Beschränkung von PFAS

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POSITION | TECHNIKRECHT UND STOFFPOLITIK | REACH

EU-Chemikalienrecht: Beschränkung von PFAS Bewertung des vorgesehenen Beschränkungsverfahrens

08. September 2021 1. Allgemeines Hintergrund/Vorschlag zur Beschränkung von PFAS Die EU-Kommission hat am 14.Oktober 2020 ihre Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien verabschiedet. In dieser legt die Kommission ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Regulierung der Substanzklasse der Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) vor. Erklärtes Ziel ist es, die Verwendung von PFAS sowie das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, die PFAS enthalten, in der EU weitestgehend zu beschränken. Ausnahmen soll es lediglich für essenzielle Verwendungen geben, die im Rahmen des Beschränkungsprozesses noch zu definieren sind. Die für REACH zuständigen Behörden der Niederlande, Deutschlands, Dänemarks, Schwedens und Norwegens haben im vergangenen Jahr bereits mit Vorarbeiten zur Erstellung eines entsprechenden Beschränkungsdossiers begonnen und am 15. Juli 2021 ihre Intention veröffentlicht, einen PFAS-Beschränkungsvorschlag vorzulegen. Der genaue Umfang des PFAS-Beschränkungsvorschlags steht noch nicht fest, beinhaltet nach aktuellem Stand jedoch alle Substanzen mit mindestens einer aliphatischen CF2- oder CF3-Gruppe in der Molekülstruktur. Laut der aktuellen OECD-Liste für PFAS umfasst diese Definition mindestens 4.700 chemische Verbindungen. Da diese Liste allerdings nicht alle relevanten Stoffe beinhaltet, kann in der Realität mit einer weitaus höheren Anzahl an Verbindungen gerechnet werden. Begründet wird die geplante umfassende Beschränkung von PFAS in erster Linie mit der hohen Persistenz vieler Vertreter der Stoffgruppe. Als weitere Gründe werden die hohe Mobilität sowie das Bioakkumulationspotenzial einiger PFAS-Substanzen angeführt. Der BDI unterstützt uneingeschränkt das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien, den Schutz der Menschen und der Umwelt vor Risiken durch Chemikalien zu verbessern und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie zu erhöhen. Im Rahmen einer nachhaltigen Chemikalienregulierung sollten die Stoffe, von denen aufgrund ihrer Eigenschaften und ihres Verwendungsprofils nicht beherrschbare Risken ausgehen auf Basis wissenschaftlicher Bewertungen beschränkt bzw. reguliert werden. Die breite Regulierung ganzer Stoffgruppen – im Fall der PFAS immerhin mehrere Tausend Substanzen – unabhängig von deren tatsächlichem Risiko lehnt der BDI jedoch ab. Mit dem vorliegenden Positionspapier nimmt der BDI zu verschiedenen Aspekten der geplanten PFAS-Regulierung Stellung.

Dr. Mirjam Merz | Umwelt, Technik und Nachhaltigkeit | T: +49 30 2028-1466 | m.merz@bdi.eu | www.bdi.eu


EU-Chemikalienrecht: Beschränkung von PFAS 09/2021

Ziele des Positionspapiers Ziel des Positionspapiers ist es, die erheblichen Auswirkungen auf die gesamte Industrie durch eine umfassende PFAS-Beschränkung darzustellen. Zur Sicherstellung eines einheitlichen Verständnisses wird zunächst in Teil 1 eine praxisorientierte Klassifizierung der PFAS vorgenommen. Anhand verschiedener Übersichten erläutern wir dann in Teil 2, welche PFAS in welchen Industriebereichen und -branchen zur Anwendung kommen, und stellen die Bedeutung die Stoffgruppe für Innnovationen und technische Weiterentwicklungen in der Industrie dar. Abschließend greifen wir beispielhaft einige Anwendungsbereiche heraus und erläutern, welche Rolle PFAS bei der Umsetzung wie auch Erreichung von Effizienz- und Umweltzielen sowie für Zukunftstechnologien spielen. Es wird explizit keine Einteilung in essenzielle und weniger essenzielle Anwendungen, in denen PFAS eingesetzt werden, vorgenommen. Dies ist darin begründet, dass eine solche Einteilung eine nicht kalkulierbare Herausforderung darstellt, und weitreichende negative Konsequenzen sowohl für die Gesellschaft als auch für den Wirtschaftsstandort Europa die Folge wären. Dies soll anhand der zuvor genannten Punkte aufgezeigt werden. Des Weiteren wird im vorliegenden Positionspapier (Teil 1) auf die grundsätzlichen Aspekte des vorgesehenen regulatorischen Ansatzes eingegangen. Besonders kritisch ist aus Sicht der Industrie zu bewerten, dass die EU-Regulierungsbehörden zwecks Vereinfachung und Beschleunigung der regulatorischen Prozesse alle PFAS in einer Gruppe zusammenfassen und beschränken möchten. Dabei wird außer Acht gelassen, dass unter die PFAS-Definition Substanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften fallen und weder alle PFAS gleich persistent noch gleich mobil oder bioakkumulativ sind. Das geplante Konzept, alle PFAS in eine zu regulierende Stoffgruppe zusammenzulegen, wird in der Umsetzungsphase zu großer regulatorischer Komplexität führen. Weiterhin werden nahezu risikolose Chemikalien den besonders besorgniserregenden Stoffen ("SVHC") mit regulierungsbedürftigen Eigenschaften gleichgestellt. Stattdessen sollten die politischen Entscheidungsträger in der EU sicherstellen, dass ein differenzierter Ansatz zwischen den verschiedenen PFAS gewählt wird. Hierbei sollte berücksichtigt werden, ob eine PFAS-Substanz ein inakzeptables Risiko für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit darstellt. Anderenfalls bestünde z. B. die Gefahr, dass Chemikalien vom Markt verdrängt werden, denen eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung unserer Industrien auf dem Weg zu einer dekarbonisierten Wirtschaft zukommt. Der BDI ist besorgt, dass die Beschränkung von PFAS, so wie sie derzeit geplant ist, unverhältnismäßig und nicht umsetzbar sein wird. Zudem ist zu befürchten, dass diese die Erreichung sowohl von wirtschaftlichen Zielen als auch von Zielen des EU-Green Deal behindern wird. Zusammengefasst stellen sich insbesondere folgende Hauptbedenken: ▪

Eine allgemeine Regulierung tausender PFAS-Substanzen als eine Gruppe hat keine ausreichende wissenschaftliche Grundlage und wäre alleine schon deshalb unverhältnismäßig.

Die Zusammenfassung tausender PFAS-Substanzen birgt das Risiko, dass die Regulierung zu komplex für Vollzugsbehörden und damit nicht realisierbar wäre.

Der in Planung befindliche regulatorische PFAS-Ansatz steht im Gegensatz zu allgemein akzeptierten REACH-Prinzipien, wie dem, dass es Beschränkungen nur im Fall von nicht beherrschbaren Risiken geben darf.

Die Auswirkungen einer breiten PFAS-Regulierung auf die Industrie, aber auch die Produktvielfalt wären erheblich. Ein Produktions- und -verwendungsverbot in der Breite aber auch von spezifischen

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PFAS würde die Innovationsfähigkeit der deutschen Industrie erheblich einschränken. Wirtschaftliche Ziele Deutschlands wie auch der EU und Ziele des EU-Green Deal wären behindert oder gefährdet. ▪

Ein Mangel an praktikablen Alternativen zu PFAS-Substanzen bedeutet hohe sozioökonomische Kosten beim Versuch, diese zu ersetzen.

Aufgrund der oftmals hoch komplexen internationalen Lieferketten und der damit verbundenen Schwierigkeit, die genaue Auswirkung eines Verbotes vieler tausender Stoffe zu analysieren und sich darauf vorzubereiten, besteht die große Gefahr von unvorhergesehenen Unterbrechungen der Lieferketten mit allen damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen. Eine genaue Betroffenheitsanalyse pro Stoff bedarf daher ausreichender Zeit, welche aktuell leider nicht gewährt wird.

Arten, Eigenschaften und Verwendung von PFAS Aufgrund ihres einzigartigen Eigenschaftsprofils werden PFAS heute in einer Vielzahl vor allem industrieller Produkte verwendet, oftmals wegen ihrer hohen thermischen und chemischen Beständigkeit, der Tatsache, dass sie eine sehr niedrige Oberflächenspannung besitzen und damit gleichzeitig wasserund ölabweisend sind, sowie aufgrund ihrer Abrieb- und Verschleißbeständigkeit. Abhängig von der Molekülgröße und der chemischen Struktur unterscheiden sich die chemischen, physikalischen und ökotoxikologischen Eigenschaften und damit das Gefährdungspotenzial der Vertreter dieser sehr umfänglichen Stoffgruppe allerdings erheblich: so können PFAS gasförmig, flüssig oder fest sein; einige sind wasserlöslich; einige sind mobil, andere bioakkumulieren, einige sind toxisch, andere sind physiologisch unbedenklich und viele persistent in der Umwelt. In der Vergangenheit sind einige PFAS immer wieder in die Umwelt gelangt, haben sich in Boden und Wasser angereichert und sind inzwischen auch im menschlichen Körper nachweisbar. In den vergangenen Jahren hat die Industrie bereits erhebliche Anstrengungen unternommen und in der Produktion umfassende Umweltschutzmaßnahmen etabliert. Toxische und besonders schädliche Substanzen aus der Stoffgruppe der PFAS (z. B. PFOA und PFOS) wurden substituiert und Herstellungsverfahren umgestellt. Wie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) auf seiner Internetseite (www.bmu.bund.de) mitteilt und wie Analysen der Umweltprobenbank des Bundes für einige Verbindungen zeigen, hat auch die Exposition der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten gegenüber PFOS (Perfluoroctansulfonsäure, C8) und PFOA (Perfluoroctansäure, C8) deutlich abgenommen. Die Messwerte waren 1986 am höchsten. Heute liegen sie für PFOS bei ca. 10 % und für PFOA bei ca. 30 % im Vergleich zu den damaligen Werten. Diese Tendenz ist vor allem auf den Erfolg der beträchtlichen Investitionen der Unternehmen in der EU zurückzuführen. Die primären Emissionsquellen in die Umwelt (z. B. durch Aerosole in der Teflonproduktion, Feuerlöschschäume bzw. Brandübungsplätze etc.) sind in den Mitgliedsstaaten bereits erfasst und kontrolliert und werden durch kontinuierliche technologische Entwicklung und dynamische Betreiberpflichten zur Einhaltung des Standes der Technik in der EU weitgehend eliminiert (bzw. befinden sich in Eliminierungsprozessen). Es besteht jedoch kein Zweifel, dass PFAS für viele High-Tech-Anwendungen (wie z. B. spezielle Schutzkleidung oder wesentliche Innovationen wie Brennstoffzellen mit geeigneter Membrantechnologie) benötigt werden. Darüber hinaus ist nicht absehbar, welche zukünftigen Anwendungen auf die einzigartigen Eigenschaften von Polymeren auf fluorchemischer Basis angewiesen sein werden. Wenn PFAS in der EU für viele wichtige Anwendungen verboten werden, ändert dies nichts am umfänglichen

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Bedarf an Produkten mit den vorteilhaften Eigenschaften von PFAS-Anwendungen. Zukünftige Innovationen und Weiterentwicklungen der PFAS-Technologie werden wichtig, jedoch dann in der EU nicht mehr möglich sein. Zum besseren Verständnis der stofflichen Vielfalt und zur Differenzierung werden PFAS in folgende Untergruppen eingeteilt (s. Abbildung 1):

Abbildung 1: Systematische Darstellung der verschiedenen PFAS-Kategorien (mit exemplarischen Stoffbeispielen)

Quelle: BDI

Fluorpolymere mit der Untergruppe der Fluorelastomere umfassen vollständig (per-) und teilweise (poly-)fluorierte Kunststoffe. Dies sind in aller Regel Hochleistungskunststoffe, deren chemisches Rückgrat aus Kohlenstoffatomen besteht und die einen hohen Anteil an Fluoratomen in ihrer chemischen Struktur aufweisen. Ihre hohe Beständigkeit gegenüber extremen Temperaturen, aggressiven Chemikalien und Verschleiß, sowie die physiologische Unbedenklichkeit vollfluorierter Typen definieren ihre Einsatzgebiete wie z. B. Anti-Haft-Beschichtungen von Erzeugnissen (z. B. Gleitlager in der Prozessindustrie) oder Medizinprodukten (z. B. Katheterschläuche oder öl- und kraftstoffbeständige Dichtungen). Die Basis vieler Hochleistungsschmierstoffe sind flüssige Perfluorpolyether, bei denen es sich ebenfalls um eine Verbindungsklasse innerhalb der Fluorpolymere handelt. Sie kommen vor allem bei extremen Bedingungen (sehr hohen Temperaturen, chemisch aggressive Umgebung) und zur Schmierung von Maschinen im Lebensmittelbereich, da ungiftig, zum Einsatz. Auch die Seitenketten-fluorierten Polymere (Side Chain Fluorinated Polymers SCFP), die kammartig aufgebaut sind und bei denen die Fluoratome in den Seitenarmen der Polymere sitzen, gehören zu den Fluorpolymeren. Häufiges Einsatzgebiet dieser Polymerklasse ist die öl-, schmutz-, wasser- und chemi-

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kalienabweisende Ausrüstung von Oberflächen. Seitenketten-Fluorpolymere werden auch als Beschichtungsmaterialien für eine Vielzahl von Bauteilen in elektrischen und elektronischen Geräten verwendet. Daneben gibt es die große und äußerst diverse Gruppe der gasförmigen und flüssigen niedermolekularen organischen Fluorverbindungen. Auch hier unterscheidet man per- und polyfluorierte Typen. Gasförmige Vertreter finden unter anderem Verwendung als Kühlmittel (F-Gase) und als Isoliergase in elektrischen Schaltschränken. Viele flüssige niedermolekulare PFAS sind oberflächenaktiv und dienen deshalb als Tenside und Netzmittel (z. B. in Feuerlöschschäumen und als Bestandteil von Trennmitteln) aber auch als Hilfschemikalien in verschiedensten Prozessen (z. B. in der Halbleiterindustrie oder der Fluorpolymersynthese). Auch die Grundbausteine der Fluorpolymere, die fluorierten Monomere, gehören in diese Stoffgruppe. In Teil 2 des Positionspapiers wird erläutert in welchen Branchen, welche PFAS derzeit zum Einsatz kommen, warum sie dringend benötigt werden und wie diese sicher verwendet werden können. Bewertung des vorgesehenen Beschränkungsansatzes Anwendung des Gruppenansatzes zur Beschränkung von PFAS Aus Sicht der deutschen Industrie ist eine pauschale Beschränkung der gesamten PFAS-Stoffgruppe ohne eine differenzierte, stoff- und anwendungsspezifische Risikobewertung und alleine aufgrund der Persistenz vieler PFAS nicht angemessen. Um am Ende eine nachhaltige Gesamtbilanz aus Ressourcenschonung und Umweltbelastung zu erreichen, ist eine Beschränkung nur in den Fällen gerechtfertigt, in denen die Risiken für Mensch und Umwelt nicht beherrschbar sind. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass unter die PFAS-Definition Substanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften fallen und weder alle PFAS gleich persistent noch gleich mobil oder bioakkumulativ sind. Hierdurch werden nahezu risikolose Chemikalien den besonders besorgniserregenden Stoffen ("SVHC") mit regulierungsbedürftigen Eigenschaften gleichgestellt. Im Rahmen eines differenzierten Vorgehens muss dringend sichergestellt werden, dass nur Substanzen verboten werden, von deren Verwendung ein inakzeptables Risiko für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit ausgeht. Anderenfalls bestünde z. B. die Gefahr, dass Chemikalien vom Markt verdrängt werden, denen eine entscheidende Rolle bei innovativen Technologien zukommt. Zudem bestehen für bestimmte Substanzen aus der weitläufigen Familie der Fluorcarbon-Verbindungen bereits gesetzliche Regelungen in der POP-Verordnung und unter REACH (z. B. PFOS, PFOA). Im Rahmen der Regulierung dieser Verbindungen wurden deren Eigenschaften, Einschränkungen und Ausnahmen bereits umfänglich diskutiert. Diese Diskussion sollte nicht wiederholt werden. Darüber hinaus käme es z. B. im Bereich der Kältemittel (F-Gase) zu einer Doppelregulierung, da die Verwendung von diesen bereits über die F-Gas-Verordnung (EU) Nr. 517/2014 geregelt wird.

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Anwendung des „Konzepts der essenziellen Verwendung“ („essential uses“) auf PFAS Eine Schlüsselrolle im Rahmen des gesamten Beschränkungsprozesses für PFAS wird das Konzept der „essenziellen Verwendung“ („essential uses“) einnehmen. Dieses Konzept ist zugleich auch ein wesentliches Element der Chemikalienstrategie der EU-Kommission. Die PFAS-Beschränkung soll im Rahmen der Chemikalienstrategie das „Muster“ dafür sein. Nach dem Konzept der „essenziellen Verwendung“ sollen von einem gruppenweisen Verbot der „schädlichsten Chemikalien“ nur solche Verwendungen ausgenommen werden, die unverzichtbare – also „essenzielle Verwendungen“ – darstellen. Die konkreten Kriterien für die „essenziellen Verwendungen“ sollen auf EU-Ebene ausgehend von der Definition des Montreal-Protokolls für das Verbot Ozonschicht schädlicher Stoffe 1 definiert werden. Nach dem Montreal-Protokoll ist eine Verwendung nur dann „essenziell“, wenn sie für die Gesundheit oder Sicherheit erforderlich oder für das Funktionieren der Gesellschaft kritisch ist und es keine ökologisch und gesundheitlich tragbaren Alternativen gibt. Neben dem Konzept der „essenziellen Verwendung“ kündigt die EU-Kommission in der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit an, Beschränkungsverfahren zum Verbot von gefährlichen Stoffen in Verbraucherprodukten beschleunigen und den „generischen Ansatz zur Risikobewertung“ als Standardoption anwenden zu wollen. Aus Sicht des BDI sind sowohl das Konzept der "essenziellen Verwendung" als auch der "generische Ansatz zur Risikobewertung" kritisch zu bewerten. Durch die Ausweitung des Anwendungsbereichs von Beschränkungen, die auf dem Vorsorgeprinzip basieren, würde die Kommission das bewährte Prinzip der stoffspezifischen risikobasierten Bewertungen aufgeben. Eine erweiterte Anwendung des Vorsorgeprinzips ist aus Industriesicht nicht gerechtfertigt und steht im Widerspruch zur Regelungssystematik der REACH-Verordnung, die auf die Regulierung stoffspezifischer unkontrollierbarer Risiken ausgelegt ist. Wir plädieren daher für die Beibehaltung des risikobasierten Ansatzes zur Bewertung zur Regulierung von Chemikalien in der EU. Auch zukünftig muss es möglich sein, gefährliche Stoffe zu verwenden, wenn diese sicher verwendet werden können und von ihnen kein unkontrollierbares Risiko ausgeht. Nur so ist es möglich, die stoffliche Vielfalt und damit Innovationskraft sowie Zukunftsfähigkeit der europäischen Industrie zu erhalten. Weiterhin ist eine Diskussion über "essenzielle Verwendungen" zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht. Vielmehr sollte der gesamtgesellschaftliche Nutzen eines risikobasierten Ansatzes diskutiert und hervorgehoben werden. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob das Konzept der „essenziellen Verwendung“, das für eine sehr begrenzte Gruppe von Substanzen mit erwiesenen fatalen globalen Auswirkungen auf die Ozonschicht entwickelt wurde, auf eine so große Gruppe von Stoffen, von denen nur für einige Stoffe genauere Erkenntnisse über Gefahren und Risiken vorliegen und einige gar keine schädlichen Eigenschaften besitzen, übertragen werden kann. Wir sehen hier zudem die Gefahr, dass Beschränkungen von ganzen Stoffgruppen auf „essenzielle Verwendungen“, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzen. Gemäß diesem dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die für die Erreichung des Ziels (hier: Gesundheits- und Umweltschutz) geeignet und erforderlich sind und nicht zu unangemessenen Auswirkungen führen. Dies schließt jedenfalls aus, Verwendungen zu verbieten, die nicht zu relevanten Expositionen führen, auch wenn sie nicht als „essenziell“ angesehen werden. Dazu zählen z. B. Verwendungen von PFAS als Prozesschemikalien, Zwischenprodukte unter streng kontrollierten Bedingungen sowie Stoffe in geschlossenen Syste-

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https://ozone.unep.org/treaties/montreal-protocol/meetings/fourth-meeting-parties/decisions/decision-iv25-essential-uses

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men, die fachgerecht entsorgt werden können. Darüber hinaus erscheint es nicht erforderlich, die gesamte Gruppe der PFAS, bis auf essenzielle Verwendungen, generell zu verbieten. Um den Eintrag in die Umwelt zu verhindern, können individuelle Umweltschutzmaßnahmen und Entsorgungsstrategien zum Einsatz kommen. Durch die Beschränkung der erlaubten Verwendung allein auf Verwendungen, die für das Funktionieren der Gesellschaft erforderlich sind (ein kaum greifbarer Begriff), würden Verwendungen, die für die Gesellschaft von großem Vorteil sind (z. B. durch Erhöhung von der Langlebigkeit und Energieeffizienz von Produkten und Artikeln) ausgeschlossen werden. Grundsätzlich führt die politische Eingrenzung auf essenzielle Anwendung auch zu einer Hemmung zukünftiger Entwicklungen, da sie eben keine objektive wissenschaftliche Methode ist und keine Planungssicherheit ermöglicht. Was heute als nicht essenziell gilt, hat auch zu einem späteren Zeitpunkt keine Chance als essenzielle Anwendungen überhaupt entwickelt zu werden, da dies in Folge durch unternehmensinterne Compliance-Vorgaben Forschung und Entwicklung in diesem Bereich unterbinden würde. Wenn die EU mit ihrer Industrie zusammen weiter Innovationstreiber sein will, kann ein derartiges statisches Konzept nicht zielführend sein. Bedeutung von PFAS für innovative Technologien und Erzeugnisse Um Fehlregulierungen und erforderliche Nachbesserungen zu vermeiden, sind Beschränkungen von PFAS mit Bedacht und schrittweise zu prüfen und umzusetzen. Komplexe chemische Verbindungen für spezifische Anwendungen können nicht einfach und allumfassend reguliert werden, ohne dass erhebliche Hemmnisse und Schäden für den Technologie- und Wirtschaftsstandort Europa resultieren. Die Reglementierung muss zwingend auch das Risiko und die Notwendigkeit der Verwendung bewerten und kann sich nicht allein auf intrinsische Stoffeigenschaften, die teilweise noch nicht einmal auf alle PFAS zutreffen, beschränken. Der industrielle Einsatz von PFAS hat wesentlich zur Weiterentwicklung von Technologien und dadurch z. B. auch zur Verbesserung des Klimaschutzes geführt, da Komponenten ressourcenschonender und mit geringerer Masse konstruiert, deren Lebensdauer erhöht und dabei die Wartungsintervalle reduziert werden konnten. PFAS sind daher ein wesentlicher Baustein für die heutige Innovationskraft der Industrie, auf die es auch zukünftig ankommen wird. Diese Entwicklung würde durch ein breites Verbot von PFAS-basierten Anwendungen und Erzeugnissen weit zurückgeworfen. Außereuropäische Hersteller und deren technologische Entwicklungen sowie Umsätze und Marktanteile würden einen uneinholbaren Anschub und Vorsprung erhalten, da ganze Fertigungsketten in Europa nicht mehr möglich wären. Ohne den Einsatz von PFAS sind nach heutiger Erkenntnis neue zukunftsweisende und nachhaltige Technologien für private und industrielle Anwendungen nicht möglich (s. Teil 2). Auch das Inverkehrbringen von bestimmten PFAS-haltigen Erzeugnissen mit hoher Sicherheitsrelevanz und Schlüsselfunktionen in industriellen Anwendungen wäre in der EU nicht mehr möglich. Insofern soll noch einmal betont werden, dass die deutsche Industrie Regulierungen, die den Eintrag von PFAS in die Umwelt vermeiden, unterstützt. Ein generelles Verbot aller Anwendungen mit PFAS erscheint zur Zielerreichung jedoch ungeeignet, da in der Folge auch Zukunftstechnologien mit hohem Innovationspotential am europäischen Technologie- und Wirtschaftsstandort gefährdet wären bzw. unmöglich gemacht werden.

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2. Beispiele aus der Praxis Betroffene Branchen und Anwendungsbereiche Per- und polyfluorierte Stoffe kommen in vielen Branchen vor allem dann zum Einsatz, wenn erhöhte Umgebungstemperaturen, Verringerung des Reibungswiderstands oder chemische Reaktionsträgheit dies erfordern. PFAS sind daher in vielen Anwendungsbereichen aufgrund der Anforderungen häufig nicht durch Alternativen zu ersetzen. Sie werden zur effizienten und ressourcenschonenden Herstellung von Erzeugnissen, wie auch zur Erhöhung der Lebensdauer und Zuverlässigkeit eingesetzt. PFAS tragen somit entscheidend zur Langlebigkeit und Sicherheit von Produkten bei. PFAS ermöglichen viele innovative Technologien, die zu einem nachhaltigen europäischen Wirtschaftssystem beitragen. In vielen Bereichen sind PFAS zur Erfüllung von behördlichen Vorschriften gerade in sicherheitsrelevanten Bereichen in den Anlagen notwendig. Nur PFAS wie z. B. Teflon und PVDF sind ausreichend rein und reaktionsträge, um hochtechnologische Erzeugnisse herstellen zu können. Häufig sind es die für die Funktionsfähigkeit von Produkten unscheinbare Schlüsselkomponenten, wie z. B. Dichtungen oder Membranen, in denen PFAS eingesetzt werden. Diese „Schlüsselkomponenten“ werden nicht nur in Produkten selbst, sondern auch zur Herstellung, beim Transport oder der Lagerung von anderen Produkten benötigt und das über alle Branchen hinweg. In nahezu allen Industriebereichen kommen an beweglichen Teilen zur Minimierung von Reibung und damit auch zur Minimierung von Energieverlusten Schmierstoffe zum Einsatz. Diese müssen extremen Bedingungen standhalten und über die gesamte Lebensdauer (z. B. von Industrieanlagen) funktionsfähig bleiben, was durch PFASEinsatz ermöglicht wird. PFAS werden zudem sehr häufig in wichtigen Zukunftstechnologien wie z. B. in Lithium-Ionen- Batterien, Brennstoffzellen, Wasserstofftechnologien oder innovativen Medizinprodukten eingesetzt, die eine zentrale Rolle bei der Erreichung von Nachhaltigkeits- und Umweltschutzzielen, sowie in der Gesundheitsfürsorge spielen werden. Da für diese Anwendungen keine geeigneten Alternativen existieren, sind PFAS zur Erreichung der Ziele des EU Green Deal und zur weiteren Steigerung der Nachhaltigkeit und Effizienz von Produkten und Technologien unverzichtbar. Im Bereich des Lebensmittelkontaktes und der Medizin bieten PFAS dadurch die Voraussetzung für die notwendige Hygiene, dass Sie den Einsatz von entsprechenden Reinigern zulassen und Rückstände auf dem Material minimieren. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die betroffenen Branchen und exemplarische Anwendungen von PFAS.

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Tabelle 1: Einsatz von PFAS in verschiedenen Industriebranchen Branche

Anwendungen (exemplarisch)

Automobilindustrie

PFAS-haltige Komponenten und Systeme sind integraler Bestandteil heutiger und zukünftiger Fahrzeugtechnologien; weder batterieelektrische Brennstoffzellen-Antriebe noch automatisierte Fahrfunktionen funktionieren ohne PFAS.

Elektroindustrie

Aufgrund der Produktvielfalt kommen in der Elektroindustrie PFAS in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen zum Einsatz, z. B.: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪

▪ ▪

Kabelummantelungen von Sensorsystemen in verfahrenstechnischen Anlagen Gleit- und Dichtsysteme in Fertigungsanlagen und (Elektro)Motoren Beschichtungsmaterialien für eine Vielzahl von Bauteilen in elektrischen und elektronischen Geräten Isoliergase als Substitut für SF6 (das eines der klimaschädlichsten Treibhausgase ist) Funkenstrecken zur Realisierung kleinster Abmessungen (aufgrund der sehr guten Isolierwirkung in Verbindung mit hoher thermischer Beständigkeit) Befettungsmittel zur Erhöhung der Zuverlässigkeit elektrischer Verbindungen (z. B. in modernen Verkehrssystemen und Anlagentechniken) Elektrodenbestandteile von Lithium-Ionen- und Lithium-Primärbatterien, die als Energiequellen in zahlreichen elektrischen Geräten dienen weitere Anwendungen in der Energieerzeugung, der Halbleiterfertigung, in Küchengeräte, in der Medizintechnik und der Heizungsindustrie (s. u.).

Energieerzeugung

Der Einsatz von Kraftstoffen in Motoren oder Turbinen fordert eine hohe Beständigkeit der Materialien (von Schläuchen und Dichtungen) z. B. gegenüber sehr hohen und sehr niedrigen Temperaturen, gegenüber alkohol- und nicht alkoholhaltigen Kraftstoffen und Ölen.

Erneuerbare Energien

Im Zusammenhang mit dem Green Deal und der Reduktion des CO2Ausstoßes wird die Speicherung von nachhaltig (z. B. durch Photovoltaik und Windkraft) erzeugter elektrischer Energie eine immer größere Rolle spielen. Dies betrifft sowohl die stationäre Speicherung (z. B. in Häusern mit Photovoltaik-Anlagen) als auch in Fahrzeugen (Elektromobilität). In diesem Zusammenhang kommt sowohl Lithium-Ionen-Batterien als auch Brennstoffzellen eine stetig wachsende Bedeutung zu. Sowohl für Lithium-Ionen-Batterien als auch für Brennstoffzellen werden PFAS benötigt und sind nicht durch andere Substanzen zu ersetzen.

Halbleiterfertigung

PFAS-haltige Spezialformulierungen werden aufgrund ihrer hohen technischen Funktionalität und chemischen Eigenschaften in der Fotolithografie, dem zentralen Prozessschritt der Halbleiterherstellung, eingesetzt. Für Ätzprozesse zur Strukturierung von Wafern sowie für die Reinigung von Fertigungsanlagen werden in der Halbleiterindustrie per- und polyfluorierte Gase eingesetzt.

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Für mikromechanische Halbleiter-Komponenten (MEMS) werden Fluoroalkylsilane als Anti-Haft-Beschichtung der beweglichen Mikrostrukturen im Chip verwendet, um Funktionsausfälle durch Aneinanderhaften dieser Strukturen zu verhindern. In diversen Produktionsanlagen der Halbleiterbranche sind PFAS-haltige Materialien als Bauteile sowie als Vakuum- oder Flüssigkeits-Dichtungen notwendig für permanenten Einsatz in aggressiver Umgebung (reaktive Gase bzw. Chemikalien, Plasma, hohe Temperaturen). Lebensmittel- und Getränkeindustrie

Im Bereich des Lebensmittelkontaktes bieten PFAS die Voraussetzung für die notwendige Hygiene, weil sie den Einsatz von z. T. aggressiven Reinigern zulassen und Rückstände auf dem Material minimieren (bei gleichzeitiger Zulassung als Lebensmittelkontaktmaterial).

Luft- und Raumfahrt

In sicherheitsrelevanten Bauteilen spielen PFAS z. B. in Bezug auf die Langlebigkeit von Produkten eine große Rolle.

Maschinen- und Anlagenbau

In diversen Maschinen kommen PFAS-haltige Dichtungen zum Einsatz, die neben der Dichtfunktion auch Reibungswiderstände z. B. in rotierenden Gegenständen wie Spritzgussmaschinen, Pressen oder Baggern geringhalten und unter extremen Bedingungen in sicherheitsrelevanten Komponenten eingesetzt werden. PFAS-haltige Dichtungen, aber auch Beschichtungen spielen für viele weitere Produktbereichen wie z. B: Pumpen, die diverse Medien fördern, eine wichtige Rolle. Für den Maschinenbau sind zudem viele unter anderen Branchen wie der Elektroindustrie, der Energieerzeugung, der Schmierstoffindustrie, der Lebensmittelindustrie oder der Klimatechnik genannte Anwendungen von essenzieller Bedeutung.

Medizintechnik

Die Anforderung an notwendige Hygiene bei der Herstellung in der Medizinproduktion aber auch bei der Verwendung von Medizinprodukten selbst sind sehr hoch. Die in den Produkten eingesetzten Materialien dürfen bei Reinigungsprozessen nicht beschädigt werden. Neben dem Hygieneaspekt ist die physiologische Unbedenklichkeit vieler PFAS (Polymere, vor allem PTFE) ein wesentlicher Grund für den alternativlosen Einsatz im Bereich der Medizinprodukte.

Schmierstoffindustrie

PFAS-basierte Schmierstoffe sparen Energie und CO2-Emissionen und schonen Ressourcen durch extreme Langlebigkeit (Lebensdauerschmierung), die anders nicht erreicht werden kann. Ihr Einsatz ist zudem unverzichtbar für die Schmierung in extremer Umgebung (aggressive Chemikalien/extreme Temperaturen/Vakuum).

Textilindustrie

An technische Textilien und Sicherheitsbekleidung sowie medizinische Textilien werden verschiedene Anforderungen gestellt, die nur durch PFAS erreicht werden können (z. B. im Bereich der wasser-, öl-, schmutz- und chemikalienabweisenden und temperaturbeständigen Eigenschaften).

Heizungs-, Klima- und Kältetechnik

Die Kältekreise von unterschiedlichen Produkten der Heizungs-, Klimaund Kältetechnik basieren auf Hydrofluorolefin(HFO)-Kältemitteln. Diese Kältemittel sind nicht Ozonschicht-schädigend und haben ein niedriges Treibhauspotential. Sie sind ein Ergebnis der Umsetzung der europäischen F-Gas-VO (EU 517/2014) und essenziell für einen sicheren und effizienten Betrieb der Anlagen.

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Die nachfolgende Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Arten, Eigenschaften, vielfältigen Verwendungen ausgewählter PFAS sowie die Anforderungen an die eingesetzten Substanzen. Nachfolgend wird anhand von ausgewählten Anwendungsbeispielen beschrieben, welche Rolle der Einsatz von PFAS für besonders innovative Technologien und Anwendungen spielt. Hierbei gehen wir insbesondere auf Zukunftstechnologien und Anwendungen ein, die zur Erreichung von Effizienz- und Umweltzielen sowie für zukünftige Entwicklungen von Bedeutung sind. Tabelle 2: Überblick über die Arten, Eigenschaften und vielfältigen Verwendungen der PFAS Auswahl der Schlüsselkomponenten

Auswahl der Branchen/Anwendungen/Produkte

Eigenschaften/Anforderungen in Bezug auf die eingesetzten Materialien

Fluorpolymere (Per-/Polyfluorpolymere (voll- oder teilfluorierte Polymere und Fluorelastomere) Per-/Polyfluorpolymere besitzen ein Kohlenstoff-Rückgrat, voll- oder teilweise fluoriert und sind dabei: Inert, stoffabweisend, temperaturbeständig, chemikalienbeständig, abriebbeständig, druckbeständig und haben eine mechanische Beständigkeit Elastomere werden darüber hinaus durch die Eigenschaft der Verformbarkeit in Anwendungen eingesetzt, bei denen das Material neben den zuvor genannten Eigenschaften zusätzlich z. B. unterschiedlichen Drücken bei Druckaufnahme und -abnahme ausgesetzt wird. ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪

▪ ▪

Dichtungen Schläuche Kabelisolierungen Bauteile der chemischen Prozesstechnik Gleitbuchsen Feststoffbauteile zur Gewährleistung der technischen Schaltfunktion Dichtringe Filter

z. B. aus den Per-/Polyfluorpolymeren z. B. PTFE, CTFE, FEP, ETFE, MFA, PFA und Fluorelastomeren z. B. FKM, FFKM, FVMQ

Herstellung, Transport, Lagerung, Behandlung, Zubereitung von Flüssigkeiten, Gasen und Feststoffen Betroffene Produkte hierbei sind z. B.: ▪ Maschinen oder Prozessanlagen zur Herstellung ▪ Pumpen zum Transport ▪ Motoren als Antrieb ▪ Tanks zur Lagerung

Anforderungen an die Materialien: ▪ Beständigkeit gegenüber Säuren und Laugen; Beständigkeit gegenüber Lösemitteln und physikalischen Einwirkungen (Hitze, Kälte, Abrasion etc.) Lebensmittel/Trinkwasser: ▪ Erfüllen von hygienischen Anforderungen an Materialien im Bereich von Trinkwasser- und Lebensmittelkontakt ▪ Beständigkeit gegenüber aggressiven Reinigern (z. B. Wasserstoffperoxid bei aseptischen Anwendungen) und fetthaltigen Lebensmitteln ▪ Verhinderung von Aromaverschleppung (perflourierte Werkstoffe nehmen aufgrund ihrer inerten Eigenschaft kein Aroma des Füllgutes an) Kraftstoffe: ▪ Beständigkeit der Materialien in Verbrennungsmotoren gegenüber verschiedenen Kraftstoffen (auch alkoholhaltigen) ▪ Beständigkeit der Materialien in Turbinen gegenüber Kraftstoffen und niederviskosen Ölen in Kombination mit sehr tiefen Temperaturen (- 60 °C) Schmieröle und Hydraulikflüssigkeiten: ▪ Beständigkeit gegenüber Motor- und Getriebeölen sowie Hydraulikflüssigkeiten bei

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oft hohen Temperaturen und gleichzeitiger Verschleißfestigkeit aufgrund geringer Reibkoeffizienten in dynamischen Dichtungsanwendungen Abwasser: ▪ Beständigkeit bei schwankender Zusammensetzung mit extremen pH-Werten Gase/Abgase: ▪ Gasdichtheit in Kombination mit sehr hohen bzw. sehr niedrigen Temperaturen und extremen chemischen Bedingungen ▪ Beständigkeit bei hohen Temperaturen und der Anwesenheit von aggressiven Gasen Medizinprodukte, die Kontakt mit dem menschlichen Körper haben (Implantate, Endoskopie, Katheter, Dialyse, Beatmungsgeräte, Narkosegeräte), Pflege und OP-Textilien)

▪ Beständigkeit gegenüber konzentriertem Sauerstoff und Narkosegasen ▪ Anforderungen an Hygienevorschriften ▪ Biologische Kompatibilität muss vorhanden sein

▪ NOx-Sensoren/Katalysatoren/Sensoren ▪ SCR-Heizkabel für die Adblue-Zuleitungen ▪ BVA (Brake wear indicator) ▪ Kabel (z. B. im Getriebe, oft eingetaucht in heißes, aggressives Getriebeöl) ▪ Heizung der Scheibenwaschanlage, um ein Einfrieren der Scheibenwaschanlage zu vermeiden

▪ Zuverlässigkeit bei großen Steckzyklen ▪ Anforderungen an geringen Übergangswiderstand, chemische Beständigkeit, Temperaturbeständigkeit und mechanische Reibungsreduktion

▪ ▪ ▪ ▪ ▪

▪ Beständigkeit gegenüber hohen Temperaturen ▪ Beständigkeit gegenüber Chemikalien ▪ Anforderungen an geringen Übergangswiderstand und mechanische Reibungsreduktion

Nasschemie Prozessanlagen Bahntechnik Fertigungstechnik Kinematische Ketten

Getriebe und Motoren

Fluorelastomere (z. B. FKM) weisen in Dichtringen im Vergleich zu alternativen Materialien wie Nitril-Butadien-Kautschuk (NBR) folgende Eigenschaften auf: ▪ bessere Temperatur- und Chemikalienbeständigkeit ▪ bessere Verschleißfestigkeit bei hohen Drehzahlen ▪ hohe Beständigkeit gegenüber Umwelteinflüssen wie z. B. Ozoneinstrahlung ▪ höhere Alterungsbeständigkeit und geringere Wartungsintensität

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▪ Brennstoffzellen ▪ Elektrolysezellen ▪ Atmungsaktive Schutzmembranen

▪ höchste Anforderungen an chemische und thermische Beständigkeit ▪ Anforderungen an Gasdichtheit ▪ Einsatz von Dichtungsmaterialien in Brennstoffzellen, die Gas- und Wasserwege abdichten und allen chemischen und thermischen Gegebenheiten in der Zelle standhalten müssen

(Antihaft)-Beschichtungen

▪ ▪ ▪ ▪ ▪

▪ Anforderungen an chemische, mechanische, thermische Beständigkeit ▪ Forderung nach einer reibungsreduzierenden Wirkung ▪ Erfüllen von Hygieneanforderungen

Gleit- und Schmiermittel,

Kontaktschmierungen werden in den verschiedensten Branchen genutzt:

Membranen Protonenleitendes Material z. B. aus PTFE, PFSA und Gasdiffusionsschichten z. B. aus FEP

Lager, Getriebe, Kompressoren elektrische Kontakte z. B. aus PTFE, PFPE

Elektrodenmaterial, Kühlschläuche z. B. aus PVDF, PTFE Isolierplatten z. B. aus PTFE

Gleitlager Gehäuse Rohre Schläuche Förderbänder

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Maschinenbau Automobilindustrie Lebensmittelproduktion Gas/Sauerstoff-Produktion Textilindustrie Schifffahrtsindustrie chemische Industrie Luftfahrt Medizintechnik elektrische Kontakttechnik

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Lithium-Ionen Batterien Lithium-Primärbatterien Brennstoffzellen HV Transformatoren

▪ Funkenstrecken von Überspannungsschutzgeräten

Zur Minimierung der Reibung und damit zur Minimierung von Energieverlusten werden Schmierstoffe bei allen beweglichen Teilen eingesetzt. Die Schmierstoffe müssen extremen Bedingungen standhalten und dabei folgende Anforderungen erfüllen: ▪ Substanzen müssen ungiftig und nicht brennbar sein. ▪ Zersetzungsbeständigkeit muss über Jahre hinweg gewährleistet sein. ▪ Beständigkeit gegenüber hohen und niedrigen Temperaturen (Stockpunkt beachten) ▪ Beständigkeit gegenüber aggressiven Medien muss gegeben sein. ▪ Beständigkeit gegenüber hohen mechanischen Belastungen muss gewährleistet sein. ▪ Substanzen müssen kompatibel mit den Anforderungen im Bereich der Lebensmittel- und Medizintechnik sein. ▪ Gewährleistung einer Schmierung über die gesamte Lebensdauer eines Lagers oder anderer Produkte ▪ Erhöhung der Steckzyklen und Lebensdauerverlängerung von elektrischen Kontakten ▪ Voraussetzung für effiziente und langlebige Lithium-Batterien und Brennstoffzellen durch hohe Materialbeständigkeit im elektrochemischen Umfeld ▪ Realisierung äußert kompakter Bauformen aufgrund der sehr guten Isoliereigenschaften und der thermischen Beständigkeit

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EU-Chemikalienrecht: Beschränkung von PFAS 09/2021

Festschmierstoffe z. B. aus PTFE/PFPE

▪ Einsatz in Hochvakuumanwendungen

▪ Grund für den Einsatz von PTFE in Schmierstoffen von Hochvakuumanwendungen ist der Dampfdruckverlauf. Die Schmierstoffe sind bei geringen Drücken noch flüssig.

Seitenketten-fluorierte Polymere (SCFP) SCFP besitzen fluorierte Polymerseitenketten an einem Kohlenstoffrückgrat und sind dabei: inert und stoffabweisend Textilien

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Beschichtungen

▪ elektrische und elektronische Komponenten/Geräte

Schutztextilien technische Textilien Filtrationsmedien Medizintextilien

▪ Materialien müssen öl-, schmutz-, wasserund chemikalienabweisende Eigenschaften aufweisen. ▪ Barriere gegen bakteriologische, virale und sonstige biologische Einflüsse ▪ inert, stoffabweisend, gute dielektrische Eigenschaften

Niedermolekulare fluorierte Stoffe Tenside und Netzmittel

▪ Trennmittel ▪ Farben und Lacke ▪ Papier und Verpackung

▪ Tenside und Netzmittel sind zum Teil oberflächenaktiv und zum Teil reaktiv ▪ Anforderungen an ein weitreichendes Spektrum an physikalischen, chemischen und elektrischen Eigenschaften ▪ Erfüllung von stoff- und wasserabweisenden Eigenschaften

Imprägniersprays

Löschschäume

▪ Löschen von Bränden z. B. bei großen Mineralöllagertanks und ihren Auffangräumen.

▪ Einsatz von gleichzeitig öl- und wasserabstoßenden Tensiden ▪ hohe Fließgeschwindigkeit, hohe Reichweite und gute Temperaturbeständigkeit des Schaumes erforderlich

Prozessstoffe

▪ Additive zur Herstellung von voll- und teilfluorierten Polymeren

Verwendung im Fotolithografieprozess der Halbleiterindustrie

▪ zentraler Prozessschritt in der Halbleiterindustrie

▪ Die technischen Anforderungen des Fotolithografieprozesses sind eine spezifische Kombination der Oberflächeneigenschaften, mit spezifischen Brechungsindizes und chemischer und thermischer Beständigkeit.

Fluoroalkyl-Silane

▪ Anti-Haft-Schichten für mikromechanische Bauteile (MEMS, insbesondere Sensor-Chips) in der Halbleiter-Industrie

▪ Minimierung von Oberflächenenergie, Adhäsionskräften und Reibung, um Aneinanderkleben (Stiction) der Mikrostrukturen während der gesamten Produktlebensdauer zuverlässig zu verhindern. ▪ gleichzeitig hohe Temperaturstabilität der Anti-Haft-Schicht (> 400 °C im Verarbeitungsprozess)

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▪ Hydrophobisierung der Oberflächen in MEMS-Produkten mit Kontakt zum umgebenden Medium (z. B. Mikrofonen) Per- und polyfluorierte Gase (Isoliergase, Prozessgase)

▪ Elektroindustrie, Mittel- und Hochspannungsschaltgeräte, Ätz- und Reinigungsprozesse u. a. in der Fertigung von Solarzellen, Leiterplatten- und Halbleiterindustrie

▪ Anforderungen an sehr gute dielektrische Eigenschaften bei geringem Treibhauspotenzial (Substitut für SF6) ▪ Einsatz als Ätzgase (z. B. für das Strukturätzen und für Kammerreinigung von Beschichtungsmaschinen) aufgrund der einzigartigen Kombination aus Performance und Arbeitssicherheit bei der bestimmungsgemäßen Freisetzung der für die Ätzreaktion benötigten Fluoratome

Benetzungsmittel

▪ Einsatz in Chrom-Bädern

▪ 4H-PFOA ist ein Substitut für die durch die POP-Verordnung beschränkte Perfluoroctansäure (PFOA), wobei im Vergleich zu PFOA F-Atome durch H-Atome ersetzt wurden.

▪ Verwendung als Kältemittel für Wärmepumpen, Klimaanlagen und Kühlanwendungen. ▪ Einsatz in der Kältetechnik und von Heizgeräteherstellern.

Tetrafluorpropen bekannt als R1234 yf (HFO Blends) aus der Stoffgruppe der Hydrofluorolefine (HFO) erfüllt folgende Eigenschaften:

z. B. 4H-PFOA

Kältemittel z. B. R1234 yf

▪ geringes Global Warm Potential ▪ geringe Verweilzeit in der Atmosphäre; Zersetzungsprodukte (TFA) möglicherweise persistent, jedoch hoher Hintergrundlevel natürlichen Ursprungs ▪ Im Normalfall wird Kältemittel nicht freigesetzt, sondern größtenteils zurückgewonnen und rezykliert. ▪ Alternative Kältemittel mit niedrigem GWP sind explosiv, daher mit erhöhtem Risiko insbesondere im häuslichen Umfeld verbunden.

Monomere Bei Monomeren handelt es sich um Zwischenprodukte, ohne deren Einsatz die Herstellung von Polymeren (Fluorpolymere, Seitenketten-fluorierte Polymere) nicht möglich wäre.

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Ausgewählte Anwendungsbeispiele Schutztextilien im Bereich der Persönlichen Schutzausrüstung (PSA) für Feuerwehr, Sicherheits- und Rettungskräfte und in der Medizin Schutztextilien zum Schutz der Mitarbeiter im Einsatz werden bei Polizei, Zoll, Bundesgrenzschutz, Feuerwehr und Bundeswehr, aber auch in privaten Einrichtungen, wie Sicherheitsdiensten oder Hilfsorganisationen (wie z. B. in Deutschland das Technische Hilfswerk (THW)) eingesetzt. Unter anderem werden Chemikalienschutzanzüge zur Gefahrenabwehr bei Havarien und Umweltschadensfällen verwendet. Auch für Arbeiter in der Chemieindustrie oder Fischer ist eine besondere Schutzausrüstung notwendig. Dabei kommt es auf zahlreiche hochinnovative Spezialprodukte mit einer Kombination an verschiedenen Eigenschaften an: Die Textilien müssen häufig gleichzeitig nicht brennbar, wasser-, öl-, chemikalien- und schmutzabweisend sein. Diese Eigenschaften müssen während der gesamten Einsatzzeit und auch noch nach mehreren industriellen Wäschen unvermindert vorhanden sein. Die für die Langlebigkeit der Textilien erforderliche Ausrüstung leistet einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Die Kombination einer wasser-, öl-, flecken- und chemikalienabweisenden Ausrüstung gelingt nur mit fluorierten Polymeren. Auch für die Kombination einer öl-, flecken- und chemikalienabweisenden Ausrüstung sind bislang keine fluorfreien Alternativen verfügbar. PFAS sind weiterhin in vielen medizinischen Anwendungen unverzichtbar. Jede OP in Europa muss abgedeckt ausgeführt werden. Allein in Deutschland werden pro Jahr über 19 Millionen Patienten behandelt, davon werden laut Destatis ca. 40 % operiert. Zur Anwendung kommen z. B. Membranlaminate für wiederverwendbare medizinische Produkte wie OP-Mäntel und -Abdeckungen sowie engmaschige Mikrofilamentgewebe, die mit PFAS ausgerüstet sein müssen, um das Eindringen bestimmter Flüssigkeiten, die im Operationssaal auftreten, zu verhindern. Es gibt keine adäquate Alternative zu C6- oder C8-Textilhilfsmitteln, um die entsprechende Leistung dieser Gewebe zu erzielen. Folglich ist der gesamte Sektor der wiederverwendbaren chirurgischen Textilprodukte in Europa betroffen. Auch Pflaster, die als Medizinprodukte angeboten werden, sind teilweise mit PFAS (C 6-Chemikalien) ausgestattet. Dies gilt insbesondere für Pflaster und Pflastergewebe, die gerollt angeboten werden und auch bei warmen Umgebungstemperaturen funktionieren müssen. Gegen Witterungseinflüsse und biologischen Befall langfristig geschützte Sonnenschutzsysteme (z. B. Markisen, Sonnensegel, textile Gebäudehüllen) verhindern das Aufheizen von Räumen, sie vermeiden die Notwendigkeit einer energieintensiven Kühlung und reduzieren dadurch den Energieverbrauch. Sie leisten somit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz und zur Erreichung der europäischen Klimaziele. Filtrationsmedien (Abluft- und Abwasserreinigung, Reinräume, Pollenfilter etc.) Filtermedien zur Staubabscheidung in industriellen Prozessen werden für zahlreiche wichtige Branchen benötigt, von der Aluminium- bis zur Zementherstellung, von der Abfallverbrennung bis zur Energieerzeugung und auch in der Lebensmittelindustrie. Die Anforderungen insbesondere an die mechanische und chemische Beständigkeit der Filtermedien sind hoch, da diese ihre Funktion unvermindert über einen langen Zeitraum bereitstellen müssen, um Mensch und Umwelt vor Emissionen zu schützen. Um die Filterwirkung auch gegen unterschiedliche und wechselnde Schadstoffströme aufrechtzuerhalten, wird der Filter imprägniert, ein fluorfreier Ersatz für die Imprägnierung ist derzeit in gleicher Qualität nicht verfügbar, die Standzeit alternativ imprägnierter Systeme ist deutlich geringer.

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Halbleiter Die Verwendung PFAS-haltiger Spezialformulierungen im zentralen Prozessschritt der Halbleiterherstellung, der Fotolithografie, ist aufgrund ihrer hohen technischen Funktionalität und chemischen Eigenschaften essenziell. PFAS-haltige Prozesschemikalien sind z. B. Fotolacke und Antireflexbeschichtungen, die in der Fotolithografie zur Erzeugung der Strukturen auf dem Silizium-Wafer eingesetzt werden. PFAS-Bestandteile werden in geringen Konzentrationen (typischerweise weniger als <1 %) in diesen Spezialformulierungen verwendet. Fotolithografieprozesse werden mehrmals (bis zu 60mal, je nach Technologie) im gesamten Halbleiterherstellungsprozess wiederholt, um jeweils vor Aufbringung weiterer Schichten Strukturen zu erzeugen, die in Gesamtheit schließlich die Transistoren und Verbindungen der fertigen Mikrochips auf dem Silizium-Wafer bilden. Die Verwendung von Fluoroalkylsilanen ist aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften (Ausbildung sehr dünner Schichten mit extrem niedriger Oberflächenenergie und entsprechend geringen Adhäsionskräften bei gleichzeitig sehr hoher Temperaturstabilität) essenziell für bestimmte mikromechanische Halbleiter-Komponenten (MEMS), insbesondere für MEMS-Beschleunigungssensoren. AntiHaft-Schichten auf Basis von Fluoroalkylsilanen ermöglichen die Herstellung sehr präziser Sensoren geringer Baugröße mit der erforderlichen Zuverlässigkeit. Solche MEMS-Beschleunigungssensoren sind unverzichtbar für Automotive-Sicherheitssysteme (Airbag, Fahrdynamik-Regelung ESP) sowie für automatisiertes Fahren und weitere Fahrzeug-Assistenzsysteme. Sie werden außerdem in einer Vielzahl von Consumer-Electronics-Anwendungen (Smartphones, Tablets, Wearables) eingesetzt. PFAS-haltige Prozesschemikalien (PFHxA-verwandte Substanzen) verbleiben in einigen spezifischen Anwendungen (MEMS, CMOS-Bildsensoren in der Automobil- und Medizintechnik, Kameras, Handys, Computer) im fertigen Produkt, sind jedoch gekapselt. Für Ätzprozesse zur Strukturierung von Wafern sowie für die Reinigung von Fertigungsanlagen werden in der Halbleiterindustrie per- und polyfluorierte Gase eingesetzt. Die Halbleiterindustrie hat Maßnahmen zum Risiko- und Sicherheitsmanagement (z. B. geschlossene Produktionsanlagen), um die Freisetzung von Chemikalien in allen Phasen des Herstellungsprozesses zu verhindern. PFAS-haltige Abfälle aus der Fotolithografie werden in der Regel vor Ort gesammelt und der ordnungsgemäßen Entsorgung zugeführt. Es sind keine Alternativen für PFAS-haltige Spezialformulierungen in der Fotolithografie bekannt, welche dieselben einzigartigen Eigenschaften aufweisen. Durch die hohen Reinheitsanforderungen im Produktionsprozess ist die Verwendung von Fluorpolymeren in den Produktionsanlagen notwendig. Die fortgesetzte Verfügbarkeit von PFAS im Produktionsprozess ist eine grundlegende Voraussetzung für die Herstellung von Halbleitern als einer Schlüsseltechnologie und damit essenziell für die vorhandenen Produktionslieferketten (z. B. Automotive) und die zukünftige Innovationfähigkeit in Europa. Lithium-Ionen Batterien Wiederaufladbare Li-Ionen Batterien, insbesondere für den Einsatz als Antriebsbatterien in Fahrzeugen, müssen hohen Ansprüchen bezüglich der Lebensdauer, der Ladegeschwindigkeit, einer hohen Energiedichte und einer dauerhaften Ladekapazität genügen. Die in Lithium-Ionen Batterien eingesetzten Stoffe werden deshalb sorgfältig ausgewählt, damit sie bei unterschiedlichen Außentemperaturen und hohen Strömen bzw. Energien stabil sind. Zur Erfüllung dieser Anforderungen sind FluorKohlenstoffverbindungen aufgrund ihrer Stabilität unverzichtbar.

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Eine hohe Lebensdauer der Lithium-Ionen-Batterien und somit die Langzeitstabilität der verwendeten Materialien sind auch im Hinblick auf die Zweitverwendung von Antriebsbatterien als stationäre Energiespeicher, wie sie im Green Deal und der derzeit im Entwurf befindlichen neuen EU-Batterieverordnung vorgesehen ist, von entscheidender Bedeutung. Eine entscheidende Rolle spielt die Haltbarkeit der verwendeten Materialien auch für Lithium-Primärbatterien, die oft fest in elektrische Geräte verbaut werden und Energie für Laufzeiten bis zu 20 Jahren zur Verfügung stellen. Derzeit gibt es zwei wesentliche PFAS-Anwendungen in modernen Li-Ionen Batterien: 1. PVDF (Polyvinylidenfluorid) und PTFE (Polytetrafluorethylen) als Binder für die Beschichtung der Kathode mit aktiven Materialien wie Metalloxiden. 2. Fluor-organische Additive im Elektrolyten zur Verbesserung der Lebensdauer der Batteriezelle. Eine Emission der eingesetzten PFAS-Verbindungen in die Umwelt ist im Normalbetrieb oder bei bestimmungsgemäßer Verwendung ausgeschlossen und beschränkt sich auf Störungen oder Unfälle. Die PFAS-Verbindungen werden bei der Herstellung der Batteriezelle in geschlossen Anlagen verwendet, sind in der Nutzungsphase verkapselt in der Batteriezelle und werden beim Recycling zersetzt und die entstehenden Fluorverbindungen über Gaswäscher entfernt. Brennstoffzellen/Elektrolysezellen In Brennstoffzellen und Elektrolysezellen kommen in verschiedenen Schlüsselkomponenten PFAS zum Einsatz. Dies umfasst z. B. die Protonenaustauschmembran, Gasdiffusionsschicht und Dichtungsmaterialen für Gas-, Wasser- und Luftwege. Die Protonenaustauschmembran besteht hauptsächlich aus PFSA-ähnlichen Ionomeren mit einer Verstärkung aus PTFE. PFSA stellt dabei das protonenleitende Material in der Brennstoffzellenmembran und -elektrode dar und ermöglicht den elektrischen Transport von Protonen in den Elektroden und Membranen. Hierdurch werden Reaktanten und Gase getrennt und die elektrische Isolation der Halbzellen wird gewährleistet. Die Protonenmembran ist die Hauptfunktionseinheit und damit zwingend für die Funktionalität einer Polymerelektrolytbrennstoffzelle notwendig. In der Gasdiffusionsschicht werden PTFE und FEP als Hydrophobierungsmittel zur Stabilisierung des Wassermanagements und zur Trennung der Wasserkreisläufe in den Einzelzellen eines Brennstoffzellenstapels eingesetzt. Zur Abdichtung der Kammern innerhalb der Brennstoffzelle kommen ebenfalls PFAS zum Einsatz. Hierbei kommt es insbesondere auf chemische und thermische Stabilität an. Derzeit sind für den Einsatz in diesen Schlüsselkomponenten keine Alternativen verfügbar, da beispielsweise für die Verwendung in Protonenaustauschmembranen nur PFSA-Ionomere die technologische Reife für diese Funktionen in der rauen Umgebung einer Brennstoffzelle erreicht haben. In Gasdiffusionsschichten werden PTFE und FEP als elektrochemisch stabile Bindemittel, die die sauren Bedingungen in der Nähe des Katalysators bzw. der Membran einer Brennstoffzelle überstehen, benötigt. Hier ist u. a. die überlegene elektrochemische Stabilität von PTFE bei unterschiedlichen Bedingungen in einer Brennstoffzelle von besonderer Relevanz. Auch hierfür liegen derzeit keine Alternativen vor.

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Druckgas-Dosierinhalatoren für die Behandlung von Lungenerkrankungen Druckgas-Dosierinhalatoren werden zur gezielten Verabreichung von Medikamenten über die Lunge verwendet. Für diese hochwirksamen Medikamente ist eine präzise Dosierung im Mikrogramm-Bereich notwendig. Zudem erlaubt diese Darreichungsform mit Treibgas Kindern und älteren Patienten, die Inhalation von u. a. lebensrettenden Medikamenten. Zu einer Einnahme mit anderen Darreichungsformen wären viele Patienten aufgrund ihrer Lungenerkrankung nicht in der Lage. In diesen Druckgas-Dosierinhalatoren sind PFAS sowohl als Treibgas als auch in der Beschichtung des Aluminium-Druckbehälters enthalten. Das verwendete Treibgas muss bei der Applikation einen Druck erzeugen, der eine feine Verteilung des Wirkstoffs erlaubt und den Wirkstoff bis in die Lunge transportiert. Gleichzeitig darf der Druck keine Schädigung der Lunge hervorrufen. Diese Eigenschaft haben nur fluorierte Treibgase. Die Innenbeschichtung des Aluminium Druckbehälters muss eine möglichst kleine Oberflächenenergie aufweisen, um die Anhaftung des Arzneimittel-Wirkstoffes zu verhindern. Nur so kann eine gleichmäßige Dosierung erreicht werden. Die Gefahr einer Unter- oder Überdosierung für den Patienten wird hierdurch ausgeschlossen. Dies kann nur durch PTFE-, FEP- oder PFA-Beschichtungen erreicht werden. Lebensmittelbereich PFAS und insbesondere PTFE werden in zahlreichen Bauteilen und Baugruppen in Anlagen und Geräten zur Produktion und Zubereitung von Lebensmitteln eingesetzt. In den meisten Fällen ist dies auf die besondere Materialeigenschaftskombination aus hoher Temperaturbeständigkeit und Zulassung für den Lebensmittelkontakt zurückzuführen. Die Kombination aus hoher Temperaturbeständigkeit/Lubrikationswirkung ist der Grund für den Einsatz in Dichtungen und Gleitlagern. Eine wichtige Anwendung von PTFE ist der Einsatz in Schläuchen und Rohren zum Transport von Flüssigkeiten. Diese Flüssigkeiten sind z. B. Trinkwasser, Kaffee, Milch und auch Dampf. Einige dieser transportierten Flüssigkeiten stehen im Normalbetrieb unter einem Druck von bis zu 12 bar und müssen im Störungsfall Drücke von bis zu 20 bar aushalten können. Die Betriebstemperatur kann im Normalbetrieb zwischen 0 °C und 160 °C angenommen werden. Im Bedarfsfall können Temperaturen von bis zu 200 °C auftreten. In einigen Fällen liegt sogar eine Kombination von 20 bar und 200 °C vor. PTFE hat sich für solche Anwendungen als idealer Werkstoff erwiesen. Aber auch im Bereich des Lebensmittelkontaktes zeichnen sich PTFE-Werkstoffe durch ihre sehr gute Verträglichkeit im Kontakt mit Lebensmitteln aus. Zurzeit gibt es keine alternativen Werkstoffe für einen sicheren Einsatz im Kontakt mit Lebensmitteln. Der Umstieg auf andere Materialien hätte einen früheren Ausfall der Komponenten zur Folge. Wärmepumpen Zur Erreichung der europäischen Klimaziele ist der Wechsel von fossilen Brennstoffen hin zu elektrisch betriebenen Wärmepumpen eine der entscheidenden Maßnahmen. Mit der Umsetzung der F-GasVerordnung (EU 517/2014) in den letzten Jahren hat eine fast vollständige Umstellung von Komponenten und Gerätekonzepten auf neue synthetische Kältemittel (HFOs) stattgefunden. Durch zusätzliche Einschränkungen des Kältemitteleinsatzes über eine PFAS-Regulierung wären die EU-Klimaziele 2030 nicht zu erreichen.

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In Europa ist eine breite Sanierungswelle im Gebäudesektor angesagt. Besonders Mehrfamilienhäuser stehen im Fokus. Die Wärmepumpenindustrie hat gerade mit der Implementierung von Wärmepumpen in diesem Sektor begonnen und die notwendigen Eigenschaften und Leistungsgrößen der Produkte auf den Einsatz in diesen Gebäuden abgestimmt. Um einen sicheren und effizienten Betrieb der Wärmepumpen zu gewährleisten, ist der Einsatz von HFOs notwendig. Eine breite Verwendung natürlicher Kältemittel als Alternative kann aus technischen Gründen aufgrund von Sicherheitsanforderungen und den gewünschten Effizienzanforderungen die Anwendung von HFOs derzeit nicht ersetzen. Farben und Lacke Fluorpolymere, insbesondere PTFEs, kommen auch in Farben, Lacken und Druckfarben zum Einsatz. Sie tragen dazu bei, den Beschichtungen wichtige Eigenschaften wie Kratz- und Scheuerfestigkeit sowie thermische und chemische Beständigkeit zu verleihen, die für die spezifischen Endanwendungen essenziell sind. Teilweise sind die Verbindungen nur in sehr geringen Mengen im Einsatz, haben aber technisch große Bedeutung. Dies betrifft unter anderem die Bereiche Pulverlacke, Industrielacke, Automotive, Korrosionsschutz sowie Druckfarben. Sicherheitsrelevante Verbindungselemente (z. B. Schrauben, Muttern, Scheiben, Clips etc.), deren Funktionalität nach heutigem Stand der Technik nur durch Beschichtungen mit Fluorpolymeren gewährleistet werden kann, finden beispielsweise Verwendung bei der Montage von Chassis und Reifen. Durch die Beschichtung wird die erforderliche definierte Montagebedingung (u. a. Vorspannkraft und Klemmkraft) erfüllt, damit die Verbindung ihre Funktion und die notwendige Sicherheit erhält. Fluorpolymerhaltige Beschichtungen sind auch essenziell für die Funktion von Gurtrückhalte-Systemen beispielsweise in Autos. Diese verhindern, dass im Falle eines Unfalls der Gurt aufgrund der hohen auftretenden thermischen Energie mit den Bauteilen verklebt und garantieren so, dass dieser funktionsfähig bleibt. Des Weiteren wird durch diese Beschichtung sichergestellt, dass sich das Gurtschloss nach einem Unfall unter Last noch bedienen und öffnen lässt. Bei Druckerzeugnissen kann es insbesondere im Offsetdruck ohne einen geeigneten Scheuerschutz zu verschiedenen Problemen und qualitativen Beeinträchtigungen kommen. Zum einen treten sichtbare Scheuerprobleme im gedruckten Produkt auf, zum Beispiel Kratzer, „Verschmieren“ und Ablegen von Farbe auf eigentlich unbedruckte Flächen. Diese Scheuerprobleme können die Qualität des gedruckten Produktes so stark beeinträchtigen, dass dieses nicht mehr verkauft werden kann, wodurch ein erheblicher finanzieller Schaden entstehen kann. Zum anderen treten auch Verunreinigungen und Ablagerungen in der Maschine und in der Weiterverarbeitung auf, vor allem an Kühlwalzen, Trichtern, Wendelstangen, die zu deutlich mehr Makulatur führen und einen erhöhten, oft sehr zeit- und lösemittelintensiven Reinigungsaufwand nach sich ziehen.

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Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Redaktion Dr. Mirjam Merz Referent Umwelt, Technik und Nachhaltigkeit T: +49 30 2028-1466 m.merz@bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D1443

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