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Freitag, 24. Juni 2011

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Der Weg ist und bleibt das Ziel Eine Affoltemerin auf dem längsten Teil des Jakobsweges: «Es war erneut wunderschön» Walter Dürr Lichtmattstrasse 10 8910 Affoltern a. A. Sehr geehrter Herr Dürr, der Kantonsrat will den Sozialhilfebezügern das Auto wegnehmen. So titelte eine Tageszeitung in den letzten Tagen. Während die Linken und die Grünen den Eingriff in die persönliche Freiheit verurteilen, begrüssen die bürgerlichen Politiker den Entscheid. Ganz generell ist festzuhalten, dass die Eliminierung von unnötigen Ausgaben auch im Säuliamt sehr willkommen ist. Als Fürsorgevorstand dürfte Sie diese Verfügung deshalb sicher ebenfalls brennend interessieren. Da die Gemeinde Affoltern in finanzieller Hinsicht nicht gerade auf Rosen gebettet ist, haben Sie sich sicher noch weitergehende Gedanken gemacht. Es stellt sich die Frage, ob sich Sozialhilfebezüger nicht weitere Einschränkungen gefallen lassen müssten. Heiraten? Und wenn ja, wie? Eine Ehe kann sicher ebenso glücklich verlaufen auch wenn der Bräutigam nur einen gewöhnlichen Anzug und die Braut kein Prinzessinnenkleid trägt. Ganz zu schweigen von der Frage, ob Fürsorgeempfänger Alkohol konsumieren, rauchen oder gar Sex haben dürfen? Alles bedeutende Themen, die zugunsten der Steuerzahler beantwortet werden wollen. Als verantwortungsvoller SVP-Politiker sollten Sie hingegen den Bogen noch etwas weiter spannen. Ich persönlich frage mich schon seit längerer Zeit, ob es wirklich nötig ist, dass der Gemeinderat des Bezirkshauptortes jeden «Hafenkäse» noch mit einem Apéro schmückt? Kostenlose Zwischenverpflegungen notabene, an denen nicht zuletzt der Fürsorgevorstand an vorderster Front zu beobachten ist. An jeder noch so kleinen Informationsveranstaltung wird der Kasinosaal festlich hell beleuchtet. Völlig unnötig! Man sollte doch glauben, dass die jeweils anwesenden Gemeindepolitiker mit ihren hellen Köpfen für den klaren Durchblick genügten. Ich bin überzeugt, dass Sie, Herr Dürr, als wortgewaltiger Volksvertreter der richtige Mann sind, um hier Remedur zu schaffen. Mit freundlichen Grüssen Martin Mullis

wetter

In den letzten Jahren bin ich den Jakobsweg jeweils mit einer Freundin in vier grösseren Etappen gewandert. Dieses Jahr zog ich alleine los. Am 26. April startete ich meinen Weg in Saint Jean Pied de Port und bin 40 Tage lang, ca. 1000 Kilometer, durch Spanien gepilgert, um schliesslich Santiago, Finisterre «Ende der Welt» zu erreichen. ................................................... von heidi juen, affoltern Am dritten Tag meiner Wanderung lernte ich drei andere Pilger kennen. Da wir alle alleine losgezogen waren, stand sehr schnell fest, dass wir einen grossen Teil des Weges gemeinsam gehen würden. Jeder musste ja «seinen Weg» doch alleine laufen und konnte so seinen Gedanken nachgehen. Spätestens bei Pausen oder am Abend kurz vor der Herberge traf man sich wieder und verbrachte die Abende zusammen. Zwischen uns vier entstand eine enge Freundschaft. Zwischendurch gesellten sich tagelang noch andere Pilger zu uns. Der Jakobsweg führt durch gänzlich unterschiedliche Landschaften. Da über den Pyrenäen dichter Nebel lag, konnte man die schöne Landschaft nur erahnen. Es ging über Berge und durch breite Flusstäler, über karge Hochebenen und durch fruchtbare Becken. Frische Bergluft wechselte zu Tieflandluft, trockenes Klima wurde durch feuchtes Küstenklima abgelöst. Einsame Landschaften wurden durchwandert aber auch weite Weinberge und endlose Weizenfelder. Durch viele alte historische Städte wie Pamplona, Burgos, Leon und viele andere führte der Weg. Manchmal kam ich mir wie im Mittelalter vor, in all den alten, eng aneinandergebauten Häusern.

«Der Weg ist wie eine Energiequelle, wie ein Sog» Tagsüber verpflegten wir uns aus dem Rucksack oder unterwegs in einer Bar. Übernachtet haben wir in der Regel in den Herbergen. Meist waren es Schlaf-

säle mit 20 bis 34 Betten (Stockbetten). Es ist schon etwas gewöhnungsbedürftig, mit fremden Menschen in einem Raum zu schlafen. Die Herbergen hatten meist einen schönen Garten, wo sich die Pilger am Abend erholen konnten. Auch in Klöstern haben wir übernachtet. Da gab es «Einzelzellen» aber auch Schlafsäle mit 200 Betten. Für ca. neun Euro erhielt man ein «Pilgermenü» mit drei Gängen inkl. Wein und Wasser. Zwischendurch, je nachdem ob die Herberge eine Küche hatte und ein Einkaufsladen vorhanden war, haben wir selber gekocht. Die Pilgergemeinschaft ist einfach grossartig. Es ist eine Gemeinschaft zu spüren, wie ich sie noch nie erlebt habe. Man trifft Leute aller Nationen an. Da man immer wieder die gleichen Pilger trifft, entsteht so was wie eine «Pilgerfamilie». Alle Pilger sind fröhlich und hilfsbereit, obwohl jeder mit sich selber genug zu tun hat. Viele Pilger hatten schreckliche Blasen an den Füssen, Knie- oder Rückenprobleme und kämpften sich trotzdem weiter Richtung Santiago. Eingeplante Ruhetage wurden nicht abgehalten. Der Weg ist wie eine Energiequelle, wie ein Sog, der einen nach Santiago zieht. Man spürt förmlich, dass schon tausende, ja Millionen von Pilgern diesen Weg gegangen sind.

Gespräche über Leben und Sterben Ich habe mit den unterschiedlichen Menschen, die mir begegnet sind, sehr interessante Gespräche geführt, von lustig bis traurig, Mut machend, verständnisvoll, tief gehend. Da waren auch Gespräche über Leben und Sterben, Alltag, Freundschaft, Erwartungen, Träume, Ziele, Bedürfnisse, und vieles mehr dabei. Kurz, ich hatte Begegnungen mit Menschen, die man nur einmal im Leben trifft, die einem aber immer in Erinnerung bleiben werden. Höhepunkte gab es viele. Einer war ganz klar die Meseta. Dieses Gebiet erstreckt sich über eine fruchtbare Hochebene, endlose Weiten und schnurgerade Wege. Es heisst, diese Strecke eigne sich besonders, um sein Leben zu überdenken. Ich habe zuvor noch nie so sehr auf mich, meinen Körper und meine Bedürfnisse gehört. Auch das Cruz de Ferro (Denkmal der Pilgerschaft) war ein Höhepunkt. Hier legen die Pilger einen mitgebrachten Stein ab, als Symbol für die «Lebenslasten», die sie zu tragen haben. Aber auch Burgos und Leon mit ihren Kathedralen und natürlich Santiago waren Highlights. Da bin ich tagelang nur durch die Natur gewandert und dann plötzlich in einer Grossstadt. Man bekommt fast einen Kulturschock. So ist es jedenfalls mir ergangen und ich war jedes Mal froh, wenn ich wieder in der Natur wandern konnte. Wenn man aber in Santiago durch das Tor bei der Kathedrale geht, ist dies etwas ganz Besonderes. Alle Strapazen, die schmerzenden Füsse und Glieder, sowie der schwere Rucksack sind vergessen.

Alle Strapazen sind vergessen

bauernregel «Wies Wetter am Johanni (24. Juni) war, so bleibts wohl 40 Tage gar.»

Ich war überwältigt, als ich an meinem Ziel, das ich seit vier Jahren im Kopf hatte, angekommen war. Die Kathedrale ist wunderschön, hier sollen die Gebeine von Jakobus, dem Apostel, begraben sein. Der frommen Überlieferung zufolge missionierte dieser auf der Iberischen Halbinsel. Später kehrte er in das heutige Israel zurück. Dort starb er den Märtyrertod. Der Legende nach kehrte Jakobus mit dem Schiff zum heutigen Padrón zurück und trat von dort die Reise ins Landesinnere, nach Santiago de Compostela an, wo er seine letzte Ruhe fand.

In fünf Etappen nach Santiago de Compostela: Heidi Juen aus Affoltern. (Bild zvg.) Natürlich haben meine Pilgerfreunde und ich die Pilgermesse besucht, trotz der vielen Pilger und Touristen. Es war ein ganz besonderer und bewegender Moment. Der absolute Höhepunkt und eine der schönsten Etappen war der Weg ans Kap Finisterre «Ende der Welt». Es liegt auf einem Granitfelsen und es ist Brauch, dass die Pilger den Sonnenuntergang von dort betrachten und ein von der langen Pilgerwanderung zerschlissenes Kleidungsstück verbrennen. Danach wenden sie sich nach vielen Kilometern und nach langer Zeit wieder gegen Osten zu. Es war schlicht ergreifend. Für meine Pilgerfreunde und mich war der Weg aber noch nicht zu Ende. Wir wanderten noch die letzten 33 Kilometer nach Muxía, ein kleines Fischerdorf, wo wir die Kirche «Maria Magdalena» besichtigten. Diese steht auf grossen Felsen, an der Spitze der Halbinsel, direkt am Meer. Sie wurde den Seefahrern gewidmet, die vom Meer nicht mehr zurückgekehrt sind.

Nun der «Camino del Norte» Eine Compostela (Urkunde) bekommt man in Santiago, Finisterre und Muxía. Aber nur dann, wenn man mit

dem Pilgerausweis vorweisen kann, dass man die ganze Strecke zu Fuss gegangen ist und auch in jeder Herberge einen Pilgerstempel in seinen Pilgerpass eintragen liess. Viel zu schnell ging auch diese wunderschöne Pilgerreise zu Ende. Für mich steht fest: Der Weg hat sich gelohnt; Menschen kennen zu lernen, Natur zu erleben und mit nur den Dingen auszukommen, die man jeden Tag im Rucksack mit sich getragen hat. Da man mit dem Flugzeug viel zu schnell zurück in den Alltag katapultiert wird, liess ich mein bereits zu Hause gekauftes Flugticket sausen und nahm den Bus von Santiago nach Zürich. So konnte ich noch ein wenig meine Gedanken ordnen und war nicht so schnell in meinem «alten Leben» zurück. Ich werde noch oft an meine wunderschöne Wanderung durch Spanien zurückdenken, plane aber bereits meinen nächsten Weg durch Spanien. Es gibt da nämlich noch einen anderen Weg und zwar den «Camino del Norte». Der Küstenweg geht von Hendaye (Frankreich) bis Santiago, ist 860 Kilometer lang und verläuft dem Meer entlang. Wer erst einmal vom «Pilgervirus» infiziert ist, der muss einfach weiter...


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