gbook 5: menschenrechte und bildung

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Bildung

Das Projekt wird gefรถrdert vom:

Arbeitsstelle WELTBILDER und .lkj (Hrsg.)

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Ebook / Straร en-Kinder

INHALTSVERZEICHNIS

Intro

Wir möchten unsere neue Ebook Reihe zum Thema „Menschen­ rechte“ im Rückkehrprogramm von weltwärts vorstellen. Die Ebooks sollen sich gerne als Bildungsmaterial im schulischen und außerschulischen Bereich und ebenso in der weltwärts Vor- und Nachbereitung ausbreiten.

Die thematischen Ebooks werden von weltwärts-Freiwilligen recherchiert und geschrieben.

Dieses Ebook macht das Menschenrecht auf Bildung zum Thema.

3 – 4

Eine qualifizierte Rückkehrarbeit ist nicht nur im dringenden Interesse der ehemaligen weltwärts-Freiwilligen geboten, sondern die Chance, um weltwärts in der Mitte unserer Gesellschaft ankommen zu lassen. Über die Rückkehrarbeit geht’s hinein in die Bildungs- und Kulturarbeit – und selbstverständlich in weitere gesellschaftliche Bereiche.

Das Thema „Menschenrechte und Bildung“ wurde für dieses Ebook ausgewählt, da sich viele Rückkehrende weltwärts-Freiwillige mit diesen Inhalten beschäftigen und sich in diesem Bereich engagieren. „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.“, so heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Doch warum erhält nicht jedes Kind die Möglichkeit eine Schule zu besuchen? Wieso gibt es derart große Unterschiede in den Bildungssystemen? Warum sind Bildungssysteme häufig so ungerecht? Was führt dazu, dass viele Menschen nicht von diesem Recht profitieren können und welche Auswirkrungen hat dies auf die jeweiligen Gesellschaften? Warum wird das Menschenrecht auf Bildung so oft nicht durchgesetzt?

Fragen, mit denen sich die Autor*innen in diesem Ebook beschäftigt haben.

MENSCHENRECHTE UND BILDUNG Sofia Zafiridou

4

KINDERSPIEL Jil Carmen Holtbernd

5 – 6

8 UHR MORGENS Jil Carmen Holtbernd

7

IM SCHATTEN DER SONNE Stephanie Brause

8

ALLTAG… Marlon Philipp

8 – 9

SÜDAFRIKA – EIN LAND VOR BILDUNGS­ POLITISCHEN HERAUSFORDERUNGEN Marlon Philipp

10 – 11 GOLDENER REGEN Anna Oprei 12 – 14 BILDUNG VON INDIGENEN IN ECUADOR Johanna Frommelt

15

MAN ERNTET, WAS MAN SÄT Sarah Schnitzer

16 – 17 WAS HEISST BILDUNG UND WAS HEISST WISSEN? Sarah Schnitzer 18 – 19 DER WEG ZUR REFLEXION IST LANG Anne Kaschler

20 – 21 BENARD – SEIN WEG IN DIE ­S ELBSTSTÄNDIGKEIT János Aicher 22 – 24 TABUTHEMA – MENSCHEN MIT BEHINDE­ RUNGEN IN UGANDA Franziska Freihart 25 – 27 DOPPELBELASTUNG STUDIUM Christina Enns

„globalista ist meines Wissens das einzige trägerübergreifende Programm, das es mit seinen Ergebnissen schafft, in der Mitte unserer Gesellschaft anzukommen.“ Sebastian Aperdannier, weltwärts-Verantwortlicher Bistum Münster

28 – 30 TRÄUME UND TATSACHEN: MOMENTAUF­N AHMEN. Leonie Düngefeld 31

Impressum

Auf der globalista-Website findet man die info.box mit weiteren Informationen, Links und Filmen zum Thema „Menschenrechte und Bildung.“ www.globalista.org/infobox/menschenrechte-und-bildung

Menschenrechte und Bildung „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.“ Dieser Satz ist Kern des Artikels 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR).

Darin wird unter anderem eine verpflichtende und unentgeltliche Grund­ bildung gefordert, wobei die Erziehungsberechtigten das Recht haben, die Bildungsangebote für ihre Kinder zu wählen. Es muss frei von Diskriminierung sein – Bildung muss also ohne Unterschiede wie etwa Hautfarbe, Geschlecht, soziale Herkunft etc. jedem Menschen gewährt werden. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde im Jahr 1948 von der UN Generalversammlung verabschiedet und bildet als internationales Referenzdokument die Grundlage für viele Konventionen und Verträge.

So trat zum Beispiel im Jahr 1976 der von 160 Staaten ratifizierte Inter­ nationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in Kraft, der im Gegensatz zu der AEMR, die rechtlich gesehen nur als Empfehlung fungiert, ein bindender Rechtsakt ist. In diesem ist das Recht auf Bildung in Artikel 13 verankert. Auch in Artikel 28 der Kinderrechtskonvention von 1991 haben sich 192 Vertragsstaaten dazu verpflichtet, das „Recht [der Kinder] auf Bildung“ anzuerkennen.

Die Einhaltung dieser internationalen Abkommen wird durch das UN-Men­ schenrechtshochkommissariat in Genf durch Berichte der Vertragsstaaten aber auch durch Entsendung von Beobachter*innen kontrolliert. In 3 | 32

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Europa ermöglicht es, die „Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ von 1950 den Bür­ ger*innen ihre Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschen­­rechte in Straßburg einzuklagen.

Dem Recht auf Bildung steht als sogenanntes „Empowerment Right“ eine besondere Bedeutung zu, da es als zentrales Instrument der Men­schenrechtsbildung agiert. Schließlich sind die Menschenrechte eine Reaktion auf Gewalt- und Unrechtserfahrungen. Bildung soll hierbei konkret auf „[...] die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss […] für die Wahrung des Friedens förderlich sein.“1 Bildung ist also die Quelle dafür, dass sich die Menschen ihrer universellen Rechte überhaupt bewusst werden und diese für sich und andere schützen können. Kurz: Bildung macht stark. Doch wo kommt sie überhaupt an?

Die Pressemitteilung vom 2. September 2014 der UNESCO gibt an, dass 781 Millionen Erwachsene und 250 Millionen Kinder nicht lesen oder schreiben können. Der Satz der UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokova: „Die Zukunft beginnt mit dem Alphabet“2 verdeutlicht eines der 1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948), Artikel 26, Absatz 2.

2 „781 Millionen erwachsene Analphabeten“ [http://www.unesco.de/presse/pres-

searchiv/2014/ua32-2014.html], 02.09.2014.

fünf Hauptprobleme der Umsetzung des Bildungsrechtes: die hohe Analphabetenrate. Weitere Punkte sind Mangelernährung, das Geschlecht, der Mangel an personellen Ressourcen und die Verfügbarkeit von Schulen.3 Es gibt demnach einen direkten Zusammenhang zwischen Bildung und Wohlstand. Dies wird am Beispiel des Staates Tschad deutlich. Dort beträgt die Analphabetenrate 66 Prozent. Gleichzeitig leiden 37 Prozent der Bürger*innen an Unterernährung, das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 600 Dollar und 20 Prozent der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag.4 Ein Bericht der UNESCO aus dem Jahr 2011 stellte fest: „Würden allein die reichen Länder den Gegenwert ihrer Militärausgaben nur sechs Tage lang in die Grundbildung der armen Länder investieren, könnten sie die derzeitige Finanzierungslücke in Höhe von 16 Milliarden US-Dollar schließen und die Einschulung aller Kinder weltweit bis 2015 erreichen.“ Ist die ungleiche Verteilung von Bildung also eine Konsequenz der ungleichen Verteilung des Reichtums der Welt? Und was heißt das im Umkehrschluss für die wohlhabenden Industrienationen? Nach einem Deutschlandbesuch des UN-Sonderberichterstatters für das Menschenrecht auf Bildung Vernor Munoz im Jahr 2006 zur Untersuchung des deutschen Bildungssystems, äußerte er die Kritik: „[...] das mehrgliedrige Schulsystem [sei] selektiv und [könnte] zu einer Form der De-facto-Diskriminierung führen [...].“5 Auch der DIW Wochenbericht von April 2013 gibt bekannt: „In Deutschland ist die Chancengleichheit ähnlich niedrig wie in den USA und deutlich geringer als in Dänemark“. In dem Artikel „Die Chancenlüge“ der 20.

Spiegelausgabe vom Mai 2015, merken die Autor*innen an: „Der deutsche Sozialstaat ist von der Vorstellung geprägt, Gerechtigkeit lasse sich dadurch erreichen, dass man den einen gibt, was man den anderen nimmt.“6 Es geht letztendlich auch darum, wie die jeweiligen Staaten mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Geld umgehen und welche Strukturen sie schaffen.

Sofia Zafiridou 3 „Das Menschenrecht auf Bildung“, Lohrenscheid, Claudia, [http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/

zukunft-bildung/156819/menschenrecht], 09.09.2013.

4 Das Menschenrecht auf Bildung, [http://www.bpb.de/mediathek/178832/das-menschenrecht-auf-

bildung] Bundeszentrale für politische Bildung & ARTE, 2011.

5 Bericht über den Deutschlandbesuch des UN Sonderberichterstatters für das Recht auf Bildung“

[https://de.wikipedia.org/wiki/Bericht_ %C3 %BCber_den_Deutschlandbesuch_des_UN-Sonderberic hterstatters_f %C3 %BCr_das_Recht_auf_Bildung], 2015.

6 „Die Chancenlüge“, Müller, Ann-Katrin und Neubacher, Alexander, Spiegel, 09.05.2015, S. 73.

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Kinderspiel Zwei mal drei macht vier, das hat schon Pippi Langstrumpf gesagt.

Ein Kinderspiel!

Aber jedes Kind wird einmal erwachsen, aus Spiel wird Ernst.

Und plötzlich sehen die Zahlen aus wie gefährliche Schlangen.

Schlangen, die ein Vorangehen unmöglich machen.

Man lernt für’s Leben, so heißt es doch.

Lernen – ein Privileg!

Eine Tür, hinter der sich so viel mehr verbirgt als Buchstaben und Zahlen.

Ein Tor zu einer Welt voller Möglichkeiten.

Doch bleibt es vielen verschlossen.

Die Luft, trocken vom Staub.

Das Geräusch der Kreide, die über die Tafel fährt.

Finger, die über das Heft streichen.

Und dann werden aus Linien, Punkten und Formen Worte.

Und aus Worten werden Geschichten.

Geschichten, die wir selbst schreiben.

Träume, Visionen und Wünsche, fast übermütig – vereint auf einem Blatt Papier.

Jil Carmen Holtbernd Bei diesem Text handelt es sich um einen fiktiven Text, der aus einer Übung des Kreativen Schreibens in der globalista SchreibWerkstatt im April 2015 entstanden ist.

8 Uhr morgens Bildung – Luxus oder universelles Menschenrecht?

8 Uhr morgens.

Paula dreht sich noch einmal zu ihrer Mutter im Auto um und winkt ihr zu, bevor sie von ihren Freunden auf dem Schulhof empfangen wird.

Aufgeregt durcheinander redend wird vom Wochenende erzählt, noch schnell ins Pausenbrot gebissen und sich über die Klassenarbeit in der vierten Stunde beschwert.

8 Uhr morgens.

Ravid blinzelt der Sonne entgegen, hält einen Moment inne und schaut auf die gewaltigen Berge hinter sich. Lächelnd klopft er den Staub von seinen Schuhen und dem Leinenbeutel, in dem er ein altes Rechenheft und einen Stift verstaut hat. Mit schnellen und entschlossenen Schritten läuft er auf das alte Lehmhaus zu.

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Momentaufnahmen aus dem Schulalltag zweier Kinder, wie sie unter­ schiedlicher nicht sein könnten. Was in Ländern des globalen Nordens selbst­verständlich und sogar gesetzlich vorgeschrieben ist, bleibt Kindern in den Ländern des globalen Südens oft verwehrt. In Deutschland als Menschenrecht reglementiert, stellt Bildung in vielen Teilen der Welt eher Luxus dar. Dabei wird Bildung als der Schlüssel für die Entwicklung eines Landes angesehen. So wie gute Bildung sprichwörtlich Türen öffnet, kann ihre Verwehrung zugleich auch Wege versperren. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang zudem, dass gute Bildung in den sogenannten Entwicklungsländern meist einen hohen Preis hat. Oft genießen nur wenige privilegierte Kinder aus der Oberschicht eine altersgerechte Schulbildung. Auch spielt der Bildungsgrad der Eltern eine große Rolle.

Kinder, deren Eltern selbst keine Schulbildung genossen haben, erhalten meist weniger Hilfe und Rückhalt aus der Familie. Dies ist jedoch nicht nur in sogenannten Entwicklungsländern zu beobachten, sondern auch bei sozial schwächeren Familien des globalen Nordens. Weltweit herrscht somit eine große Ungleichheit der Bildungschancen vor, was soziale Disparitäten nur noch zusätzlich verstärkt.

Die Verwirklichung des Menschenrechts auf Bildung wird auf internatio­ na­ler institutioneller Ebene vorangetrieben. „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.“ Artikel 26 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung aus dem Jahr 1948, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen, setzt die Verwirklichung des Menschenrechts auf Bildung als Maßnahme gegen bestehendes Unrecht auf ihre Agenda. Die Vereinten Nationen fordern eine verpflichtende und unentgeltliche Grundbildung für alle. Zudem darf kein Kind diskriminiert werden und die Erziehungsberechtigten sollen die Bildungsangebote ihrer Kinder eigenständig und frei wählen dürfen. Neben der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit zu Bildung, soll die Qualität der Bildung angemessen sein und sich an die lokalen Gegebenheiten anpassen.

Denn Bildungsmaßnahmen, die beispielweise in einem afrikanischen Land sinnvoll erscheinen, lassen sich nicht unbedingt in einem Land Südamerikas realisieren.

Darüber hinaus findet das Recht auf Bildung auch in den Sustainable Development Goals, den nachhaltigen Entwicklungszielen aus dem Jahr 2015, Aufmerksamkeit. So wird beispielweise die Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen im Bildungssystem angestrebt. Verwirklicht werden sollen die Ziele bis zum Jahr 2030.

Fraglich ist, inwieweit und in welcher Form die Verwirklichung des Menschenrechts auf Bildung vorangetrieben werden sollte. Es gibt durchaus Konflikte, ob es sich bisweilen um eine Oktroyierung westlicher Wertvorstellungen handelt oder um den Kampf für ein universelles Menschenrecht? Besonders in landwirtschaftlich geprägten Regionen unterstützen viele Kinder ihre Eltern bei der Arbeit anstatt die Schule zu besuchen. Ein Wegfall ihrer Arbeitskraft hätte spürbare Folgen für die gesamte Familie. Einer ebenfalls kritischen Betrachtung bedarf die Zugänglichkeit zu Bildung. Vornehmlich in Ländern, die durch eine defizitäre Infrastruktur gekennzeichnet sind, müssen Kinder teils einen langen und gefahrenreichen Schulweg auf sich nehmen, um zum Unterricht zu gelangen.

Wechselt man jedoch den Blickwinkel, bietet Bildung die Möglichkeit die Zukunft selbst zu gestalten, sich persönlich zu entfalten und eigene Interessen zu entdecken. Bildung eröffnet die Chance auf ein gutes Leben. Wer qualifiziert ist, kann sich für bessere Jobs bewerben und erhält ein höheres Einkommen. Soziale Leistungen, wie zum Beispiel eine Krankenversicherung können wahrgenommen werden, der Kauf täglicher Nahrungsmittel ist gesichert. Dies wiederum steigert das Wohlbefinden.

An dieser Stelle sollte auch kurz das Problem des Brain Drain, das vor allem in den Ländern des globalen Südens vorherrscht, thematisiert werden. Unter Brain Drain versteht man die Emigration qualifizierter Fachkräfte, welche sich negativ auf die volkswirtschaftliche und gesell­ schaftliche Situation eines Landes auswirkt und ein Entwicklungshindernis darstellt.

Dass Bildung als Faktor für Glück angesehen werden kann, bestätigt der Gross National Happiness Index aus Butan. Der König rief im Jahr 1972 das Glück seiner Bevölkerung als oberstes Ziel und Priorität der Politik aus. Es wurde ein multidimensionales Konzept entwickelt, welches eine Alternative zum, auf das Wirtschaftswachstum fokussierten, Bruttoinlandsprodukt darstellen soll. Dabei wird der Grad des Glücks anhand von verschiedenen Faktoren in den Bereichen psychologisches Wohlbefinden, Verwendung von Zeit, Vitalität der Gesellschaft, kulturelle Diversität, ökologische Resilienz, Lebensstandard, Gesundheit, Bildung und Good Governance gemessen. Auch Bildung führt demnach zu Glück. Ziel des Konzeptes ist es, die Lebensbedingungen der weniger glücklichen Menschen erheblich zu verbessern. Dies ist der Regierung im Rahmen von Vergleichen der Messungen aus den Jahren 2010 und 2015 in kleinem, aber erwähnenswertem Rahmen gelungen.

Wie so oft, liegen auch bei der Realisierung des Menschenrechts auf Bildung, Vorstellung und Realität bedauerlicherweise noch weit auseinander. Es bleibt zu hoffen, dass der Kampf unaufhörlich fortgesetzt wird und seine Verwirklichung von der internationalen Staatengemeinschaft, also sowohl dem globalen Norden als auch dem globalen Süden, stetig vorangetrieben wird.

Jil Carmen Holtbernd

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Im Schatten der Sonne Es ist kurz nach 13 Uhr. Die Mittagssonne brennt auf Jamals Hinterkopf, als er beobachtet, wie die Kinder das Schulgebäude verlassen. Sie lachen und treiben Späße miteinander. Ihre gelb-blauen Schuluniformen knistern in der leichten Brise. Ein Junge macht sich hüpfend auf den Heimweg, doch Jamal duckt sich hinter einen trockenen Busch. Völlig regungslos, aber aufmerksam. Als die Kinder hinter der Straßenbiegung verschwinden und nur noch aufgewirbelter Staub von ihrer bereits vergangenen Anwesenheit zeugen, kommt Bewegung in Jamal. Er huscht über den steinigen Platz, greift mit der Hand nach der Türklinke. Er zögert und wirft nochmal einen Blick über die Schulter. Niemand zu sehen. Geräuschlos öffnet er die Tür einen Spalt. Gerade genug, um sich in das Innere des Schulgebäudes zu zwängen. Es ist nicht das erste Mal. Jamal ist so gut wie jeden Tag hier.

Immer das gleiche Spiel. Das Beobachten und Abwarten. Das über den Platz Huschen und letztendlich das Ziel erreichen. Nur, dass Jamal bei diesem Spiel nicht gewinnen kann.

Zwei Jahre ist es her, dass Leute von der Regierung kamen und die Schule bauten. Die Familien aus der Dorfgemeinschaft waren begeistert und sprachen von besseren Chancen für ihre Kinder. Jamal verstand das nicht, denn wenn seine Eltern an das neue Gebäude dachten, was ein wenig abseits des Dorfes stand, breitete sich ein trauriger Schatten über ihren Gesichtern aus. Seine Eltern so zu sehen, machte Jamal traurig. Deswegen wissen sie auch nicht, wohin er beinahe täglich verschwindet.

Jamal geht langsam durch den Raum und macht mit seinen bloßen Füßen nicht das leiseste Geräusch. 23 Tische sind im Klassenzimmer verteilt.

Jamal fährt mit seiner rechten Hand bedächtig über das Holz, wo bereits 7 | 32

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die blaue Farbe abzublättern beginnt. Mit einem Satz schwingt er sich auf die Tischplatte und lässt die Beine baumeln. Sein Blick schweift über die Kreidezeichen an der Tafel. Sind es Zahlen oder Buchstaben? Jamal weiß es nicht. Er versucht es zu erraten, doch schafft es nie. Wie gerne würde Jamal diese Zeichen verstehen! Vielleicht ja heute. Er kneift konzentriert die Augen zusammen – doch nichts. Nichts ergibt einen Sinn. Doch eines hatte Jamal im Halbdunkel des leeren Klassenzimmers inzwischen begriffen: Er würde nie hier mit den anderen Kindern sitzen und lernen.

Seine Eltern konnten sich das Schulgeld nicht leisten. Jeden Morgen, wenn Jamal die Glocke hörte, die zum Unterrichtsbeginn läutet und die anderen Dorfkinder zur Schule strömen, wendet er sich ab und macht sich auf den Weg Richtung Feld, wo er seinem Vater bei der Ernte hilft. Und doch träumt er davon, dass auch er sich eines Tages mit dem Glockenschlag auf den Schulweg machen kann.

Grund zur Hoffnung, dass er einmal auf der Sonnenseite des Lebens sein würde, hat Jamal nicht. Nicht einmal jetzt, als er immer noch die weißen, staubigen Linien an der Wand verfolgt, erreicht ihn das Sonnenlicht.

Stephanie Brause

Bei diesem Text handelt es sich um einen fiktiven Text, der aus einer Übung des Kreativen Schreibens in der globalista SchreibWerkstatt im April 2015 entstanden ist.

Südafrika –

Alltag…

Trotz ihres beträchtlichen Alters ist sie unschwer zu übersehen.

Im Jahre 1854 von deutschen Missionaren nach KwaZulu-Natal mitgebracht, ertönt sie, wenn auch in einem anderen Kontext, noch heute. Damals war ihre Aufgabe das Herbeirufen von Bediensteten – andere würden sie Sklav*innen nennen – in den Klostergarten.

Heute leitet sie den Anfang und das Ende des Unterrichts ein.

Mitgenommen sieht sie aus, aber sie hat ja auch viel erlebt: 1867 den Goldrausch von Kimberley, die Burenkriege, die Einführung der Apartheidpolitik 1913, gefolgt von 80 Jahren Unterdrückung. Dann die ersten freien Wahlen 1994 und bis in die Gegenwart andauernde finanzielle Ungleichheit und Ungerechtigkeit.

Heute steht sie auf dem Pult von Robert Luckyson.

Robert wurde 2001 als Lehrer angestellt in einer Schule, die durch Gelder der EU gebaut wurde und an der noch heute, 10 Jahre später, gebaut wird.

Gründe, dass das Schulgebäude noch nicht fertig ist, gibt es viele: wechselnde Versprechen wechselnder Politiker, Kürzungen hier, Kürzungen dort.

Glücklicherweise wurde das Mobiliar schon zum Baubeginn geliefert. Sechs Tische für 50 Schüler*innen und ein Pult, welches sie sich gerne mit Robert teilt.

Die Klasse, so findet sie, hat das Beste aus der Situation gemacht. Ein Sonnenschutz spendet Schatten und falls es regnet, fällt die Schule halt aus. Robert lässt sich dadurch nicht aus der der Ruhe bringen und läutet mit ihrer Hilfe jeden Schultag aufs Neue ein. … sollte anders sein.

Marlon Philipp Bei diesem Text handelt es sich um einen fiktiven Text, der aus einer Übung des Kreativen Schreibens in der globalista SchreibWerkstatt im April 2015 entstanden ist.

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ein Land vor bildungspolitischen Herausforderungen Ich bin der Autor von „Alltag…“ und verbrachte elf Monate im Rahmen des weltwärts Freiwilligendienstes in Südafrika. Die Vielschichtigkeit eines fremden Landes aufzuzeigen ist schwierig und so mag „Alltag…“ sich zwar stimmig anhören, hat dennoch nur wenig mit der mir bekannten Situation Südafrikas zu tun.

Besonders Südafrika, das dreimal so groß ist wie Deutschland und sehr unter­ schiedliche Kulturen beherbergt, ist schwierig darzustellen. Beispiels­weise die elf amtlichen Landessprachen: Ob Südafrika nun IRiphabliki yase­Mzantsi Africa, Republic of South Africa oder Republiek van Suid-Afrika genannt wird, hängt davon ab mit welchem/ welcher Südafrikaner*in man ins Gespräch kommt.

Zu den kulturellen Unterschieden kommen die großen finanziellen Unter­ schiede: Ich lebte mit meiner Gastfamilie in dem Township Mdantsane, genauer in der „Native Unit 1“ (NU 1). Ein offensichtlich rassistischer Name, eingeführt bei der Gründung des Townships durch das Apartheid Regime um 1960. In besagter NU 1 liegt die Arbeitslosigkeit bei ungefähr 80 % und die meisten Anwohner*innen sind dementsprechend arm. Falsch wäre es, von dieser Zahl auf jedes Township in Südafrika zu schließen: Zum Beispiel gibt es ebenso die NU 17 in Mdantsane, wo auch nach westlichen Maßstäben wohlhabende Menschen leben. Um diese krassen sozialen Unterschiede aus­7zugleichen, hoffen die Südafrikaner*innen auf eine Verbesserung der Situation durch Bildung – besonders für die „born free“ Generation, die nach dem Ende der Apartheid geboren wurde.

Matric Ergebnisse/Jahr

1995

2011

2013

2014

Offizielle Bestehensqoute

53,4 %

70,2 %

78,2 %

75,8 %

Bereinigte

Township ist nicht gleich Township!

Links ein Township wie es sich viele Menschen vorstellen. (Khayelitsha), Rechts das als „Stadt für Schwarze“ geplante Mdantsane, East London

Denn Bildung ist seit dem Ende der Apartheid eine entscheidende Größe in Südafrika: Sie wurde 1994 in der Verfassung fest als Recht verankert. „Everyone has the right to basic education1.“ Um dieses Grundrecht umzusetzen, wurde in den Jahren 1993/94 23,5 % des nationalen 2 Haushalts in Bildung investiert . Für den hohen Stellenwert der Bildung stehen die steigenden „pass rates“ des „Matrics“, also die Bestehensquoten des weiterführenden Schulabschlusses, der nach zwölf Jahren Schulzeit abgelegt wird und zum Studium qualifiziert. So bestanden 1995 53,4 % der Schüler*innen die Prüfung, 2013 hingegen bereits weitaus mehr mit 78,2 %. Zuletzt gab es jedoch einen leichten Abfall der Quote im Jahr 2014, den das Ministerium of Education mit gestiegenen Anforderungen begründet3. Regierungskritiker*innen sehen diese Zahlen jedoch als geschönt an, da die Bestehensquote nicht die Schulabbrecher*innen berücksichtige. Die Zahl der verfrühten Schulabgänger*innen ist gestiegen. So verließen 2014 ungefähr 50 % der Schüler*innen die Schule, bevor sie ihr Matric ablegten. Daraus resultiert eine deutlich schlechtere, „bereinigte“ Bestehensquote von 36,4 % in 20144.

Ebenso wichtig sind die großen regionalen Unterschiede bei der Bestehensquote: Gauteng (Johannesburg und Pretoria) schneidet über­

– 36,8 % 39,6 % 36,4 % durch­schnittlich ab (84,7 %), das Eastern Cape Bestehensqoute hingegen unterdurchschnittlich (65,4 %)5 . Einen Vorzeitige – 944.977 1.111.858 1.118.690 Schulabgänger weiteren gravierenden Unterschied zeigen sich bei den Ergebnissen nach Hautfarbe: 99 % der weißen Schüler*innen bestanden ihr Matric im Jahr 2008 (41.000), aber nur 57 % der schwarzen Schüler*innen (460.000)6. Auch im internationalen Vergleich schneidet Südafrika nach einer Studie des World Economic Forum (WEF) unterdurchschnittlich ab. So belegt Südafrika im „Global Information Technology Report 2014“ Platz 146 von 148 in der „Allgemeinen Qualität des Bildungssystem“ und den letzten Platz in der „Qualität der mathematischen- und naturwissenschaftlichen Bildung7.“ Diese schlechten Ergebnisse versucht Südafrika durch hohe Geldausgaben im Bildungssektor auszugleichen, allerdings liegt nahe, dass das Land ein Transformationsproblem hat. So wurden im Jahr 2011 189,5 Milliarden Rand (10,5 Milliarden Euro) für Grundbildung ausgegeben mit dem Vermerk in dem nationalem Haushaltsbericht: „Zwischen Ausgaben und Leistungen besteht nicht immer eine Korrelation8.“ Aus diesem Grund greift vermehrt die Privatwirtschaft in die Bildung ein, so sponsern Supermarktketten Bildungs- und Sportangebote für Schulen, aber auch Schulgebühren für einzelne Schüler*innen. Im Fernsehen werden Lehrsendung und interaktiver Unterricht vor den Matrics ausgestrahlt, um den Schüler*innen so bei der Wiederholung der Inhalte zu helfen. Auch die aktuelle bildungspolitische Lage in Südafrika ist angespannt. Aufgrund der Ankündigung einer Erhöhung der Studiengebühren von 10 % auf 12 % für das Jahr 2016 brachen im Oktober 2015 die größten studentischen Proteste seit dem Ende der Apartheid an der University of Johannesburg aus. Sie fordern einen kompletten Erlass der Studiengebühren, welche sich seit 2008 fast verdoppelt haben9.

Nach all dem negativen Input über das Bildungssystem darf man nicht vergessen, dass das südafrikanische Bildungssystem in dieser Form erst 25 Jahre besteht und vorher, während der Apartheid, die Menschen zu einem Leben in ungleichen Klassen ausgebildet hat.

Marlon Philipp 5 South African News Agency, URL: www.sanews.gov.za/south-africa/2014-matric-results-released

1 Chapter 12, Bill of Rights, URL: www.justice.gov.za/legislation/constitution/

SAConstitution-web-eng-02.pdf, S. 12.

2 Gleiche Bildung für alle?, Schuster, Jennifer, URL: www.kas.de/wf/doc/

kas_23328-544-1-30.pdf?110707142210, S. 47.

3 South African News Agency, URL: www.sanews.gov.za/south-africa/2014-

matric-results-released

6 Gleiche Bildung für alle?, Schuster, Jennifer, URL: www.kas.de/wf/doc/kas_23328-544-1-30.pdf?110707142210, S. 47.

7 The Global Information Technology Report 2014 URL: www3.weforum.org/docs/WEF_GlobalInformationTechnology_

Report_2014.pdf, S. 286 f.

8 Gleiche Bildung für alle?, Schuster, Jennifer, URL: www.kas.de/wf/doc/kas_23328-544-1-30.pdf?110707142210, S. 50.

9 Why are South Africas Students protesting? URL: www.bbc.com/news/world-africa-34615004

4 On the 2014 Matric Results, URL: https://equaleducation.org.za/

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Goldener Regen Ab und zu kommt ein richtiger Wolkenbruch. Der Himmel öffnet sich wie eine gewaltige Schleuse und das Geräusch des herabstürzenden Regens auf Wellblechdächern übertönt sogar den Verkehr. Sobald die ersten Tropfen den Boden berühren, beginnen die Menschen durcheinander zu rennen.

Obsthändler*innen werfen Plastikplanen über ihre Ware, Mütter suchen Schutz für ihre Kinder. Doch es gibt keinen Unterstand und wer keinen Regenschirm besitzt, ist nach Sekunden schon triefend nass. Die Menschen hier in der Stadt mögen den plötzlichen Regen nicht, die sintflutartigen Wetterumschwünge innerhalb kurzer Zeit. Sie suchen Schutz – im Haus, unter einer Bank, im Taxi, unter einem Regenschirm. Plätze leeren sich.

Der Markt, eben noch voll geschäftigen Treibens, ist nun wie ausgestorben und gleicht einem verblassten Farbenlabyrinth. Der Regen treibt die Menschen auseinander, zerstreut ihre fröhliche Zuversicht in Windeseile, überflutet Straßen und Bürgersteige.

David liebt den Regen. Er erinnert ihn an seine unbeschwerte Kindheit, die Jahre auf dem Land, in denen die Ernte noch reich und üppig war.

Sein Vater war ein arbeitstüchtiger Bauer und wenn es regnete, strahlte er immer über das ganze wettergegerbte Gesicht, die großen Hände zur Seite ausgebreitet. Regen ist verwandeltes Gold, hörte David ihn sagen.

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David steht auf der Plaza Grande, dem Großen Platz, die Kamera in der Hand. Seit er vor vier Jahren aus seinem Heimatdorf wegging, um in der Stadt zu leben, damit er hier aufs Colegio gehen und eine bessere Schulbildung erhalten kann, versteht er die Menschen nicht, die den Regen fürchten und vor ihm flüchten. David ist gerne draußen im Regen, am liebsten mit seiner Kamera, einem alten Modell, bei dem das Display nicht mehr funktioniert. Ein Tourist hat sie ihm letztes Jahr mit gleichgültiger Miene in die Hand gedrückt, genau hier, wo er jetzt steht und auf den leeren Platz hinaussieht. David kann die Fotos nicht ansehen. Trotzdem hebt er die Kamera, blinzelt durch den Sucher, während der Regen seine Kleider durchweicht und die nassen Haare ihm in die Augen tropfen. Die absurde Szenerie fasziniert ihn. Es sind nur wenige Menschen auf dem Platz, wenige Standhafte, denen der Regen ebenso wenig auszumachen scheint wie David. Ob sie auch an verwandeltes Gold denken? David drückt den Auslöser. Klick. Das sanfte Geräusch beruhigt ihn, gibt ihm das Gefühl, die Zeit anhalten zu können, wenn auch nur für einen kleinen Augenblick.

Die Stadt ist immer noch zu schnell für ihn. Ein großes pulsierendes Herz, der Muskel der Nation, der die Wirtschaft antreibt. Hier sollte David eine bessere Zukunft finden. Weg vom Land, weg von seiner Familie. Damit du mal zu den Klugen und Reichen gehörst, hat sein Vater gesagt und als Arzt oder Anwalt zu uns zurückkommst. David ist nicht zurückgekehrt. Er hat versagt. In der Schule sprechen sie eine Sprache, die er nur sehr schwer versteht, andere Kinder schubsen ihn und nennen ihn „Indio“. David weiß nicht einmal, was genau das bedeutet, aber die Art, wie sie es sagen, reicht schon aus. David schließt die Augen. Der Regen rauscht in seinen Ohren, und David stellt sich vor, wie sich so viel Regen auf der Plaza Grande ansammelt, bis ein Meer daraus entsteht, ein großes geheimnisvolles

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Meer mit schäumenden Wellen. In der Schule hat der Lehrer zuletzt vom Meer erzählt und seitdem wünscht sich David insgeheim, dieses große Etwas einmal wirklich zu sehen. Er kann sich so viel Wasser auf einmal gar nicht vorstellen. Der Regen, der nun die Plaza Grande mit einer seichten, schaumigen Suppe bedeckt, kommt den Wassermassen in Davids Vorstellungen schon ziemlich nahe. Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum er den Regen so mag. Weil er wie das Meer klingt.

Der Regen verwischt die Farben. Fast schon keimt Erleichterung in David auf. Das triste Grau der Stadt bekommt ihm so viel besser, passt so viel besser zu ihm und seinem Leben als die schillernden Farben, die ihn im Sonnenlicht blenden und so vielversprechend scheinen. Falsche Versprechen von einem besseren Leben, die niemand halten kann. Jetzt, im trüben Schleier des Nachmittagregens.

Anna Oprei Bei diesem Text handelt es sich um einen f­ iktiven Text, der aus einer Übung des ­K reativen Schreibens in der globalista SchreibWerkstatt im April 2015 entstanden ist.

Bildung von Indigenen in Ecuador Kawsay, Munay, Ruray, Muskuy… das sind die Grundprinzipien des „Modelo del Sistema de Educación Intercultural Bilingüe“ (MOSEIB, dt.: Modell des interkulturellen bilingualen Bildungssystems), die in großen Lettern selbiges Dokument rahmen, zunächst auf Kichwa und auf der letzten Seite auf weiteren in Ecuador gesprochenen indigenen Sprachen. Übersetzt bedeuten sie soviel wie Leben, Wunsch, Arbeit, Traum. Das MOSEIB stellt das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit 18 indigener Gesellschaften Ecuadors dar.

Es ist der Entwurf eines interkulturellen, bilingualen Bildungssystems vom Kindergarten bis zum Abitur, einschließlich Lehrplan, Methodik und Evaluationsstrategien. Obgleich dieses Konzept bereits 1988 der ecuadorianischen Regierung ausgehändigt und zeitweise praktiziert wurde, wird es von der aktuellen Regierung nicht anerkannt. Inwieweit Kämpfe um ein Recht auf Bildung in Ecuador Tradition haben und welchen Beitrag Bildung selbst in diesen Kämpfen geleistet hat, ist Thema dieses Beitrages. „Bildung ist die Basis, um Menschenrechte einfordern zu können.

Die Rechte existieren zwar, aber ohne lesen und schreiben zu können, kann ich meine Rechte nicht einfordern.“ (Pedro Yuquilema Ortiz)

Wir sitzen am Küchentisch meiner WG und trinken Tee, mein ecua­do­ rianischer Gastvater und ich. Er erzählt, von der Lebenssituation indigener Gesellschaften ab den 1940er Jahren, von einprägsamen Ereignissen wie dem indigenen Aufstand von 1990 (s. Links), von der Geschichte seiner Familie. Pedro Yuquilema Ortiz arbeitete lange Zeit im ecuadorianischen Bildungssystem und in indigenen Organisationen: als Lehrer in Schulen und der Erwachsenenbildung und schließlich in der Supervision und edukativen 12 | 32

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Administration. Vor ca. einem Jahr wurden alle Supervisionsstellen gestrichen, um Kosten zu sparen. Seitdem ist er pensioniert. Und dennoch: Weiterhin träumt er von einem besseren Bildungssystem.

Vor nicht allzulanger Zeit…

Nach der Eroberung durch die Spanier fand sich die indigene Bevölkerung des heutigen Ecuadors eingeteilt in Haziendas spanischer Großgrundbesitzer wieder, deren Felder sie zu bestellen, Wäsche zu waschen, Essen zu kochen hatten. Ihnen selbst blieben nur Bruchteile dieser Gebiete für ihren eigenen Bedarf, i.d.R. verhältnismäßig unfruchtbares Land. Während man für die Kinder der spanischen Bevölkerung schulische Institutionen schuf, wurde den Indigenen verboten, diese zu besuchen; die Schule würde bei ihnen nur Faulheit hervorrufen, stattdessen sollten sie weiterhin die Felder bestellen.

Neben dieser ausgesprochenen Intention gab es aber noch eine zweite: Die Indigenen sollten nicht beginnen, ihre Situation zu hinterfragen, eigene Rechte zu beanspruchen und das mit dem Status Quo verbundene Machtverhältnis zu verändern.

Eine erste Bildungsmöglichkeit bot sich ab den 1940er Jahren mit dem Aufkommen verschiedenster NROs aus den USA und Europa, die mittels Alphabetisierung die Evangelisierung der Bevölkerung vorantrieben.

Einzelne Indigene sollten lesen und übersetzen lernen, mit dem Ziel, die Bibel zu übersetzen und die landwirtschaftliche Produktivität zu steigern und für nicht-Indigene nutzbar zu machen.

Ab 1972 öffnete sich das Bildungssystem für Indigene ein wenig mehr.

Kinder ab sieben Jahren konnten nun sechs Jahre lang auf spanischsprachige Schulen gehen. Allerdings war das Sprechen der Muttersprache – i. d. R. Kichwa – dort nicht erlaubt und daher nur im familiären Rahmen möglich.

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Über zehn Jahre später, 1988, überreichten Vertreter*innen der indigenen Organisation CONAIE der Regierung ein ausgearbeitetes Konzept für ein interkulturelles und bilinguales Bildungssystem. Neben einer Kon­ textualisierung der damaligen Situation waren Prinzipien, Ziele, Lehr­inhalte und -methoden sowie konkrete Lehrpläne zusammengestellt worden. Aufgrund der ökonomischen Ungleichheit konnte das Konzept jedoch nicht hinreichend umgesetzt werden, sodass es zwei Jahre später, 1990, zu einem gesamtnationalen indigenen Aufstand kam – heute bekannt als eine der am besten organisierten Bewegungen in ganz Latein­ amerika –, dessen zentrale Themen die Forderung nach Landbesitz und Bildung waren. Erst durch diese verstärkte Sichtbarkeit der indigenen Bevölkerung konnten erste Erfolge im Bildungssystem wie der Gebrauch des Kichwa in der Lehre erzielt werden. Außerdem folgte 1998 eine neue Verfassung, deren Artikel 1 Ecuador als „interkulturell und plurinational“ charakterisiert.

Heutzutage verbringen Kinder und Jugendliche in Ecuador i.d.R. zwölf Jahre im Schulsystem – eine Schulpflicht besteht allerdings nur in den ersten fünf Jahren. Nach sechs Jahren in der Grundschule kommen die Kinder auf eine weiterführende Schule, nach der sie die Universität besuchen können, sofern sie den Einstufungstest bestehen. Das von der Indigenenbewegung angestrebte bilinguale System wird hier, wenn überhaupt, lediglich in ländlich gelegenen Grundschulen umgesetzt. Nur eine private Universität verwendet ein bilinguales System, stützt sich aber nicht auf die Prinzipien des MOSEIB. Indigene, die auf dem Land zur Schule gegangen sind, können nur studieren, wenn sie in größere Städte migrieren. Dabei geht der Bezug zu den eigenen Wurzeln und der Gebrauch der eigenen Sprache häufig verloren. Die Jugendlichen bleiben in den Städten, wo sie akademische Titel bekommen, aber nicht lernen, ihr Wissen kreativ zur Transformation

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ihres Landes zu nutzen. Laut Pedro Yuquilema Ortiz hat dies mit einem ganz bestimmten Interesse des Staates zu tun: Auch hier geht es um die Erhaltung bestehender Machtverhältnisse.

Das MOSEIB bezweckt hierbei verschiedenste Aspekte des derzeitigen Bildungssystems, durch den Abbau realer Hürden, zu verändern. Exempla­ risch können folgende genannt werden: Erstens wäre die Verwendung der Muttersprache der Indigenen zu nennen; Menschen, die in einer Fremdsprache denken und sich ausdrücken müssen, erreichen niemals das sprachliche Niveau von Muttersprachler*innen und werden dadurch permanent strukturell diskriminiert. Zweitens soll die theorielastige Lehre mit praktischen Handlungen verbunden werden, da inkorporiertes Wissen schneller zugänglich und dauerhafter ist. Notwendig ist dazu auch, dass Vorbilder wie Lehrer*innen und Dozent*innen in der Praxis umsetzen können, was sie theoretisch lehren. Um einer langfristigen Landflucht entgegenzuwirken, könnte drittens hilfreich sein, in Schulbüchern nicht nur Bilder und Texte von städtischem Leben zu zeigen, sondern auch die Lebensrealität auf dem Land abzubilden. Viertens sollte der Unterricht nicht um 7, sondern erst um 8 Uhr morgens beginnen, da oft lange Schul­ wege zurückgelegt werden müssen. Eine weitere Belastung könnte mit Schuljahresbeginn im Oktober überwunden werden, wenn die Kinder ihren Eltern nicht mehr bei der Ernte zur Hand gehen müssten.

Dieser kurze historische Abriss zeigt, dass Indigene in Ecuador schon lange um ein eigenes Bildungssystem kämpfen. Trotz deutlicher Veränderungen in den letzten Jahrzehnten sind längst nicht alle Ziele erreicht. Weiterhin träumen Menschen von Veränderungen, die die Verfassung unverkennbar zuließe. Und wenn nicht unter dieser Regierung, dann vielleicht unter einer anderen.

Johanna Frommelt

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Pedro Yuquilema Ortiz

Weiterführende Links: Bundeszentrale für politische Bildung: Soziale Bewegungen in Ecuador

www.bpb.de/internationales/amerika/lateinamerika/44741/soziale-bewegungen?p=all Indigene Emanzipations-Bewegungen in Lateinamerika www.bpb.de/apuz/29319/indigene-emanzipationsbewegungen-inlateinamerika?p=all MOSEIB: http://educacion.gob.ec/wp-content/uploads/downloads/ 2014/03/MOSEIB.pdf

Man erntet, was man sät Die Räume sind eng. Schnell bricht Unruhe aus, weil der*die Eine den*die Andere*n aus Versehen anrempelt. Auf den Tischen findet sich kaum genügend Platz, dass zwei Kinder ihre Bücher und Hefte nebeneinander aufschlagen können, ohne sich gegenseitig zu behindern. Bei all dieser Enge, wie soll sich da ein freier, kreativer Geist entfalten können? Viele Stunden verbringen die Kinder und Jugendliche in diesen vier Wänden, um die Grundlage für ihr späteres Leben zu legen. Oder gelegt zu bekommen.

Denn viel Raum für eigene Ideen und eigenständige Entfaltung gibt es nun mal weder wörtlich noch im übertragenen Sinne. An den Bänken und Tischen blättert die Farbe ab. Sie sind so miteinander verbunden, dass man sie nicht verrücken kann und Gruppenarbeit unmöglich gemacht wird.

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Von den Wänden hängen Buchstabenketten aus dem letzten Jahrhundert.

Der Unterrichtsstoff wird durch Abschreiben und Kopieren in die Köpfe der Kinder eingepflanzt. Wie ein kleiner Samen, der lieblos in Erde gesteckt und sich selbst überlassen wird. Doch wie jeder Samen braucht auch dieser Nahrung, Wasser und ein wenig Zuneigung. Ein wenig Platz, um aufzubrechen, aufzugehen, zu wachsen und zu gedeihen.

Sarah Schnitzer Bei diesem Text handelt es sich um einen f­ iktiven Text, der aus einer Übung des ­K reativen Schreibens in der globalista SchreibWerkstatt im April 2015 entstanden ist.

Was heißt Bildung und was heißt Wissen?

Was heißt Bildung und was heißt Wissen? In erster Linie denkt man dabei an Schulen, Bücher, Daten und Fakten.

Doch an Bildung werden noch weitere Ansprüche gestellt.

Sie soll die Persönlichkeit entwickeln und jedem einzelnen ermöglichen, ein erfülltes Leben zu führen. Gut ausgebildete Fachkräfte, die den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft wett­ bewerbsfähig halten, aber auch das Weitergeben von kultu­rellem Wissen und ein Beitrag zu Demokratie und Frieden sollen das Ergebnis von Bildung sein. Die Ziele sind formuliert, doch wie kommt man am besten dorthin? Die Gesellschaft verändert sich: Sie wird vielfältiger und die Einbindung in die globalisierte Welt stellt neue Fragen. Wie muss sich das Bildungssystem darauf ein­stellen?

Lange herrschte die Idee, dass Lernen ein passiver Vorgang sei: Das vom Lehrenden vermittelte Wissen wird vom Lernenden aufgenommen und in seinem Gedächtnis gespeichert. Die heutige Vorstellung ist anders: Wissen wird nicht einfach übertragen. Es muss im Gehirn neu geschaffen und mit Vorwissen verknüpft werden, sodass es flexibel auf neue Situationen anwendbar ist. Aus dem veränderten Verständnis von Lernen folgt unwei­ gerlich auch ein anderes Verständnis des Lehrens.

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Um das Lernen eines Kindes zu erleichtern, sind verschiedene Faktoren von Bedeutung. Einerseits braucht man zum Lernen Energie. Das Gehirn eines gesun­ ­ den Menschen beansprucht rund die Hälfte der mit der Nahrung auf­­ ge­ nommenen Kohlenhydrate und unter Belastung sogar bis zu 90 % des verfügbaren Blutzuckers. Um diese Energie zu bekommen, bedarf es an ausgewogener Ernährung. Es zeigt sich auch in dieser Hinsicht, dass Bildung stark mit Armut verknüpft ist. Mangelernährung hat großen Einfluss auf die Lernkapazitäten von Kindern und wirkt sich somit auf ihre Zukunftschancen aus.

Andererseits hat das Lernumfeld Einfluss auf den Erfolg der Lernenden.

Genügend Licht, ein aufgeräumter Schreibtisch, der ausreichend Platz zum Arbeiten bietet und vor Ablenkung schützt sowie die grundlegenden Materialien wie Stifte und Bücher tragen zum Lernerfolg bei.

Desweiteren ist der*die Lehrerende von besonderer Wichtigkeit. Neben einem gut vorbereiteten Unterricht spielt die Motivation der Lehrkraft eine entscheidende Rolle, um das Kind zu animieren. Als Vorbild sollte er*sie zeigen, dass lesen und rechnen Spaß machen und nicht nur vorgeschriebene Pflichtinhalte des Schulunterrichts sind.

Das Abschreiben von Texten und auswendig lernen von Fakten hingegen, zeigt nur mäßigen Erfolg. Ein Kind darf nicht als eine „unfertige“ Person gesehen werden, die durch Bildung „vervollkommnet“ werden muss.

Gerade diese „Unfertigkeit“ muss als Stärke gesehen werden, die das Potenzial bietet, in unbegrenztem Maße zu lernen und sich die Welt zu erschließen. Um dies zu erreichen, muss Neugierde gefördert und das Kind zum Lernen durch Erfolge ermutigt werden. Das Kind muss für sich einen Gewinn sehen und auf eigenem Wege Wissen erleben. Denn was man erlebt, braucht man nicht mehr auswendig zu lernen.

Auch lernt jedes Kind anders. Um auf die be­son­ deren Bedürfnisse eines jeden Kindes ein­ zu­ gehen, bedarf es binnendifferenziertes Unter­ richten und individuelle, vielfältige Strate­gien, um das Ziel zu erreichen.

Ein weiterer wichtiger Punkt spielt dabei das Übereinstimmen der Werte und Inhalte in der Bildungseinrichtung und der häuslichen Realität der Kinder. In vielen ehemaligen Kolonialländern findet sich in den Lehrplänen und Schulbüchern jedoch häufig eine große Diskrepanz zwischen diesen beiden Welten. Ein Beispiel ist das lateinamerikanische Land Peru. In den ländlichen Gegenden lernen die Kinder die Bedeutung der minga, der Gemeinschaftsarbeit, und die Rolle der Dorfgemeinschaft zu schätzen, welche in den Schulbüchern und Lehrplänen zumeist ausgeklammert werden. Entgegen der Bedeutung des gemeinschaftlichen Handelns wird ein individualistisches Lebensmodell nach „Westlichen Werten“ vermittelt.

Die von der Schule vermittelten Wertvorstellungen sind dabei von der Realität der Kinder losgelöst und die soziale und kulturelle Identität wird nicht gefördert.

Im Süden Perus, besonders in der Region um Cusco wird seit den 70er Jahren Quechua, das knapp 30 % der Peruaner*innen sprechen, in den Schulen gelehrt und gefördert. Im Norden, wie zum Beispiel in Cajamarca, ist dies jedoch noch nicht der Fall. Hier sind die Landbewohner*innen großer Diskriminierung ausgesetzt und Quechua wird, als Zeichen und Teil der Identität der Landbevölkerung und Indigenen, herabwürdigend betrachtet.

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Diese Diskriminierung ist Erbe des Kolonialismus und somit ein globales Phänomen.

Seit der Zeit der Kolonialisierung hat es sich zwar gewandelt, ist aber durch ihre anhaltende Folgen und die Globalisierung aktuell. Jedes Handeln hat Konsequenzen, nicht nur für einen selber und die direkte Umwelt, sondern auch für andere. Das Bewusstsein über die eigenen Handlungswirkungen steht auch im Zentrum der UN Dekade, woraus sich ein Vorschlag der Bildung für nachhaltige Entwicklung ergab. Nachhaltig wird hier im Sinne eines gleichwertigen Zusammenspiels aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten verstanden, welche zur Generations- und Chancengleichheit in der Welt beitragen soll. Dazu sollen die Lernenden zum einen Wissen über Ländergrenzen überschreitende Zusammenhänge bekommen und die komplexen Ursachen globaler Probleme erkennen. Zum anderen sollen Fähigkeiten angeeignet werden, die nötig sind, dieses Wissen auch praktisch umzusetzen. Sie werden als Gestaltungskompetenzen bezeichnet und dienen dazu, aus Gegenwartsanalysen und Zukunftsstudien Schlussfolgerungen über ökologische, ökonomische und soziale Entwicklungen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit zu ziehen. Sie sollen ermöglichen, Entscheidungen treffen, verstehen und umsetzen zu können, mit denen sich nachhaltige Entwicklungsprozesse verwirklichen lassen. Bei diesem Konzept soll über den Tellerrand hinaus geschaut und das große Ganze erkannt werden. Um dieses zukunftsorientierte Ziel zu erreichen, reicht es nicht, das bereits Vergangene auswendig zu lernen und zu reproduzieren. Auf die Lebenswirklichkeit angepasst müssen die Kinder autonomes und solidarisches Handeln ler­ nen. Um diese Fähigkeiten an­zu­regen, muss die Schul­bil­ dung einen geeigneten Raum bie­ten, der die Kinder bei der Ent­fal­tung eines kreativen, kriti­schen Geistes unterstützt.

Sarah Schnitzer

Der Weg zur Reflexion ist lang Mein Schulalltag in Tansania

In der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ besagt Artikel 26 unter anderem, dass die Ausbildung, welche jedem Kind oder Jugendlichen als Grundrecht zusteht, Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Völkern fördern soll.

Aufgrund dieses Rechts auf Bildung, welches den interkulturellen Aus­tausch und die Toleranz zwischen den Ländern fördert, hatte ich die Mög­lich­keit, für ein Jahr nach Tansania zu gehen. Natürlich wollte ich mög­lichst vorurteilsfrei an die Sache herangehen. Doch schnell musste ich feststellen, wie sehr die Sozialen Medien mich geprägt haben. Gewisse Vorurteile wurden bestätigt, andere total widerlegt. Mir wurde klar, dass es in Deutschland oft keine weltoffene Bildung gibt und dass wir wenig darauf vorbereitet werden, konstruktiv mit den eigenen Vorurteilen gegen­ über anderen Ländern umzugehen. Beispielsweise hatte ich, übertrieben gesagt, das Vorurteil, dass die Kinder dort lieber lernen als in Deutschland.

Ich kann erklären, wie es zu diesem Gedankengang kam: Ich hatte das 18 | 32

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typische Vorurteil über „Afrika“, dass die Menschen dort arm sind. Zu arm, um sich Essen zu kaufen, zu arm, um ihre Kinder in die Schule zu schicken.

Darum müssten die Kinder, welche die Möglichkeit haben, in die Schule zu gehen, lernwütiger sein. Sie müssten sich darüber freuen, die Möglichkeit auf Bildung zu haben. Im Nachhinein finde ich dieses Vorurteil lächerlich.

Wieso sollten die Kinder aus Tansania lieber lernen als die Kinder aus Deutschland? Ich habe in Tansania Englisch an einer Grundschule unter­ richtet und kann aus eigener Beobachtung sagen, dass die Kinder nicht lieber lernten. Es war eigentlich genauso wie hier. Es gab solche, die sehr gerne lernten, die im Unterricht aufpassten, die mitmachten und sogar nach Hausaufgaben fragten. Doch gab es auch andere, die weniger gerne lernten, die nicht aufpassten, nur redeten und andere ablenkten. Gleichzeitig wurde an dieser Schule ein anderes Vorurteil bestätigt. Die Lerneinrichtung und das Material ließen sehr zu wünschen übrig. Die Klassenzimmer waren düster und zugig, da in manchen Fenstern keine Scheiben eingebaut waren.

Die Klassen waren viel zu groß, zwischen 65 und 200 Kindern pro Klasse.

Es gab zu wenig Tische, die Kinder saßen teilweise zu viert in eine Bank gequetscht und ein Viertel der Klasse hatte keine Stifte oder Hefte. Pro Schulbank gab es ein Schulbuch, und das war meistens veraltet. Zudem waren einige Lehrkräfte dieser Schule nicht gerade motiviert. Oftmals kam ich in die Klasse rein, in welcher ich als nächstes unterrichten sollte, und sah, wie die Lehrer*innen dort Süßigkeiten und Erdnüsse verkauften, anstatt zu unterrichten. Dieses Verhalten hat mich sehr aufgeregt, bis ich fragte, wie viel ein*e Grundschullehrer*in im Durchschnitt pro Monat verdient. An einer staatlichen Schule sind das 100–150 Euro im Monat.

Auch wenn die Lebenshaltungskosten geringer sind als in Deutschland, ist das angesichts der großen Familien nicht viel. Ich fand das Verhalten dieser Lehrer*innen zwar immer noch nicht gut, aber ich konnte ein Stück weit verstehen, dass sie ihr Einkommen ein wenig aufbessern wollten. Viel schwerer tat ich mich damit, dass die Kinder in Tansania noch für Unartigkeiten geschlagen werden. An dieser Stelle darf man nicht urteilen, denn auch in Deutschland ist die Erkenntnis noch relativ jung, dass man Kinder so nicht zum Lernen animieren kann und darf.

Oft habe ich probiert, mit den Lehrer*innen über das Thema zu diskutieren. Leider ohne Erfolg. Häufig wurde ich abgewürgt mit den Worten: „Tansanische Kinder sind viel zu dumm und zu faul, um ohne Schläge zu lernen.“ Ich wollte den anderen Lehrer*innen beweisen, dass es auch ohne einen Stock geht. Ich versuchte es mit Liedern, wenn sie eine Stunde lang still waren, und mit Strafarbeiten, wenn sie zu laut wurden. Dennoch stieß ich an meine Grenzen. Das lag keineswegs daran, dass die Kinder dumm oder faul waren, sondern vielmehr daran, dass die Umgebungsbedingungen nicht stimmten. Ich könnte mich in einem Raum mit 75 anderen Kindern auch sehr schlecht konzentrieren, vor allem wenn mein Nachbar keinen Stift dabei hat und mir meinen die ganze Zeit stibitzt, um selbst mitschreiben zu können. Dennoch wollte ich den Kindern so viel wie möglich beibringen. Umso enttäuschter war ich, als ich feststellen musste, dass meine Schüler*innen trotz der vielen Übungen und Wiederholungen bei den zentralen Arbeiten (Examinations) im März schlecht abschnitten. Ich verstand nicht, was ich falsch gemacht hatte, und wusste in dem Moment auch nicht, wie ich es hätte besser machen können.

Also ging ich in die Klasse und erklärte den Kindern, dass sie ohne Bildung kaum eine Chance auf eine gute Arbeit und ein gutes Leben haben würden.

Ich erwartete nicht allzu viel von meiner kleinen Rede. Ob es nun Zufall war oder ob das Gesagte doch auf offene Ohren stieß, ich weiß es nicht, aber in den nächsten Examinations waren meine beiden Klassen diejenigen mit dem besten Klassendurchschnitt.

Bildung in Tansania ist teilweise auch abhängig vom Einkommen der Eltern. Die Grundschule geht bis zur siebten Klasse und ist verpflichtend für alle Kinder. Sie wird vom Staat finanziert, solange es keine private Schule ist. Für die weiterführende Schule müssen die Eltern das Geld selbst aufbringen. Doch große Familien mit vielen Kindern können sich das oft schlichtweg nicht leisten. Kinder, die nach der siebten Klasse nicht weiter zur Schule gehen können, werden meist Hausmädchen (Verdienst pro Monat ca. 15 Euro) oder Schneider*in. Doch es gibt Ausnahmen. Eine meiner Freundinnen, genannt Mama Heri, hatte selbst drei Kinder. Dennoch nahm 19 | 32

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sie zwei weitere Kinder bei sich auf und zahlte auch für diese, genau wie für ihre eigenen Kinder, das Geld für die private Schule. Ich fragte Mama Heri einmal, ob die Eltern der anderen Kindern diese Schulden begleichen würden, doch sie meinte nur: „Weißt du, wenn man hier in Tansania das Geld und die Möglichkeiten hat, andere Kinder aufzunehmen und für diese zu sorgen, dann tut man das auch. Mir und meiner Familie geht es so gut, dass wir ohne weiteres noch mehr Kinder aufnehmen konnten, dafür bin ich sehr dankbar.“ Solch ein Handeln sollte man sich zum Vorbild nehmen.

In Tansania und anderen Ländern des globalen Südens steckt das Thema Bildung in einem Teufelskreis. Es gibt häufig deutlich mehr Kinder und Jugendliche als ältere Menschen. Und damit beginnt das Problem. Es gibt viele Kinder, aber zu wenig Geld, um genügend Schulen zu bauen, zu wenig Geld, um die Lehrer*innen kompetent auszubilden und angemessen zu bezahlen, zu wenig Geld, um Unterrichtsmaterialien zur Verfügung zu stellen. Dadurch werden Schüler*innen von Lehrer*innen gelehrt, welche selbst nicht richtig ausgebildet sind, und diese Schüler*innen werden teilweise wieder Lehrer*innen. Das ist ein nicht endender Kreis, der dringend unterbrochen werden müsste.

Auch wenn ich mit vielen Situationen zu kämpfen hatte, bin ich sehr glücklich darüber, dass ich die Möglichkeit hatte, ein ganzes Jahr lang zu lernen, zu beobachten und zu reflektieren. Ich bin dadurch dankbar geworden für die vielen Bildungsmöglichkeiten, die wir in Deutschland haben, und ich hoffe sehr, dass die Kinder und Jugendlichen in Tansania ebenfalls eine faire Chance auf Bildung bekommen.

Anne Kaschler

Benards Weg in die Selbstständigkeit

Die ersten beiden Tage nach meiner Ankunft in Tansania war Benard noch mein Gastbruder, mit dem ich Tür an Tür lebte. Danach lebten wir wie Brüder zusammen.

Als Sohn einer Krankenschwester und eines Arztes wurde Benard in dem kleinen Dorf Mwanga mitten in Tansania geboren. Der Vater von Benard wandte sich bereits früh von der Familie ab. Fortan war die Mutter von vier Kindern auf sich alleine gestellt. Nachdem Benard die Grundschule im Heimatdorf abgeschlossen hatte, nahm Richard, mein Mentor während meines Freiwilligendienstes, ihn auf Wunsch seiner Mutter bei sich in Singida auf. Seither lebt er in der Stadt der Felsen, wo er die Secondary 20 | 32

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School besuchte und später seinen Ordinary-Level-Abschluss machte.

Während dieser Zeit lebte er zusammen mit deutschen Freiwilligen im selben Haus und hatte, aufgrund von Richards Mentorenfunktion für alle Kolping-Freiwilligen in Tansania, viel mit ihnen zu tun. Auch wenn Englisch in tansanischen Schulen gelehrt wird, beherrschen viele Schüler*innen und oftmals auch Lehrkräfte diese Sprache nur in Ansätzen.

Dass Benard heute fließend Englisch spricht, ist das Ergebnis jahrelanger Selbstaneignung. Mit eiserner Disziplin lernte er mit seinem Wörterbuch und Serien in englischer Sprache, um sich mit den Freiwilligen und seinen Mitschüler*innen der Ordinary School verständigen zu können. Da diese zu großen Teilen aus English Medium Schools kamen, fiel es ihnen anfangs bedeutend leichter, sich an die Schulregel zu halten, auf dem Schulgelände nur Englisch zu sprechen.

Erste Berührungspunkte mit dem Thema Bildung und Menschenrechte hatte er bereits in der Grundschule. Oftmals mied er die Schule während dieser Zeit, aus Angst für abweichendes Verhalten geschlagen zu werden. Über seine Rechte als Mensch wurde er während seiner gesamten Schulzeit von den Lehrkräften nicht in Kenntnis gesetzt. Vielmehr wird den Kindern beigebracht, den Autoritäten zu gehorchen und vermitteltes Wissen zu reproduzieren; mit dem Ergebnis, dass die Schüler*innen nicht in ausreichender Weise zu eigenständigem Denken in der Schule angeregt werden. So bestehen die Aufgaben im Unterricht und in den Prüfungen hauptsächlich aus Lückensätzen und Multiple-Choice-Fragen. Dies bedeutet sowohl für die Lehrkräfte als auch für die Schüler*innen einen relativ geringen Arbeitsaufwand, wenn man diesen mit Leistungsnachweisen vergleicht, bei denen die kreative Bearbeitung von Aufgaben im Vorder­ grund steht. Im Gegensatz zu den Aufgaben von Schüler*innen, wie die meisten sie kennen, sind die Schüler*innen in Tansania fest in Arbeiten wie dem Reinigen des Schulgeländes, dem Sensenmähen und der Ernte von Mais, welcher die Grundlage des Hauptnahrungsmittels ugali darstellt, mit einbezogen.

Die Autonomie ist eine sehr ausgeprägte Charaktereigenschaft Benards, jedoch fehlte ihm bisher die Möglichkeit zur finanziellen Unabhängigkeit von seiner Mutter. Arbeitsplätze gibt es zu wenig, die vorhandenen werden fast ausschließlich durch Vetternwirtschaft besetzt. Kennt man nieman­ den, so hat man als Teil der knapp 15 Millionen Arbeitslosen schlechte Karten.1 Tansanias hohe Arbeitslosigkeit bedeutet für viele Menschen, dass sie kein Geld haben, um ihre Familien ausreichend zu ernähren, denn ein Sozialsystem wie in Deutschland gibt es nicht. Folglich häufen sich Verbrechen aus Not, vor allem der Diebstahl, welcher gerade in armen Ländern viel stärker geächtet ist, als in Industrieländern. Leider ist weiter­ hin Korruption ein großes Problem in Tansania – von der hohen Politik bis zum Gefängnisaufseher.

Aufgrund fehlender Bildung werden unter anderem die Rechte von Men­schen mit Albinismus verletzt. Sie werden noch immer wegen ihres unge­wöhn­lichen Erscheinungsbildes verfolgt und rituell verstümmelt oder gar getötet. Dass ihre Körperteile kein Glück bringen und dass sie aufgrund ihrer hellen und verletzlichen Haut sehr eingeschränkt und anfällig für Hautkrebs sind, dafür treten Menschen mit Albinismus zusammen mit aufgeklärten Mitmenschen an die Öffentlichkeit. So werden im Fernsehen Beiträge zum Thema Albinismus und dessen Folgen ausgestrahlt. Benard hält nichts von Aberglauben und er sieht, was in seinem Land noch falsch läuft und warum es das tut. Mit Blick auf seine aktuelle familiäre Situation beschloss er, so früh wie möglich auf eigenen Beinen zu stehen und die finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Sein schwerkranker Bruder und das Studium seiner Schwester verlangen seiner Mutter mehr ab, als sie 1 Selbst unser gemeinsamer Freund Adam mit seinem Universitätsabschluss ist seit Jahren arbeitslos und wie viele andere junge Erwachsene gezwungen mit Mitte 20 noch im Elternhaus zu wohnen. Manchmal findet sich Arbeit im Bereich Personenbeförderung, wenn man sich die Schichten mit anderen teilt.

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gerade finanziell zu leisten fähig ist. Deshalb arbeitet er momentan sehr hart an diesem Ziel.

Einerseits besucht er das Lehrer*innen College, um im Jahre 2018 einen sicheren Job als Lehrer zu bekommen und Geld für sein Traumstudium im Sektor Wirtschaft zu sparen. Gleichzeitig macht er sein Abitur, um später studieren zu können. Das bisschen Zeit, die ihm neben Schule und College noch bleibt, verbringt er damit, zusammen mit Adam, dessen Rap-Musiklabel „Made in Singida“ bekannter zu machen und das von seiner Mutter zur Verfügung gestellte zwei Hektar große Feld zu bestellen. Mit dem geplanten Verdienst aus der Feldarbeit werden die beiden ihrer finanziellen Unabhängigkeit Stück für Stück näher kommen. Bereits dieses Jahr sind die erste Maisernte, sowie weitere geniale Pläne der Marke Eigenbau angesetzt.

János Aicher

Tabuthema

Menschen mit Behinderungen in Uganda Mit einer Behinderung geboren zu werden, ist überall auf der Welt eine Herausforderung. Während in vielen Ländern versucht wird, dem betroffenen Kind ein möglichst normales Leben zu ermöglichen, fehlt es in den Ländern des globalen Südens, wie beispielsweise Uganda, oft an der nötigen Infrastruktur, wie barrierefreie Toiletten oder Rampen sowie der medizinischen Versorgung. Zudem mangelt es an der nötigen Auf­ klä­ rung der Gesellschaft, wodurch der Mensch mit Behinderung eventuell ein Leben in Abschottung und Scham führen muss.

Ins­ge­samt leben in Uganda nach Angaben der „Ugandan National House­ hold Survey“ von 2010 rund sechs Millionen Menschen mit einer Behin­ derung. Das sind ca. 16 % der Bevölkerung. Im ersten Moment klingt diese Zahl hoch, doch auch in Deutschland leben laut des Mikrozensus 2013 13 % der Bevölkerung mit einer Behinderung. Mit dem Unterschied, dass in Uganda nicht klar ist, ob diese Zahlen stimmen, da es sich immer noch als schwierig erweist die komplette Bevölkerung des Landes zu erfassen.1 Erschwerend kommt das noch immer weit verbreitete Tabu hinzu, über Menschen mit Behinderungen zu sprechen oder sich mit Familienangehörigen mit Behinderung in der Öffentlichkeit zu zeigen.

1 Gründe dafür sind zum einen die erst im November 2014 offiziell eingeführten Ausweise und Registrierungsmaßnahmen. Zum anderen fallen oft Menschen in ländlichen Gebieten beim regelmäßig stattfindenden Zensus durch das System.

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Somit trägt auch der gesellschaftliche Umgang mit Menschen mit Behinderung dazu bei, dass statistische Erhebungen erschwert und eventuell verzerrt werden.

Vor allem für Kinder mit Behinderungen ist die Scham vor diesem Thema fatal. Das bestätigt auch John Mary von der Ugandan Society für Disabled Children (USDC), einer NRO, die sich für Kinder mit Behinderungen in Uganda einsetzt. „Oft ist es den Eltern peinlich wenn ihr Kind eine Behinderung hat. Es kommt nicht selten vor, dass es deshalb stark vernachlässigt und nicht öffentlich gezeigt wird“, sagt John Mary. Laut aktuellen Statistiken stirbt aus diesem Grund jedes zweite Kind unter fünf Jahren mit einer Behinderung.

Um dies zu verhindern und Aufmerksamkeit zu wecken, versucht die USDC diese Kinder mehr in die Gesellschaft zu integrieren. Dies gelingt ihnen zusammen mit internationaler Unterstützung und regio­nalen Verbänden. Insgesamt betreut die NRO derzeit 7000 Kinder mit Behinderungen im Land.

Zwar macht das weniger als ein Prozent der geschätz­ ten drei Millionen Kinder mit Behinderungen (laut UNICEF Report von 2012) im Land aus, aber mit inter­ nationaler Hilfe betreuen sie stetig mehr. „Wir haben uns drei große Ziele gesteckt: die Ver­mitt­ lung, die Mittelbeschaffung und die Rehabilitation.

Das heißt wir machen durch verschie­dene Kampagnen auf diese Kinder aufmerksam, versuchen in ländlichen Gebieten genügend Ressourcen zur Verfügung zu stellen und ermöglichen den Kindern, sich in die Gesellschaft einzugliedern“, erzählt John Mary. Erreicht

werden diese Ziele zum Beispiel durch „Mobile Kliniken“. Mit diesen fährt die USDC aufs Land und versucht vor Ort den Kindern medizinische Hilfestellungen zu bieten. Es werden unter anderem Medikamente verteilt, Untersuchungen durchgeführt und gegebenenfalls erkrankte Menschen befördert. Des Weiteren setzt sich die USDC zusammen mit weiteren NROs, zum Beispiel mit dem Forum für Bildung (FEMO) und der Koalition für alle Kinder in Uganda (UCRNN), für den Aus- und Umbau der Infrastruktur ein. In Schulen, Kirchen und Moscheen werden Rampen angebracht und der Bau von Aufzügen wird unterstützt, sodass ein barrierefreier Zugang gewährleistet werden kann. „Bedauerlicherweise klappt es mit der finanziellen Unterstützung der Regierung noch nicht“, sagt John Mary, „noch sind wir auf finanzielle Hilfe von internationalen Spendern angewiesen.“2

2 Wobei die Weichen für eine Unterstützung von Regierungsseite eigentlich längst gestellt sind. Bereits 1990 ratifizierte Uganda das Gesetz zum Schutz von Kinderrechten. Im Jahr 2008 unterschrieb Uganda die Konvention über Rechte für Menschen mit Behinderungen. Und im Parlament selbst sind mittlerweile fünf Sitze für fünf ständige Vertreter*innen von Menschen mit Behinderungen geschaffen worden.

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Für das kommende Finanzjahr der Republik Ugandas werden laut Haushaltsplan lediglich 1,2 Milliarden Euro für den Bereich „Frauen, Jugend und Menschen mit Behinderungen“ zur Verfügung gestellt. Teilt man die 1,2 Milliarden durch die 278 Bezirke Ugandas, die von den Geldern profitieren sollen, bleibt nur noch eine Summe von knapp 4,5 Millionen pro Bezirk in einem Jahr übrig. Natürlich bekommen diese die Gelder nach ihrer proportionalen Größe ausbezahlt, aber dennoch sind die Gelder zu gering, um alle drei Bereiche: Frauen, Jugend und Menschen mit Be­hin­ derungen mit dem Nötigsten zu versorgen. Zwar sollen bis 2020 die Gelder um ein Drittel erhöht werden, doch selbst dann wird es noch zu wenig sein, da auch die Bevölkerung stetig wächst. Es scheint ein Dilemma zu sein. Doch die nationalen Orga­ni­sa­tionen sind zuversichtlich. Denn vor allem interna­ tio­ nale Orga­nisationen setzen sich für Men­schen mit Behin­ derungen in Uganda ein. Die UN und auch die WHO setzen gezielt Gelder ein, um bessere Bedingungen zu schaffen. Mittlerweile hat sich auch eine Bewegung für Menschen mit Behin­de­run­gen in Uganda etabliert. Im November 2015 zum Beispiel konnten sie zusammen mit der WHO und dem Gesundheits­ ministerium Ugandas eine neue Richtlinie vorlegen. Diese zielt darauf ab in den kommenden Monaten ausgebaute Wege für Rollstuhlfahrer*innen zu schaffen.

Eine Ent­wicklung auf der Regierungsseite kann sich

jedoch sehen lassen. Zwar gibt es weiterhin keine Unterstützung für Heime für Kinder mit Behinderung, aber seit Beginn des Jahres gibt es regelmäßig Fortbildungen für die Betreuer*innen von Kindern mit Behinderungen.

Das bestätigt Wazula Perutu, die derzeitige Leiterin des Heimes Home of Joy. „In teilweise mehrwöchigen Seminaren bekommen wir nun etwas über Erste Hilfe Maßnahmen, die richtige Kindesbetreuung und behin­der­ tengerechte Versorgung gelehrt“, sagt Wazula Perutu. Jegliche weitere Unterstützung holt sich das Heim von der Salvation Army. Diese christliche Vereinigung mit Hauptsitz in London setzt sich nicht nur für den Aufbau entsprechender Kinderheime ein, sondern fördert auch die Inklusion von Kindern mit Behinderungen in staatlichen Schulen und unterstützt die Einrichtungen bei der Aufklärungsarbeit mit den Eltern, Familien und Dorfangehörigen der betroffenen Kinder. „Die Aufklärungsarbeit ist notwendig, denn meist werden die Kinder aus der Gemeinschaft verstoßen.“, erzählt Wazulu Perutu. „Wir versuchen den Familien zu zeigen, dass ihre Kinder liebenswerte Geschöpfe sind, die ihnen nicht nur Nachteile bringen“. Insgesamt leben im Home of Joy derzeit 35 Kinder mit Behinderungen. Das jüngste Kind ist sechs und das älteste 18 Jahre alt. „Unser Ziel ist es, die Kinder während ihrer Schulzeit zu unterstützen und sie in die Gemeinschaft zu integrieren. Während dieser Zeit bereiten wir sie und ihre Eltern, sofern sie noch Erziehungsberechtigte haben, auf die Zukunft vor. Wir haben schon Lehrer, IT-ler und Ingenieure hervorgebracht“, sagt Perutu.

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt von USDC und Home of Joy ist die schulische Bildung von Kindern mit Behinderungen. Laut einer UNICEF Studie aus dem Jahr 2012 schaffen es neun Prozent dieser Kinder eine Schule zu besuchen.

Im Vergleich zu den 92 % der Kinder ohne Behinderung eine sehr niedrige Zahl. Auf rechtlicher Grundlage wurde jedoch kürzlich das Bildungsprogramm Universal Primary Education (UPE) eingeführt, durch das allen Kindern in Uganda schulische Bildung gewährleistet werden soll. Zwar fehlt es an vielen Schulen noch an der nötigen Ausstattung und die Lehrer*innen müssen sich, wie auch hierzulande, mit dem Thema Inklusion auseinandersetzen, aber die Einführung der UPE ist in erster Linie als positiv zu bewerten.

Es liegt noch ein langer Weg vor Uganda. Doch John Mary blickt positiv in die Zukunft: „Hätte vor fünf Jahren jemand gesagt, dass wir heute schon 7000 Kinder mit Behinderungen unterstützen, hätte ich gelacht. Wir sind weit gekommen in den letzten Jahren und ich sage Ihnen, in zehn Jahren wird Ugandas Akzeptanz weitreichender sein, als in manchen Industrieländern.“ Franziska Freihart

links: Wazulu Perutu | rechts: John Mary

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Doppelbelastung Studium Während der Schulzeit dachte ich: „Danach kann ich endlich das machen, was ich will“, denn schließlich greift ja dann das Menschenrecht auf Berufswahlfreiheit (Art. 12 GG). Aber sind wir wirklich frei zu wählen?

Blicken wir zwei Generationen zurück, war die Berufsperspektive stark eingeschränkt. In den 50er Jahren folgte Mann in die Fußstapfen des Vaters und Frau widmete sich Kind und Heim. In den 80er Jahren öffneten sich viele Berufe für Frauen, neue Perspektiven taten sich auf, aber sie mussten oft hart erstritten werden. Und heute? Keiner Generation vor uns, den 1980–1995 Geborenen, standen so viele Wege offen: Ausbildung, Studium, Gründung eines innovativen Start-up-Unternehmens – alles ist möglich. Einfach nur rumhängen, geht nicht. Mit dem Abitur in der Tasche nicht studieren gehen? Das muss gut begründet werden, damit so eine Entscheidung in unserer Gesellschaft anerkannt wird. Kein Wunder, dass sich die Zahl der Studienanfänger*innen in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat.

Die deutsche Hochschulwelt gleicht einem Markt der unbegrenzten Möglichkeiten. An den 415 Hochschulen1 bundesweit kann derzeit zwi­ schen 9.771 akkreditierten Studiengängen gewählt werden.2 Mir stehen alle Türen offen. Gleichzeitig muss ich von Anfang an die Ver­ant­ wortung für meine Wahl tragen. Viele Unsicherheiten bleiben bezüglich der Wahl des Studiengangs, der Fächerkombination, der Vertiefung und der Hochschule. Ich erlebe in meiner Generation eine große Rat­losig­ keit. Die Studienbedingungen haben sich zwar nach Angaben des 1 Vgl. https://www.bmbf.de/de/studium-70.html 2 Vgl. http://www.hs-kompass2.de/kompass/xml/akkr/akkr_stat_a.htm

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Studierendensurvey des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) seit des Beginns der Studie im Wintersemester 1982/83 kontinu­ ierlich verbessert.3 Das trifft zu in Bezug auf die Ausstattung der Räume, die Möglichkeiten der Finanzierung oder den Praxisbezug. Aber mit der Einführung des Bachelor/Master Systems häufen sich in der Presse die Berichte über Burn-out, Erschöpfungssyndrome und Überforderung der Studierenden.4 Etwa jede*r zweite Studierende hat Angst, im Studium oder in Prüfungen zu versagen.

In den letzten Jahren wurde einiges dafür getan, die Umstellungs­ schwierigkeiten zu beheben. Der kontinuierliche Druck, dass jede Note von Anfang an zählt, eine Mindestpunktzahl von Creditpoints pro Studien­­abschnitt erreicht werden muss und die Regelstudienzeiten knapp bemes­sen sind, bleibt allerdings. Viele Hochschulen bieten Hilfe­stellung bei der Studienorganisation, Prüfungsvorbereitung und zur Stress­ bewäl­tigung an. Der Bedarf an psychosozialen Beratungsstellen wächst.

Viele Erstsemester sind nach dem verkürzten Abitur gerade 18 Jahre alt, wenn sie ein Studium beginnen. Die neue Situation an der Hoch­ schule ist für Studierende eine Herausforderung. Wie sehr sind sie dann gefordert, wenn sie eine sogenannte Doppelbelastung haben? Laut BMBF 3 Vgl. www.bmbf.de/pub/Studierendensurvey_Ausgabe_12_Langfassung.pdf 4 Zeit: www.zeit.de/campus/2010/03/burnout-studenten . Spiegel: www.spiegel.

de/karriere/berufsstart/karriere-konkurrenz-unter-studenten-burnout-beimbachelor-a-810496-2.html . n-tv: www.n-tv.de/ratgeber/Macht-die-Uni-krankarticle12101.html . Siehe auch: Christa Roth und Nina Petrow, Geistige Ertüchtigung mit Nebenwirkungen, in: Bettina Malter/Ali Hotait (Hg.), Was bildet ihr uns ein?

Eine Generation fordert die Bildungsrevolution. Berlin 2012. Vergangenheitsverlag.

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haben 17 Prozent aller Studierenden Kinder und sieben bis acht Prozent leben mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung bzw. einer „studienerschwerenden Gesundheitsbeeinträchtigung“.

Maren und ich sind solche Studierende mit Doppelbelastung. Wir beide haben gute Bedingungen für das Studium und bekommen viel Unter­ stützung. Leider ist das nicht in jedem Bundesland und nicht an jeder Hochschule so. Ich studiere mit einer zweijährigen Tochter. Das birgt einige Herausforderungen an das Lernen für Prüfungen und die Treffen für Gruppenarbeiten. Als studierende Mama genieße ich aber einige Vor­teile an meiner Hochschule: Ich kann flexibler die Vorlesungsmodule wählen, bin nicht an Mindest-Creditpoints gebunden, ich kann verlän­gerte Bearbeitungszeiten bei Hausarbeiten beantragen und es gibt familien­ gerechte Lernlandschaften und Kinderecken in den Mensen. Ich bin dankbar für die Möglichkeit doppelt belastet oder besser: doppelt tätig sein zu können. Studieren am Vormittag, Mama am Nachmittag.

Maren gehört zu den acht Prozent der Studierenden mit Behinderung.

Wir haben uns zum Gespräch getroffen. Sie studiert Soziale Arbeit im 3. Semester. Das Studium gefällt ihr gut und die Hochschule ist relativ barrierefrei. Zum Beispiel gibt es auf jeder Etage der Bibliothek ein Behin­derten-WC. Allerdings kann man die Toilette nur mit einem Trans­ ponder öffnen, den man jedes Mal aus dem Erdgeschoss holen und wieder zurückbringen muss. „Das nervt ziemlich. Ich habe schon der neuen Behindertenbeauftragten geschrieben. Ähnliche Schwierigkeiten kenne ich von Fahrstühlen und Brandschutztüren. Ich merke schon, dass ich immer mehr Zeit einplanen muss. Durch meine Spastik bin ich ja verlangsamt,

nicht unbedingt im Kopf, aber in der motorischen Umsetzung“, sagt Maren. Ein normaler Studientag von Maren beginnt in der Regel um acht Uhr, bis mittags hat sie Vorlesungen, nachmittags braucht sie Zeit für Krankengymnastik, fürs Lernen oder Freizeit. Sie wohnt wieder bei ihren Eltern, was am Anfang schwierig war. „Ich bin froh, dass ich nicht nebenbei arbeiten muss. Der Kühlschrank ist gefüllt und ich kann mich mehr auf das Studium konzentrieren. Ich war eigentlich immer sehr ehrgeizig und hab Freizeit zurückgestellt. Wenn man aber nur lernt, wird man irgendwann einsam. Das Studium geht mir gut von der Hand, meine schlechteste Note ist eine 3,0. Darum habe ich dieses Semester mehr in Freizeit investiert. Maren spielt im Musical Grand Hotel Vegas mit, engagiert sich in der Pauluskirche (Konfirmationsunterricht, Gemeindefreizeit), im Kirchenkreisjugendkonvent und arbeitet bei der Wohnungslosenhilfe mit. „Meine Kommiliton*innen sind sehr nett. Sie helfen mir immer, wenn ich Hilfe brauche. Allerdings ist es manchmal schwieriger für mich wirklich in Kontakt zu kommen, da immer eine Schreibhilfe neben mir sitzt.

Meine Kommiliton*innen sind sehr achtsam. Sie bringen viel Geduld auf, um auf mich zu warten. Schwierig ist manchmal die Terminfindung für Gruppenarbeiten, weil ich zum Beispiel Krankengymnastiktermine oder die Stunden mit der Schreibhilfe nicht verschieben oder ausfallen lassen kann. Manchmal ist das nicht so einfach alles unter einen Hut zu bekommen. Was Maren sich für die Zukunft wünscht: „Ich wünsche mir, dass Menschen mit mir erst mal ins Gespräch kommen und nicht sofort ein Urteil fällen. Auch wenn es nicht immer leicht war, wurde mir in der Hochschule immer eine Chance gegeben und mir zugehört. Das hat mich oft aufgemuntert.“

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Christina Enns

Träume und Tatsachen:

Momentaufnahmen.

Xi‘An, China. Oktober 2008. Es ist spät und eigentlich schon dunkel. Die Achtmillionenstadt ist jedoch hell erleuchtet, der Verkehr ist zu hören und Musik aus einer Bar in der Nähe. Durch das offene Fenster weht ein angenehmer Wind ins Zimmer. Ein Überbleibsel des langen, heißen Sommers. Zhenni sitzt an ihrem Schreibtisch, die langen Haare zusammengebunden, mit hochkonzentrierter Mimik. Einige Stunden sitzt sie schon dort und macht ihre Hausaufgaben.

Sie kommt gut voran, hat bereits Englisch, Geschichte und Chinesisch geschafft. Mathe hat sie dank des Extrakurses in der Volkshochschule verstanden, deshalb fallen ihr die Aufgaben heute leicht. Und trotzdem ist das Ende nicht absehbar. Sie wird wohl morgen in der Mittagspause weitermachen müssen, um wenigstens noch ein bisschen schlafen zu können. Und übermorgen dann endlich Sonntag – der einzige freie Tag der Woche. Seit Zhenni in der Oberschule ist, hat sie auch samstags Unterricht. Immerhin nur acht Stunden statt neun, das heißt, sie ist schon um 18 Uhr zu Hause. Seit sie in der Ober­schule ist, belegt sie auch den Mathekurs. Wegen der Konkurrenz. Weil die auch in Extrakursen büffelt, um im nächsten Juni alles perfekt draufzu­ haben. Am Tag der großen Prüfung, die über die Aufnahme an der Uni entscheidet. Zhenni spürt den wachsenden Druck. Sie weiß nicht mehr, wie es ist, nicht müde zu sein. Sie hat nichts Anderes mehr im Kopf, aber Schule war sowieso schon immer das Wichtigste. Zeit für Hobbies hatte sie nie, hat keine*r ihrer Freund*innen. Doch Zhenni findet das nicht schlimm, ihr macht es Spaß, viel zu lernen. Und auf der Uni wird eh alles entspannter.

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Drei Jahre zuvor in Peshawar, Pakistan. Die Stadt ist wie gelähmt. Adnan kommt es so vor, als bewege sich alles in Zeitlupe. Nur die Gewissheit, dass es regnen wird, lässt ihn diese Hitze aushalten. Und der Ventilator, der, schon äußerst gebrechlich, vor sich hin rotiert. Der Luftzug, den er erzeugt, ist lächerlich, aber besser als gar nichts. Adnan rutscht auf der hölzernen Bank hin und her, etwas nervös. Dabei hat er nichts zu befürchten: Seine Noten waren schon immer hervorragend, die Lehrer*innen ausnahmslos begeistert. Das hat er vor allem dem großen, graubärtigen Mann neben sich zu verdanken. Ruhig und stark sitzt er dort, sein Vater. Adnans Respekt vor ihm ist unendlich. Wenn er ein Vorbild hat, dann ihn. Er hat so vieles erreicht im Leben: Widersetzte sich dem Willen seines eigenen Vaters und besuchte als erster des Dorfes die Schule in der Nachbarstadt.

Lernte Englisch, ging zur Uni. Heiratete, bekam Kinder. Studierte weiter, erst in Pakistan, dann in Schottland. Und wurde Professor, um sein Wissen an andere weiterzugeben. Adnan möchte ihn nicht enttäuschen. Möchte auch etwas aus seinem Leben machen. Möchte lernen und die Welt sehen.

Deshalb sitzt er hier, im Büro des Colleges in Peshawar, um sich anzumelden.

Es ist nicht schwierig, er muss bloß seine Schulzeugnisse vorzeigen und ein Formular ausfüllen. Er wird sich für die Ingenieurslaufbahn entscheiden. „Bist du dir wirklich sicher?“, brummt sein Vater skeptisch. Er möchte immer noch, dass Adnan Arzt wird. Aber sein Sohn hat ihn vor die Wahl gestellt: Ingenieur oder Pilot. Seinen Traum, Pilot zu werden, würde seine Familie nicht akzeptieren. Ingenieur ist ein guter Kompromiss. Adnan hat Glück – die meisten seiner Freunde haben gar keinen Einfluss auf ihre Berufswahl. Es ist genau wie bei der Heirat: Die Eltern suchen aus, entscheiden. Keine Widerworte. Adnan hat entspannte Eltern, sie würden ihn zu nichts zwingen. Trotzdem würde er sich ihnen niemals widersetzen.

Also wird er die Frau heiraten, die ihm ausgesucht wird. Und er wird Ingenieur.

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Zur gleichen Zeit in Bagangté, Kamerun. Man sieht die rote Morgensonne am Horizont.

Douglas sitzt im Schulbus, der sich mit lautem Motorknattern seinen Weg durch das Chaos auf der Hauptstraße sucht. Er schaut auf einen kleinen, zerknitterten Zettel in seinen Händen und versucht, sich trotz des Stimmengewirrs im Bus zu konzentrieren. Deutsche Grammatik, unregelmäßige Verben im Präteritum. Ich ging, du gingst, er, sie, es ging… „Deutsche Sprache, schwere Sprache“, hat er von einem Deutschen gelernt, der im letzten Jahr an seiner Schule unterrichtet hat. Dieser Satz trifft es auf den Punkt – noch nie in seiner Schulzeit hat Douglas sich für ein Fach so anstrengen müssen. Aber er ist ehrgeizig und er hat ein Ziel: Nach der Schule, spätestens für sein Masterstudium, will er nach Deutschland gehen. Zwei seiner älteren Brüder sind bereits dort. Einer studiert, einer arbeitet. Am Telefon erzählen sie ihm jeden Tag von ihrem neuen, deutschen Leben. Douglas träumt danach stundenlang vor sich hin. Wie eine ganz andere Welt, so kommt ihm das ferne Deutschland vor. So fremd und aufregend. Er liebt Kamerun, sein Dorf Bagangté, seine Familie und seine Freunde. Doch er möchte Deutschland sehen, das Land der großen Dichter und Denker, er möchte die Sprache lebendig werden hören.

Dafür hat er nun jahrelang fleißig geübt.

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Deutschland, 2015. Es ist kalt draußen, letzte Woche hat es geschneit. Zhenni, Adnan und Douglas sitzen in ihrer WG-Küche im Studentenwohnheim, trinken Tee, unterhalten sich. Mal auf Deutsch, mit Adnan auf Englisch.

Deutsch hat er nie wirklich gelernt. Er hat viele pakistanische Freunde hier und kommt mit Englisch überall durch. Douglas lernt Deutsch in einem Sprachkurs. Danach will er seinen Master machen. Zhenni spricht wie eine Muttersprachlerin – sie studiert Deutsch als Fremdsprache. Alle drei haben also ihren Weg nach Deutschland gefunden. Der Bildung wegen. Warum gerade Deutschland? „Weil ich in meinem ganzen Leben nie irgendetwas Negatives gehört habe“, meint Zhenni, als wäre dies das einzig Logische. „Ich möchte meine Berufschancen verbessern“. Die Jungs stimmen ihr zu. „Mit einem deutschen Abschluss hat man viel mehr Möglichkeiten.“ Doch die Realität entpuppte sich etwas anders als gedacht. „Als ich herkam, erwartete ich ein taffes System“, erzählt Adnan. In seiner Heimat ist Schulbildung nicht tief in der Kultur verankert so wie in Deutschland.

Vor allem in den Dörfern herrschte bis vor einem Jahrzehnt eine regel­ rechte Abneigung, erachtete man das Schulsystem noch als etwas ihnen von der englischen Kolonialmacht Aufgezwungenes. Adnan erlebte den Wandel und ging dennoch. Er folgte dem Beispiel seines Vaters, der bereits in Schottland studiert hatte, und zog los, um vom deutschen Ingenieur­ fachwissen zu profitieren. Seine Erwartungen an die deutsche Uni wurden jedoch enttäuscht: „Es ist viel einfacher als in Pakistan.“ Die Dozenten seien nicht streng genug, die Atmosphäre zu entspannt. Statt den sechs Kursen, die er bis jetzt hier gemacht hat, hätte er in Pakistan das Zwei- bis Dreifache bewältigt. Zhenni nickt mit dem Kopf. Sie ist aus China einen viel stärkeren Druck gewohnt. Nachdem sie begonnen hatte, in Xi’An zu studieren, fiel sie in ein Loch. Kein Stress mehr, keine Extrakurse, und auch keine Motivation. „Druck ist nicht immer negativ – er treibt dich auch nach vorn!“ Doch die Hoffnung, in Deutschland wieder mehr gefordert zu

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werden, gab sie schnell auf. Was alle drei bemängeln, ist wohl Disziplin und Wertschätzung. „In Deutschland gibt es alles, was man braucht – und trotzdem haben die Leute keine Lust, in die Schule zu gehen!“, wundert sich Douglas. Er findet, die jungen Menschen hier nehmen Bildung für selbstverständlich und sehen Schule zwar als wichtig, aber trotzdem sehr lästig an. „In meiner Heimat ist das anders. Die Kameruner sind glücklich, wenn sie morgens in die Schule gehen.“ Es gibt sogar eine Studie, nach der 96 % der Kameruner*innen gern die Schule besuchen. „Schule ist ein Privileg. Eine Chance zum sozialen Aufstieg!“ Dessen sind sich die Deutschen wohl nicht mehr bewusst.

Doch trotz aller Enttäuschung, aller Kritik, bereut keiner der drei, hergekommen zu sein. „Egal, wie man es sich vorher vorstellt – die Realität ist immer anders. Man gewöhnt sich daran. Das Wichtige ist, stets das Positive zu sehen!“, meint Douglas. Und strahlt.

Leonie Düngefeld

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IMPRESSUM

gbook V, 2016

Autoren und Autorinnen: János Aicher war 2014/2015 im Rahmen des weltwärts-Programms mit den Kolping Jugendgemeinschaftsdiensten in Tansania, im Osten Afrikas. Dort unterrichtete er Englisch und Sport an einer Grundschule und lernte Swahili, um sich verständigen zu können. Zurück in Deutschland studiert er Angewandte Psychologie in Stuttgart.

Stephanie Brause war 2008/2009 in Guatemala und arbeitete als Freiwillige bei der Organisation „The GOD’S CHILD Project“ in einem Krankenhaus für unterernährte Säuglinge. Ihr Regionalstudium, ihre Praktika sowie ihr Engagement für Menschenrechte führen sie regelmäßig für mehrere Monate nach Lateinamerika.

Leonie Düngefeld war im Rahmen des weltwärts-Programms 2011/2012 mit der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) in Piura, Peru.

Anschließend hat sie Politikwissenschaften studiert und spezialisiert sich nun auf Umwelt und Nachhaltigkeit.

Christina Enns war 2009/2010 im Rahmen des weltwärts-Programms mit der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) in Namibia. Als ausgebildete Ergotherapeutin arbeitete Sie an einer Schule für geistig behinderte Kinder. Seitdem engagiert sie sich in der interkulturellen Bildungsarbeit.

Franziska Freihart war im Rahmen von weltwärts 2011/2012 in Tansania. Nach ihrem Freiwilligendienst hat sie in Eichstätt-Ingolstadt Journalistik studiert. In diesem Rahmen bot sich ihr im August 2014 die Möglichkeit ein Semester an der Makerere University of Kampala, Uganda zu studieren und die Radiostation „Radio Hope“ mit aufzubauen.

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Johanna Frommelt war 2011/2012 im Rahmen des weltwärts-Programms mit der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) in Riobamba, Ecuador. Dort arbeitete sie im Centro Cultural Pablo Narváez, einer kleinen Musikschule. Nun studiert sie Kultur- und Sozialanthropologie (MA) in Marburg.

Sofia Zafiridou war 2014/2015 mit weltwärts über die Kolping Jugendgemeinschaftsdienste in Costa Rica, wo sie unter anderem einen Frauen-Kunst-Kurs leitete und Kindernachmittage veranstaltete. Momentan bereitet sie sich für die Bewerbung an einer Kunstakademie für Kunsterziehung vor.

Jil Carmen Holtbernd hat ihren Text „Kinderspiel“ in der Schreibwerkstatt des Projekts globalista im April 2015 verfasst und den Text „8 Uhr morgens. Bildung – Luxus oder universelles Menschenrecht?“ für dieses Ebook. Sie war 2011/2012 mit weltwärts über Experiment e.V. in Ecuador.

Redaktionsteam: János Aicher, Christina Enns, Verena Foth, Melanie Heisterberg, Jil Carmen Holtbernd, Anne Kaschler, Elisabeth Marie Mars, Marlon Philipp, Sofia Zafiridou

Anne Kaschler hat 2014/2015 mit den Kolping Jugendgemeinschaftsdiensten einen weltwärts-Freiwilligendienst in Tansania gemacht. Im kommenden Som­­mer­s emester möchte sie beginnen, Medizin zu studieren.

Anna Oprei war 2011/2012 im Rahmen des weltwärts-Programms mit Experiment e.V. in Ecuador und hat neben Englisch-/ Sport-/Computerunterricht an einer Grundschule in ökologischen Projekten (Wiederaufforstung, Ökotourismus) gearbeitet. Nach der Fortbildung zur entwicklungspolitischen Multiplikatorin studiert sie Umweltingenieurwesen an der BTU in Cottbus.

Marlon Philipp war im Rahmen des weltwärts-Programms mit den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten (IJGD) 2012/2013 in Südafrika. Dort arbeitete er als Teaching Assistant für die Organisation „Hilltop Empowerment Centre“ in Mdantsane, einem Township nahe East London.

Sarah Schnitzer war im Rahmen des weltwärts-Programms mit ICJA 2012/2013 in Cajamarca, Peru. Dort arbeitete sie in dem alternativen Schulprojekt „Esperanza“ der Organisation ACIES/Nuevos Horizontes mit Kindern von 6–12 Jahren. Sie betreute die Kinder beim Erledigen ihrer Hausaufgaben und führte kleine Projekte zum Thema Recycling durch. gbook / menschenrechte und bildung

Grafik-Design: Bert Odenthal I www.bert-odenthal.de Fotonachweise: János Aicher (S. 20, 21), Eleanor Benz (Titel), Geesche Decker (S. 4–6, 10, 29), Eva Fedke (Titel, S. 7, 8, 15), Franziska ­F reihart (S. 22–24), Johanna Frommelt (S. 14), https://de.wikipedia.org/ wiki/Cape_Flats#/media/File:2008-02-12_Khayelitsha_Township_016. jpg (S. 9), Anne Kaschler (S. 18, 19), Lucie Kirstein (S. 28), Rahel von Minden (S. 30), Marlon Philipp (S. 9), Projekt globalista (S. 4), Swetlana Schmidt (S. 25, 27), Sarah Schnitzer (S. 16, 17), Sebastian Wolligandt (S. 3) Projektträger der Rückkehrmaßnahme globalista – Qualifizierungs- und Bildungsprogramm zum Engagieren im Rahmen von weltwärts – sind: Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugend­b ildung Sachsen-Anhalt e.V. und Arbeitsstelle ­W ELTBILDER e.V., info@arbeitsstelle-weltbilder.de Gefördert wird das Projekt von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)

Für den Inhalt dieser Publikation ist allein die Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt e.V. verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global gGmbH und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wieder.

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