STADTSICHT 4/2018

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FUTURE TALK in Rechtsauslegung mithilfe künstlicher Intelligenz ausgebildet werden.

Die Wirtschaft wird dank solcher Systeme produktiv bleiben; doch besteht nicht die Gefahr, dass sehr viel weniger Menschen darin involviert sein werden und es daher zu sozialen Unruhen kommen könnte? Optimisten gehen davon aus, dass es sich ähnlich verhalten wird wie im 19. Jahrhundert. Susskind sieht Parallelen: «Aus Bauern entwickelten sich Fabrikarbeiter und später Büroangestellte.» Im Silicon Valley gibt es Stimmen, die behaupten, dass man bald nur noch eine Million Menschen benötigen wird, um eine Milliarde

Man müsse über Umverteilungsmechanismen reflektieren, bekräftigt Susskind, und doppelt nach: «Es kann nicht unsere Absicht sein, Berufe am Leben zu erhalten. Wir haben bislang schon einige Berufe verloren, die von Technologien, Systemen oder Maschinen übernommen wurden. Die Voraussage ist klar, weitere Berufe und Beschäftigungen werden verschwinden.» Vielleicht sei es nicht so utopisch vorauszusehen, dass in dreissig oder vierzig Jahren das Kapital – ähnlich wie Wasser – im Sinne einer «Utility», einer kollektiven Nutzenfunktion, betrachtet wird. Bislang seien die Arbeitsplatz- und die Einkommenssicherheit dasselbe gewesen. Möglicherweise steuern wir gemäss Susskind

Menschen mit der Grundversorgung auszustatten – etwa für Nahrung, Essen, ein Dach über dem Kopf. Diese vielleicht etwas übertriebenen Prognosen entfachen denn auch Diskussionen über ein bedingungsloses Grundeinkommen oder die Versteuerung von Maschinenstunden zu dessen Finanzierung. Das sei in der Tat ein Diskurs, der noch zu führen sei, meint Susskind: «Wir müssen uns gründlich überlegen, wie wir unsere Zeit verbringen werden und bis zu welchem Ausmass Arbeit sinnbildend ist. Aber vor allem müssen wir auch darüber debattieren, inwiefern Kapital gemeinsam gehalten werden könnte.» Diese Aussage begründet Susskind mit seiner Be­ obachtung, dass sich die arbeitsbasierte Wirtschaft zunehmend zu einer kapitalbasierten verwandle.

­ iner Welt entgegen, welche das Einkome men ohne Jobs sichert. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Derweil beschäftigen sich die beiden Söhne von Richard Susskind, Jamie und Daniel, wissenschaftlich mit den Auswirkungen der Digitalisierung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Alle drei denken oft gemeinsam darüber nach, wie und zu welchen Teilen sich die Machtverhältnisåse dereinst verschieben werden und was dies für uns Menschen bedeuten könnte. Richard Susskind arbeitet selber an einem­neuen Werk. Worum es geht: «Ich schreibe an einem Buch über die zunehmende Tendenz, richterliche Urteile auto­m atisiert zu gestalten.» Nach den Anwälten werden sich nun die Richter warm anziehen müssen.

Der gesellschaftliche Diskurs

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