Zeitung für immersive Kunst: Panorama, Literatur, Theater, Zeichnung 4. Ausgabe | November 2018
„Pergamonmuseum. Das Panorama“ – Interview mit dem Direktor der Antikensammlung „Heiliger Ernst – Die Ursprünge des antiken Theaters“ „Pergamon in der griechischen Antike – Bergama in der Türkei“ „Der Altar“ – Eine fürwahr romanhafte Entdeckung
2 Editorial
Ein Werk, so groĂ&#x; und herrlich ‌ war der Welt wiedergeschenkt! Carl Humann 1880
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Liebe Leserinnen, Liebe Leser, Berlin hat ein neues PERGAMON-Panorama. Nicht zu
richtigen Geschenken und Opfern ließ sich vermeintlich
übersehen, wenn man zwischen Friedrichstraße und
Einiges regeln. Das beschreibt auch der Direktor der
Hackeschem Markt aus der vorüberfahrenden S-Bahn
Antikensammlung, Andreas Scholl, in unserem Inter-
sieht. Und nach allem, was man von ihm kennt – mit
view. Dass die Menschen davon ausgingen, dass sie
diesem, seinem neuesten Panorama, hat Yadegar Asisi
den Gottheiten etwas schenken mussten, um etwas von
sich noch einmal selbst übertroffen. In der Bildgröße
ihnen zurückzubekommen. Das klingt erst einmal naiv.
natürlich und einer neuen Detailschärfe ist es auch
Aber wir sollten die Griechen auch ein bisschen benei-
mithilfe neuester Beleuchtungs- und Soundtechnik ein
den. Wir wissen heute zwar mehr. Zum Beispiel woher
überwältigendes, ein ja bombastisches Seh-Erlebnis.
Blitz und Donner kommen – bei den Griechen waren das
Auf der nächsten Doppelseite bekommen Sie einen
die Uranos-Söhne Steropes und Brontes – aber kommen
Eindruck davon.
wir besser klar mit den Fragen des Lebens und den Übeln der Welt? Auch wenn wir uns die nicht mehr als
Die Sensationsschau mit dem Titel „PERGAMON – Meis-
Ausbruch aus der Büchse der Pandora erklären können?
terwerke der antiken Metropole und 360°-Panorama von Yadegar Asisi“ ist eine Zusammenarbeit der Staatlichen
Das Panoramabild von Pergamon ist ein fantastisches
Museen zu Berlin mit dem Künstler Yadegar Asisi. Bis
Abbild dieser Zeit. Und wie von einem Zeitstrahl getrof-
voraussichtlich 2024 wird das Pergamonmuseum saniert.
fen, werden wir dorthin mitgenommen. Die Menschen
Der berühmte Altar steht bis dahin verborgen unter einer
feiern ein Fest zu Ehren des Gottes Dionysos. Als Gott
riesigen Holzkiste inmitten des Baugeschehens. Mit dem
des Weines und der Vergnügungen war der auch für
Panoramabild aber bleibt er in der Berliner Öffentlichkeit.
Rausch und der Ekstase zuständig. Und für das Theater.
Und mit dieser Ausgabe von ThreeSixO bringen wir Sie
Vier Tage lang durften bei diesem verrückten Fest am
schon einmal auf den Weg dorthin. Zu sehen ist einer-
Ende des Winters die Menschen ungestraft außer sich
seits ein überwältigendes Panoramabild von Pergamon
geraten. (Heute ist Dionysos vielleicht der Fußballgott
als eine der wichtigsten Metropolen der griechischen
oder der des Karnevals und der Musik-Festivals.) Trun-
Antike. Gleichzeitig ist es eine Schau mit den schönsten
kenheit als Gottesdienst also. Der anschließende Kater
Stücken aus der Schatzkammer der Berliner Antiken-
war Sache von Apollon, der Gott der Ruhe, des Frühlings
sammlung, die in einem ganz neuen Licht zu sehen sein
und der Mäßigung. Um Dionysien als Ursprung unseres
werden. Nicht nur technisch. Sondern auch im Sinne von
heutigen Theaters, geht es denn auch in dem Beitrag
erleuchtend.
von Thomas Irmer. Der Berliner Theaterwissenschaftler schreibt für internationale Fachzeitschriften über Thea-
Denn, laufen Sie auch manchmal durch große Museen mit
ter, Kunst und Literatur. Theater war als Mimesis, als
Antikensammlungen und denken: aha, ein Marmor-Kopf,
Nachahmung der Natur auf der Bühne, eine immersive
wer ist denn das? Aja, steht auf dem Schildchen. Herkules
Kunstform. Die Menschen liebten es. Sie durchlitten
also. Und hier der Kopf ohne Nase? Kenne ich nicht. Ach
das Bühnengeschehen und nahmen es als persönliche
naja, muss ich auch nicht kennenlernen. Und wieso steht
Erfahrung mit in ihren Alltag.
eine Venus ohne Arme im Hochsicherheitstrakt? Daneben hinter Glas: Vasen Vasen Vasen, Scherben. Figuren
Außerdem stellen wir Ihnen auch ein neues Buch vor.
und Szenen. Alles nebeneinander und übereinander und
„Der Altar“ ist ein Roman von Ralf Nürnberger. Darin wird
alles sieht irgendwie gleich aus. Und Sie fragen sich: wo
die Geschichte des Pergamonmuseums in Berlin ganz
ist eigentlich das Café?
neu erzählt. Die Berliner des 19. Jahrhunderts haben den Pergamonaltar zu einer ihrer wichtigen Ikonen gemacht
Die Menschen der Antike waren da mehr im Stoff. Sie
und ihm ein eigenes Museum gebaut. Das erzählt dieses
waren von einer allumfassenden göttlichen Zuwendung
Buch. Und bevor Sie in diesen Roman eintauchen oder
überzeugt. Jede menschliche Laune, jede Wettererschei-
auch gleich in das PERGAMON-Panorama in Berlin,
nung, jedes Ereignis – alles war als Gottheit personifiziert.
wünsche ich Ihnen viel Freude mit dieser Ausgabe der
Und die ließen mit sich reden. Ging es um gute Ernten
ThreeSixO.
oder Geschäftserfolge, Reisen und Gesundheit – mit den Ihre Juliane Voigt
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Foto: Tom Schulze ©asisi
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6 Pergamonmuseum. Das Panorama
Pergamonmuseum Das Panorama Interview mit dem Direktor der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, Andreas Scholl
Es ist Ihre zweite PERGAMON-Ausstellung mit dem Künstler Yadegar Asisi. Schon beim ersten Mal im Jahr 2011 hatte sich das Zusammenspiel von archäologischer Ausstellung und Panoramabild als perfekte Ergänzung herausgestellt. Was macht den sagenhaften Erfolg Ihrer Meinung nach aus?
AS
Was mich von Anfang an fasziniert hat, war,
gleich mit dem 2011 Gezeigten, konnten wir die Ausstellung
dass das Panorama als Medium in der Lage ist,
und das Panorama jetzt viel stärker als eine räumliche und
den Besucher wirklich auf den Burgberg von Pergamon zu
inhaltliche Einheit gestalten. Das Panorama ist nun integra-
bringen. Ihm wird – im wahrsten Sinne des Wortes – das
ler Bestandteil des Rundgangs und in der Ausstellung sind
ganze Bild geboten, was eine archäologische Ausstellung so
neue Arbeiten von Yadegar Asisi zu sehen, die sich in künst-
niemals leisten kann. Wirklich überrascht hat mich allerdings
lerisch-didaktischer Weise auf die Exponate beziehen.
die starke emotionale Wirkung des Bildes. Da gab es erstaunlich Viele, die wirklich zu Tränen gerührt waren. Auch waren
Dabei bedient er sich ganz unterschiedlicher Techniken und
wir auf viel mehr Kritik aus Fachkreisen gefasst. Aber selbst
Stile. So wirkt eine große Zeichnung mit den monumenta-
staubtrockene Kolleginnen und Kollegen waren begeistert.
len Frauenfiguren vor dem Pergamonaltar wie eine Rekonstruktion aus dem späten 19. Jahrhundert. Zudem nutzt er
Mit der jetzigen Neuauflage scheint mir die Attraktivität des
für seine erklärenden und die Kunstwerke auf eigene Weise
Panoramas nochmals erheblich gesteigert zu sein. Das Bild
interpretierenden Visualisierungen die neuesten technischen
ist nun noch deutlich monumentaler – die räumliche Wirkung
Möglichkeiten. So simuliert eine aufwändige Lichtprojektion
des Panoramas hängt ja tatsächlich von seiner Größe ab –
die antike Farbigkeit einer heute gänzlich weißen Marmor-
und die allermeisten Leute haben in ihrem Leben wohl noch
statue sehr viel attraktiver als ein bemalter Gipsabguss. Wir
nie ein so großes Bild vor sich gehabt. Wir sehen heute meist
wissen heute sicher, dass fast alle antiken Steinskulpturen im
schnell bewegte Bilder auf dem Smartphone, Tablet, Film,
Original polychrom gefasst waren. Neben Asisis Zeichnun-
im Fernsehen, alles huscht vorbei. Plötzlich ist man diesem
gen gibt es ein äußerst aufwändig gestaltetes Digitalmodell,
vollkommen statischen Bild ausgesetzt, das von allen Seiten
das dem Zuschauer in einer ganz ruhigen Kamerafahrt aus
auf einen einwirkt und dessen bedrängende Präsenz auch
dem Pergamonmuseum auf den Burgberg von Pergamon
noch durch die ungemein theatralische Beleuchtung und
entführt und ihm die Lage und Architektur des Großen Altars
den untermalenden Soundtrack enorm verstärkt wird. Im Ver-
anschaulich vor Augen führt.
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Die Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin gehört zu den bedeutendsten Sammlungen für antike griechische und römische Kunst in der Welt. Ihr berühmtestes Schaustück ist der mehr als 2.000 Jahre alte monumentale Pergamonaltar. Ein Meisterwerk hellenistischer Kunst, dessen ausdrucksstarker Skulpturenfries den Kampf der Götter mit den Giganten verbildlicht. Seit 2004 ist Prof. Dr. Andreas Scholl Direktor der Berliner Antikensammlung.
Im Panoramabild spielt der Altar neben dem AthenaHeiligtum und dem griechischen Theater eine ganz prominente und zentrale Rolle. Wie weit gehen Sie als Wissenschaftler mit der baulichen Anlage und dem szenischen Drumherum mit?
AS
Yadegar Asisi hat natürlich die allergrößten Ver-
sind frei erfunden. Aber das erzählen wir den Leuten natür-
dienste um das Gesamtbild. Es ist sein Werk.
lich auch. Wie die Menschen in der Antike genau aussahen
Aber auf fast alle Einzelheiten der archäologischen Rekon-
und gelebt haben, kann aus der historischen Distanz nur
struktion haben wir – wie schon 2011 – massiv Einfluss
ansatzweise erfasst werden. Wir haben aber alles geliefert,
genommen. Für die jetzige Neuauflage gab es dennoch
was uns dazu eingefallen ist. Man kennt natürlich Opfersze-
eine Menge Anknüpfungspunkte, um eine kritische Revi-
nen und Vergleichbares von griechischen Vasenbildern, es
sion des Riesenbildes anzugehen. Zum Beispiel hat Yade-
gibt Beschreibungen in der antiken Literatur, es gibt lange
gar Asisi jetzt den Innenhof des Altars von den blühenden
Inschriften, die ziemlich genau sagen, was wann zu opfern
Büschen befreit, weil er jetzt Zeit und Gelegenheit hatte
ist, da hat man also schon Quellen. Aber trotzdem gewinne
auch den Telephos-Fries einzufügen. Das war beim ersten
ich so kein, wie soll ich sagen: fotorealistisches Bild, wie
Mal aus Zeitgründen nicht mehr realisierbar gewesen. Der
es damals tatsächlich aussah. Aber genau das suggeriert
kleine Fries ist aber inhaltlich sehr wichtig, denn er erzählt
das Panorama natürlich. Indem es sehr stark auch mit foto-
den hochkomplexen und völlig artifiziellen Gründungs-
grafischen Bildvorlagen, etwa durch Komparsen arbeitet.
mythos von Pergamon, den die Könige als Newcomer im
Natürlich ist das problematisch, aber die viel schlechtere
antiken Griechenland von Experten hatten entwerfen las-
Alternative wäre eine sterile, menschenleere Szenerie. Asisi
sen. Damit wollten Sie an die ältesten Schichten der grie-
hat hier als Künstler geringere Berührungsängste als wir
chischen Kultur andocken. Ihre cleveren Mythographen
Wissenschaftler. Anhand zeitgenössischer Genrefiguren
haben sich diese reichlich wirre Geschichte ausgedacht
aus der Bildhauerkunst der hellenistischen Zeit, die wir für
und sie dann für die Ewigkeit in Stein hauen lassen. Der
ihn zusammengestellt haben, konnte er viele Szenen nach-
nur zur Hälfte erhaltene kleine Fries ist jetzt auf dem Pano-
stellen lassen und in das Bild einfügen. Selbstverständlich
ramabild deutlich im Hof des großen Altars zu erkennen.
können wir Archäologen oft nur vage Hinweise geben, etwa
Einige fehlende Partien sind geschickt vom aufsteigenden
wenn es um die erwiesenermaßen sehr bunte Farbigkeit
Rauch des Brandopfers verdeckt. Damit ist der Innen-
antiker Skulpturen geht. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie
hof nun insgesamt viel korrekter dargestellt als es vorher
der große Fries des Pergamonaltars in seiner Gesamtheit
der Fall war und damit auch verständlicher. Wir haben
farbig gefasst war. Hier konnten wir Asisi nur auf Skulpturen
zu anderen Fragen auch inhaltliche Anregungen vom
hinweisen, die Teile ihrer Polychromie bewahrt haben. Er
Deutschen Archäologischen Institut in Istanbul bekom-
hatte dann den Mut, den Nordfries des Altares vollständig
men. Der Grabungsleiter von Pergamon, Felix Pirson,
zu rekonstruieren und eben auch farbig darzustellen. Seine
hatte ganz konkrete Veränderungswünsche, die dann
großformatige zeichnerische Rekonstruktion des Nordfrie-
auch in das Bild eingeflossen sind, etwa was die Wohn-
ses ist jetzt in der Rotunde ausgestellt. Sie zeigt dem Besu-
bebauung der Hänge oder die Naturheiligtümer betrifft.
cher sehr anschaulich, auf welche Weise Asisi die Lücken unter Berücksichtigung des archäologischen Befundes
Viel schwieriger und viel fragwürdiger als die archäologische
künstlerisch intuitiv ergänzt hat. Diese Wiederherstellung ist
Rekonstruktion von Topographie und Architektur ist natürlich
trotz aller offenkundigen Probleme sicher mit Abstand das
das ganze lebensweltliche Drumherum. Alle Szenen im Bild
Überzeugendste, was hierzu je versucht wurde.
8 Pergamonmuseum. Das Panorama
Ihre Ausstellung umrahmt das Panoramabild und zeigt
Die Staatlichen Museen zu Berlin nutzen diese Inte-
eine große Zahl von originalen Kunstwerken aus der
rims-Ausstellung, die alles andere als eine proviso-
Antikensammlung. Unter anderem den Telephos-Fries,
rische Zwischenlösung ist, als Überbrückung der
um den es eben schon ging. Dazu eine Gruppe lebens-
langen baubedingten Schließung des Altarsaals im
großer Frauenfiguren, die höchstwahrscheinlich um
Pergamonmuseum. Der Pergamonaltar wird erst mit
den Pergamonaltar herum aufgestellt waren. Sieht der
der Wiedereröffnung seines Ausstellungsraumes im
Besucher damit etwas Neues?
Jahre 2024 wieder im Original zu sehen sein. Ohne die
AS
Initiative der Antikensammlung wäre diese Schau gar Wir zeigen tatsächlich alle künstlerisch bedeutenden Skulpturen aus Pergamon, die nach
Berlin gelangt sind, bis eben auf die Originale des großen Frieses, die im Pergamonmuseum verbleiben mussten. Die ausgestellten Skulpturen werden nach langer Restaurierung
nicht zustande gekommen. Was war Ihre Motivation?
AS
Wir Archäologen haben ja in der Regel einen relativ sachlichen Blick auf die Altertümer.
Natürlich sind auch wir begeistert von bestimmten Kunst-
in einem ganz hervorragenden Zustand präsentiert. So gut
werken und gerade die pergamenische Skulptur gehört
haben sie sicher seit der Antike nicht mehr ausgesehen. Die
zum Allerbesten, was griechische Bildhauer überhaupt je
neue Aufstellungs- und Beleuchtungssituation in der Halle
geschaffen haben. Uns ist aber vor allem bewusst, dass
lässt zudem viele Bildwerke ganz anders wirken, als wir sie
wir auf der Museumsinsel ein wichtiges Weltkulturerbe
aus dem Pergamonmuseum kennen. Der Telephos-Fries
hüten, das der Öffentlichkeit möglichst immer zugänglich
zum Beispiel erscheint plötzlich viel größer, weil seine
sein soll und angemessen erklärt werden muss. Hier bietet
Inszenierung in einer „Raum-im-Raum-Installation“ ihm
unser neues Gebäude mit dem in die Ausstellung integrier-
einen ganz anderen optischen Bezugsrahmen gibt. Außer-
ten Panorama dem Besucher einfach einen fesselnden und
dem steht er jetzt nicht im diffusen Tageslicht, sondern wird
leicht fasslichen Einstieg. Ohne selber nach Pergamon rei-
von Spots beleuchtet, die ihn ungeheuer plastisch erschei-
sen zu müssen, wird man in Windeseile auf den Burgberg
nen lassen. Hinzu kommt eine von Yadegar Asisi ersonnene
versetzt, kann die dramatische Landschaftsszenerie, aber
Tageslichtdramaturgie, in der sich sowohl die Decke der
auch die wichtigsten Bauten in einem Rundblick erfassen.
„Telephos-Box“ als auch die gegenüberliegende Wand so
Hinzukommt das theatralische Element, für das Yadegar
verändern, wie es im natürlichen Sonnenlicht auf dem Burg-
Asisi einen ganz starken Sensus besitzt. Man spürt förmlich,
berg gewesen sein könnte. So soll dem Betrachter eine Vor-
dass er Bühnenbilder entworfen und sich intensiv mit der
stellung davon vermittelt werden, wie der sich ständig ver-
Praxis des Theaters beschäftigt hat. Sein Verständnis für
ändernde Stand der Sonne die Wirkung der Reliefs im Hof
Inszenierung und Wirkung spielt hier eine ganz große Rolle,
des Altares beeinflusst haben mag und wie sich das Bild
was besonders auch durch die ja gänzlich theatralisch-dy-
der Skulpturen von Minute zu Minute verändert hat.
namische Beleuchtung des Panoramas und den ungeheuer atmosphärischen Soundtrack von Eric Babak unterstrichen
Zudem haben wir Objekte ausgesucht, die sich wechsel-
wird. In Verbindung mit unserem wissenschaftlich nüchter-
seitig erklären und repräsentativ für unsere Sammlung sind.
nen Ansatz erscheint mir das ideal zu sein, wobei die neue
Die Skulpturen, die wir zeigen, waren fast nie nur reiner
Präsentation der pergamenischen Skulpturen durch den
Schmuck. In vielen Fällen hatten sie andere Funktionen und
gestalterischen Zugriff des Asisi-Teams durchaus stärker
eine konkrete inhaltliche Aussage. Die Gruppe großer Frau-
inszeniert und durchgestaltet ist, als etwa unsere zurück-
enfiguren, die jetzt jeden Eintretenden begrüßen, waren
haltende Dauerausstellung im Alten Museum.
schon in der Antike große und teure Kunstwerke. Zugleich sind sie aber mit hoher Wahrscheinlichkeit Ehrenstatuen für
Natürlich hoffen wir, mit einem solchen, in meinen Augen
verdiente Priesterinnen, Bürgerinnen oder Personifikationen
ästhetisch hochattraktiven Ansatz auch Leute mit der klas-
abstrakter Begriffe. Immer waren sie als wertvolle Weih-
sischen Antike konfrontieren zu können, die sonst nie ins
geschenke an die Götter gedacht. Als Agalmata, als hell
Museum finden. Viele werden zunächst kommen, um das
leuchtende Werke, sollten sie die Götter erfreuen, waren
Panorama zu bestaunen und dann aber auch die großar-
gleichzeitig aber auch eine Bitte um deren Gunst. Dieses
tigen antiken Skulpturen erleben und sich vielleicht über-
Prinzip, dass ich etwas an die Gottheit gebe und in einem
haupt zum ersten Mal mit der griechischen Kunst und Kul-
relativ mechanischen Verständnis erwarte, dass die Gott-
tur der Antike konfrontiert sehen. Hier würde es mich ganz
heit mir dafür etwas zurückgibt, das ist ein ganz zentraler
besonders freuen, die Schulen in Berlin und Brandenburg
Bestandteil altgriechischer religiöser Vorstellungen und
zu interessieren, denn schon 2011 hatte gerade das Pano-
solche Dinge werden eben auch angesprochen. Asisi hat
rama bei Kindern und Jugendlichen eine begeisternde Wir-
diese besonders schönen Skulpturen in einer großen Zeich-
kung entfaltet. Jetzt kommen in der Ausstellung noch die
nung ihren ursprünglichen Zusammenhang zurückgegeben
aufwändigen virtuellen Visualisierungen des Pergamonal-
und bietet damit dem Besucher eine wichtige Lesehilfe an.
tars hinzu, die im Kinoformat gezeigt werden und damit den
Natürlich tauchen diese Figuren auch im Panorama-Bild auf
Sehgewohnheiten der jüngeren Generation entsprechen
und der aufmerksame Betrachter wird sie dort wiedererken-
dürften. Wir wünschen uns jedenfalls möglichst viele junge
nen.
Besucherinnen und Besucher!
Exponate der Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Š asisi
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Text: Thomas Irmer
Heiliger Ernst Die Ursprünge des antiken Theaters Im Jahr 129 n. Chr. liegt die Errichtung des griechischen
Aus den ekstatischen Gesängen und Tänzen entwickelte
Theaters von Pergamon schon mehr als drei Jahrhunderte
sich eine chorische Form der Zeremonie, und aus dieser
zurück. Es wurde auf Veranlassung des Herrschers Attalos I.
allmählich, folgt man der mit Nietzsche eingeschlagenen
für rund 10.000 Zuschauer gebaut und weist alle Merkmale
Auffassung von der Entstehung des antiken Dramas, die
eines Amphitheaters der klassischen griechischen Zeit auf.
Tragödie mit Protagonisten, die dem Chor gegenüberste-
Das steil ansteigende Halbrund der Zuschauerreihen nutzt
hen und von diesem kommentiert oder beklagt werden. Mit
die natürliche Hanglage (300 Meter über dem Meeresspie-
dieser Entwicklung wandert die Zeremonie aus dem Hain
gel) wie bei dem berühmten Dionysostheater unterhalb
in eigens angelegte Theaterbauten. Das, was wir als grie-
der Akropolis in Athen oder dem einst größten Theater der
chisches Theater der Antike mit dem Höhepunkt der über-
Antike (15.000 Zuschauer) in Syrakus auf Sizilien. Diese rie-
lieferten Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides
sigen Freilufttheater sind architektonisch das Ergebnis einer
aus dem 5. Jh. v. Chr. kennen, steht am Ende einer langen
langen Entwicklung, deren Anfänge in rituellen Tänzen und
Entwicklung, mit der die Ursprünge des europäischen The-
Gesängen zur Feier des Dionysos liegen, mit denen diesem
aters anzusprechen sind. In den im Frühling abgehaltenen
Gott des Weines und der Fruchtbarkeit ekstatisch gehuldigt
Feiern zu Ehren des Dionysos, den Dionysien, lagen dann
wurde. Es steht außer Zweifel, dass der Ort eines Hains den
ab dem 6. Jh. v. Chr. religiöse Riten und staatliche Fei-
natürlichen Schauplatz für diese Riten darstellte, ein eigens
ern praktisch ineinander verschränkt, und die dabei nach
geheiligtes Waldstück, das in seiner Anlage entsprechende
einem genauen Ablauf festgelegten Theateraufführungen
Versammlungen aufzunehmen vermag und darüber hinaus
waren ein wesentlicher Teil dieses jährlich wiederkehrenden
wegen anderer Aspekte der Landschaft, etwa dem Aus-
Ereignisses, das zu dieser Blüte von Theater und Drama
blick aufs Meer, ausgewählt wurde. In diesem Sinne wei-
in Athen führte, aber auch in anderen Stadtstaaten jener
sen die späteren griechischen Theateranlagen häufig sehr
Zeit, wie etwa in Syrakus, ähnlich Praxis war. An drei auf-
deutlich ihre Verankerung in Landschaft und Natur auf, die
einander folgenden Tagen wurden jeweils vier Stücke von
ihr Gesamterlebnis prägen. Auch in Pergamon kann man
einem Dichter aufgeführt, am vierten Tag dann gab es
diese Einbettung des Theaters zwischen Stadt und Land-
fünf Komödien verschiedener Autoren. Vier Tage Theater
schaft in geradezu mustergültiger Weise sehen.
total. Die Bürger hatten nicht nur freien Eintritt zu diesem
Das antike Theater Pergamon, Aquarell, Yadegar Asisi, 2010
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Der Chor der griechischen Tragödie, das Symbol der gesammten dionysisch erregten Masse, findet an dieser unserer Auffassung seine volle Erklärung. Während wir, mit der Gewöhnung an die Stellung eines Chors auf der modernen Bühne, zumal eines Opernchors gar nicht begreifen konnten, wie jener tragische Chor der Griechen älter, ursprünglicher ja wichtiger sein sollte, als die eigentliche „Action“…, sind wir jetzt zu der Einsicht gekommen, dass die Scene sammt der Action im Grunde und ursprünglich nur als Vision gedacht wurde, dass die einzige „Realität“ eben der Chor ist, der die Vision aus sich erzeugt und von ihr mit der ganzen Symbolik des Tanzes, des Tones und des Wortes redet.
Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872)
Das antike Theater Pergamon, Aquarell, Yadegar Asisi, 2010
12 Heiliger Ernst – Die Ursprßnge des antiken Theaters
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zugleich als Dichterwettbewerb ausgerichteten Ereignis, sie waren als pflichtbewusste Bürger gleichsam zur Teilnahme angehalten. Siebzehn neue Stücke – mit gleichwohl aus der Mythologie bekanntem Material – in vier Tagen zu sehen, das würde heute manch professionellen Festivalbesucher an seine Grenzen bringen. Als Bestandteil der Dionysien wurden diese Theaterzyklen von sieben bis acht Stunden (bei Tageslicht) als Höhepunkt des Festkalenders angesehen – das Theaterfest somit als Ausnahme vom Alltag und zugleich eine der bis heute nachwirkenden Grundlagen unserer Kultur. Was in dem ja erst nach dieser Blütezeit errichteten Theater von Pergamon unmittelbar nach seiner Eröffnung stattgefunden hat, ist nicht bekannt. Das Vorbild der Athener Akropolis mit dem darunter großzügig angelegten Theater in räumlichem Bezug zu mehreren Tempeln lässt vermuten, dass sich dessen Nutzung nicht sehr von der in der quer über die Ägäis nahen Metropole unterschieden haben dürfte. Vielleicht waren hier Tragödien und Komödien zu erleben von uns nicht bekannten, aber vom Publikum seinerzeit geschätzten Dichtern. Zweifellos ist dieses Theater nicht nur eines der Hauptwerke hellenistischer Architektur überhaupt, es stellt in Lage und Anlage auch seine zentrale Bedeutung innerhalb der Polis vor. Ohne große Mutmaßungen kann man sich vorstellen, wie sich der Wandel des Theaters an der griechischen Peripherie unter römischer Herrschaft und insbesondere in der Kaiserzeit vollzog. Die Tradition der Dionysien und ähnlicher Feste erlosch und damit wurden in der Theaterkultur deren rituelle Wurzeln verschüttet, so wie dann auch die Aufführung der in der griechischen Mythologie verankerten Tragödien verschwand. Stattdessen hielt, nun an einen römischen Festkalender gebunden, eine Kultur des Spektakels Einzug in die altgriechischen Spielstätten, die für diese Zwecke auch umgebaut wurden, wenngleich der Gesamtcharakter dieser Anlagen erhalten blieb. Für das Theater von Pergamon wurde das hölzerne Bühnenhaus mit einer Skene aus Stein ersetzt und die Orchestra (die halbrunde Vorbühne) in eine fest umgrenzte Arena umgewandelt. Beides diente den nun beliebten Gladiatoren-Kämpfen und Tierhatzen. Für die ebenso populären Wagenrennen war in dieser Anlage freilich kein Platz. Gleichwohl darf man hervorheben, dass das Theater in der Gesamtanlage von Pergamon der größte Ort einer öffentlichen Veranstaltung auch in römischer Zeit bleibt, der sich mit Menschen unterschiedlicher Schichten immer wieder füllt. Das Theater, das einst mit Dionysos aus der Natur kam, hat seinen urbanen Ort behauptet und dabei immer wieder gewandelt. Zwischen einem noch nahen Tieropfer zu Ekstase-Gesang und der Feier des Dichterworts als Maßstab des Theaters – bis heute.
THOMAS IRMER geboren 1962 in Potsdam, schloss 1988 sein Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität Leipzig ab. Nach Erhalt des Fulbright Stipendiums an der SUNY Buffalo in New York promovierte Irmer 1994 an der Uni Leipzig. Seit Beendigung seiner redaktionellen Verantwortung von „Theater der Zeit“ in Berlin, ist er Kritiker bei Theater heute und ist seit 2015 Autor und Herausgeber bei „Theater der Zeit“. Parallel dazu lehrt er „Amerikanisches Drama“ am Kennedy-Institut der FU Berlin. Seit 1988 verfasst er Beiträge über Literatur, Kunst und Theater für eine Vielzahl von internationalen Fachzeitschriften. Seit 1996 mit verschiedenen Magazin-Beiträgen filmisch für den MDR, ntv und 3sat tätig.
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Pergamon in der griechischen Antike – Bergama in der Türkei
Bergama hat knapp 70.000 Einwohner. Neben dem übli-
hinten gelehnt mit straffen Zügeln in der Hand auf bunten
chen städtischen Betonanteil, der sich in die kahlen sand-
Kelimen, mit denen sie die Ladeflächen ihrer hochbela-
farbenen Berge der kleinasiatischen Küstenregion frisst,
denen Wägelchen ausstaffiert haben und jagen mit ihren
gibt es auch eine historische Altstadt. An vielen Häusern
von galoppierenden Maultieren gezogenen Gespannen
schlagen hier allerdings quietschend die Fensterläden um.
staubaufwirbelnd die Straßen hinunter. Händler halten kra-
In Nebenstraßen rollt der Wind große Büschel stacheligen
keelend zappelndes Geflügel in die Höhe oder schleppen
Gestrüpps durch den Staub, die geduckten Häuser blicken
von der täglichen Last gebeugt enthäutete Hammelhälften,
aus fensterlosen Löchern, in denen Katzen und Hunde in
Gemüsestiegen oder Mehlsäcke auf den Schultern. Der Tag
die Mittagshitze blinzeln. Alte Menschen dösen auf den
beginnt für sie schon vor Sonnenaufgang. In dem Lokal von
Stufen vor den Häusern. Mehrmals am Tag durchbricht
Esref, einem 90jährigen freundlichem Greis, der sehr lang-
der Gebetsruf der Muezzins die Tagesstille. Bald aber legt
sam die Teller heranträgt, bei dem in einem großen Topf
sich die Unschärfe dieses Singsangs über die Tage wie der
wundersam warme Milch mit Honig blubbert. Hier gibt es
Soundtrack einer Zeit, die noch von Menschen bewegt wird
süßen Tee und Kaymak, hartgekochte Eier und weißes Brot
und von ihrer gemächlichen Betriebsamkeit.
und jede Menge Neuigkeiten. Der historische Markt war schon immer nicht nur ein Ort
Jeden Montag ist Markttag. Händler und Bauern aus der
für Kopfsalat und Weintrauben. Sondern auch eine Agora,
Umgebung kommen in die Stadt. Pferdestärken scheinen
ein Ort für Meinungen, für tägliche Diskussionen. Und so
auch hier Eindruck zu machen: Die Männer sitzen nach
steht denn auch in der öffentlichen Schreibstube dichter
Bergama Altstadt mit Blick auf den Burgberg, Š asisi
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16 Pergamon in der griechischen Antike – Bergama in der Türkei
Zigarettenqualm. Ein Mann tippt mit zwei Fingern auf einer
auch hin, denn die Ausgrabungsstätte Pergamon gehört
alten Schreibmaschine. Wort für Wort wird dabei aufgeregt
zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Bergamener aber lie-
von allen Anwesenden kommentiert. Jungen ducken sich
ben ihre antiken Trümmer auf unprätentiöse Weise. Ihr Sen-
Tee-Tabletts am Haken balancierend durch die bewegte
sationswert ist nachgerade beiläufig. Die Trümmer waren
Menge. Schwarzer Tee, der in den kleinen Gläsern wie
schon immer da und sie werden auch noch da sein, wenn
flüssiger Bernstein glitzert. Es gibt ein öffentliches Bad in
sie selbst schon wieder weg sind. Die schlichte Anwesen-
einem 500 Jahre alten Hammam. Kleine Bäckereien, ein-
heit von Pergamon hoch oben über der Stadt aber hat
fach Lokale und ein paar Geschäfte für Haushaltswaren
eine identitätsstiftende Wirkung. Es ist etwas, woran sie
und moderne Toilettenartikel. Und Teppichhändler natür-
sich festhalten. Die Aura des Burgbergs bremst auf mys-
lich. Vor der Opulenz dieses einfachen Lebens kann der
teriöse Weise das Zeitempfinden. Die Zeiger der wenigen
koloniale Wohlstands-Europäer angesichts seines rasanten
öffentlichen Uhren scheinen, wenn sie nicht vielleicht sogar
turbokapitalistischen Lebenselends nur beschämt auf die
unmerklich rückwärtslaufen, dann doch wenigstens stillzu-
Knie gehen.
stehen. Die Antiken-Trümmer als Bewahrer vor sinnlosem
Antike Trümmer in Pergamon, © Gerhard Westrich
Fortschritt und der Zerstörung von Kulturlandschaft? Ein Die altertümliche Altstadt ist aus dem 15. Jahrhundert und
Zustand ungestörter Bewusstlosigkeit und gehirninternen
liegt direkt am Fuße des Burgbergs. Sie ist das Tor zu einer
Leerlaufs fördert den irrationalen Eindruck, in eine Verwer-
der berühmtesten Stätten klassischer griechischer Antike.
fung von Raum und Zeit geraten zu sein. Aber es trügt –
Darauf weist die eine oder andere Beschilderung durchaus
die Region und die Menschen sind schlicht arm. Denn seit
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Denn alles Große ist auch gefährdet und hinfällig.
Beginn der Türkei-Krise bleiben die Touristen aus. Auf dem Burgberg ist es deshalb zeitweise fast menschenleer. Bergama hat mit den Einbußen schwer zu kämpfen. Viele Menschen leben von Pergamon. Der Besuchereinbruch ist ein finanzielles Desaster für die Stadt und ihre Bewohner. Erst vor ein paar Jahren ist eine Seilbahn gebaut worden, mit der die Touristen aus dem Tal auf den Berg fahren sollen, damit die Reisebusse sich nicht mehr durch die enge Altstadt den Berg hinauf quälen. Eine Investition, die sich nicht rentiert. Auch die Hoteliers haben Mühe, ihre Zimmer zu vermieten. Neuerdings entdecken Künstler und Intellektuelle aus Istanbul den liberal regierten Westen der Türkei, siedeln sich hier an und sanieren die vom Zerfall bedrohten Häuser in der Altstadt. Nach Bergama reisen, heißt wildro-
Platon in „Politeia“
mantisch 100 Jahre in der Zeit zurückzureisen. Aber das wird nicht mehr lange so sein. Die Stadt erholt sich langsam, auch aus eigener Kraft. Bergama, das ist die Lektion, liegt in der Türkei. Pergamon in der griechischen Antike. Nach den Expeditionen durch griechische Altertümer begann Anfang des 19. Jahrhunderts auch in der inzwischen osmanischen Provinz die Wiederentdeckung der hellenistischen Antike. Die ersten Bildungs-Reisenden tauchten in der Stadt auf, erklommen den Berg, berichteten davon in Europa, bis Archäologen begannen das alte Pergamon freizulegen. Bis heute wird ja gegraben, geforscht und analysiert. Auch von Deutschen. Pergamon, das ist ein riesiges Areal. Über Jahrhunderte war es eine griechische Metropole. 150.000 Menschen haben hier gelebt. Nichts wurde hier je überbaut. Nur verlassen. Aber längst hat sich die Antike hier ungestört zur ewigen Ruhe gelegt, sich in anmutigster maroder Schönheit ausgebreitet. Säulen liegen da, als seien sie vor 1000 Jahren an die Stelle gerollt, Marmortrümmer, Reste von Statuen und Fragmente verwachsen zwischen Dornen und Gestrüpp. „Denn alles Große ist auch gefährdet und hinfällig.“ Die Worte von Platon stammen aus einer Zeit, als Pergamon noch gerade im Entstehen begriffen war und die Monumentalität der Akropolis in Athen die Griechen schier überwältigte. Der griechische Philosoph hat sich dabei mit der Materie des Monumentalen an sich beschäftigt. Alles Große geht eben eines Tages zu Bruch. Das einzige, was bleibt, sind Trümmer. Daran lässt sich getrost festhalten. Und schließlich sinkt man selbst hin wie eine fallende Säule und lässt sich beinahe überwältigen von einem übermächtigen Jahrhundert-Nickerchen als handle es sich um ein numinoses Ritual, eingesäuselt von einem narkotisierenden Zikaden-Konzert. Aber Halt! Nach dem Mythos sind Zikaden Nachkommen verzauberter Menschen, die sich über den herrlichen Gesang der Musen so vergessen hatten, dass sie verhungerten. In ihrer Insekten-Reinkarnation dürfen sie nun singen, ohne jemals etwas essen oder trinken zu müssen. Aber: Sie petzen den Musen, wenn jemand mittags schläft, statt sich geistig zu betätigen. Man sollte sich vor ihnen in Acht nehmen. Dass Musen und Götter zwischen den pergamenischen Trümmern herumgeistern steht außer Frage!
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Der Altar
Eine fürwahr romanhafte Entdeckung
Eigentlich ist es ein Krimi. Obwohl es natürlich dem literari-
Pergamonaltar in Berlin zu haben. Ein Schatz. Ideell gesehen.
schen Genre als Solchem ganz und gar fernliegt. Aber selbst
Denn die Kosten in, sagen wir mal, Talern, die Berlin seit der
mit dem Wissen um den Ausgang der ganzen Unternehmung
Inbesitznahme vor knapp 150 Jahren aufgebracht hat und
setzt bei der Lektüre dieses Buches ein Fiebern ein. Wie wird
bis zu seiner hoffentlich endgültigen Präsentation im neuen
das alles enden? Der Autor versteht es geschickt, nicht nur
Pergamonmuseum noch aufbringen muss – ab 2024 soll es
seine Handlungsstränge schräg in der Luft hängen zu lassen,
soweit sein, so der Gott Baupolitk will – siedeln sich ja im Fan-
sondern auch konzeptionell Haken zu schlagen. Ja, es gibt in
tasiebereich an. Aber reden wir nicht über Geld. Es geht um
diesem Roman auch eine Liebesgeschichte. Und ja, sie hat
Gefühle. Um das Erhabene an sich.
auch ein Happy End. Die aufblühende Liebe zwischen zwei
Ralf Nürnberger eröffnet seinen Roman „Der Altar“ mit einer
jungen Herzen, Fritze und Riecke, die von den Ereignissen
saftigen Militärparade. Am 18. Januar 1871 wird der preußi-
um den Antiken-Trubel in Berlin peripher tangiert werden. Die
sche König Wilhelm I. deutscher Kaiser. Interessant ist daran,
aber etwas erzählen über die gesellschaftlichen und politi-
historisch gesehen, eine ganze Reihe von Aspekte. Er kon-
schen Tendenzen dieser Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts
zentriert sich in seiner Darstellung dieses das Ende des
in Berlin. Aber vor allem geht es in diesem Buch um eine Ele-
19. Jahrhunderts bestimmenden Ereignisses aber ganz prak-
fantenhochzeit: Die zwischen dem Pergamonaltar und den
tisch auf eine Reihe nebensächlicher Verhinderungen. Dass
kaltschnäuzigen Watndat? – Berlinern. Das krieg mal einer
der alte Herr, erstens von dem ganzen Kaiser-Tamtam um ihn
zusammen!
herum nicht besonders begeistert ist. Und zweitens gichtgeplagt, nur mühsam sein Pferd erklimmt, und die ganze ihm
Ralf Nürnberger erzählt nämlich auch neben allem, was er
sinnlose Parade abreitet. Hinter dem ausladenden Hinterteil
über die Umstände der Auffindung, der Ausgrabungen und
des Rappen seines Ministerpräsidenten und Reichskanzlers
der Installation in der Berliner Öffentlichkeit detailbesesse-
Otto von Bismarck her. Das nimmt dem ganzen Kapitel sein
nen recherchiert hat, von dem sagenhaften Stolz der Berliner.
kaiserlich-deutsches National-Gekröse. Es lohnt sich den-
Auch wenn es sich für den wissenschaftlichen Laien schlicht
noch, den Kaiserwalzer von Richard Wagner einzuspielen,
um tote Steine handelt. Diese Marmorblöcke, Statuen, Trüm-
denn den hatte der zu diesem Anlass komponiert und inso-
mer lösten eine Antiken-Taumel durch alle gesellschaftlichen
fern schafft man sich als Leser auch ein immersives, wenn
Schichten der Bevölkerung aus. Von welchem Museumsleute
auch kabarettistisches, Lese-Vergnügen. Nürnberger hält
heute nur träumen können. Welcher Berliner unserer Zeit war
sich an dieser Militärparade in epischer Breite nämlich vor
denn schon im Pergamonmuseum, wenn nicht bei einem
allem auf, um auch visuell ein Panorama zu öffnen. Auf die
Schulausflug vor 100 Jahren?
im Entstehen begriffene Reichshauptstadt Berlin. Das Stadt-
In diesem Buch, geschrieben von einem Wahlberliner, lässt
schloss ist die überragende Kulisse, der Dom von Friedrich
sich wohl erstmals nachfühlen, was es uns gekostet hat, den
Schinkel, der später dem großen Berliner Dom weichen wird,
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Überführung der monumentalen Friesteile nach Deutschland, nach Berlin, wo trotzdem keiner wusste, wohin damit. Denn ein Museum gab es dafür ja noch nicht. In Bergama aber waren wie überall in den osmanischen Provinzen die Altertümer von der Weiterverarbeitung als Baumaterial bedroht. Und noch immer fühlt sich diese, wenn auch an vielen Stellen fiktive Narration, wie ein packendes Abenteuer an. Nicht weil die Männer dabei den Ehrgeiz zweier genialer Diebe an den Tag legten. Die osmanische Regierung gab der Ausfuhr bereitwillig ihren Segen. Dass es den Altar aber heute so noch gibt und dass er nicht stückweise in den Öfen der vor Ort ihr Unwesen treibenden Kalkbrenner geraten ist oder von Kunstbanausen als Türschwellen in der Umgebung verbaut wurde, ist auf die Weitsicht und Besonnenheit von Humann und Conze gegründet. Verpackt in fiktive Geschichten würdigt dieses Buch auch ihre Tatkraft im Wortsinn. Der geneigte Leser beginnt bald, schlicht um jeden Gigantenzeh zu bangen. Das macht einen großen Teil der Spannung in diesem Roman aus. Dem Autor Ralf Nürnberger ist mit diesem Buch erstmals eine komplexe Darstellung der damaligen Ereignisse gelungen, an dessen Hintergründen er seine Leser auf unterhaltsame Art teilhaben lässt. Wobei er üppiges Personal durch fast 400 Seiten lenkt. In Bergama begegnet man Carl Humann als sympathischem Zeitgenossen, der als eingefleischter Bild oben: Die Grabungshütte auf dem Burgberg. Auch „Reichshalle“ genannt. Um 1884 Carl Humann ist der 2. von links, neben ihm in der Tür stehend: Alexander Conze, Spiritus Rector und Leiter der Grabung © Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin
die Baustelle der Nationalgalerie, die Bauakademie, die Tri-
Westfale seine Gäste mit Original deutscher Braukunst zu
umphstraße Unter den Linden – alles letztlich Firlefanz gegen
empfangen pflegte. Ein umsichtiger und fröhlicher Mensch,
die Pracht von Paris und London. Preußens Glanz und Gloria
der den Schatz auf dem Burgberg mit Adler-Augen hütete.
gab es nur noch sprichwörtlich und war just im Begriff unter-
Am Berliner Hof zog zeitgleich der kulturliebende Thronfolger
zugehen. Denn der gründete sich ja vor allem auf militärische
Friedrich Wilhelm im Kronprinzenpalais die Strippen, um unter
Stärke und weniger auf diesen schnörkeligen kunstsinnigen
Umgehung der kaiserlichen Majestät seines Vaters, der trotz
Feingeist. Und sei es auch in großen Teilen napoleonische
oder wegen eines ernstzunehmenden Altersstarrsinns das
Raubkunst – auf den Louvre schielte die ganze Welt mit
Ruder nicht aus der Hand zu geben gedachte, die Museums-
unverhohlenem Neid. Eine Metropole sollte her. Nicht nur Fas-
landschaft in Berlin zu entwickeln. Eine zentrale wenn auch
saden. Es sollte auch etwas dahinterstecken. In Kunst, Kul-
eher ungünstige und am Ende komische Rolle spielt zum Bei-
tur und Wissenschaft hatte Berlin eine Menge nachzuholen.
spiel auch Wilhelm Bode, nach dem das Bode-Museum auf
Soviel zum Urknall.
der Museumsinsel benannt ist. Mit sich selbst als Zentralgestirn lässt Nürnberger den alten Mann am Ende Gespenster
Dass es den Pergamonaltar heute so in Berlin gibt, das hing
sehen. Aber all diese Ereignisse fädeln sich als rote Fäden
trotz allem Fortschrittswillen der deutschen Regierung dann
durch die Handlung. Und laufen zusammen im Bau des ers-
aber von unglaublich vielen Zufällen ab. Angefangen bei
ten Pergamonmuseums. Unglaubliche 20 Jahre sollten näm-
dem hemdsärmeligen Pionier dieser Unternehmung, Carl
lich noch vergehen, bis die Friesteile dann wirklich in dem für
Humann, der als Straßenbauingenieur und Hobbyarchäologe
diesen Altar errichteten Museum in Berlin zu sehen waren.
in Bergama in der Türkei die ersten Platten des Altar-Frie-
Bild links oben: Der Altar – Von Pergamon nach Berlin. Eine Zeitreise Eine fürwahr romanhafte Entdeckung. 369 Seiten. Gebunden. Roman, € 13.90 Erscheint Ende November 2018 ISBN 978-3-945305-05-8
ses entdeckte, auf eigene Kosten ausgrub und mit freundli-
Ein Fest haben die Berliner damals gefeiert, ein ausschwei-
cher Genehmigung des Sultans nach Berlin schickte. Wo in
fendes Attalidenfest. Dafür ist er kurz auch zu sehen gewe-
der archäologischen Sammlung des Museums dann aber
sen, der Altar. Begleitet von einer verrückten Jubel-Parade.
unglücklicherweise niemand etwas damit anfangen konnte.
Mit 1500 Statisten in antiken Gewändern. Und sogar einem
Die wenigen Fragmente landeten in einem Lager. Die Vorstel-
Panoramabild, auf dem der Altar auf dem Burgberg in Perga-
lung davon lässt sicher noch heute jedem Archäologen die
mon abgebildet war. Die Vibrationen der großen Verwerfun-
Haare zu Berge stehen.
gen des 20. Jahrhunderts waren da schon zu spüren. Fritze
Erst Alexander Conze, der vom Thronfolger Friedrich Wilhelm
und Riecke durchlebten harte Zeiten. Sie sind in diesem Buch
eingesetzte Direktor der königlichen Skulpturensammlung,
die Katalysatoren für die Lage der Nation. Der Altar wird nicht
erkannte – Jahre waren vergangen – ihre Bedeutung und lei-
lange in seinem neuen Pergamonmuseum bleiben. Aber das
tete schließlich gemeinsam mit Carl Humann die wirklich tief-
ist wieder eine neue Geschichte. Die Ralf Nürnberger viel-
schürfenden Ausgrabungen in Bergama und die komplizierte
leicht auch noch als spannenden zweiten Teil vorlegen wird.
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