrepublik China wird kräftig unter den Erwartungen vom Jahresanfang zurückbleiben. Zudem ist die US-amerikanische Volkswirtschaft schwach ins Jahr gestartet. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer werden zudem durch mittelbare Kriegswirkungen und weltweite Lieferstörungen in Mitleidenschaft gezogen werden.
Russlands Wirtschaftsaktivität dürfte dieses Jahr um gut zehn Prozent einbrechen, die Ukraine muss sogar mit einem noch viel größeren Einbruch leben (ein Drittel oder mehr). Einige Entwicklungs- und Schwellenländer werden zudem finanzielle Krisen erleiden. Insgesamt bleibt die weltwirtschaftliche Entwicklung zwar auch durch eine Erholung von den Corona-bedingten Beschränkungen von bestimmten Dienstleistungen und einer starken Nachfrage nach Waren geprägt, die angebotsseitigen Beschränkungen und wesentlich teureren Energie- und Agrarrohstoffe in Verbindung mit drastisch gestiegenen Inflationsraten in sehr vielen Ländern trüben das Bild jedoch erheblich.
Verzweigte, aber kräftige Auswirkungen des Kriegs auf die Wirtschaft
Die Weltwirtschaft wird von einem Zwillings-Angebotsschock durchgeschüttelt. Während das Kriegsgeschehen in der Ukraine in Verbindung mit den Sanktionen gegen Russland für einen zusätzlichen dramatischen Anstieg der Preise für fossile Energierohstoffe, industrielle Metalle, Agrarerzeugnisse und bestimmte andere Güter (Düngemittel, verarbeitete Erzeugnisse) gesorgt und die Verfügbarkeit mancher Zwischengüter zumindest zeitweise eingeschränkt hat, führt die „dynamische Null-CovidStrategie“ der chinesischen Führung zu erheblichen Störungen der Wirtschaftsaktivität in China und in der Folge auch im Außenhandel, im internationalen Transportwesen und in der weltweiten Produktion.
Die Wirkungen des Ukraine-Kriegs auf die weltweite wirtschaftliche Aktivität sind sowohl gravierend als auch sehr vielschichtig. So sind verschiedene kurzfristige Wirkungskanäle zu unterscheiden:
- die Schwächung der realen Kaufkraft der Verbraucher für Güter und Dienstleistungen durch erhöhte Preise für Energie und landwirtschaftliche Erzeugnisse,
- der Anstieg der Produktionskosten der Unternehmen durch die hohen Energie- und Vorproduktpreise,
- die Schwächung der weltweiten Nachfrage nach Investitions- und anderen Gütern,
- die mittelfristige Schwächung des Verbraucher- und Investorenvertrauens durch die
Kriegsunsicherheit und entsprechende Zurückhaltung bei Käufen bzw. Investitionen, mit mittelfristig dämpfenden Effekten auf die Nachfrage,
- eine Eintrübung der Finanzierungskonditionen der Wirtschaft durch steigende Zinsen, fallende Aktienkurse, schärfere Konditionen für Bankkredite und selektive Versicherungsschwierigkeiten,
- Produktions- und Transportstörungen durch gestörte Produktionen in den Kriegsgebieten, mit Folgewirkungen für Lieferketten bzw. Transportwege, sowie durch kriegsbedingte Verlegung von ansonsten normalen Verkehrsrouten für den Luftverkehr Nordamerika-Asien und
Europa-Asien infolge der Sperrung des russischen Luftraums,
- Einbußen im Außenhandel von Handelspartnern mit der Russischen Föderation und der Ukraine, v.a. eine stärkere Reduktion der Exporte als der Importe,
- Versorgungsengpässe bei Nahrungsmitteln, agrarischen Rohstoffen und Düngemitteln in
Ländern, für die Russland, die Ukraine bzw. Belarus bislang erhebliche Bezugsquellen waren, v.a. in Nordafrika, dem Nahen Osten, Zentralasien und Sub-Sahara Afrika,
- fiskalische Belastungen von Zielländern von Flüchtlingen, insbesondere in Mittel- und
Osteuropa, durch humanitäre Hilfen für die Ukraine bzw. für ukrainische Flüchtlinge, die außerhalb der Ukraine Schutz suchen.
Mittelfristig ist zudem davon auszugehen, dass die wirtschaftspolitischen Reaktionen in Europa, insbesondere die Strategie zur Diversifizierung aus russischen Energielieferungen, ein permanent anders Preisniveau von importierten Energieträgern mit sich bringen wird.
Weltwirtschaftliche Folgen der Corona-Politik der Volksrepublik China
Die Wirkungen der Null-Covid-Strategie in China dämpfen zusätzlich die weltweite Aktivität, vor allem über die Wirkungskanäle:
- Störungen der Produktion von Industrieerzeugnissen und Dienstleistungen in China,
- Nachfrageeinbruch auf dem chinesischen Markt für Konsumgüter und Dienstleistungen,
- Beschränkungen des innerchinesischen Güterverkehrs mit Folgen für die weltweite Verschiffung von Export- und Importwaren und für die Logistik in den zentralen Häfen in Amerika, Europa und Asien,
- Produktionsstörungen für Endprodukte in Europa und den Vereinigten Staaten durch verzögerte bzw. schwer planbare Lieferungen von Zwischenprodukten,
- temporär hohe Kosten für den seegebundenen interkontinentalen Verkehr durch gestörte Logistik und erhöhte Frachtraten.
Rohstoffkosten schießen in die Höhe
Die prägnanteste Auswirkung des Krieges zeigt sich auf den Märkten für Rohstoffe. Der Anstieg wichtiger Preise begann jedoch deutlich vorher, mit der Erholung vom Lockdown im Frühjahr 2021. 2020 hatten die Rohstoffpreise natürlich in der weltweiten Corona-Krise deutlich nachgegeben. 2021 zogen daher zunächst die Ölpreise kräftig an, da sich die Nachfrage erholte, während die OPEC+ das Angebot knapp hielt. So stieg die Notierung für Öl der Sorte Brent seit Jahresanfang 2021 um fast 150 Prozent an (Europäische Kommission 2022: 18). Die USA gaben immerhin Teile ihrer strategischen Ölreserve in den Markt, und Washington und London sanktionierten auch russische Öleinfuhren, während die EU noch in der Diskussion dazu war. Die Märkte sanktionierten russisches Öl über ausbleibende Finanzierung und Versicherung bzw. Transportverweigerung, das mit erheblichem Abschlag und schwieriger Logistik neue Kunden suchen musste.
Der Gasmarkt war dagegen schon vor dem Krieg insbesondere in Europa angespannt gewesen, da die Produktion erneuerbarer Elektrizität etwas unter den Erwartungen geblieben war und die Gasspeicher niedrige Füllstände in Europa aufwiesen. Die Gaspreise legten um über 420 Prozent zu. Gas verteuerte sich jedoch auch in den USA um 260 Prozent.