Cristina Gómez Godoy & Michail Lifits

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Metamorphosen der Oboe Werke von Saint-Saëns, Britten, Skalkottas, Carter und anderen

Antje Reineke

„Zur Zeit verwende ich meine letzten Kräfte darauf, denjenigen Instrumenten, die in dieser Hinsicht wenig begünstigt sind, die Möglichkeit zu geben, sich Gehör zu verschaffen“, erklärte der 85-jährige Camille Saint-Saëns 1921 die Pläne zu seinen drei Bläsersonaten. Der Oboe hatten sich in der Tat nur wenige namhafte Komponisten des 19. Jahrhunderts gewidmet – die damaligen ­Instrumente entsprachen in Tonumfang, Dynamik und Ausdrucksvielfalt nicht ihren Bedürfnissen. Hector Berlioz schreibt 1843 in seiner Instrumentationslehre, die Oboe habe „einen ländlichen Charakter, voll Zärtlichkeit, fast möchte ich sage: voll Schüchternheit“. Zum „Schrei der Leidenschaft“, zum „stürmischen Ausbruch des Zornes, der Drohung oder des Heldenmutes“ sei sie nicht ­fähig. Die Situation änderte sich am Übergang zum 20. Jahrhundert zu einen durch Fortschritte im Instrumentenbau, zum anderen, weil Komponisten wie Debussy, Ravel und Strawinsky in ihren Orchesterwerken vermehrt Gewicht auf die Bläser legten und ­damit deren Spieltechniken vorantrieben. Auch das Interesse an der Oboe als Kammermusik- und Soloinstrument erwachte nun neu. Insofern ist es kein Zufall, dass fast alle Werke des heutigen Abends aus dem 20. Jahrhundert stammen. Saint-Saëns’ Sonate steht mit ihrer klaren Linienführung, dem durchsichtigen Klaviersatz und der konzisen, klassischen Anlage aus einem Sonaten-, pastoralen Mittel- und virtuosen Schlusssatz beispielhaft für Ideale wie Einfachheit, Eleganz, Rationalität und formale Balance, die in Frankreich als Merkmale einer nationalen Musiktradition angesehen wurden. Zudem gilt der Bezug auf eine Vielzahl historischer Vorbilder – französischer wie österreichischer

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