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Bouldern – eine junge Kletterdisziplin mit viel Potenzial

Das Problem schnell lösen

Beim Bouldern gibt es weder Seil noch Klettergurt. Gefordert und gefördert wird die Harmonie zwischen Kopf und Körper

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Bevor Max Kleesattel seine Muskeln einsetzt, sind erst einmal Augen und Kopf gefordert. Wenn der Boulderer auf die Bühne gelassen wird, muss der 23-Jährige erst einmal den Felsblock studieren und sich einen Weg überlegen, wie er zum Ziel, dem Top-Griff, kommen kann. „Man kommt raus, sieht den Boulder das erste Mal und muss das Problem lösen“, beschreibt Kleesattel. Mit „Problem“ umschreiben die Kletterer die gestellte Aufgabe. Erst wenn er diese Lösung theoretisch glaubt, gefunden zu haben, dann macht er sich von Stein zu Stein auf den Weg nach oben.

Dabei ist ein Scheitern durchaus möglich, aber nicht tragisch. Denn die Boulderer können innerhalb von fünf Minuten mehrere Versuche unternehmen. „Trotzdem ist es wichtig, das Problem schnell zu lösen“, sagt Kleesattel. Schließlich kostet jeder Versuch Kraft.

Vom Sandsteinfels zu Olympia

Die Wiege des Boulderns liegt in Fontainebleau, etwa 60 Kilometer südlich von Paris gelegen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts erklommen Kletterer die Sandsteinfelsen, die selten höher als fünf Meter sind. „Es gibt unendlich viele Boulder, die im Wald herumliegen“, sagt Kleesattel. Bis Bouldern jedoch neben dem klassischen Klettern als eigene Disziplin anerkannt wurde, dauerte es bis in die 1970er Jahre. Lange diente Bouldern lediglich zur Vorbereitung auf Klettertouren an großen Felswänden. 1998 wurde der Boulder-Weltcup eingeführt, 2001 feierte die Disziplin ihre Premiere bei Weltmeisterschaften und bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio gehörte es zum Wettkampfprogramm, gemeinsam mit Lead und Sprint. Für die Spiele 2024 in Paris wird aus dem Drei- ein Zweikampf – ohne Sprint.

Griffkraft spielt beim Bouldern eine große Rolle, sind die Griffe, die ein Boulder bietet, doch oft kaum greifbar. Foto: picture alliance / EPA | DIMITRIS TOSIDIS

Die Kulisse bei den European Championships im August gefiel nicht nur Max Kleesattel – mitten auf dem Münchner Königsplatz wurden die Athleten von zahlreichen begeisterten Zuschauern angefeuert. Foto: picture alliance / EPA | DIMITRIS TOSIDIS

Große Abwechslung

Es ist nicht die Höhe der Felswand, die Max Kleesattel am Bouldern fasziniert. Der Spaß liegt im Austesten der eigenen Möglichkeiten. Es gilt, Geschicklichkeit, Kraft und Beweglichkeit so einzusetzen, dass man eine Linie meistern kann. „Die Abwechslung ist ungeheuer groß“, sagt er geradezu schwärmerisch, „das Training ist ungeheuer abwechslungsreich, weil jeder Zug, jeder Griff anders ist. Und neben den verschiedenen Zügen kommen beim Bouldern noch Sprünge dazu.“ Zumal er sich selbst als Krafttypen bezeichnet. „Beim Bouldern haben wir nur wenige Züge zu absolvieren, die sind aber schwer“, sagt der Schwäbisch-Gmünder. In der Disziplin Lead dagegen ist mehr die Ausdauer gefragt. Eine ausgeprägte Koordination sowie Beweglichkeit sind in beiden Disziplinen erforderlich. Im Gegensatz zu Lead und Sprint gibt es beim Bouldern keinerlei Sicherung. Also weder Klettergurt noch Seil. Es wird nur so hoch geklettert, wie die Sportler jederzeit sicher und gefahrlos abspringen können. Dies bedeutet, dass bei etwa vier Metern Höhe Schluss ist. In Kletterhallen liegen noch Schaumstoffmatten, Crashpads genannt, am Boden, die den Aufprall bei einem Sturz dämpfen.

„Das Venue war perfekt“

Mit großen Ambitionen war Max Kleesattel in diesem Sommer zu den European Championships gereist. „Meine Weltcupsaison war gut gelaufen“, sagt er. Bei fünf Starts hatte er dreimal das Halbfinale erreicht. „Ich war mir sicher, dass ich auch bei den European Championships bis ins Halbfinale klettere“, erzählt der 1,80 Meter große Kletterer. In der Qualifikation hatte er mit seiner Spannweite von 1,80 Metern auch schon den Top-Griff erreicht. Allerdings nur mit einer Hand, dann ist er abgerutscht. Das war es. Obwohl sportlich eine Enttäuschung, wird ihm der Wettkampf auf dem Königsplatz in der Münchner Innenstadt immer in Erinnerung bleiben. „Das Venue war perfekt“, sagt er. Auch von der Präsentation speziell im Fernsehen ist er immer noch begeistert.

Kletterhallen immer beliebter

Von dieser medialen Aufmerksamkeit profitieren auch die vielen Kletterhallen in Baden-Württemberg. „Von den European Championships ging schon ein Signal aus“, sagt Tim Kukla. Der Leiter des Freiburger Kletterzentrums vom Deutschen Alpenverein (DAV) hat nach den Wettkämpfen eine gesteigerte Nachfrage von Kindern und Jugendlichen, die sich einer Gruppe anschließen wollen, registriert. Aber auch ganze Familien kommen ins Kletterzentrum in St. Georgen. Darin gibt es keinen Unterschied zur Situation bei der DAV-Sektion Stuttgart. „Wir haben lange Wartelisten“, sagt Pressesprecher Christian Ludwig, „wir haben keine Chance, die große Nachfrage zu befriedigen.“ Ein Grund dafür ist auch, dass sich nicht genügend ehrenamtliche Trainer finden.

Kraft ist ein entscheidendes Element: „Beim Bouldern haben wir nur wenige Züge zu absolvieren, die sind aber schwer“, so Max Kleesattel, hier im Bild. Foto: picture alliance/dpa | Angelika Warmuth

Sport für Kopf und Körper

Für Max Kleesattel ist das große Interesse nicht verwunderlich. Er kam mit neun Jahren auf einem Kindergeburtstag zum ersten Mal mit dem Klettern in Berührung. Und schloss sich danach einer Trainingsgruppe an. Schließlich ist Bouldern ein Ganzkörpersport, bei dem Kopf und Körper gut miteinander harmonieren müssen und Bewegungskreativität gefragt ist. Diese stellt sich dem Kletterer jedesmal, wenn er bei einem Wettkampf den Boulder zum ersten Mal sieht und sich überlegen muss, wie er das Problem lösen kann. n Klaus-Eckhard Jost

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