Animan 232 auf Deutsch

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Japan

HOKKAIDO, DAS KLEINE SIBIRIEN

Frankreich

CORDOUAN, DIE

LETZTEN LEUCHTTURMWÄRTER

Polynesien

DIE KORALLENGÄRTNER

Sudan

IM LAND DER SCHWARZEN PHARAONEN

Schweiz

DEN WANDERHIRTEN AUF DER SPUR

WUNDER DER WELT

Portfolio

DER ERSTE SCHNEE VON JÉRÉMIE VILLET

NR. 232 DEZEMBER 2022-JANUAR 2023 CHF 17.–
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RÜCKBLICK

EIN SCHÖNES JAHR AUF DEN PFADEN DIESER ERDE

Liebe Leserinnen und Leser

Die Vorweihnachtszeit und der heranrückende Jahreswechsel animieren uns für gewöhnlich dazu, auf das Jahr zurückzublicken, uns das Erlebte und die prägenden Momente des vergangenen Jahres in Erinnerung zu rufen. Während ich diese Zeilen schreibe, denke auch ich an die vielen schönen Themen, die das Animan-Magazin in den letzten zwölf Monaten bereichert haben. Nachdem sich der feste Griff der Pandemie endlich gelockert hatte, konnten Reisen in viele Länder, die dem Tourismus verschlossen geblieben waren, wieder aufgenommen werden. Diese Nachricht lösste bei uns in der Redaktion grosse Freude aus und zahlreiche Vorschläge für Reportagen aus allen Teilen der Welt gingen bei uns ein, von Portugal über Saudi-Arabien bis hin zu Botswana und natürlich der Schweiz, die uns immer wieder verblüfft. Das Vergnügen, Ihnen unsere Lieblingsdestinationen näherzubringen und originelle Geschichten zu erzählen, die die starke Verbindung zwischen Mensch und Natur aufzeigen, sind unser täglicher Antrieb.

Die Zeit ist gekommen, sich leichten Herzens von 2022 zu verabschieden und das neue Jahr voller Zuversicht zu begrüssen. Hoffen wir, dass 2023 trotz der unsicheren Entwicklungen ein guter Jahrgang voller wunderbarer Reisen und Entdeckungen sein wird. Das gesamte Animan-Team wünscht Ihnen und Ihren Lieben alles Gute!

Wanderschäferei im Jura.

© Jérômine Derigny

FOKUS • • 3 Fokus

JAPAN

Hokkaido, Japans kleines Sibirien

Fernab der hektischen Metropolen enthüllt die grosse Insel im Norden ihr innerstes Wesen im Winter, wenn Frost und Schnee Landschaften von absoluter Reinheit und Eleganz erschaffen.

Von Marie Paturel und Hemis

FRANKREICH

Die letzten Leuchtturmwärter von Cordouan

Dieser Leuchtturm, der den Beinamen «Versailles der Meere» trägt, befindet sich vor der Gironde-Mündung und ist der letzte in Europa, der noch ganzjährig bewacht wird.

Von Thibaut Vergoz und Zeppelin

PORTFOLIO

DER ERSTE SCHNEE

Jérémie Villet durchstreift die entlegensten Gegenden und nutzt den Schnee, um poetische Kompositionen zu erschaffen, die die wilde Tierwelt umso grandioser in Szene setzen.

Von Jérémie Villet

Reiserouten

POLYNESIEN Der Ruf des Riffs

Auf Moorea setzt sich die Gruppe der Coral Gardeners für den Schutz der Korallenriffe ein, die für das Leben in den Ozeanen und auf der Erde von entscheidender Bedeutung sind.

Von Julien Girardot

SUDAN

Im einstigen Reich der schwarzen Pharaonen

Von den Tempeln von Meroe bis hin zu den Dünen der Nubischen Wüste beherbergt der Norden des Landes Naturund Kulturwunder, darunter einige UNESCO-Welterbestätten.

Von Laurent Nilles

SCHWEIZ

Den Wanderhirten auf der Spur

Im vergangenen Winter wanderten zwei Hirten 150 Kilometer durch die Berge des Juras, um mit ihren 400 Schafen von Weide zu Weide zu ziehen.

Von Arnaud Guiguitant und Jérômine Derigny • Collectif Argos

4 • • REISEROUTEN
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Titelbild: Schneeeule. © Jérémie Villet

HERAUSRAGENDE ERGEBNISSE ÜBERALL UND JEDERZEIT.

Die beiden neuen Objektive der SIGMA Art-Produktlinie garantieren höchste optische Leistungen und bleiben dabei trotzdem äusserst kompakt. Optimale Voraussetzungen für Ihr perfektes Foto in allen denkbaren Situationen – angefangen bei alltäglichen Schnappschüssen in Innenräumen über Architekturaufnahmen bis hin zur Astrofotografie.

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FRANZÖSISCH-POLYNESIEN DIE VERBORGENE SEITE DES SURFENS

Mit diesem spektakulären Bild gewann Ben Thouard den ersten Preis beim Wettbewerb The Ocean Photographer of the Year. Der in Französisch-Polynesien ansässige französische Fotograf dokumentiert seit mehreren Jahren den Alltag der Surfer, einer Gemeinschaft, der er seit langem angehört und die ihn fasziniert. Die Aufnahme zeigt den Moment, in dem ein Surfer von den Turbulenzen einer der grössten Wellen der Welt, in Teahupo'o auf Tahiti, umhergewirbelt wird. «Das ist die verborgene Seite des Surfens», betont der in Toulon geborene Thouard, der sein erstes Brett in einem Alter bekam, in dem die meisten Kinder Fahrrad fahren lernen. Bereits in jungen Jahren begann er, den Ozean und die Wellen zu malen, bevor er sich der Fotografie zuwandte. Diese ermöglicht es ihm heute, seine bevorzugte Spielwiese mit meisterhaftem Geschick und einem künstlerischen Gespür abzubilden, was ihm schon bald weltweite Bekanntheit bescherte. Sein 2021 erschienenes Buch Turbulences ist ganz und gar den legendären Wellen von Teahupo'o gewidmet und offenbart sein herausragendes Talent in 75 Bildern von überirdischer Schönheit. Allesamt auf einer Wellenlänge mit dem Gewinnerbild, für das er – einmal mehr in seiner Karreiere – diesen Preis erhielt.

www.benthouard.com

© Ben Thouard

6 • • ZOOM
DAS AUSSERGEWÖHNLICHE BILD
Zoom

Wir unterstützen den Anbau und die Produktion in den Bergregionen. Beispiel Schangau: Hier konnten wir mit der Coop Patenschaft für Berggebiete die und ihr einen willkommenen Absatzkanal bieten.

KW 48/22

Im Trend

Zeit für Berichterstattung

SWISS PRESS PHOTO 2022

Zum neunten Mal in Folge präsentiert das Château de Prangins zwei Ausstellungen zur Pressefotografie: Swiss Press und World Press Photo. Die Ausgaben 2022 liefern einen Rückblick auf die Weltnachrichten des Jahres 2021. Anhand der ausgestellten Bilder wird dem Publikum die Möglichkeit offeriert, die wichtigsten Ereignisse des Weltgeschehens aus den verschiedensten Perspektiven und Blickwinkeln zu betrachten. Die preisgekrönten Werke erzählen mutige Geschichten, erinnern an bemerkenswerte Einsätze und spiegeln die hohe Diversität in der Realitätswahrnehmung wider. World Press Photo: zu sehen bis zum 18.12.2022, Swiss Press Photo: zu sehen bis zum 26.02.2023, Informationen und Öffnungszeiten unter www.chateaudeprangins.ch

Zeit zum Fotografieren

Zeit, sich zu messen WENN VÖGEL POSIEREN

Der Wettbewerb der Schweizerischen Vogelwarte Sempach ist die weltweite Referenz für Vogelfotografie. Ziel des Wettbewerbs ist es, die Schönheit und Vielfalt der Vogelwelt im Bild festzuhalten, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu wecken und so die Bemühungen der Vogelwarte in Bezug auf den Schutz und die Erhaltung der Vogelwelt zu unterstützen. Bei der Ausgabe 2022 wurde mit knapp 9800 eingereichten Bildern ein neuer Rekord aufgestellt. Das Foto des Gesamtsiegers, Mateusz Piesiak, zeigt einen regungslosen Silberreiher inmitten eines lärmenden Möwenschwarms. Dieses meisterhafte Bild besticht durch drei Betrachtungsebenen, bestehend aus mehreren Schärfestufen und weich gezeichneter Bewegungsunschärfe –eine technisch höchst anspruchsvolle Meisterleistung. www.vogelwarte.ch

EIN ZOOMOBJEKTIV FÜR ALLE FÄLLE

Das SIGMA 100-400 mm F5-6,3 DG DN OS | Contemporary ist das erste Ultra-Tele-Zoom-Objektiv für spiegellose Vollformatkameras. Mit seiner ausserordentlich hohen optischen Leistung und dem dennoch leichten und kompakten Gehäuse erzielt es eine Bildqualität, die der von Standard-Zoom-Objektiven, wie dem SIGMA 24-70 mm F2,8 DG DN | Art, entspricht. Die ideale Tele-Ergänzung zum Standard-Zoom. Die neueste optische Designtechnologie sorgt für eine hochauflösende und kontrastreiche Bildqualität über den gesamten Brennweitenbereich. Das für ein Ultra-Teleobjektiv typische Bokeh und der Kompressionseffekt eröffnen viele spannende Gestaltungsmöglichkeiten, sei es bei Alltagsszenen, Fototouren oder auch in der Tierfotografie. www.sigma-romandie.ch

8 • • IM TREND
© Mateusz Piesiak © Gaëtan Bally © Niels Ackermann/Lundi13 © Sigma

Im Trend

Zeit zum Entfliehen

QANGA. REISEN IM LAUFE DER ZEIT

Zeit zum Verweilen ISLÄNDISCHE SAGAS

Der namhafte Reporter, Fotograf und Journalist Olivier Joly, der in der vergangenen Ausgabe Nr. 231 den wunderbaren Artikel über den isländischen Almabtrieb verfasste, streift seit zehn Jahren mit seiner Kamera über die entlegenen Pfade der sturmgepeitschten Insel. Als Anhänger der Schwarz-Weiss-Fotografie hat er unlängst ein neues Buch mit dem Titel SAGAS im auf Fotografie spezialisierten Verlag Hemeria publiziert. Dieser erlesene Bildband (140 S/W-Fotografien, Dreifarbendruck, BarytFotodruckeffekt) kommt wie ein isländisches Lavafeld zugleich kunstvoll und rau daher. Ein Muss für Island-Fans, aber auch für Liebhaber von Fotografie, endlosen Weiten, inneren Reisen und nordischer Mythologie. Buch bestellen unter www.hemeria.com

Die im Palais de Rumine (Geschichte, Geologie und Zoologie) in Lausanne zusammengeschlossenen Kantonsmuseen präsentieren in den grossen Ausstellungssälen eine originelle Ausstellung zum Thema Grönland. Mit dem Titel Qanga, was auf Kalaallisut «früher» bedeutet, liefert sie einen umfassenden Überblick über die Geschichte Grönlands, von der Zeit der ersten Jäger und Sammler, die vor 4500 Jahren aus dem heutigen Kanada einwanderten, über die Ankunft der Wikinger und der ersten dänischen Missionare und Siedler bis hin zu den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Schau basiert auf vier Graphic Novels des grönländischen Künstlers Konrad Nuka Godtfredsen, die in Zusammenarbeit mit dänischen Archäologen und Historikern entstanden sind und mit einer aussergewöhnlichen Auswahl an historischen und archäologischen Objekten, Mineralien, Tieren und Kunstwerken aus Grönland gezeigt werden. Viele dieser Exponate stammen aus den Museumsbeständen Dänemarks und der Schweiz und wurden noch nie zuvor der Öffentlichkeit präsentiert. Ausstellung zu sehen bis zum 29. Januar 2023, Informationen und Öffnungszeiten unter www.palaisderumine.ch

Zeit für Fragen AUSSTELLUNG HELVÉCIA

In seiner Fotoausstellung «Helvécia. Eine vergessene Kolonialgeschichte» beleuchtet das Ethnografische Museum in Genf einen bisher verkannten Aspekt der Schweizer Geschichte. Zwar besass die Schweiz nie Kolonien, sie arbeitete aber dennoch mit Kolonialmächten bei der Aneignung fremder Länder und der Ausübung von Sklaverei zusammen. Helvécia ist eine ehemalige deutsch-schweizerische Kolonie, die ursprünglich Leopoldina hiess. Ihr heutiger Name geht auf eine ihrer Plantagen zurück, die ein Schweizer Kolonist einst so getauft hatte. Das 1818 gegründete Städtchen prosperierte durch den Kaffeeanbau, von dem es über 90 % für den Bundesstaat Bahia produzierte, bis es sich Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem der führenden Kaffeeexporteure Brasiliens entwickelte. Dieser Erfolg war auf die gross angelegte Ausbeutung von Sklaven zurückzuführen, eine Praxis, die, wie aus einigen Archivdokumenten hervorgeht, von der damaligen Bundesregierung unterstützt wurde. Das Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei in Brasilien im Jahr 1888 bedeutete das Ende der Kolonie. Seit der Fotograf Dom Smaz zufällig auf dieses Dorf stiess, haben sich er und die lokale Journalistin Milena Machado Neves darum bemüht, die Geschichte Helvécias aufzuarbeiten, indem sie eine Brücke zwischen seiner kolonialen Vergangenheit und der Gegenwart schlagen. Ausstellung zu sehen bis zum 8. Januar 2023, Informationen und Öffnungszeiten unter www.meg.ch

IM TREND • • 9
© Olivier Joly © Dom Smaz © Johnathan Watts © Alle Rechte vorbehalten

Im Trend

Zeit, sich anzupassen

EVEREST-BASISLAGER VERLEGT

Nepal bereitet sich darauf vor, das Basislager des Mount Everest bis 2024 zu verlegen, da die globale Erwärmung und die menschlichen Aktivitäten den Ort gefährden. Das Lager, das im Laufe der Frühjahrssaison bis zu 1500 Personen beherbergt, befindet sich auf dem Khumbu-Gletscher, der jährlich etwa 9,5 Millionen Kubikmeter Wasser verliert. Das auf 5364 Höhenmetern gelegene Camp soll 200 bis 400 Meter weiter unten errichtet werden, was den Aufstieg zum 8850 Meter hohen Dach der Welt entsprechend verlängern wird.

Zeit für Reisen JAPAN ÖFFNET WIEDER SEINE PFORTEN

Die seit Monaten von der Reiseund Freizeitbranche erwartete Ankündigung kam im Oktober: Japan, das seit dem Ausbruch der Pandemie von der Aussenwelt abgeschnitten ist, empfängt wieder alle Arten von Besuchern, nachdem es im Juni seine Pforten für Reisegruppen im Rahmen von organisierten Reisen und anschliessend für Individualreisende über Reisebüros geöffnet hatte. Neuankömmlinge müssen sich jedoch an die strikten Hygienevorschriften halten, die weiterhin im ganzen Land gelten.

Zeit, wieder in den Zug zu steigen

DER TREND AUS SCHWEDEN: TÅGSKRYT

Die europäischen Zuggesellschaften können sich bei den Schweden bedanken. Nachdem der Begriff Flight shame, der für die Scham beim Fliegen verwendet wird, populär geworden ist, taucht nun der Begriff tågskryt, «Zugstolz», auf. Der entsprechende Hashtag #tagskryt ist seit einigen Monaten in den sozialen Netzwerken omnipräsent, und das nicht nur in Schweden, wo der Klimaschutz seit vielen Jahren ein zentrales Thema ist. Diese Begeisterung für das Bahnfahren scheint sich in weiten Teilen Europas auszubreiten, nicht zuletzt dank mehrerer Initiativen, die den Zug erschwinglicher machen sollen. Allen voran das jüngere Publikum, das nicht mehr in den Flieger steigen möchte, begrüsst das.

10 • • IM TREND
© Nikola Johnny Mirkovic/Unsplash © David Edelstein/Unsplash © Daniel Oberhaus/Wikimedia

DER ERSTE VOLLELEKTRISCHE SUV VON SUBARU.

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HOKKAIDO, JAPANS KLEINES SIBIRIEN

Text: Marie Paturel • Fotos: Hemis
JAPAN

Japanisches Meer

Ochotskisches Meer

ShiretokoHalbinsel

HOKKAIDO

Asahikawa

DaisetsuzanNationalpark

Oakan-dake 1370

Meakan-dake 1500

AkanNationalpark

Mashu-See

Tsurui

Sapporo

Berg Moiwa 531

KushiroNationalpark

Pazifischer Ozean

14 • • JAPAN

Hokkaido ist in der ganzen Welt für seinen Pulverschnee bekannt. In den Bergen der Insel gibt es zahlreiche Skigebiete und naturbelassene Pisten, die Wintersportler reizen. Bei Sonnenaufgang wirkt der Mashu-See wie ein Gemälde, das von fernöstlicher Anmut geprägt ist. Der tanchô, der japanische Kranich, ist das Wappentier Hokkaidos und vollführt einen anmutigen Tanz im Schnee.

Fernab der hektischen Metropolen, der kaiserlichen Tempel und der Geishas enthüllt Hokkaido, die grosse Insel im Norden, ihr innerstes Wesen im Winter, wenn Frost und Schnee Landschaften von absoluter Reinheit und Eleganz erschaffen.

Sie tanzen mit ergreifender

Anmut: Ihre Hälse schlingen sich ineinander, ihre Schnäbel berühren sich zaghaft, ihre Blicke treffen sich. Während dieser geschickten Choreografie kommt das zinnoberrote Oval auf ihrem Kopf zum Vorschein. Ihre endlos langen Stelzenbeine beugen sich abwechselnd in einem Reigen, dessen Schrittfolge nur sie allein kennen.

Sie sind die tanchô, die japanischen Kraniche des 1987 gegründeten Kushiro-

Nationalparks im Osten Hokkaidos. Nahezu ein Drittel der Weltpopulation findet hier Zuflucht, was allen voran Initiativen in den 1920er Jahren zu verdanken ist. Der symbolträchtige Kranich galt unter den Einheimischen als verschwunden, bis man in der Sumpfebene rund um das Dorf Tsurui einige Exemplare gesichtet hatte. Daraufhin wurden Massnahmen ergriffen, um die Tiere zu füttern und ihren Lebensraum zu schützen. Heute ist dieser Ort für die Vogelart ein wichtiges Refugium.

HOKKAIDO, JAPANS KLEINES SIBIRIEN • • 15

Mit einem Eisbrecher erkunden Touristen die lokale Tierwelt, die das Packeis bevölkert. Der Winter in Hokkaido ist fast wie in Sibirien: Er bringt eisige Landschaften wie am Mashu-See (mittleres Bild) oder in der Nähe des Kiroro-Skigebiets (rechte Seite, oben) hervor. Der Akan-See schmückt sich mit Eisblumen. Die ausgiebigen Schneefälle laden zum Skifahren ein.

SKIFAHREN IM PERFEKTEN PULVERSCHNEE

Unweit von Sibirien gelegen bildet Hokkaido die nördliche Grenze Japans und wird vom Pazifischen Ozean sowie vom Japanischen Meer und dem Ochotskischen Meer umsäumt. Die Insel konnte sich sein «Wappentier» bewahren und legt auch auf die Qualität ihrer Naturgebiete besonderen Wert, welche zweifellos durch das subarktische Klima, das bitterkalte Wintermonate beschert, geschützt werden. Von Mitte November bis Anfang Januar hat der neyuki zahlreiche Regionen Hokkaidos fest in seinem eisigen Griff und hüllt Täler und Berge über mehrere Monate lang in eine dicke Schneedecke. Zwischen Hokkaido und der russischen Küste bedeckt Treibeis aus Sibirien das Ochotskische Meer. Dieses Phänomen, ryuhyo genannt, komponiert eindrucksvolle Landschaften aus Eisschollen, die von den Gezeiten hin und her gewirbelt werden bis sie schliesslich an den Klippen der Halbinsel Shiretoko zerschellen. Vor der Küste fährt ein Eisbrecher durch das gefrorene Wasser und ermöglicht es Touristen, die faszinierende Welt des Treibeises zu entdecken, ohne sich in die weitaus lebensfeindlicheren polaren Breitengrade begeben zu müssen. Das etwa 50 cm dicke Eis driftet von Sibirien hierher und verdichtet sich an Ort und Stelle bei Temperaturen, die sich der minus 25-GradMarke nähern. Da die Salzkonzentration im Ochotskischen Meer relativ gering ist, friert es schnell zu und bildet von Ende Januar bis Ende März eine Eisdecke. Durch die monatelangen Minustemperaturen erhält der Schnee in Hokkaido seine legendäre Feinheit: Skitourengeher, Snowboarder und Freerider aus aller Welt kennen heute die Hänge Hokkaidos, die mit dem überzogen sind, was das amerikanische National Geographic Traveler-Magazin

16 • • JAPAN

so treffend als «the absolute powder», den perfekten Pulverschnee, bezeichnet. Sapporo, die Hauptstadt Hokkaidos, war 1972 Austragungsort der Olympischen Spiele – ein Ritterschlag für eine Insel, die sich seither bemüht, den Wintersport in Asien zu fördern.

DIE KÄLTE,

DAS VERBINDENDE

ELEMENT DER KULTUREN

Während die Skiorte die Berghänge vulkanischen Ursprungs erobern (es gibt 117 Skigebiete und knapp 500km Pisten), findet man noch immer viele weitläufige, unberührte Gebiete. Der Akan-Nationalpark, der sich inmitten einer Bergkette im Nordosten der Insel befindet, bietet atemberaubend klare Stimmungen und absolute Stille. Vereiste Seen, dampfende heisse Quellen, ausgedehnte Kiefernwälder an den Hängen des Meakan-dake (1500 Höhenmeter) und

Der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen verbindet die Inseln Honshu und Hokkaido. Sapporo, die Hauptstadt der Präfektur Hokkaido, erstreckt sich am Fusse der Berge und liegt daher nicht selten unter einer Schneedecke. Hokkaido ist nach wie vor stark von der Fischerei geprägt, wie die Grösse des Fischmarkts von Sapporo beweist.

des Oakan-dake (1370 Höhenmeter), die ganze Schönheit des Mashu-Sees, der sich in die Caldera eines Vulkans schmiegt, oder auch ein Ainu-Dorf, das die traditionelle Lebensweise des indigenen Volkes zeigt, das im 19. Jahrhundert auf Befehl des japanischen Kaisers kolonialisiert wurde. Die Ainu, die auch als «Bauern des Meeres» bezeichnet werden, lebten lange Zeit vom Fischfang und der Landwirtschaft, da sie durch die Geografie und das raue Klima der Insel von der Aussenwelt abgeschnitten waren. Erst mit der Öffnung Japans für den Westen zu Beginn der Meiji-Zeit im Jahr 1868 wurde die Besiedlung Hokkaidos gefördert. Gegen das Versprechen von Ländereien siedelten Samurai und Bauern von der Nachbarinsel Honshu über und gründeten ab 1871 unter anderem Sapporo. Mit seinem schachbrettartigen Grundriss und den schillernden Hochhäusern bietet der grösste Ballungsraum der Insel ein angenehmes Lebensumfeld zwischen Geschäftszentren, Einkaufsstrassen und Freizeitangeboten. Eine der beliebtesten Touristenattraktionen ist das seit 1949 gefeierte Schneefestival, bei dem aufwendige Eisskulpturen in der ganzen Stadt zu bestaunen sind und Besucherscharen aus aller Welt locken. Auch vom benachbarten Berg Moiwa (531 Meter) offenbart Sapporo seinen ganzen Zauber. Von diesem Gipfel, den man zu Fuss oder mit der Seilbahn erreicht, kann man seinen Blick über das Tal und die gesamte Präfekturhauptstadt schweifen lassen, die sich zwischen dem Meer und den Bergen, so weit das Auge reicht, erstreckt. Am Abend erstrahlt die nahe gelegene Skistation Teine im Lichterglanz und lädt zum Skifahren unter dem Sternenhimmel ein.

HOKKAIDO, JAPANS KLEINES SIBIRIEN • • 19

Verschiedene Festivals rücken auf Hokkaido die Eiskunst in den Mittelpunkt, wie etwa in Sapporo, wo riesige Eisskulpturen die Strassen säumen (oben). Aber auch andere Festlichkeiten huldigen dem Eis. Der Shikaribetsu-See (rechte Seite, oben und unten) verwandelt sich im tiefsten Winter in ein Dorf aus Eis.

DORF AUS EIS

Auch in Asahikawa, der zweitgrössten Stadt Hokkaidos, ist die Natur stets in greifbarer Nähe. Davon zeugt der berühmte Blue Pond, ein fotogener, künstlich angelegter Teich in strahlendem Türkisblau. Oberhalb des Stausees bieten die Shirahage-Wasserfälle ein surreales Schauspiel: Warmes Wasser fliesst hinab durch ein eisiges Paradies aus makellosen Felsen und ergiesst sich in ein leuchtend blaues Becken. Diese erstaunlichen Farben, die auf eine erhöhte Konzentration von Aluminium und Sulfid in der Quelle zurückzuführen sind, stehen auch für ihre extreme Toxizität. Östlich von Asahikawa erstreckt sich der Daisetsuzan,

der grösste Nationalpark Japans. Dutzende Vulkane durchziehen diese unbändige, über 220 000 Hektar grosse Wildnis, in der der einzigartige Riesen-Fischuhu gedeiht. Er wird von den Menschen als Schutzgott dieses Gebietes verehrt. Im tiefsten Winter verwandelt sich der Shikaribetsu-See in ein Dorf aus Eis. Vergänglich sind die Iglus, die Kapellen mit den geschnitzten Glasfenstern, der Konzertsaal mit den vereisten Bänken und die Bar, in der eisgekühlte Getränke serviert werden. Der Daisetsuzan-Park, das Juwel im Herzen der Insel, befindet sich in unmittelbarer Nähe des Tals, in

dem die Stadt Asahikawa samt Flughafen, Blechsilos und Gebäuden in schrillen Farben eingebettet ist, und verkörpert so die Dualität Hokkaidos: Diese Insel, die einst Ezo hiess und während der MeijiZeit in Hokkaido (wörtlich: «der Weg zum Nordmeer») umbenannt wurde, ist sowohl von Modernität als auch von der uralten Ainu-Kultur geprägt. Ein wildes Land, in dem die Natur ihre ganze Schönheit, ihre ganze Schroffheit zum Ausdruck bringt, insbesondere im Winter, wenn das Meer zu Packeis wird und sich das Land in eine Schneedecke hüllt, die so luftig leicht ist wie japanische Kraniche im Flug.

20 • • JAPAN
HOKKAIDO, JAPANS KLEINES SIBIRIEN • • 21

FRANKREICH

DIE LETZTEN LEUCHTTURMWÄRTER VON CORDOUAN

Text und Fotos: Thibaut Vergoz/Zeppelin Drohnenaufnahmen: Sammy Billon

Dieser Leuchtturm, der den Beinamen «Versailles der Meere» trägt, befindet sich 7 km vor der Gironde-Mündung in der Region Nouvelle-Aquitaine und ist der letzte in Europa, der noch ganzjährig bewacht wird.

DIE LETZTEN LEUCHTTURMWÄRTER VON CORDOUAN • • 23

Der Leuchtturm von Cordouan wurde auf einer felsigen Landzunge errichtet, die bei Flut unter Wasser steht. Er ist der letzte in Europa, der ganzjährig bewacht wird, unter anderem von Mickaël (links) und Benoît, die hier ein- bis zweiwöchige Wachdienste durchführen. Während ihrer Erholungsphasen an Land übernimmt ein anderes Zweierteam.

«K

ein Netz …», murmelt Mickaël vor sich hin, der vergeblich versucht, sein Smartphone mit dem Internet zu verbinden. Die 2,5 Meter dicke Mauer, die die Basis des Leuchtturms schützt, blockiert jedes Signal. Mickaël, der frisch vom «Gemischten Zweckverband für die nachhaltige Entwicklung der GirondeMündung» (SMIDDEST) eingestellt wurde, lernt die Abgeschiedenheit auf See kennen. Zum Glück gibt es für Notfälle ein Satellitentelefon. Cordouan ist der einzige Leuchtturm in Europa, und einer der wenigen auf der Welt, der noch ständig von zwei Wärtern bewohnt wird. Das ganze Jahr über arbeiten sie in ein- bis zweiwöchigen Schichten auf See, gefolgt von einer ebenso langen Zeit an Land. «Das sind 26 Wochen Urlaub im Jahr», scherzt Benoît.

EIN JOB WIE KEIN ANDERER

Der geniale Tüftler mit den Dreadlocks und der selbstgedrehten Zigarette im Mund ist ausgebildeter Elektriker. Benoît ist das perfekte Beispiel der «Multitalente», die der SMIDDEST noch bis vor einigen Jahren rekrutierte. Er stammt von der nahegelegenen Île d'Oléron, wo er mit seiner Frau und seiner Tochter lebt, und ist mittlerweile im achten Jahr als Leuchtturmwärter tätig. Er ist eher wortkarg, ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen Mickaël, der vor Enthusiasmus nur so strotzt. Der 42-jährige Bretone und Naturfreund war Bereichsleiter in einem grossen Einzelhandelsunternehmen. «Ich habe nicht eine Sekunde gezögert, als ich vor 3 Monaten die Anzeige für diesen Job sah. Ich wurde eingestellt, und das hat mein Leben verändert».

24 • • FRANKREICH
DIE LETZTEN LEUCHTTURMWÄRTER VON CORDOUAN • • 25

DER LEUCHTTURM DER KÖNIGE

Der Leuchtturm von Cordouan wurde unter der Herrschaft von Heinrich III. und Heinrich IV. innerhalb von 27 Jahren erbaut. Das 1611 in Betrieb genommene Bauwerk samt seiner architektonischen und technologischen Leistung sollte zunächst den Ruf des französischen Königreichs festigen, indem es ausländischen Schiffen imponierte. Während der Revolution wurde er auf seine heutige Höhe aufgestockt, was die Gelegenheit bot, eine Wendeltreppe über der Kapelle mit den Buntglasfenstern zu errichten. Aufgrund all dieser Merkmale wurde der «Leuchtturm der Könige» im Juli 2021 zu Recht in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.

Im Vorstellungsgespräch ging es um das Leben in der Isolation und um Vielseitigkeit, aber seine Qualitäten als Animateur machten schliesslich den Unterschied. Touristische Führungen, die von April bis Oktober möglich sind, bilden eine wichtige Einnahmequelle für den SMIDDEST und sind der Hauptgrund dafür, dass die Stelle des Leuchtturmwärters seit der Elektrifizierung der Laterne im Jahr 1948 und schliesslich ihrer Automatisierung im Jahr 2006 ganzjährig besetzt ist.

Dieser ständigen menschlichen Präsenz ist der aussergewöhnlich gute Erhaltungszustand des Leuchtturms von Cordouan zu verdanken. «Als ich vor acht Jahren das erste Mal hierher kam, hatte ich etliche Bücher im Gepäck, um mich zu beschäftigen … Aber in Wirklichkeit kommt hier keine Langeweile auf! Es gibt immer ein Problem, das gelöst werden muss, Sanitär-, Elektro- oder Mechanikarbeiten, ein kaputtes Möbelstück oder ein neuer Anstrich.» Ganz zu schweigen von einer der Hauptaufgaben: die allgegenwärtigen Kalkablagerungen, die durch das Zerbröseln der Steine des Bauwerks entstehen, von den Böden der sieben Stockwerke und der 301 Treppenstufen zu wischen. Der prunkvolle Turm aus reich verziertem Quaderstein überragt

Die Tage vergehen beim täglichen Rundgang bei Ebbe, beim Putzen der Treppen und der Instandhaltung des Leuchtturms selbst. In der Kapelle von Cordouan (rechts) wird eine Messe gefeiert. Sie ist die einzige Kapelle, die je in einem Leuchtturm auf offener See geweiht wurde.

die Flussmündung der Gironde. Auch die monumentale «Fresnel-Linse» in der 67,5 m hohen Laterne muss regelmässig poliert werden, denn sobald sich Staub auf ihr absetzt, sinkt die Sichtbarkeit des Leuchtturms erheblich. Mit nur 250 Watt ist die Glühbirne dieses Leuchtfeuers im Übrigen weitaus schwächer, als man vermuten könnte. Ihre Leistung wird in Wirklichkeit durch die geniale «FresnelLinse» verzehnfacht, die sie noch aus 36 km Entfernung sichtbar macht. Daher ist es wichtig, sie so sauber wie möglich zu halten.

EINE AUSGEKLÜGELTE VERSORGUNG

An diesem Morgen ertönt ein Vaterunser in der Kapelle Notre-Dame de Cordouan, der einzigen, die je in einem Leuchtturm auf offener See geweiht wurde. Pater Jérôme Grondona aus der Diözese Bordeaux hält mit rund 20 Gläubigen eine aussergewöhnliche Messe auf hoher See: «Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie, dass die Jungfrau Maria einen kleinen Leuchtturm in der Hand hält ... Das ist ein starkes Symbol, denn sie leitet die Gläubigen, wie der Leuchtturm die Schiffe leitet». Nachdem die letzten Besucher gegangen sind, krümmt sich

DIE LETZTEN LEUCHTTURMWÄRTER VON CORDOUAN • • 27
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Mickaël beobachtet den Ozean von der Spitze des 67 m hohen Leuchtturms, der einen roten und einen grünen Sektor besitzt, um die verschiedenen Schiffstypen bei ihrer nächtlichen Anfahrt an die Hafenterminals von Bordeaux zu leiten. Die Leuchtturmwärter erledigen die meisten ihrer Aufgaben in Eigenregie, sie kommen aber zu den Mahlzeiten in der Gemeinschaftsküche zusammen.

Mickaël beim Schliessen des kolossalen «Gezeitentores», das aus Holz und Bronze besteht und den Zugang zum Leuchtturm ermöglicht. Da es bei Flut unter Wasser steht, wurde es so konstruiert, dass seine beiden Flügel, die von Stahlstreben fest zusammengehalten werden, nicht perfekt abschliessen. So kann das Wasser hindurchfliessen, was den Druck der Wellenschläge, die heute Abend von der Brandung verursacht werden, verringert. Bei einer Windstärke von knapp 100 km/h peitschen die Wellen gegen das Gebäude. «Heute gibt es Rinderbraten und Kartoffeln», verkündet Benoît, den der heftige Sturm kaum aus der Ruhe bringt. Zwei Generatoren sind für die Energieversorgung des Wohnbereichs zuständig und liefern den Wärtern die benötigte Energie, während drei weitere Generatoren die Akkumulatoren wiederaufladen, die für das Leuchtfeuer des Turms vorgesehen sind. Ein ausgeklügeltes, in den Wänden verlaufendes System aus Steinrinnen leitet das Regenwasser in Klärtanks. «Wir nutzen es für die Dusche und die Wasserhähne. Für die Toiletten pumpen wir Wasser aus dem Meer und zum Trinken bringen wir Wasserflaschen mit», erläutert Benoît. «Ein Leuchtturm auf See ist wie ein unbewegliches Schiff. Wir unterliegen denselben Zwängen wie die Seeleute: Isolation, Enge, Monotonie, fehlende Privatsphäre oder das Leben in einer kleinen Gemeinschaft.» Leuchtturmwärter hatten jedoch nie den Status eines Seemanns, was ihn traurig stimmt.

DIE LETZTEN LEUCHTTURMWÄRTER VON CORDOUAN • • 29
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Der Leuchtturm von Cordouan, der auch als «Versailles der Meere» bezeichnet wird, wurde ab dem Jahr 1584 in mehreren Bauphasen errichtet. Seine Architektur war für die damalige Zeit überaus innovativ und eine technische Meisterleistung. Sie vereint Kassettenkuppeln, Kompositkapitelle und kunstvolle Skulpturen.

DIE LETZTEN LEUCHTTURMWÄRTER VON CORDOUAN • • 31
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Am Tag der Schichtübergabe werden Lebensmittel ausgeladen, der Abfall der Woche wird eingesammelt und das neue Team löst das bestehende ab. Da das Schiff der Leuchtturm- und Seezeichenbehörde nicht direkt am Leuchtturm anlegen kann, muss das letzte Stück zu Fuss bewältigt werden, wobei ein günstiger Wasserstand genutzt wird.

Je nach Wellengang kann dies mitunter akrobatisches Geschick erfordern.

ZEIT FÜR DIE ABLÖSUNG

«Es sind noch fünf Joghurts übrig.»

Mit dem Telefon am Ohr gibt Mickaël Auskunft über die Lebensmittelvorräte, die sich noch im Gaskühlschrank befinden. Es ist Freitag, der Tag der Ablösung. Pierrot soll Benoît an Mickaëls Seite ersetzen, der wiederum eine zusätzliche 7-Tage-Schicht dranhängt. Nachdem er den Müll der Woche eingesammelt hat, beginnt Benoît, den Horizont abzusuchen. Er hält Ausschau nach dem Schiff der Leuchtturm- und Seezeichenbehörde,

dessen Beiboot schliesslich 30 Meter vor dem Gezeitentor anlegt. Der Zeitpunkt ist günstig: Es gibt genug Wasser, um sich einen Weg durch die Untiefen zu bahnen, aber nicht zu viel, sodass man die 30 Meter bis zum Leuchtturm im hüfthohen Wasser und möglichst ohne von der Strömung weggespült zu werden, zu Fuss zurücklegen kann.

Der Abfall wird an Bord gebracht, Wasserflaschen und Lebensmittel werden ausgeladen. Benoît und Pierrot

begrüssen sich per Handschlag und tauschen ein paar letzte scherzhafte Bemerkungen aus, während Mickaël den Flaschenzug bedient, um das Material über die Mauer zu befördern. Dann fährt das Boot zurück zum Schiff, das jenseits des Plateaus ankert. Benoît dreht sich nicht um, um seinen Leuchtturm noch einmal zu betrachten. Er wird auch in einer Woche noch da sein, schliesslich wacht er seit vier Jahrhunderten still und leise über die Mündung der Gironde.

DIE LETZTEN LEUCHTTURMWÄRTER VON CORDOUAN • • 33

IHR EXPERTE

Sultanat Oman – Land zwischen Tradition und Moderne

Von Sonntag, 29. Oktober bis Dienstag, 7. November 2023 (10 Tage)

REISEPROGRAMM

TAG 1, 2 & 3

Anreise / Muscat / Wahiba Wüste

Flug nach Muscat. Aussenbesichtigung des Royal Opera House, Stadtrundgang in der Altstadt und Besuch des beeindruckenden Zubair Museums. Ausserdem Ausflug in die Wahiba Wüste inkl. Übernachtung.

TAG 4 & 5

Nizwa / Mishfa al-Abreen

Auf dem Weg nach Nizwa besuchen Sie die Ruinen von Al-Mansfah bei Ibra sowie die Festung in Jarbin. Tagesausflug in das Dorf Misfah al-Abreen, wo u.a. das traditionelle Bewässerungssystem Falaj noch genutzt wird.

TAG 6 & 7

Nizwa / Akhdar-Gebirge / Muscat

In Nizwa besuchen Sie den bekannten traditionellen Freitagsmarkt sowie die monumentale Festung. Über Birkat al-Mawz fahren Sie später ins AkhdarGebirge auf ca. 2‘000 m ü. M. Sie erkunden das faszinierende Hochplateau mit seinen tief eingeschnittenen Tälern und zahlreichen Terrassenfeldern und übernachten dort. Rückfahrt nach Muscat mit kurzem Halt in al-Mawz mit seinen typischen Lehmhäusern.

Heiner Walther Orientalist, interkultureller Trainer (arabische Länder), Sachbuchautor Programmänderungen vorbehalten.

innere zur Oase Nakhl, wo Sie die majestätische Festung und die unweit gelegenen, warmen Quellen besichtigen. Zurück in Muscat unternehmen Sie eine zweistündige Dhau-Fahrt und geniessen den Sonnenuntergang. Sie besichtigen die Grosse Sultan-Qabus-Moschee, mit ihrer faszinierenden Architektur, den geschäftigen Fisch- und Gemüsemarkt von Mutrah und das Nationalmuseum mit zahlreichen Exponaten und digitalen Erlebniswelten. Am 10. Tag Rückreise in die Schweiz.

PREIS

Pro Person: CHF 6‘690.–

Für Abonnent*innen: CHF 6‘440.–

Zuschlag Einzelzimmer: CHF 650.–

TEILNEHMER*INNEN

16 Personen max. / 10 Personen min.

LEISTUNGEN

• Flüge in Economy-Klasse inkl. Taxen und Gebühren

• Unterkunft in sehr guten Mittelklassehotels, 1 Nacht im Wüstencamp

• 9x Frühstück, 3x Mittagessen und 8x Abendessen

• Alle Transfers, Ausflüge, Eintritte und Besichtigungen gemäss Programm

TAG 8, 9 & 10

Mucat und Umgebung / Rückreise

Ausflug zur Produktionsstätte des teuersten Parfüms der Welt, «Amouage». Weiterfahrt ins Landes-

ANIMAN-HÖHEPUNKTE

• Besuch des eindrucksvollen Zubair-Museums

• Eintauchen in die Kultur und Lebensgewohnheiten der lokalen Bevölkerung

• In Nizwa besuchen Sie den bekannten traditionellen Freitagsmarkt

• Übernachtung im Wüstencamp «Desert Nights Camp»

• Transport in klimatisierten Reisebussen

• Expertenreiseleitung ab/bis Zürich durch Heiner Walther

• Lokale deutschsprechende Reiseleitung

• Grosse Trinkgelder (lokale Reiseleitung und Fahrer)

Mehr Infos: background.ch/oman

OMAN Informationen, Detailprogramm und Buchungen: Background Tours, Neuengasse 30, 3001 Bern Bitte kontaktieren Sie uns, wir beraten Sie gerne: +41 31 313 00 22 – info@background.ch – www.background.ch

JÉRÉMIE VILLET DER ERSTE SCHNEE

Von Jérémie Villet VonJérémieVillet

DER ERSTE SCHNEE

Jérémie Villet hat seine ganz eigene, ebenso persönliche wie poetische Form der Tierfotografie entwickelt. Der aus dem Departement Yvelines stammende Fotograf, der auf einem abgelegenen, von Feldern und Wäldern umgebenen Bauernhof aufwuchs, begeisterte sich von klein auf für die Natur. Er studierte Literaturwissenschaften und Journalismus, da er daran zweifelte, vom Fotografieren leben zu können. 2013 machte er seinen Abschluss und gewann noch im selben Jahr mit einem seiner Bilder, auf dem die Silhouette eines Steinbocks vor einem Wolkenmeer abgebildet ist, den Preis Wildlife Photographer of the Year. Daraufhin gab er sich ein Jahr Zeit, um es mit der Tierfotografie zu versuchen. Er unternahm diverse Winterreisen, insbesondere nach Norwegen, Island, Japan, Alaska sowie in die Alpen. Für Jérémie Villet ist das makellose Weiss, das seine Bilder so unverwechselbar macht, die unberührte Leinwand, auf der er seine Sicht der Dinge, reduziert auf das Wesentliche, projiziert und auf der unsere Fantasie für den Bruchteil einer Sekunde Wirklichkeit wird.

1.

2. «Pure» Hermelin.

6 6. «Yellow eyes»

7 7. «Snow landing»

3. «Serenity» Rotfuchs.

4.

5. «Chocolate» Polarfuchs.

8 8. «Singer» Papageitaucher.

9 9. «White swan» Singschwan.

10 10. «Tundra» Rentier.

11 11. «Contemplation» Schneeziege.

12 12. «Little horn» Asiatischer Steinbock.

13 13. «Face to face» Moschusochse.

14 14. «Wild» Wolf.

15 15. «Catch me if you can» Schneehasen.

«White peace» Dall-Schafe. «The myth» Schneeleopard. Schneeeule. Weisskopfseeadler.

IHR EXPERTE

•Patrick Rohr

Fotojournalist, Moderator, Buchautor und Trainer

REISEPROGRAMM

TAG 1, 2 & 3

Anreise / Bischkek

Flug nach Bischkek. Stadtrundgang mit Besuch des zentralen Ala-TooPlatzes und des grössten zentralasiatischen Marktes (Dordoi Bazaar). Ausserdem Ausflug in den Ala-Archa Nationalpark.

TAG 4, 5 & 6

Tamga / Karakol / Tscholponata

Unterwegs zum Südufer des IssykKul-Sees Halt beim antiken Burana

Turm. Sie erleben die traditionelle Jurtenproduktion sowie das Jagen mit Adlern. Halt in Karakol, wo Sie die Russisch-orthodoxe Kirche sowie die Dunganen-Moschee besichtigen. Beim Hotel direkt am See haben Sie Zeit für Erholung und eine abendliche Bootsfahrt.

TAG 7, 8 & 9

Osch / Tagesausflug Ösgön

Flug nach Osch. Traditionelles Brotbacken im Tandyr-Ofen, bevor Sie vom Suleiman-Too, dem Hausberg Oschs, die Aussicht geniessen. Besuch des historischen Museums und von Ösgön, eine der ältesten und geschichtsträchtigsten Städte Kirgisistans.

TAG 10, 11 & 12

Sary Mogul / Pik Lenin

Sie erleben das Nationalspiel «Kok Boru» im Alay-Tal. Folkloreabend und Übernachtung bei einer Gastgeberfamilie in Sary Mogul. Pferdetrekking um den Tulpar-Kol-

Kirgisistan – Herz der Seidenstrasse

Von Samstag, 29. Juli bis Samstag, 12. August 2023 (15 Tage)

See auf 3‘600 m ü.M. bis zum Pik Lenin Base Camp. Erholung in einem russischen Banja (Sauna).

TAG 13, 14 & 15

Sary Mogul / Bischkek / Rückreise

Begleitete Wanderung zu einer Bergoase mit traumhaftem Ausblick. Rückflug nach Bischkek. Rückreise frühmorgens am 15. Tag.

Programmänderungen vorbehalten. Diese Reise wird in Zusammenarbeit mit Helvetas durchgeführt.

Aktuell rät das EDA vom Besuch des Alay-Tals ab. Background Tours beobachtet die Situation vor Ort und entscheidet kurzfristig, ob die Reise wie geplant im 2023 durchgeführt werden kann.

ANIMAN-HÖHEPUNKTE

•Kennenlernen von Orten und Menschen aus dem Buch «Die neue Seidenstrasse» von Patrick Rohr

•Eintauchen in die Kultur und Lebensgewohnheiten der lokalen Bevölkerung

•Wanderungen durch atemberaubende Landschaften mit einmaligen Ausblicken

•Gastfreundschaft in Kirgisistan hautnah erleben

PREIS

Pro Person: CHF 5‘890.–

Für Abonnent*innen: CHF 5‘640.–

Zuschlag Einzelzimmer: CHF 450.–

TEILNEHMER*INNEN

16 Personen max. / 10 Personen min.

LEISTUNGEN

• Flüge mit Turkish Airlines in EconomyKlasse inkl. Taxen / Gebühren

• Unterkunft in gutem Mittelklassehotels, einfachen Gasthäusern, Jurten- und Zeltcamps

• 13x Frühstück, 6x Mittagessen (teilweise Pick-Nick), 13x Abendessen

• Alle Transfers, Ausflüge, Eintritte und Besichtigungen gemäss Programm

• Expertenreiseleitung ab/bis Zürich durch Patrick Rohr

• Lokale deutsch- oder englischsprechende Reiseleitung

• Grosse Trinkgelder (lokale Reiseleitung und Fahrer)

• Spende an Helvetas

Mehr Infos: background.ch/kirgisistan

KIRGISISTAN Informationen, Detailprogramm und Buchungen: Background Tours, Neuengasse 30, 3001 Bern Bitte kontaktieren Sie uns, wir beraten Sie gerne: +41 31 313 00 22 – info@background.ch – www.background.ch
© Patrick Rohr

DER

Text und Fotos: Julien Girardot
RUF DES RIFFS POLYNESIEN

Auf Moorea, einer kleinen Insel im Südpazifik, setzen sich die Ingenieure, Wissenschaftler und Aktivisten der Coral Gardeners für den Schutz der Korallenriffe ein, die für das Leben in den Ozeanen und auf der Erde von entscheidender Bedeutung sind.

Die Coral Gardeners, die «Korallengärtner», tragen ihren Namen zu Recht. Mit einem Konzept, das Wissenschaft, Kommunikation und Aktivismus vereint, haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Riffe zu retten, die in erschreckendem Tempo absterben. Bereits die Hälfte von ihnen ist in den letzten dreissig Jahren eingegangen. Allein zwischen 2009 und 2018 verschwanden 11 700 km2 Korallen, was mehr als einer Million Fussballfeldern entspricht. Ein Rückgang, der sich bis 2050 sogar auf 90% erhöhen könnte, wenn sich der weltweite Temperaturanstieg von 1,5 °C bestätigt – ein Szenario, das laut der jüngsten Einschätzung des Weltklimarates mehr als wahrscheinlich ist.

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Haapiti Afareaitu Nordpazifischer Ozean Südpazifischer Ozean TAHITI MOOREA Papeete Cook’s Bay

Titouan Bernicot, der Leiter der Coral Gardeners (auf dem Gruppenfoto links), legte seine erste Korallenaufzuchtstation im Alter von 16 Jahren an (linke Seite, unten). Die Insel Moorea verfügt zwar über eine äusserst widerstandsfähige Lagune, dennoch kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu massiven Korallenbleichen.

KORALLEN IM BLUT

Zu Beginn der UN-Dekade für die Wiederherstellung von Ökosystemen haben junge Wissenschaftler unter der Leitung von Titouan Bernicot beschlossen, einen aktiven Beitrag zu leisten. Der 23-jährige Anführer der Coral Gardeners hatte eine geniale Idee: Eine Spende im Internet verschafft der Organisation das nötige Budget, um Stecklinge zu pflanzen. Als Gegenleistung für seine Zahlung erhält jeder Korallenpate eine Adoptionsurkunde mit GPS-Punkt. Innerhalb von fünf Jahren konnten so über 15 000 Stecklinge adoptiert und am Riff eingepflanzt werden. Die Organisation, die mittlerweile 20Mitarbeiter beschäftigt, wird durch

ihre wachsende Popularität in den sozialen Netzwerken gestärkt und setzt auf Influencer, Sportler und berühmte Sänger, um ihre Botschaft in die Welt zu tragen: «Wir müssen den Meeresschutz sexy und trendy machen, um möglichst viele Menschen zu sensibilisieren». Wie viele seiner Freunde ist Titouan Bernicot ein Kind der Lagune. Sein Vater leitete eine Perlenfarm und fischte mit der Harpune in einem anderen Meeresarm, dem Ahe-Atoll im Tuamotu-Archipel nordöstlich von Tahiti. «Ich habe die Korallen im Blut, Rifffische waren das erste Eiweiss, das ich zu mir nahm». Als er drei Jahre alt war, zogen seine Eltern nach Moorea, gegen-

über von Tahiti, wo sie ein Perlengeschäft eröffneten. In der Schule lernte Titouan Mathieu Kerneur kennen, einen ansässigen Biologen, der ihn mit der Materie vertraut machte und ihm erlaubte, seinen allerersten Korallensteckling ins Riff zu pflanzen. Später kehrte er zu seiner Koralle zurück. Sie war gewachsen und wurde von einer kleinen Gemeinschaft aus Krabben, Fischen und Muscheln bevölkert. Titouan war verblüfft, dass man unter Wasser «gärtnern» kann. Eines Tages entdeckte er ein absterbendes Korallenriff beim Surfen und wusste sofort, welcher Aufgabe er sein Leben fortan widmen würde, ohne weitere kostbare Zeit zu verlieren.

DER RUF DES RIFFS • • 55

EIN ELDORADO DER FORSCHUNG

Seit den 1970er Jahren ist Moorea ein weltweit anerkanntes Zentrum der Korallenforschung. Auf der Insel gibt es zwei renommierte Institutionen, die Forscher aus den USA, Frankreich und Europa an ein und demselben Riff zusammenführen, was seine Lagune weltweit zu einer der am besten erforschten macht. Die Forscher, die Titouan Bernicot kennenlernt, ermutigen ihn, ein Studium zu absolvieren, um sich seinerseits als Spezialist auf diesem Gebiet hervorzutun. Aber zehn Jahre erscheinen ihm zu lang, er möchte gern sofort zur Tat schreiten. Gemeinsam mit Freunden baut er einen

ersten Pflanztisch für Stecklinge und teilt seine Erfahrungen mit vielen anderen Menschen. Der Jamaikaner Thomas J. Goreau, ein führender Experte auf dem Gebiet der Korallensanierung, ist vom Tatendrang und den ersten Ergebnissen dieses temperamentvollen Teenagers überrascht und beschliesst, ihm unter die Arme zu greifen, indem er ihm geeignetes Material zukommen lässt, mit dem er seine erste Korallenaufzuchtstation wie ein Profi aufbauen kann. Im April 2017 gründet Titouan den Verein Coral Gardeners. Aller Anfang ist schwer, aber dank der Patenschaften und einer origi-

nellen Marketingstrategie verzeichnet das Projekt eine spektakuläre Entwicklung. Das Haus der Coral Gardeners in der Cook’s Bay, gegenüber der Lagune, ist heute der Hauptsitz des Vereins. Ab 8 Uhr morgens herrscht hier rege Betriebsamkeit. Das junge, internationale Team ist eifrig bei der Sache. In der Küche kocht Taumata Kaffee, während Kyra, eine junge Kalifornierin, und Tehaps, ein Tahitianer, der sich für Meeresbiologie interessiert, in der Werkstatt Material sortieren. Yohann, ein junger Hochseefischer aus Frankreich, mäht den Rasen, während er auf das Einpflanzen der Korallen wartet.

56 • • POLYNESIEN

Das Hauptquartier der Coral Gardeners befindet sich in direkter Nähe zum Strand. Hier werden die Aktionen des Kollektivs vorbereitet, das immer bekannter wird, da Medien aus der ganzen Welt anreisen, um ihren Alltag zu dokumentieren, wie hier ein Team des spanischen Fernsehsenders TVE.

KI – DIE RETTERIN IN DER NOT

Titouan Bernicot hatte sich schon immer von Space X, Google und anderen grossen Startups inspirieren lassen. Eines Tages kommt er mit Drew Gray in Kontakt, einem der Stars im Bereich der künstlichen Intelligenz im Silicon Valley, welcher von Elon Musk rekrutiert wurde, um an dessen Konzept des autonomen Fahrens zu arbeiten. Dieser hatte Tesla gerade verlassen und verfolgt einen Traum: Er möchte mit seinem Wissen den Weltmeeren helfen. Im Jahr 2020 stellt ihm Titouan sein Projekt für eine vernetzte Korallenaufzuchtstation vor. Der Ingenieur ist sofort begeistert. «Wir haben eine Finanzierung von 400000 Dollar für zwei Jahre erhalten. Die erste Technologie, die wir entwickelt haben, ist Reef OS, eine Reihe von vernetzten Sensoren und Kameras, die rund um die Uhr Daten aufzeichnen.»

Die Mitglieder der Coral Gardeners leisten wichtige Aufklärungsarbeit in den örtlichen Schulen. Was unter Wasser geschieht, wird gefilmt oder fotografiert und dann über die verschiedenen Kommunikationskanäle des Kollektivs verbreitet. So zum Beispiel das Setzen der Stecklinge, die bereit sind, in ihren natürlichen Lebensraum zurückzukehren (links). Mittels Patenschaft können Setzlinge adoptiert werden (rechte Seite, unten).

58 • • POLYNESIEN
DER RUF DES RIFFS • • 59
© Killian Domingo/Coral Gardeners

EINTRACHT DANK RAHUI

Neben ihrer ökologischen Bedeutung haben Korallenriffe auch eine grosse wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung für die angrenzenden Länder. Sie sind mit einem uralten Erfahrungswissen verknüpft, das mit einer sorgfältigen Beobachtung der Biodiversität einhergeht: das sogenannte rahui, das darin besteht, den Zugang zu einem Meeresgebiet durch die Verhängung eines tapu («Tabu», vorübergehendes Verbot) zu verbieten, damit sich Flora und Fauna regenerieren können. Im Gegensatz zu dem in Frankreich verabschiedeten «Bewirtschaftungsplan der Meeresgebiete» (PGEM, Plan de Gestion de l'Espace Maritime) wird das rahui von der lokalen Bevölkerung besser aufgenommen und respektiert. Einige Wissenschaftler, die mit den Fischern eng kooperieren, drängen heute darauf, den traditionellen rahui-Kodex wieder einzuführen.

https://labs.coralgardeners.org/reefos

Reef OS ist eine Reihe von Sensoren und vernetzten Kameras, die Daten in Echtzeit aufzeichnen. Diese werden verarbeitet, bereinigt und archiviert und anschliessend an ein Dashboard weitergeleitet, über das man die unter Wasser liegenden Aufzuchtstationen in der Lagune von Moorea live sehen kann.

Auf der Website der Coral Gardeners kann man über einen Livestream in Echtzeit die Temperatur, die Anzahl der Fische, das Korallenwachstum und viele andere Parameter überprüfen. Mit Reef OS kann man den Gesundheitszustand des Riffsystems viel schneller ablesen als ein menschlicher Taucher. «Wir können jetzt die Ergebnisse unseres Schutzprogramms überwachen und unsere Methoden verbessern», schwärmt Titouan. «Wir würden diese Technologie gerne in den kommenden Jahren möglichst vielen Sanierungsprojekten rund um den Globus zur Verfügung stellen. Unser Ziel ist es, bis 2025 eine Million Korallen zu pflanzen. Wir werden den Meeresschutz revolutionieren!»

60 • • POLYNESIEN
DER RUF DES RIFFS • • 61

SUDAN

IM EINSTIGEN REICH DER SCHWARZEN PHARAONEN

Text und Fotos: Laurent Nilles

Von den Tempeln des Königreichs von Meroe über die islamischen Gräber von Alt-Dongola bis hin zu den Dünen der Nubischen Wüste und den Ufern des Nils beherbergt der Norden des Landes Natur- und Kulturwunder, darunter einige UNESCO-Welterbestätten, die Liebhaber abenteuerlicher Reisen faszinieren.

Eine ausgetrocknete Landschaft, die seit Menschengedenken unter der unerbittlichen Sonne verdorrt, bis sie sich schliesslich selbst in den unzähligen feurigen Schattierungen des obersten Gestirns färbte: Das ist der von Rot, Orange und Gelb geprägte Anblick, der sich dem Reisenden beim Anflug auf den Flughafen von Khartum bietet, der sudanesischen Hauptstadt, die von kargen Wüsten umgeben ist, aber dank ihrer Lebensader, dem Nil, floriert. Dieser sagenumwobene Fluss, der seit Jahrtausenden den Rhythmus des lokalen Lebens bestimmt, hat mächtige

Zivilisationen mit beeindruckenden architektonischen Meisterwerken entstehen und untergehen sehen, deren Überreste noch heute seine Ufer schmücken. Über 200 Pyramiden sind in der Nubischen Wüste des Sudan verstreut, eine erstaunliche Zahl, die sogar die Ägyptens übertrifft. Wenn man bei Sonnenuntergang die feinen Sanddünen von Meroe erklimmt, während man einzig in Begleitung einiger sudanesischer Kameltreiber die erhabenen königlichen Mausoleen des Reiches von Kusch bewundert, kommt man nicht umhin, sich in die Zeit der westlichen Abenteurer des 19.Jahrhunderts zurückzuversetzen, die sich auf die Suche antiker Schätze begaben.

64 • • SUDAN
SUDAN Khartum Nil Sawakin Kassala Omdurman Alt-Dongola Port Sudan Tempel von Soleb Abu Haraz Musawwarat Nuri

Im Sudan gibt es unvergleichliche Bauwerke aus allen Epochen, seien es die islamischen Gräber aus dem 17. Jahrhundert in Alt-Dongola (links), nubische Wohnhäuser aus der Gegenwart, die Grabkammer des Pharaos Tantamani in al-Kurru oder der beeindruckende Tempel von Soleb (rechte Seite, von oben nach unten).

ERKUNDUNGEN IM SCHEIN DER TASCHENLAMPE

Dieses Gefühl der Pionierforschung wird sich im Laufe der gesamten Reise immer wieder einstellen, sei es beim Besuch des kleinen ApedemakTempels in Musawwarat, der bröckelnden Ziegelpyramiden von Nuri, der bienenkorbförmigen islamischen Gräber in Alt-Dongola oder auch, wenn man Mansour, dem örtlichen Wächter der Stätte, in die dunklen, unterirdischen und leicht modrig riechenden Grabkammern der Nekropole von alKurru folgt. Der Abstieg in die Dunkelheit wird belohnt, denn im bescheidenen Licht einer Taschenlampe treten zweitausend Jahre alte Wandmalereien in wunderbar erhaltenen Naturfarben zu Tage. Die Ruinen des uralten Tempels von Soleb, der auf Befehl von Pharao Amenhotep III. im 14. Jahrhundert v. Chr. erbaut wurde, liegen noch abgeschiedener da. Nur ein paar Hirtenjungen, die ihre Ziegenherden in den nahegelegenen Palmenhain führen, kommen hier durch. Da es sich um den einzigen bedeutenden Ort am Westufer des Nils handelt, muss man aufgrund fehlender Brücken zwei

66 • • SUDAN

Ein junger Beja-Nomade stellt seine Geschicklichkeit bei einem traditionellen Schwerttanz unter Beweis. Nomaden ziehen durch die Wüstenlandschaft auf der Suche nach Weideflächen und Wasserstellen für ihre Tiere.

AUF DEM LAND DER BEJA-NOMADEN

Fährfahrten einplanen, um zum Tempel zu gelangen. Eine Überfahrt, die man mit einheimischen Reisenden unternimmt, die zu Fuss, zu Pferd oder auf dem Rücken eines Esels, in weisse Baumwoll-Dschallabijas gekleidet, herbeiströmen. Dieser menschliche Austausch ist es im Übrigen, der jede Reise in den Sudan so einzigartig macht. Die lokale Bevölkerung ist stolz auf ihr kulturelles Erbe und möchte das negative Image des Landes nach jahrzehntelanger politischer und sozialer Instabilität überwinden, indem sie westliche Reisende mit allerlei Aufmerksamkeiten überhäufen. Je nach Anlass werden sie zum Kaffee oder zu einer Mahlzeit eingeladen, spontan mit kleinen Geschenken wie frischem Obst bedacht oder gebeten, lokalen Festen beizuwohnen.

Nach acht Fahrtstunden inmitten von gelbem Sand, grauen Felsen und blauem Himmel taucht Port Sudan, der wichtigste Seehafen des Landes, am Horizont auf. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der britischen Verwaltung errichtete Anlage zeichnet sich durch ihre zweckmässige, pragmatische Architektur und Atmosphäre aus. Wir halten uns hier nicht allzu lange auf, sondern ziehen das historische Städtchen Sawakin vor, dessen Ursprünge bis in die Antike zurückreichen. Diese kleine, teilweise verfallene Siedlung steckt voller Charme: jahrhundertealte Moscheen, deren weisse Fassaden in der salzigen Meeresbrise bröckeln, alte Handelspaläste aus Korallenstein, die an den Reichtum längst vergangener Zeiten erinnern, und Männer,

die stolz auf dem Rücken ihrer Kamele durch die staubigen Strassen reiten. Der Osten ist nach wie vor ein Stammesgebiet, das von den Beja bewohnt wird, die ihre nomadische Lebensweise pflegen und das aride, hügelige Gelände an der Küste und in der Grenzregion zu Eritrea auf der Suche nach Weidegründen für ihre Tiere durchstreifen. Die beeindruckenden mittelalterlichen Schwerter, die sie bei sich tragen, verleihen ihnen ein martialisches Aussehen, doch sie leiden unter dem eklatanten Wassermangel, der sich in den letzten Jahren zunehmend verschärft hat. Trotz ihrer belastenden Lebenssituation empfangen sie, getreu dem Brauch der Beduinen, alle Reisenden mit einem angeborenen Sinn für Gastfreundschaft.

IM EINSTIGEN REICH DER SCHWARZEN PHARAONEN • • 67

Hinter Kassala, in unmittelbarer Nähe zur Strasse nach Khartum, erinnern die Gräber von Abu Haraz (linke Seite, Mitte) an die burmesischen Tempel von Bagan. Unweit der Hauptstadt ist der Viehmarkt in vollem Gange: Tausende Huftiere wirbeln eine Staubwolke auf, die die Sonne verdunkelt. Kamele werden für den Export auf Lastwagen verladen.

SUFISTISCHES BAGAN

Das am Nil unweit der eritreischen Grenze erbaute Kassala ist einen Umweg wert. In den belebten Gassen der Souks muss man den mit Zwiebelsäcken und Strohbündeln beladenen Eselskarren ausweichen, man hört die Schmiede beim Hämmern spitzer Dolche und riecht den beissenden Geruch der Gerber, die Tierhäute verarbeiten – eine Reise für alle Sinne. Neben diesem geschäftigen Treiben ist die Handelsstadt zugleich die spirituelle Hauptstadt der sufistischen Khatmiyya-Bruderschaft, in deren faszinierende, aus Lehmziegeln errichtete Moschee am Fusse der Taka-Berge sich zur Zeit des Mawlid (Geburtstag des Propheten) Hunderte Gläubige zum gemeinsamen Gebet versammeln.

68 • • SUDAN

Die Religion spielt im sudanesischen Alltag eine wichtige Rolle, vor allem an Feiertagen wie dem Geburtstag des Propheten. Die KhatmiyyaMoschee in Kassala (oben) ist eine Hochburg des Sufismus. Die meisten Menschen versammeln sich jedoch am Grab des Mahdi in Omdurman.

70 • • SUDAN

DER GEBURTSTAG DES PROPHETEN –EIN GROSSES FEST

Der Geburtstag des Propheten, auch Mawlid genannt, ist ein Höhepunkt im sudanesischen Kalender und wird mit grossem Pomp gefeiert. Zwölf Tage lang organisieren die Sufi-Bruderschaften des Landes Prozessionen, Gebete, Koranlesungen und leben ihren Glauben öffentlich aus, indem sie gemeinsam den dhikr praktizieren. Dabei werden in einem tanzähnlichen, energetischen Ritual die 99 Namen Gottes rhythmisch beschworen. Die wichtigsten Feiern finden in Omdurman, der spirituellen Hauptstadt des Landes, statt, aber auch in allen anderen Städten werden Festplätze eingerichtet.

Auf halber Strecke zurück in die Hauptstadt beherbergt das kleine, vergessene Dorf Abu Haraz ebenfalls eine ungewöhnliche Attraktion. Die von den zahlreichen Qubbas (von Sufi-Anhängern errichtete Grabbauten) übersäte Ebene erinnert an die burmesische Landschaft von Bagan mit ihren unzähligen buddhistischen Tempeln. In Khartum ist heute der Tag des Viehmarkts. Tausende von Huftieren wirbeln eine Staubwolke auf, die den Himmel verschleiert und alles durchdringt. In einer Kakophonie aus Muhen, Grunzen und Geschrei verhandeln Viehzüchter aus Darfur mit ägyptischen Händlern über den Preis von Kamelen, die für den Export bestimmt sind. Andere Tiere finden sich bereits einige Stunden später auf den abgenutzten Theken der Metzger auf dem grossen Markt in Omdurman wieder. Die Geschäfte nehmen ihren Lauf, heute wie zu Zeiten der Pharaonen.

IM EINSTIGEN REICH DER SCHWARZEN PHARAONEN • • 71

SCHWEIZ

DEN WANDERHIRTEN AUF DER SPUR

Fotos: Jérômine Derigny

Text: Arnaud Guiguitant • Collectif Argos

Im vergangenen Winter diente der Kanton Jura als Kulisse für eine einzigartige Transhumanz, bei der zwei Hirten 150 Kilometer durch die Berge wanderten, um mit ihren 400 Schafen von Weide zu Weide zu ziehen.

Bevor er die Gemeinde Soubey durchquert, windet sich der Doubs zu einem sonderbaren Mäander, dessen Form einem grossen Pilz gleicht. Der Fluss beschreibt eine Kurve und folgt dem Verlauf der Côte de l'Omène. Diese ist mit einem Wald aus Ahornen und Eschen bewachsen, deren Blätter bis zum Gipfel hinauf leuchtend rot auflodert. Wie eine unüberwindbare Mauer hat sie den Fluss umgeleitet, aus dem an dieser Stelle eine kleine bewaldete Insel ragt, die einem Reiherpaar als Unterschlupf dient.

VORBEREITUNG

VOR DEM AUFBRUCH

Gianna Spänhauer sitzt am Ufer des Flusses und beobachtet, wie sich die beiden Vögel in die Lüfte erheben. Es ist 17.30Uhr an diesem Novemberabend 2021 und die 27-jährige Hirtin macht sich daran, die 400 Schafe, die sie hütet, einzuzäunen. Die Herde hat den ganzen Tag auf einer abschüssigen Weide im Herzen dieses Tals im Clos-du-Doubs gegrast. «Guidou, guidou, guidou», ruft die junge Frau plötzlich mit schriller Stimme. Diese eigentümliche Silbenfolge, die manche Hirten ausrufen, um ihre Schafe zusammenzutreiben, genügt, um ein heilloses Durcheinander zu provozieren. Ninja, ein zweijähriger Border Collie, muss sich mächtig ins Zeug legen, um die Tiere zusammenzuhalten. «Lay down! (Platz, Anm. d. Red.)», fordert die Hirtin ihre Hündin auf Englisch auf.

Vor ihr stehen Schafe der Rassen Suffolk, Texel oder Walliser, die Gianna die Weide

hinuntertreibt. «Normalerweise sind sie nicht so unruhig. Man merkt, dass sie sich auf den Abtrieb freuen.»

Der Aufbruch ist für den nächsten Tag geplant. Gianna Spänhauer und Daniel Marti, ein weiterer Hirte, werden die Herde vier Monate lang führen. Die 150Kilometer lange Reise verläuft durch drei hügelige und bergige Regionen des Juras: den Clos-du-Doubs, Delémont und das Val Terbi. «Wir dürfen bis Mitte März unterwegs sein», erklärt Gianna. «Jeder Tag ist ein Abenteuer: Je nach Wetterlage und Verhalten der Tiere weiss man nie, was einen erwartet.» Mit dem Hirtenstab in der Hand lässt Daniel die Schafe, die damit beschäftigt sind, sich

über eine Wiese in Montfavergier herzumachen, nicht aus den Augen. Ob er sie zählt? «Nein, ich beobachte sie. Der Nebel ist dicht und weiter unten gibt es ein Wäldchen, in das sie gehen könnten», antwortet der 49-jährige Hirte, der noch bis vor fünf Jahren in Basel in der Gastronomie tätig war. «Dies ist meine dritte Winterwanderung. Ich wollte mein Leben ändern, mehr in der Natur und mit Tieren arbeiten. Es hat etwas Meditatives, seiner Herde zu folgen».

Gianna beginnt plötzlich zu rennen, um die Herde vom Wald wegzuführen. Wild gestikulierend scheucht sie sie auf. Obwohl dies ihre erste Wintertranshumanz ist, hat sie sich durch ihre

Erfahrungen im Sommer auf der Alp auf Unvorhergesehenes vorbereitet: «Ich darf sie nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. Wenn ein Schaf wegläuft, werden ihm alle anderen folgen», erklärt die junge Frau. Die Wanderungen von einer Weide zur anderen finden in der Regel alle drei bis vier Tage statt und sind selten länger als vier Kilometer. Auf topografischen Karten des Kantons hat Daniel die rund 30 Etappen ihrer Route rot eingezeichnet. Jeder Weg führt zu einer kommunalen oder privaten Weide, die ohne Pestizide bewirtschaftet wird. «Vor der Wanderung habe ich bei den Landbesitzern Weiderechte beantragt. Ohne dieses Zugangsrecht dürfen wir nicht bleiben».

DEN WANDERHIRTEN AUF DER SPUR • • 75
Das «Flexinet»-System ermöglicht es, abends oder tagsüber ein mobiles Gehege aufzustellen, wenn der Hirte weg muss und nicht auf die aus 400 Schafen bestehende Herde aufpassen kann. Wie kleine Wellen aus Wolle prägen sie die Landschaft des Jura.
76 • • SCHWEIZ

Daniel ist 49 Jahre alt, es ist seine dritte Transhumanz. Er hat die Winterwanderung organisiert und gemeinsam mit der Züchterin die zurückzulegende Route eingezeichnet. Eine ziemliche Herausforderung, denn bei jedem Halt gilt es, für die Herde eine verfügbare Fläche zum Grasen zu finden. Der Bauwagen, der dem Duo folgt, ermöglicht es, das Abendessen im Warmen einzunehmen und sich nachts auszuruhen.

DEN ELEMENTEN

DIE STIRN BIETEN

Die ersten Flocken fallen, als sie den Wald von Cerneux durchqueren. Ein feiner, umherwirbelnder Schnee, der für die Karawane den Einzug des Winters markiert. Einige Schafe bleiben bei den moosbewachsenen Baumstümpfen zurück, werden jedoch schnell zur Ordnung gerufen: «Yoshi, geh hin, hol sie her», ruft Daniel seinem Hund zu. Der Nebel vermittelt das beklemmende Gefühl, nicht voranzukommen. Doch gegen Mittag, zwei Stunden nach Aufbruch, erreicht die Herde eine windgepeitschte Weide in Saint-Brais. «Die Kälte gehört zu unserem Alltag. Um mich vor ihr zu schützen, habe ich unter meinem Mantel mehrere Schichten übereinander angezogen», verrät er. Mit einem Marsch entlang der Combe de Tabeillon beenden Gianna und Daniel ihren dreiwöchigen Streifzug durch die Wälder des Clos-du-Doubs. Der Bach, dem sie bis in den Talboden folgen, führt sie nach Glovelier. «Es wird uns guttun, unter Menschen zu sein», sagen sie mit einem Lächeln. Ins Dorf zu gehen, kommt allerding nicht in Frage: Die Herde weidet am Rande eines Waldes auf saftigen Wiesen. «Je weiter der Winter voranschreitet, desto tiefer steigen wir ins Tal hinab, um allzu schneebedeckte Felder zu vermeiden», betont Daniel. Am Abend leuchten die Lichter der nahe gelegenen Städte Bassecourt, Courfaivre und Courtételle am Horizont. Er beobachtet sie schweigend:

Der Schnee gehört im Winter regelmässig zum Alltag der Hirten dazu. Die Herde wurde in zwei Hälften geteilt. Die trächtigen Mutterschafe kehren etwa zwei Wochen vor den anderen in den Stall zurück, was das Ende der Winterwanderung markiert.

«In den Evangelien werden die Hirten als bescheidene Menschen dargestellt, die am Rande der Gesellschaft leben. Zweitausend Jahre später hat sich das Bild nicht verändert. Wir sind hier, um unsere Herde lautlos zu führen», philosophiert er.

DIE LEBENSWICHTIGE SUCHE NACH GRAS

Die Herde legt in Vicques einen Zwischenstopp ein, noch nie war sie so nah an die Wohnhäuser herangekommen. «Wir bleiben eine halbe Stunde auf dieser Fläche, bis wir eine höhergelegene Wiese gefunden haben», erklärt Daniel. Der besorgte Hirte hat die ganze Nacht kein Auge zugetan: «Keiner der Bauern in der Gemeinde hat auf meine Anfragen reagiert. Im Moment sitzen wir fest», sagt er beunruhigt und geht auf das Haus eines der Landwirte zu. Der Mann, der ihm öffnet, scheint überrascht. Seine Antwort kommt prompt: «Wir haben dort oben schon gesät. Wenn Sie dort hinaufgehen, werden Sie Schaden anrichten.» Ernüchterung. «Manche Leute wollen nicht, dass wir auf ihren Feldern haltmachen. Dabei sind die Schafe so nützlich für die Weideflächen, die im Winter oft nicht gemäht werden können.» Der letzte Ausweg: die Besitzer der landwirtschaftlichen Parzellen nacheinander zu kontaktieren. Erster Anruf. Als Daniel auflegt, ist er erleichtert. «Wir dürfen zwei oder drei Tage auf dieser Wiese bleiben, bis wir einen anderen Platz gefunden haben», sagt er lächelnd.

78 • • SCHWEIZ

EINE IN EUROPA EINZIGARTIGE WANDERTIERHALTUNG

Die winterliche Transhumanz, wie sie in der Schweiz praktiziert wird, geht auf die langen Wanderungen zurück, die die Hirten von Bergamo, Nomaden aus der Lombardei, mit ihren Herden seit dem 12. Jahrhundert zurücklegten. Da sie ihre Tiere nicht ernähren konnten, zogen sie im Winter von der Po-Ebene bis an die Grenzen der Ostschweiz, um Weideflächen ausfindig zu machen. Ein entbehrungsreiches und einsames Leben, das etwa 40 Hirten noch immer jeden Winter praktizieren. Je nach Jahr führen sie 10 000 bis 20 000 Schafe zum Weiden durch das Juramassiv, Graubünden und das Westschweizer Mittelland.

Drei Wochen später, in Devélier … Im Gras sitzend zeichnet Daniel seine Schafe, die im Schatten des Bois de Chaux weiden. Er skizziert ihre Silhouetten, die an diesem Tag im März von einer grosszügigen Sonne beschienen werden. «Der Frühling kommt, das tut gut. Man hört wieder den Gesang der Vögel», sagt er. Der Clos-du-Doubs ist nur noch ein paar Tagesmärsche entfernt. Die Trennung der Herde in einem Stall in Montmelon-Dessus bedeutet das Ende der Transhumanz: «Die Schafe kehren nach Froidevaux zurück, wo sie geschoren werden, während die Lämmer ihren Weg fortsetzen, um die Mast zu beenden», erklärt Gianna, die den Zug allein anführen wird. Etwas «erschöpft» nach vier Monaten in der rauen Natur räumt Daniel den Bauwagen auf. «Während der Pandemie», so erinnert er sich, «durfte ich als einziger draussen bleiben, während alle anderen zu Hause bleiben mussten. Das ist es letztlich, was ein Schäfer bei der Wanderschäferei am meisten sucht: Freiheit.»

80 • • SCHWEIZ

Nach mehreren Monaten der Wanderschaft trifft die Herde schliesslich in Froidevaux ein. In der Schäferei sammelt Johanna die frisch geschorene Wolle ein, während Diego in der Gerberei die Tierfelle für den Handel vorbereitet.

DEN WANDERHIRTEN AUF DER SPUR • • 81

Solidarisch

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DIE OUTDOOR-COMMUNITY SETZT SICH FÜR DAS KLIMA EIN

Protect Our Winters entstand aus der Initiative des amerikanischen Snowboarders Jeremy Jones, der als Wintersportler direkter Zeuge der Folgen des Klimawandels wurde. Er beschloss 2007, seine Leidenschaft für die Berge mit dem Klimaschutz zu verbinden und eine Organisation zu gründen, die sich explizit für die Outdoor-Gemeinschaft einsetzt und von ihr getragen wird. Seitdem hat sich POW zu einer weltweiten Bewegung mit mehreren hunderttausend Förderern und über 200 Botschaftern und Botschafterinnen entwickelt. Die Non-Profit-Organisation ist in neun europäischen Ländern (Frankreich, Österreich, Deutschland, Italien, Norwegen, Finnland, Schweden und Grossbritannien) sowie in Kanada, Neuseeland, Australien und Japan vertreten. In der Schweiz ist POW seit 2017 aktiv und hat sich innerhalb weniger Jahre zur wichtigsten Klimaschutzorganisation in der Schweizer Outdoor-Community entwickelt. Ihre Besonderheit: POW setzt auf eine positive und emotionale Kommunikation, um die Leidenschaft für die Natur und die Berge in konkrete Klimaschutzmassnahmen umzuwandeln. Die von Schweiz Tourismus, Mammut und Transa unterstützte neue Kampagne #POWTakeTheTrain soll Outdoor-Fans dazu bewegen, ihre Mobilitätsgewohnheiten zu ändern und vermehrt auf den Zug umzusteigen. Weshalb? Weil der Freizeitverkehr in der Schweiz für ca. 45 % aller Fahrten im Mobilitätsbereich verantwortlich ist und Autoreisen dabei für die Mehrheit der CO2-Emissionen einer Destination stehen. www.protectourwinters.ch

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