
5 minute read
kein Stichtagsprojekt

from eGovernment 4/2023
by vit
Wenn die Deutsche Verwaltungscloud-Strategie erfolgreich umgesetzt werden soll, müssen die Angebote rechtlich einfacher und übersichtlicher sein – das ist eine der Erfahrungen aus der Entwicklung einer Koordinierungsstelle für die Cloud-Umgebung
Warum die Vertragsgestaltung eine Herausforderung ist, über unterschiedliche Geschwindigkeiten und die weiteren Erfahrungen aus dem Projekt spricht Martin Schallbruch, CEO von govdigital eG, im Interview mit eGovernment.
Herr Schallbruch, die Genossenschaft der öffentlichen ITDienstleister govdigital hat im Auftrag des BMI ein Minimum Viable Product, kurz: MVP, für die Koordinierungsstelle der Deutschen Verwaltungscloud (DVC) entwickelt. Was können Sie uns zum Projekt und zu den Ergebnissen sagen?
Schallbruch: An dem Projekt haben 13 unserer 24 Mitglieder mitgearbeitet. Es war ein großes Projekt mit mehreren Aufgabenbereichen, das wir als govdigital koordiniert und arbeitsteilig organisiert haben. Zum Projekt gehörte die Entwicklung eines Cloud-Service-Portals. Das ist der zentrale Einstiegspunkt, ein Self-ServicePortal, das es ermöglicht, CloudServices im Multi-Cloud-Kontext anzubieten, zu suchen und zu beauftragen. Dafür haben wir eine erste technische Lösung entwickelt, mit dem entsprechenden Identity Access Management. Wir haben, zweitens, ein Konzept für die Koordinierungsstelle erstellt und wir haben die entwickelten Lösungen natürlich auch erprobt.
Wie lief diese Erprobung ab?
Schallbruch: Unsere Mitglieder haben mehrere Cloud-Services eingestellt, bereits unter Berücksichtigung der vertraglichen Bedingungen, also zum Beispiel Haftungsfragen oder Definition von Servicelevels. Bei der Erprobung hatten wir Unterstützung durch freiwillige Testnutzer aus den Verwaltungen. Diese Tests haben wir dann evaluiert.
Die Projektergebnisse sollen in die Entscheidungen des ITPlanungsrats zum weiteren Aufbau der Deutschen Verwaltungscloud einfließen. Welche Erfahrungen haben Sie gewonnen, wo sehen Sie noch Handlungs- oder Klärungsbedarf?
Schallbruch: Wir haben gelernt, dass die Nutzungsbedingungen der Cloudservices eine große Rolle spielen. Diese Bedingungen müssen wir einheitlicher gestalten, um für die Kunden nicht zu viele, rechtlich komplizierte Konstruktionen zu schaffen. Die Angebote müssen rechtlich einfacher und damit übersichtlicher sein. Ein anderer Punkt ist das Dienste-Portfolio. Es muss
Hintergrund
Die Deutsche Verwaltungscloud-Strategie attraktiv sein für die Kunden und deren Bedarfe abdecken. Wir haben bei der Erprobung festgestellt, dass wir über unsere eigenen Mitglieder zwar ein umfangreiches Angebot an SaaS-Lösungen anbieten können, aber nur wenige Infra- heit, muss dabei durchgehend garantiert sein. Es wird nicht den einen Rahmenvertrag für alle Behörden geben, sondern die öffentlichen Stellen werden vom Markt von unterschiedlichen Anbietern zu unterschiedlichen Zeitpunkten
Die Deutsche Verwaltungscloud-Strategie (DVS) ist eine MultiCloud-Strategie. Sie wurde entwickelt, um die digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung zu stärken. Die Strategie sieht vor, gemeinsame Standards und offene Schnittstellen für Cloud-Lösungen in der Öffentlichen Verwaltung zu schaffen, um die übergreifende Nutzung von Cloud-Services und Softwarelösungen sowie Wechsel zwischen den Anbietern zu ermöglichen und somit kritische Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern zu reduzieren. Das grundlegende Konzept dazu wurde im Oktober 2020 vom IT-Planungsrat beschlossen. In seiner 39. Sitzung am 10. November 2022 hat der IT-Planungsrat das Rahmenwerk zur Zielarchitektur der DVS verabschiedet, ebenso wie die Feinkonzeption der Koordinierungsstelle der Deutschen Verwaltungscloud. Mit der Entwicklung eines MVP (Minimum Viable Product), also einer ersten technischen Lösung, für diese Koordinierungsstelle hat das Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) die govdigital eG beauftragt. Über govdigital eG govdigital ist eine bundesweite Genossenschaft der öffentlichen IT-Dienstleister. Die Organisation wurde im Dezember 2019 gegründet und hat derzeit 24 Mitglieder. Durch partnerschaftlichen Austausch von Kompetenzen und Know-how soll ein Mehrwert für die digitale Zukunft des öffentlichen Sektors geschaffen werden. Zu den aktuellen Projekten gehören außer der Entwicklung des MVP für die Koordinierungsstelle der Deutschen Verwaltungscloud auch Aufbau und Entwicklung des Marktplatzes für EfA-Leistungen, Entwicklung von Cybersicherheitslösungen und -services für die Öffentliche Verwaltung oder der Aufbau eines Kubernetes-Clusters. mit Aufwand verbunden, vergleichbar mit einer Neuentwicklung. Dafür müssen sie also zunächst investieren. Im Dezember 2022 haben sich Bund und Länder in der Besprechung der Regierungschefs darauf verständigt, diese CloudTransformation auch finanziell zu unterstützen. Das begrüße ich sehr. strukturangebote. Einige Angebote werden wir aufbauen oder vom Markt zukaufen müssen.
Was wir auch gesehen haben: Nicht alle Cloudangebote, die es für die Öffentliche Verwaltung schon gibt, erfüllen die Kriterien der Deutschen Verwaltungscloud-Strategie, also die Anforderungen, die etwa Souveränität sicherstellen sollen, Interoperabilität oder Portierbarkeit. Daran muss man noch arbeiten.
Aber sind die technischen Anforderungen dafür schon klar genug definiert?
Schallbruch: Gute Frage, teilweise sind die Anforderungen noch recht grob formuliert und technisch noch nicht so umfassend definiert. Zur Umsetzung der Vorgaben des IT-Planungsrats haben wir im Projekt ein Reifegradmodell entwickelt, mit dem neue Angebote in der DVC an die Anforderungen herangeführt werden können.
Wie sieht es mit den rechtlichen Aspekten der Beschaffung aus?
Schallbruch: Die Deutsche Verwaltungscloud-Strategie ist ja eine Multi-Cloud-Strategie, Souveränität ist eines der Kernziele. Bund, Länder und Kommunen sollen in der Lage sein, Clouddienste auch zu einem anderen Anbieter innerhalb der Verwaltungscloud zu übertragen; die Einhaltung aller Bedingungen, insbesondere die Sicher-
Dienste einkaufen, mit jeweils einzelnen Verträgen. Und hier haben wir im Moment noch kein belastbares Konzept, wie das ausgestaltet wird. Wie kann die Beschaffung von Bund, Ländern, Kommunen, IT-Dienstleistern miteinander verknüpft werden, so dass einheitliche Bedingungen gelten. Zum Beispiel: Wie stellen wir sicher, dass Änderungen der BSI-Anforderungen in allen Verträgen nachvollzogen werden? Da stehen wir noch am Anfang der Debatte. Wir müssen hier eine gemeinsame Strategie und Struktur finden. Als govdigital haben wir angeboten, uns bei Ausschreibungsvorbereitungen sehr eng abzustimmen.
Sie haben gesagt, dass vor allem Infrastruktur-Services vom Markt eingekauft werden müssen. Inwiefern verändern sichdamitdieGeschäftsmodelle der öffentlichen IT-Dienstleister und wie sollte die Zusammenarbeit mit Cloudanbietern, besonders mit Hyperscalern, gestaltet werden?
Schallbruch: Bei den Modellen muss man differenzieren: Diejenigen unserer Mitglieder, die Betriebsleistungen anbieten, werden künftig voraussichtlich einige davon aufgeben und dafür Leistungen von souveränen Cloudanbietern zukaufen. Fachverfahrensanbieter dagegen stehen vor der Aufgabe, ihre Services auf CloudBereitstellung umzustellen. Das ist
Zur Zusammenarbeit mit Anbietern vom Markt: Wir werden Angebote mehrerer Hyperscaler nutzen und ich gehe von einer längerfristigen Zusammenarbeit aus, die es ermöglicht, dass wir über lange Zeiträume die Cloudtransformation gemeinsam bewältigen können. Denn Fachverfahrensanbieter, die ihre Lösungen in den nächsten Jahren auf Cloud-Bereitstellung umstellen und dafür Mittel investieren, brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Wenn wir also wollen, dass sie ihre Lösungen in die Deutsche Verwaltungscloud einbringen, sollten wir mit diesen Anbietern mehrjährige Kooperationen eingehen. Transformation braucht stabile Rahmenbedingungen.
Wie wird dieser Transformationsprozess ablaufen, was erwarten Sie?
Schallbruch: Es ist ein längerer Prozess, kein Stichtagsprojekt. Das ist eine der ganz großen Herausforderungen für die Deutsche Verwaltungscloud. Sie wird nicht als zentrales Top-Down-Projekt „aufgebaut“. Tatsächlich ergibt sich das Wachsen und Gedeihen aus einer Fülle von Einzelentscheidungen auf allen Ebenen: Zu welchem Zeitpunkt eine Behörde oder Kommune welches Fachverfahren über die Cloud-Plattform bezieht, hängt von mehreren Faktoren ab, etwa von den finanziellen Ressourcen oder von Laufzeiten bestehender Verträge. Wir müssen also verschiedene Geschwindigkeiten ermöglichen.
Diese Entscheidungen, welche Leistungen am besten aus der Cloud zu beziehen sind, treffen Kommunen gemeinsam mit ihren IT-Dienstleistern. Kann die Genossenschaft dabei auch unterstützen oder beraten? Schallbruch: Wir haben bei uns ein Projekt aufgesetzt: govdigitalCloud, in dessen Rahmen wir gemeinsam mit den Dienstleistern ein Portfolio definieren, das für unsere Unternehmen und ihre Kunden passt. Dieses Portfolio werden wir dann bereitstellen. Aktuell besprechen wir gerade Leistungsumfang und Betriebsmodell. Konkret geht es beispielsweise darum, welche Cloudservices gebraucht werden, welche Infrastrukturen, Plattformdienste und Softwaredienste, ob eine gemeinsame Entwicklungsumgebung bereitgestellt werden soll.
Wie erfassen Sie die Bedarfe der Kommunen?
Schallbruch: Im Wesentlichen über unsere Mitglieder, die wissen, was ihre Kunden jeweils brauchen. Damit erfassen wir noch nicht den Bedarf aller Kommunen, auch wenn schon 75 Prozent aller Kommunen Kunden unserer Mitglieder sind. Zudem haben wir im MVP-Projekt über 200 Verantwortliche aus der gesamten Öffentlichen Verwaltung nach ihren Bedarfen befragt und gehen somit davon aus, dass wir ein ganz gutes Bild haben. Das Interview führte Nicola Hauptmann
Weitere Informationen
Links zu den Dokumenten des IT-Planungsrats zur Deutschen Verwaltungscloud-Strategie:
Feinkonzeption der Koordinierungsstelle: [ t1p.de/Koordinierung-DVS ]
Rahmenwerk der Zielarchitektur: [ t1p.de/Rahmenwerk-DVS ]